BT-Drucksache 14/516

Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung der Bannmeilenregelung

Vom 16. März 1999


Deutscher Bundestag: Drucksache 14/516 vom 16.03.1999

Gesetzentwurf der Fraktion der PDS Entwurf eines Gesetzes zur
Aufhebung der Bannmeilenregelung =

16.03.1999 - 516

14/516

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Dr. Evelyn Kenzler, Sabine Jünger, Petra Pau,
Dr. Gregor Gysi und der Fraktion der PDS
Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung der Bannmeilenregelung

A. Problem
Die Bannmeilenregelung, wie sie im Bannmeilengesetz, in § 16 des
Versammlungsgesetzes und in § 106a des Strafgesetzbuches enthalten ist,
stellt einen verfassungsrechtlich bedenklichen Eingriff in das
Grundrecht der Versammlungsfreiheit dar. Indem sie den Deutschen
Bundestag, den Bundesrat und das Bundesverfassungsgericht vom Volk
abschottet, behindert die Bannmeilenregelung die für die Demokratie
lebensnotwendige Kommunikation zwischen Wählern und Gewählten, zwischen
den Verfassungsrichtern und dem Volk als Träger der Macht und fördert
so die Politikverdrossenheit.
Für ein generelles Verbot politischer Kundgebungen im Bannkreis der
Gesetzgebungsorgane des Bundes und im Bannkreis des
Bundesverfassungsgerichts gibt es keinerlei Rechtfertigung. Um
Ausschreitungen zu begegnen, sind die einschlägigen Mittel des Polizei-
und Ordnungsrechts, des Versammlungsrechts und des Hausrechts des
Deutschen Bundestages, des Bundesrates und des
Bundesverfassungsgerichts völlig ausreichend. Die Absurdität der
Bannmeilenregelung wird daran offensichtlich, daß immer wieder sogar
Abgeordnete wegen politischer Meinungsäußerungen im Bannkreis Opfer
dieser Regelung werden. Ein unverkrampfter Umgang mit politischen
Willensbekundungen im Umkreis der Verfassungsorgane des Bundes würde
zur Bürgernähe und Transparenz beitragen.
B. Lösung
Im Zusammenhang mit dem Umzug nach Berlin werden das Bannmeilengesetz
des Bundes, § 16 des Versammlungsgesetzes und § 106a des
Strafgesetzbuches aufgehoben.
C. Alternativen
Beseitigung der krassesten antidemokratischen Bestimmungen der
Bannkreisregelung (örtliche und zeitliche Beschränkung des Bannkreises,
Umwandlung der Strafrechtsbestimmungen in Ordnungswidrigkeiten).


D. Kosten
Es ist mit nicht unerheblichen Einsparungen zu rechnen, da
Polizeieinsätze nur noch in dem Ausmaß getätigt werden müssen, wie
tatsächliche Gefahrenlagen bestehen bzw. zu erwarten sind.

Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung der Bannmeilenregelung

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:
Artikel 1
Das Bannmeilengesetz vom 6. August 1955 (BGBl. I S. 504), geändert
durch Gesetz vom 28. Mai 1969 (BGBl. I S. 449), wird aufgehoben.
Artikel 2
Das Versammlungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 15.
November 1978 (BGBl. I S.

1789), zuletzt geändert durch Gesetz vom 9. Juni 1989 (BGBl. I S.
1059), wird wie folgt geändert:
"§ 16 wird gestrichen."
Artikel 3
Das Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. März
1987 (BGBl. I S. 945), zuletzt geändert durch ..., wird wie folgt
geändert:
"§ 106a wird gestrichen."
Artikel 4
Das Gesetz tritt am Tage nach seiner Verkündung in Kraft.

