BT-Drucksache 14/5249

Forschungsfreiheit sichern - keine politische Steuerung der Helmholtz-Zentren

Vom 7. Februar 2001


Deutscher Bundestag Drucksache 14/5249
14. Wahlperiode 07. 02. 2001

Antrag
der Abgeordneten Ulrike Flach, Cornelia Pieper, Ernst Burgbacher,
Hans-Michael Goldmann, Horst Friedrich (Bayreuth), Birgit Homburger,
Dr. Karlheinz Guttmacher, Hildebrecht Braun (Augsburg), Rainer Brüderle,
Jörg van Essen, Paul K. Friedhoff, Klaus Haupt, Ulrich Heinrich, Walter Hirche,
Dr. Werner Hoyer, Ulrich Irmer, Dr. Heinrich L. Kolb, Dirk Niebel, Detlef Parr,
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Dr. Irmgard Schwaetzer, Carl-Ludwig Thiele,
Dr. Dieter Thomae, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der F.D.P.

Forschungsfreiheit sichern – keine politische Steuerung der Helmholtz-Zentren

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die 16 Forschungszentren, die sich in der Hermann von Helmholtz-Gemein-
schaft Deutscher Forschungszentren (HGF) zusammengeschlossen haben, leisten
eine wichtige und notwendige Arbeit auf den Gebieten technischer, naturwissen-
schaftlicher und biologisch-medizinischer Grundlagen- und Vorsorgeforschung
sowie Forschungsarbeiten im vorindustriellen Bereich. Sie sind ein unverzicht-
barer Bestandteil der deutschen Forschungslandschaft und leisten einen wesent-
lichen Beitrag zur wissenschaftlichen Akzeptation des Forschungsstandortes
Deutschland.

Seit mehr als zwei Jahren wird über neue Steuerungsmechanismen für die HGF
nachgedacht. Dabei verfolgt die Bundesregierung das Ziel, von der institutio-
nellen auf eine programmorientierte Steuerung umzuschwenken.

Ein entsprechendes Grundzüge-Papier vom 28. Juni 2000 sieht vor, das Herz-
stück der zentrenübergreifenden Programmsteuerung künftig in der Zentralisie-
rung strategischer Entscheidungen auf HGF-Ebene zu sehen.

Der vom Wissenschaftsrat am 19. Januar 2001 vorgelegte Bericht „Systemevalu-
ation der HGF – Stellungnahme des Wissenschaftsrates zur Hermann von Helm-
holtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren“ stützt diese Auffassung.

Aus den Forschungszentren sind an die Mitglieder des Forschungsausschusses
Bedenken herangetragen worden, die zum Ausdruck bringen, dass in der ge-
planten Form der Programmsteuerung der Versuch der Einführung einer „Plan-
wissenschaft“ gesehen wird, bei der die Freiheit der Forschung zugunsten einer
unmittelbaren Einflussnahme der Politik auf die Forschungsthemen zurückge-
drängt werden soll.

Eine derartige Einschränkung schränkt die HGF in ihrer wissenschaftlichen
Autonomie ein und gefährdet die Umsetzung langfristiger Forschungsziele.

Drucksache 14/5249 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

 Notwendigkeit einer Strukturveränderung der HGF

Der Senat der HGF hat bereits 1999 von sich aus die Notwendigkeit der stärke-
ren Zusammenarbeit erkannt und sechs Schwerpunktbereiche gebildet, in denen
die Aktivitäten der Forschungseinrichtungen gebündelt werden sollen. Es sind
dies die Bereiche „Struktur der Materie“, „Umwelt- und Geoforschung“, „Ver-
kehr und Weltraum“, „Energie“, „Gesundheit“ und „Schlüsseltechnologien“.
Diese Bestrebungen zeigen, dass die HGF-Zentren ihre Strukturen aus sich her-
aus den neuen Anforderungen anpassen und den internen Wettbewerb führen.

Das Ziel einer zentrenübergreifenden Koordinierung und Abstimmung der For-
schungs- und Entwicklungsvorhaben zwischen den Helmholtz-Zentren wird
begrüßt. Allerdings ist fraglich, ob die von Bundesministerin für Bildung und
Forschung, Edelgard Bulmahn, vorgeschlagene Struktur diesem Ziel gerecht
wird.

 Satzungsentwurf führt zu einer Entmachtung der Mitgliedsinstitute

Die geplante Satzung für die HGF sieht eine zentrale Stellung des Senats vor.
Dieser wird jedoch nicht von der Mitgliederversammlung gewählt und setzt
sich auch nicht aus den Mitgliedern zusammen. Der Senat bestimmt den Präsi-
denten der HGF, der ebenfalls eine zentrale Rolle in der neuen Struktur spielt
und sogar selbst dem Senat angehört. Die Mitgliederversammlung (16 Zentren,
je eine Stimme) darf zwar 12 Vertreter für den Senat vorschlagen, jedoch sind
dies sechs externe Wissenschaftler und sechs Wirtschaftsvertreter und die Ent-
scheidung über die Berufung obliegt den Zuwendungsgebern. Die Mitglieder
selbst sind nicht im Senat vertreten. Weiterhin dürfen die Mitglieder zwar aus
ihren Reihen drei Vizepräsidenten vorschlagen, die aber vom Senat bestimmt
werden.

