BT-Drucksache 14/5466

Umsetzung der EU-Altfahrzeugrichtlinie ökologisch sinnvoll und ökomisch verantwortlich gestalten

Vom 7. März 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/5466
14. Wahlperiode 07. 03. 2001

Antrag
der Abgeordneten Birgit Homburger, Marita Sehn, Ulrike Flach, Rainer Brüderle,
Ernst Burgbacher, Jörg van Essen, Horst Friedrich (Bayreuth), Rainer Funke,
Dr. Karlheinz Guttmacher, Klaus Haupt, Ulrich Heinrich, Gudrun Kopp, Dr. Heinrich
L. Kolb, Jürgen Koppelin, Ina Lenke, Dirk Niebel, Günther Friedrich Nolting,
Cornelia Pieper, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Dr. Irmgard Schwaetzer, Dr. Hermann
Otto Solms, Carl-Ludwig Thiele, Jürgen Türk, Dr. Wolfgang Gerhardt und der
Fraktion der F.D.P.

Umsetzung der EU-Altfahrzeugrichtlinie ökologisch sinnvoll und ökonomisch
verantwortlich gestalten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. September
2000 (Richtlinie 2000/53/EG) über Altfahrzeuge sieht u. a. vor, dass bis 2015
mindestens 85 Prozent des durchschnittlichen Gewichts eines Altfahrzeugs
wiederzuverwerten sind. Für die Genehmigung neuer Fahrzeugtypen soll dieser
Wert bereits ab dem 1. Januar 2005 verbindlich sein. Der Hersteller muss dem-
nach belegen, dass das betreffende Fahrzeug zu mindestens 85 Gewichtspro-
zent stofflich wiederverwertbar ist und zu höchstens 15 Prozent energetisch
verwertet bzw. als Abfall beseitigt werden muss. Die Richtlinie sieht dazu die
Einrichtung von Rücknahmesystemen vor: Sämtliche Altfahrzeuge müssen den
zugelassenen Verwertungsanlagen zugeleitet werden, wobei die Mitgliedstaa-
ten sicherstellen müssen, dass die Ablieferung eines Fahrzeugs für den
Letzthalter oder Letzteigentümer unentgeltlich erfolgt. Dabei muss gewährleis-
tet sein, dass die Hersteller der Fahrzeuge „alle Kosten oder einen wesentlichen
Teil der Kosten“ der Rücknahme bzw. Verwertung tragen. Die Regelung über
die Kostentragung gilt ab dem 1. Juli 2002 für ab diesem Zeitpunkt in Verkehr
gebrachte Fahrzeuge. Für vor diesem Zeitpunkt in Verkehr gebrachte Fahr-
zeuge gilt die Regelung ab dem 1. Januar 2007. Die Richtlinie ist spätestens bis
zum 21. April 2002 umzusetzen.

Antworten der Bundesregierung auf Anfragen zum ökologischen Nutzen und
zu den Anreizwirkungen der Richtlinie (Bundestagsdrucksache 14/4587) sowie
zu dem bei den Automobilherstellern ausgelösten Rückstellungbedarf (Bundes-
tagsdrucksache 14/5038) bestätigen erhebliche Zweifel an der umweltpoliti-
schen Sinnhaftigkeit der Richtlinie. Darüber hinaus verursacht eine fehlende
präzise Auslegung zentraler Begriffe der Richtlinie durch die Bundesregierung
bei den betroffenen Unternehmen Planungsunsicherheit.

– Aus ökologischer Perspektive ist festzustellen, dass die einseitig auf die
Endphase der Fahrzeugnutzung fixierte Vorgabe von Recycling- und Ver-
wertungsquoten andere Ziele der Umweltpolitik, insbesondere den Klima-

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schutz außer Acht läßt: Mehr als 80 Prozent des Energiebedarfs eines Fahr-
zeuges werden beim Fahrbetrieb, also vor allem durch den Kraft-
stoffverbrauch bestimmt; dieser wird maßgeblich vom Fahrzeuggewicht be-
einflusst. Der Entwicklung und dem Einsatz von Leichtbauweisen kommt
insoweit eine hohe ökologische Bedeutung zu. Durch die Quotenregelung,
wie sie in der Richtlinie vorgesehen wird, wird der Leichtbau jedoch behin-
dert. Bei der Konstruktion und beim Bau von Fahrzeugen müssen unter die-
ser Vorgabe technische Lösungen gewählt werden, bei denen wirtschaftlich
rezyklierbare Komponenten in unnötig schwerer Konstruktionsweise ausge-
führt werden. Als Rückschritt im Vergleich zum bisher Erreichten würden
bei der Fahrzeugentwicklung deshalb wieder vor allem konventionelle, ver-
gleichsweise schwere Strukturkonzepte realisiert. Die Bundesregierung hat
ausdrücklich bestätigt, dass die Quotenvorgabe der Richtlinie die Weiterent-
wicklung der Leichtbauweise behindern kann.