Bonn, den 25. Januar 1999
Dr. Evelyn Kenzler
Sabine Jünger
Petra Pau
Dr. Gregor Gysi und Fraktion


Begründung

A. Allgemeines
In der repräsentativen Demokratie gewährleistet neben dem Grundrecht
der Meinungsfreiheit vor allem die Versammlungsfreiheit des Artikel 8
des Grundgesetzes (GG) die kommunikative Rückbindung der gewählten
Repräsentanten an das Volk. Die Versammlungsfreiheit garantiert den
Bürgerinnen und Bürgern eine demokratische Teilhabe am politischen
Prozeß auch zwischen den Wahlterminen. Damit ist sie ein wesentliches
Element der freiheitlichen demokratischen Staatsordnung.
Durch die Bannkreisregelung wird dieses Grundrecht in
verfassungsrechtlich bedenklicher Weise eingeschränkt (vgl. auch
Tsatsos und Wietschel, ZRP 1994, S. 211ff.; Breitbach, NVwZ 1988, S.
589ff.). Indem sie Versammlungen innerhalb von Bannkreisen generell
verbietet, unterstellt die Bannmeilenregelung bei politischen
Meinungsäußerungen in der näheren Umgebung des Deutschen Bundestages,
des Bundesrates und des Bundesverfassungsgerichts abstrakt eine
ständige Gefahrenlage. Diese Unterstellung ist jedoch angesichts
rechts-
tatsächlicher Erfahrungen nicht haltbar: Kundgebun-
gen innerhalb von Bannmeilen verlaufen fast ausnahmslos friedlich (vgl.
die schriftliche Stellungnahme des Münchner Polizeivizepräsidenten
Hillebrand zur öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Wahlprüfung,
Immunität und Geschäftsordnung am 10. November 1993, Protokoll Nr. G
55, Anlagen, S. 28ff., 35). Wenn es zu Ermittlungs- und Strafverfahren
aufgrund der Bannmeilenregelung kommt, so bestehen die "Vergehen"
zumeist in der friedfertigen Ausübung der Versammlungs- und
Meinungsfreiheit. Auch die Auswahl der zu "schützenden" Einrichtungen
ist willkürlich. (Warum soll z. B. das Bundesverfassungsgericht durch
Demonstrationen in seiner unabhängigen Rechtsprechung zu gefährden
sein, der Bundesgerichtshof dagegen nicht?) Der Straftatbestand ist
auch deshalb so fragwürdig, weil im Bannkreis jede öffentliche
Versammlung unter freiem Himmel strafbewehrt verboten ist, wenn der
Deutsche Bundestag in den Ferien ist oder/und sie sich gegen andere
Einrichtungen richtet, die gar nicht
"geschützt" werden sollen.
Der eigentliche Normzweck der Bannmeilenregelung soll der Schutz der
physischen Integrität der Abgeordneten sowie die Funktionsfähigkeit der
Gesetzgebungsorgane des Bundes bzw. des Bundesverfassungsgerichts sein.
Im Hinblick auf diesen Zweck ist ein solches generelles
Versammlungsverbot jedoch nicht notwendig, ja sogar störend und
kontraproduktiv. Eventuellen Gefährdungen dieser Schutzgüter kann mit
den einschlägigen Mitteln des Polizei- und Ordnungsrechts sowie des
Versammlungsrechts (insbesondere § 15 Versammlungsgesetz) hinreichend
begegnet werden. Die Bannmeilenregelung stellt dagegen demgegenüber
einen Verstoß gegen den Wesensgehalt der Versammlungsfreiheit und

gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dar,
dessen strikte Einhaltung das Bundesverfassungsgericht bei Eingriffen
in die Versammlungsfreiheit verlangt hat (BVerfGE 69, S. 315, 348f.).
Ein darüber hinausgehender Normzweck, wie etwa der Schutz der
Gesetzgebungsorgane und des Bundesverfassungsgerichts vor dem "Druck
der Straße", kann nicht geltend gemacht werden. Eine derartige
Auffassung entspringt dem obrigkeitsstaatlichen Denken des 19.
Jahrhunderts (so auch Breitbach, Kommentar zum Versammlungsrecht, Rn. 9
und 60 zu § 16) und verfehlt den Sinn der Versammlungsfreiheit: "In
einer Gesellschaft, in welcher der direkte Zugang zu den Medien und die
Chance, sich durch sie zu äußern, auf wenige beschränkt ist, verbleibt
dem einzelnen neben seiner organisierten Mitwirkung in Parteien und
Verbänden im allgemeinen nur die kollektive Einflußnahme durch
Inanspruch-
nahme der Versammlungsfreiheit für Demonstrationen" (BVerfGE 69, S.
315, 346).
Gegenüber der in einer sozial ungleichen Gesellschaft unvermeidlichen
Tendenz zur Monopolisierung der Einflußnahme auf den politischen Prozeß
durch etablierte Lobbies und einflußreiche Eliten schafft die
Versammlungsfreiheit ein notwendiges demokratisches Gegengewicht. Die
Abschaffung der Bannmeilenregelung gewährleistet für die Bürgerinnen
und Bürger politische Ausdrucks- und Mitwirkungsmöglichkeiten, mittels
derer die undemokratische Machtfülle der sozialen und ökonomischen
Eliten zumindest teilweise ausgeglichen werden kann. Die Abschottung
der Bundestagsabgeordneten vom Volk wird deutlich vermindert und damit
ein nicht unbedeutender Beitrag zum Abbau der Politikverdrossenheit
geleistet.
Der Umzug des Deutschen Bundestages nach Berlin macht die Aufhebung der
Bannmeilenregelung dringend erforderlich. Indem die alte Regelung
beseitigt wird, trägt der Gesetzgeber dem Charakter Berlins als
weltoffene und kulturorientierte Stadt Rechnung. Die Aufhebung des
Gesetzes und der dazugehörigen Strafbestimmungen ist ein wichtiger
Beitrag für eine moderne und transparente Parlamentskultur, die sich
von einem überholten Relikt des Obrigkeitsstaates verabschiedet und
sich auf neue Weise der Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern
öffnet. Die Mehrzahl der Länder mit parlamentarischer Demokratie kennt
dementsprechend keine Bannkreise. So existieren lediglich in vier von
18 westeuropäischen Demokratien Bannmeilenrege-
lungen. Diese Ausnahmen sind die Bundesrepublik Deutschland, Belgien,
England und Österreich. In Schleswig-Holstein ist die Bannmeile um den
Landtag abgeschafft worden, in den neuen Bundesländern wurden,
abgesehen von Thüringen, Bannkreise gar nicht erst eingeführt. Die
Erfahrungen der Bundesländer ohne Bannkreisregelungen sind durchweg
positiv.
Auch polizeitaktische Überlegungen sprechen gegen die Bannmeile. Ohne
Bannkreise könnten Einsätze aufgrund von Gefahrenprognosen gezielter
und flexibler ausgeführt werden (vgl. die Ausführungen des Bonner
Polizeipräsidenten Schnitzler zur öffentlichen Anhörung des Ausschusses
für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung am 10. November 1993,
Protokoll Nr. G 55, Anlagen, S. 43ff.). An die Stelle von über Gebühr
hohen Kräfte- und Mitteleinsätzen für den in der Regel vollkommen
unnötigen Schutz des gesamten Bannkreises könnte eine gezielte
Konzentration auf den eigentlichen Schutzzweck (Schutz der physischen
Integrität der Abgeordneten sowie der Funktionsfähigkeit der
Gesetzgebungsorgane des Bundes bzw. des Bundesverfassungsgerichts)
treten. Damit dürften dann auch die Ermittlungs- und Strafverfahren
gegen Abgeordnete wegen der Teilnahme von Versammlungen, die unter dem
dubiosen Hinweis auf eine Norm erfolgen, die angeblich dem Schutze der
Abgeordneten dient, der Vergangenheit angehören.
B. Zu den einzelnen Bestimmungen
Zu Artikel 1
Das Bannmeilengesetz selber, welches die räumliche Ausdehnung der
Bannkreise um den Deutschen Bundes-

tag und das Bundesverfassungsgericht regelt, wird aufgehoben.
Zu Artikel 2
§ 16 des Versammlungsgesetzes, der öffentliche Versammlungen und
Aufzüge innerhalb der Bannkreise verbietet, wird aufgehoben.
Zu Artikel 3
§ 106a des Strafgesetzbuches, welcher Verstöße gegen
§ 16 des Versammlungsgesetzes in Verbindung mit dem Bannmeilengesetz
unter Strafe stellt, wird ebenfalls aufgehoben.
Zu Artikel 4
Geregelt wird das Inkrafttreten des Gesetzes.

16.03.1999 nnnn

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.