BT-Drucksache 14/547

Agenda 2000 - Die Europäische Union erweiterungs- und zukunftsfähig machen

Vom 17. März 1999


Deutscher Bundestag: Drucksache 14/547 vom 17.03.1999

Antrag der Fraktion der F.D.P. Agenda 2000 - Die Europäische Union
erweiterungs- und zukunftsfähig machen =

17.03.1999 - 547

14/547

Antrag
der Abgeordneten Dr. Helmut Haussmann, Ulrich Heinrich, Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger, Hildebrecht Braun (Augsburg), Rainer
Brüderle, Ernst Burgbacher, Jörg van Essen, Ulrike Flach, Paul K.
Friedhoff, Horst Friedrich (Bayreuth), Hans-Michael Goldmann, Joachim
Günther (Plauen), Dr. Karlheinz Guttmacher, Klaus Haupt, Walter Hirche,
Birgit Homburger, Ulrich Irmer, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp,
Jürgen Koppelin, Dirk Niebel, Günther Friedrich Nolting, Dr. Edzard
Schmidt-Jortzig, Gerhard Schüßler, Marita Sehn, Dr. Hermann Otto Solms,
Dr. Max Stadler, Carl-Ludwig Thiele, Dr. Dieter Thomae, Dr. Wolfgang
Gerhardt und der Fraktion der F.D.P.
Agenda 2000 - Die Europäische Union erweiterungs- und zukunftsfähig
machen