– Aus ökonomischer Perspektive lässt eine durch die Bundesregierung bislang
nicht hinreichend konkrete Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe der
Richtlinie Planungsunsicherheit bei den betroffenen Unternehmen entste-
hen. Dies betrifft insbesondere den Begriff „wesentlicher Teil der Kosten“ in
Artikel 5 Abs. 4 der Richtlinie. Großunternehmen der deutschen Automobil-
industrie haben z. T. bereits in der Vergangenheit entsprechend gewinnmin-
dernde Rückstellungen gebildet bzw. angekündigt, solche Rückstellungen
im Abschluss für das Geschäftsjahr 2000 bilden zu wollen. Die Bundesre-
gierung will derartige Rückstellungen jedoch nicht vor Inkrafttreten einer
nationalen gesetzlichen Regelung, also absehbar erst zum Jahresende 2001
zulassen. Als Begründung wird angeführt, dass die Bildung von Rückstel-
lungen für künftige ungewisse Verpflichtungen voraussetze, dass diese hin-
reichend konkretisiert seien. Dies sei aber noch nicht der Fall, weil die
Richtlinie den Mitgliedstaaten hinsichtlich der Kostentragung Spielräume
belasse. Zur Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe und zu einer öko-
nomisch verantwortlichen Klarstellung der Angelegenheit hat die Bundesre-
gierung jedoch bisher nicht beigetragen. Das Institut der Wirtschaftsprüfer
in Deutschland (IDW) hat demgegenüber dargelegt, dass die in der Richtli-
nie enthaltene Formulierung maßgeblich sei, wonach die Kosten der Rück-
nahme ganz oder zu einem wesentlichen Teil von den Herstellern zu tragen
seien. In jedem Fall werde demnach das Vermögen der Unternehmen mit der
auferlegten Verpflichtung in Zukunft belastet, weshalb die Richtlinie bereits
vor einer Umsetzung in nationales Recht zur Bildung von Verbindlichkeits-
rückstellungen verpflichte. Für die betroffenen Unternehmen muss deshalb
unverzüglich Planungssicherheit im Sinne einer sachdienlichen Anwendung
handels- und steuerrechtlicher Vorgaben geschaffen werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

– die nach Artikel 7 der zitierten Richtlinie bestehende Möglichkeit zu nutzen,
auf die Quotenvorgabe in einem Sinne korrigierend einzuwirken, wonach
eine den Leichtbau nicht behindernde Regelung gefunden wird,

– bei den Fahrzeugherstellern die Bildung von Rückstellungen bereits für das
Geschäftsjahr 2000 generell zuzulassen,

– mit Blick auf die Höhe der Rückstellungen entweder die Berechtigung der
Annahme anzuerkennen, dass die Hersteller für die Verwertung im Zweifel
allein aufkommen müssen oder den Begriff „wesentlicher Teil der Kosten“
in Artikel 5 Abs. 4 der Richtlinie unverzüglich verbindlich auszulegen und

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/5466

– dem Deutschen Bundestag mitzuteilen, wie hoch das insoweit absehbare
Rückstellungsvolumen der inländischen Fahrzeughersteller für die Kosten
der Rücknahme bzw. Verwertung in den Jahren bis 2006 voraussichtlich sein
wird und mit welchen Steuerausfällen im Zuge einer Umsetzung der Richt-
linie zu rechnen ist.

Berlin, den 6. März 2001

Birgit Homburger
Marita Sehn
Ulrike Flach
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Horst Friedrich (Bayreuth)
Rainer Funke
Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Gudrun Kopp
Dr. Heinrich L. Kolb
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Cornelia Pieper
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Dr. Irmgard Schwaetzer
Dr. Hermann Otto Solms
Carl-Ludwig Thiele
Jürgen Türk
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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