Der Senat, in dem auch die Bundesministerin für Bildung und Forschung, zwei
Finanzminister und zwei Vertreter der Sitzländer Mitglied sein sollen, ist nach
der Satzung auch faktisch das zentrale Planungs- und Entscheidungsorgan für
die forschungspolitischen Vorhaben. § 9 der Satzung sagt deutlich, dass der Se-
nat die Prioritäten setzen und Empfehlungen an die Zuwendungsgeber für die
Programme und Programmportfolios aussprechen soll. Damit ist die Gefahr ei-
ner nicht unbeträchtlichen Selbststeuerung durch die Politik gegeben.

Die Mitglieder des Senats werden vom Ausschuss der Zuwendungsgeber beru-
fen (§ 10 Abs.1). Dieser Ausschuss ist auch für die Festlegung der forschungs-
politischen Vorgaben der Zuwendungsgeber einschließlich der Forschungsbe-
reiche einer noch zu treffenden Vereinbarung mit Wissenschaft, Wirtschaft,
Senat und Helmholtz-Zentren zuständig. Im Ausschuss der Zuwendungsgeber
befinden sich Vertreter aller Länder, die überhaupt HGF-Zentren finanzieren.
Lediglich Thüringen, Rheinland-Pfalz und das Saarland sind nicht an der Fi-
nanzierung von Helmholtz-Zentren beteiligt. Das heißt, dass die 13
finanzierenden Länder Einfluss auf alle HGF-Zentren gewinnen, auch auf sol-
che, die sie nicht selbst finanzieren, weil sie nicht in ihrem Bundesland liegen.

Die Vizepräsidenten, die aus den Reihen der Mitglieder bestimmt werden, sind
keine Vorstände im Sinne des § 26 BGB (§ 11 Abs. 5). Bei den Mitgliedern be-
steht die Befürchtung, dass es sich um rein dekorative Funktionen handeln soll.

Unklar bleiben auch Zweck, Struktur und Arbeitsweise der laut § 9 Abs. 4 vom
Senat einzurichtenden Ausschüsse.

 Befürchtungen einer Dominanz der großen Zentren

Mitglieder der HGF befürchten, dass die neuen Strukturen der Programmsteue-
rung zu einer Dominanz der großen Zentren führen wird, die in vielen For-
schungsbereichen tätig sind. Diese Befürchtung rührt daher, dass die Laufzeit
eines Programmportfolios fünf Jahre betragen soll. Die kleinen Zentren, die nur

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/5249

in einem Bereich tätig sind, können also nur alle fünf Jahre Einfluss auf die
Strategieentwicklung nehmen. Da jedes Jahr das Programm eines anderen For-
schungsbereiches überarbeitet werden soll, werden große Zentren, die in meh-
reren Forschungsbereichen arbeiten, häufiger beteiligt.

Problematisch erscheinen auch die auf fünf Jahre festgelegten Budgets, die be-
sonders bei monothematisch ausgerichteten Zentren auf Widerstand stoßen. Die
großen Zentren erfahren eine permanente (Teil-)Überarbeitung ihres Budgets
und können die horizontale Übertragbarkeit der Mittel zwischen den For-
schungsbereichen voll ausschöpfen.

 GMD/FHG-Fusion verschärft das Klima

Bundesministerin für Bildung und Forschung Edelgard Bulmahn beabsichtigt,
eines der Forschungszentren, die Gesellschaft für Mathematik und Datenverar-
beitung (GMD), aus dem Verbund herauszulösen und mit der Fraunhofer-Ge-
sellschaft zu fusionieren. Diese Maßnahme hat zusätzlich zu einer Verschlech-
terung des Klimas zwischen Ministerium und HGF beigetragen.

 Rechtliche Probleme der vom Bundesministerium für Bildung und For-
schung (BMBF) vorgeschlagenen Form der Programmsteuerung

Durch die vorgesehene Form der programmatischen Steuerung erscheint auch
das institutionelle Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit nach Artikel 5 des
Grundgesetzes gefährdet. Selbständige Wissenschaftseinrichtungen können über
die Inhalte ihrer Forschung eigenverantwortlich entscheiden, freilich innerhalb
der Grenzen ihrer Aufgaben und unter Vorbehalt der Finanzierung durch die Zu-
wendungsgeber. Mit der jetzigen Struktur delegieren die HGF-Zentren einen
wesentlichen Teil ihrer Entscheidungskompetenz an den HGF-Senat. Hier
könnte ein Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit vorliegen, da den Institutsleitern
und anderen leitenden Wissenschaftlern unter Bezugnahme auf einschlägige
Hochschulgesetze weitgehende Freiheit der wissenschaftlichen Selbstbestim-
mung vertraglich zugesichert wurde.