Der Bundestag wolle beschließen:
Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Die EU hat die historische Chance zur Überwindung der unnatürlichen
Spaltung unseres Kontinents erkannt und mit zehn mittel- und
osteuropäischen Reformstaaten und Zypern im März 1998 einen Prozeß
eingeleitet, an dessen Ende die Aufnahme dieser Staaten in die EU
stehen wird. Die Erweiterung der EU ist eine friedens-, sicherheits-
und stabilitätspolitische Notwendigkeit, an der die Bundesrepublik
Deutschland auf Grund ihrer geographischen Lage und ihrer Geschichte
ein herausragendes Interesse hat. Die Erweiterung wird darüber hinaus
den Binnenmarkt um rd. 100 Millionen Verbraucher vergrößern und durch
eine neue Arbeitsteilung in der EU ebenso wie der Euro die
internationale Wettbewerbsfähigkeit Europas erhöhen. Das fördert
wirtschaftliches Wachstum und damit die Chancen für mehr Beschäftigung
auch bei uns. Die Rolle des Anwalts der Osterweiterung liegt in der
Tradition deutscher Europapolitik nach dem Zweiten Weltkrieg.
Dementsprechend setzt sich der Deutsche Bundestag für einen zügigen
Verlauf des im März 1998 begonnenen Erweiterungsprozesses ein. Das
Ziel, ab 2002 mit der Aufnahme der ersten Staaten zu beginnen, ist dazu
geeignet, den Druck, die notwendigen Reformen mutig anzugehen, auf EU
und Beitrittskandidaten zu erhöhen.
Der Deutsche Bundestag stellt fest, daß die Bundesregierung mit der EU-
Präsidentschaft am 1. Januar 1999 eine hohe Verantwortung für den
erfolgreichen Abschluß des Reformpakets im Rahmen der Agenda 2000
übernommen hat. Herzstück ist dabei die Reform der EU-Finanzierung, die
die grundlegende Reform der beiden teuersten Gemeinschaftspolitiken,
der Agrar- und Strukturpolitik, voraussetzt. Nur wenn die
Ausgabenstruktur reformiert wird, läßt sich die angestrebte fairere
Lastenteilung in der EU erreichen. Der Deutsche Bundestag erwartet, daß
der Europäische Sonderrat in Berlin am 24./25. März 1999 das gesamte
Reformpaket verabschiedet. Er ist allerdings über den Stand der
Vorbereitungen des Sondertreffens besorgt und sieht im wesentlichen
folgende Ursachen dafür:
- Das für den Fortschritt der europäischen Integration entscheidende
deutsch-französische Verhältnis ist u. a. durch das Auftreten des
Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Jürgen
Trittin, in Frankreich, besonders aber durch mangelnde deutsch-
französische Kommunikation in europapolitischen Kernfragen gestört.
- Die EU-Partner wurden mit Vorstößen des Bundesministers der
Finanzen, Oskar Lafontaine, zur Steuerharmonisierung verärgert.
- Die ständigen Angriffe des Bundesministers der Finanzen, Oskar
Lafontaine, auf die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank und
sein Vorstoß zur Aufweichung des Stabilitätspaktes stießen bei den
Partnern auf Sorge und Entsetzen.
- Das Verhandlungsklima wurde durch die lautstarke Forderung des
Bundeskanzlers, Gerhard Schröder, nach Senkung des deutschen
Nettobeitrags ohne gleichzeitig erkennbaren Reformwillen in den
wichtigsten Politikbereichen erheblich belastet.
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, bei den
anstehenden Entscheidungen auf folgendes hinzuwirken:
1. Die Reform des EU-Finanzsystems setzt die Reform der
Ausgabenstruktur und damit ganz wesentlich auch die Reform der
Gemeinsamen Agrarpolitik und der Strukturpolitik voraus. Bisher
umfassen beide Politikbereiche rd. 80 % der EU-Ausgaben. Dieser Anteil
ist zugunsten von Zukunftsinvestitionen in Bildung, Forschung und
Technologie zurückzuschrauben.
Die Eigenmittelobergrenze von 1,27 % des EU-Bruttosozialproduktes ist
festzuschreiben.
Bis zu den ersten Beitritten ist diese Obergrenze deutlich zu
unterschreiten, um Finanzspielraum für die Erweiterung zu schaffen.
Alle Ausnahmeregelungen, insbesondere der britische Beitragsrabatt,
sind abzuschaffen.
Die Einführung einer Kofinanzierung der Gemeinsamen Agrarpolitik durch
die nationalen Haushalte der Mitgliedstaaten analog zur Finanzierung
der Strukturpolitik ist ein wesentlicher Beitrag zur Transparenz der
Ausgaben und zur Entlastung des deutschen Nettobeitrags. Die EU muß
endlich eine wirksame Korruptionskontrolle und Betrugsbekämpfung
einführen. Hierzu müssen u. a. die Rechte des
Haushaltskontrollausschusses des Europäischen Parlaments und des
Europäischen Rechnungshofes umfassend gestärkt werden. Dem Prinzip der
individuellen Verantwortlichkeit der EU-Kommissare vor dem Europäischen
Parlament ist zum Durchbruch zu verhelfen.
Verschwendung von Steuergeldern wird am wirksamsten durch
Subventionsabbau bekämpft.
Bei den Einnahmen der EU sollten sich die Beiträge der Mitgliedstaaten
grundsätzlich nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit richten, d.
h. die Mehrwertsteuereigenmittel sollten durch die
Bruttosozialprodukteigenmittel ersetzt werden.
2. Von den mehr als 80 Mrd. DM, die Jahr für Jahr über den EU-
Agrarhaushalt ausgegeben werden, werden höchstens die Hälfte - rd. 40
Mrd. DM - überhaupt einkommenswirksam für die Landwirtschaft und die
vor- und nachgelagerten Sektoren. Damit werden durch das bisherige
ineffiziente System den europäischen Volkswirtschaften 40 Mrd. DM ohne
Gegenleistung entzogen. Deshalb müssen die Agrarausgaben in der EU
durch einen effizienteren Mitteleinsatz stabilisiert werden. Auch die
Anpassung an die Weltmarktpreise mit der Agenda 2000 ändert daran
nichts, weil dies durch Preisausgleichszahlungen kompensiert werden
soll. Die volkswirtschaftlichen Verluste bleiben auch nach der Reform
bestehen. Deshalb ist die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik, die
derzeit 50 % der Ausgaben des EU-Haushaltes ausmacht, der wichtigste
Bestand des Reformpakets der Agenda 2000.
Ziel der Reform muß es sein, ein weiteres Ansteigen der Agrarausgaben
zu verhindern, die Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaft zu erhöhen
und Bürokratie abzubauen. Die Eingriffe in den Markt durch
Interventionsmechanismen sind schrittweise zu verringern und die
kostenträchtige Überschußproduktion in Europa zurückzuführen. Außerdem
muß die Subventionierung von Agrarexporten im Rahmen internationaler
Verhandlungen weltweit abgebaut werden. Ziel der Reform ist eine
marktorientierte, wettbewerbsfähige WTO-konforme und umweltverträgliche
landwirtschaftliche Produktion. Landwirte müssen den wesentlichen Teil
ihres Einkommens am Markt erzielen. Ziel einer mittelfristigen Politik
muß der geordnete Ausstieg aus den Marktordnungen für Rindfleisch und
Milch sein. Um Verwerfungen am Markt zu verhindern, ist die Erhaltung
eines EU-Außenschutzes notwendig.
3. Die Wirksamkeit der Strukturpolitik muß verbessert werden. Eine
sparsame Mittelverwendung ist angesichts der Konsolidierungsbemühungen
der Mitgliedstaaten zwingend. Auch in einer erweiterten Union dürfen
die Ausgaben für die Strukturpolitik einschließlich Kohäsionsfonds
nicht mehr als 0,46 % des Bruttosozialprodukts betragen. Das setzt
voraus, daß die Strukturhilfen auf die Regionen mit dem größten
Entwicklungsrückstand zu konzentrieren sind. Die neuen Bundesländer
gehören dazu. Die derzeitige Förderkulisse sollte von rd. 50 % der EU-
Bevölkerung auf 30 % gesenkt werden. Die Regionen an der Grenze zu
Osteuropa sind als besonders präferierte Fördergebiete auszuweisen, um
der Sondersituation Grenzlage Rechnung zu tragen. Die Mittelausstattung
muß stabilisiert werden. Richtgröße sind dabei die durchschnittlichen
Pro-Kopf-Ausgaben der Strukturfonds in der Zeit von 1993 bis 1999.
Unter Beachtung der EU-Beihilfenkontrolle ist das Subsidiaritätsprinzip
bei der nationalen und regionalen Wirtschaftsförderung zu stärken. Der
Deutsche Bundestag lehnt eine Leistungsreserve ab. Hilfe aus dem
Kohäsionsfonds steht grundsätzlich nur den EU-Mitgliedstaaten zu, die
die Bedingungen für eine Mitgliedschaft in der Währungsunion noch nicht
erfüllen. Eine degressive Übergangshilfe für aus der Förderung
ausscheidende Staaten ist akzeptabel. Die EU-Förderung ist durch
Herabsetzung der Zahl der Förderziele und der Gemeinschaftsinitiativen
übersichtlicher zu gestalten und in ihrer Verwaltung zu vereinfachen.
Ziel muß es sein, die Förderung verstärkt auf die Verbesserung der
Infrastruktur zu richten. Bei der Unterstützung von Unternehmen müssen
Existenzgründer sowie kleine und mittlere Unternehmen im Zentrum
stehen, damit zukunftssichere neue Arbeitsplätze entstehen können. Die
Mittel können nur Hilfe zur Selbsthilfe sein. Daher sollte die
betriebliche Förderung degressiv und zeitlich befristet sein.
4. Der Europäische Rat sollte in Berlin zusammen mit dem Reformpaket
die Entscheidung treffen, daß ab Ende 2002 die ersten Beitritte zur EU
erfolgen. Die vergangenen Erweiterungsrunden und, besonders
eindrucksvoll, die Einführung der gemeinsamen Währung haben gezeigt,
daß konkrete Daten den Einigungsprozeß innerhalb der EU beschleunigen.
Nur ein festes Beitrittsdatum zwingt die EU, die beschlossenen Reformen
auch rechtzeitig umzusetzen. Für die Beitrittskandidaten bedeutet ein
festes Datum einen wichtigen Motivationsschub, um die fundamentalen
Strukturreformen in Wirtschaft und Gesellschaft so voranzutreiben, daß
diese Länder dem Wettbewerb im Binnenmarkt nach berechenbaren
Übergangsfristen standzuhalten vermögen. Ein festes Datum ist auch ein
wichtiges Signal an ausländische Direktinvestoren. Ein stärkeres
Engagement ausländischer Firmen hilft umgekehrt dem
Transformationsprozeß mehr als Beihilfen aus den Struktur- und
Sozialfonds.
Bonn, den 17. März 1999
Dr. Helmut Haussmann
Ulrich Heinrich
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Hildebrecht Braun (Augsburg)
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich (Bayreuth)
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther (Plauen)
Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Walter Hirche
Birgit Homburger
Ulrich Irmer
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Marita Sehn
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

17.03.1999 nnnn

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