Da der Bund durch seine Stellung als 90 %iger Zuwendungsgeber und durch
das satzungsmäßige Weisungsrecht in den Zentren eine beherrschende Stellung
ausübt, wäre zu prüfen, ob die neue HGF-Struktur nicht eher der eines Kon-
zerns entspricht. Dies hätte umfangreiche rechtliche Folgen, z. B. eine erwei-
terte Prüfungs- und Berichtspflicht nach § 312 Aktiengesetz oder die Bildung
eines Konzernbetriebsrates.

Zudem sind viele der Helmholtz-Zentren im Rahmen internationaler Zusam-
menarbeit vertragliche Bindungen eingegangen. Die Auswirkungen der neuen
Strukturen auf diese gewünschten Kooperationen sind nicht ausreichend ge-
prüft worden.

 Schlussfolgerung

Auch wenn die geplante Struktur nicht bewusst auf eine „Entmachtung“ der
Mitgliedsinstitute hin erarbeitet wurde, so könnte sie doch faktisch diese Wir-
kungen haben. Zudem ist durch ungeschickte Formulierungen in der Satzung
und diplomatische Fehler in der Verhandlung mit den Mitgliedsinstituten der
Eindruck entstanden, hier solle eine planwirtschaftliche, von der Politik domi-
nierte Forschungslandschaft etabliert werden. Schon dieser Eindruck ist für eine
freie und selbstbestimmte Wissenschaft in Deutschland ein großes Manko. Es ist
deshalb dringend notwendig, die programmorientierte Förderung in der vorge-
legten Form zu überarbeiten und mit den HGF-Zentren Einvernehmen zu erzie-
len.

Drucksache 14/5249 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf:

1. bei der Neustrukturierung der HGF den Erhalt und die Sicherung der For-
schungs- und Wissenschaftsfreiheit in den Mittelpunkt der Überlegungen zu
stellen;

2. die Bestrebungen der HGF, zu einer verbesserten Kooperation und bereichs-
übergreifenden Forschungszusammenarbeit zu kommen, anzuerkennen;

3. die Bundesministerin für Bildung und Forschung zu beauftragen, mit den
Mitgliedszentren der Helmholtz-Gemeinschaft Unklarheiten in der geplan-
ten Satzung auszuräumen und ggf. Änderungen einzuleiten;

4. die Satzung der HGF ist so zu gestalten, dass eindeutig klar ist, dass die
HGF keine konzernähnliche Struktur erhalten und auf sie kein Konzernrecht
anzuwenden ist. Der Charakter der Helmholtz-Zentren als Einrichtungen der
Wissenschaft muss erhalten bleiben;

5. die starren, zentral festgelegten Programme zugunsten von flexibleren Ziel-
vereinbarungen zu überarbeiten. Diese Zielvereinbarungen werden in ge-
genseitigen Verhandlungen erarbeitet. Dieses Instrument entspricht eher
dem Leitbild einer selbständigen Forschungseinrichtung und hat durch die
beiderseitige Verpflichtung eine hohe Bindewirkung;

6. im Rahmen der Verhandlungen über Zielvereinbarungen sind Kriterien der
Leistungsmessung und der Evaluation zu erarbeiten und regelmäßig anzu-
wenden. Damit kann ein wissenschaftliches Controlling geschaffen werden;

7. den Helmholtz-Zentren eine höhere Eigenverantwortlichkeit durch die Ein-
führung von Globalbudgets und Überjährigkeit der Mittelverwendung zu
gewähren. Durch die Möglichkeit, Haushaltsmittel über mehrere Jahre zu
bewilligen bzw. ins nächste Haushaltsjahr „mitzunehmen“, wird nicht nur
eine langfristige Sicherung der Forschungsprojekte betrieben, sondern auch
Bürokratie abgebaut und Geld gespart;

8. die Herauslösung der GMD aus dem Helmholtz-Verbund und ihre Fusion
mit der Fraunhofer-Gesellschaft solange auszusetzen, bis über die künftige
Struktur der Helmholtz-Zentren entschieden worden ist;

9. für den Fall, dass eine Einigung zwischen dem BMBF und den Helmholtz-
Zentren nicht möglich ist, auf die Einführung der Programmsteuerung zu
verzichten, da die gegenwärtige Struktur besser ist als eine aufgezwungene
Programmsteuerung, die zu einer Demotivation der Mitarbeiter und dem
Abwandern qualifizierter Wissenschaftler führen würde. Unser Forschungs-
standort braucht Rahmenbedingungen, die zu einer effizienten und leis-
tungsfähigen Forschung und Wissenschaft beitragen. Dies scheint mit der
gegenwärtig vorgelegten Struktur der HGF nicht gewährleistet zu sein.

Berlin, den 6. Februar 2001

Ulrike Flach
Cornelia Pieper
Ernst Burgbacher
Hans-Michael Goldmann
Horst Friedrich (Bayreuth)
Birgit Homburger
Dr. Karlheinz Guttmacher
Hildebrecht Braun (Augsburg)
Rainer Brüderle
Jörg van Essen
Paul K. Friedhoff
Klaus Haupt

Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Dr. Heinrich L. Kolb
Dirk Niebel
Detlef Parr
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Dr. Irmgard Schwaetzer
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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