BT-Drucksache 14/470

Einleitung eines internationalen Friedensprozesses zur Situation der Kurdinnen und Kurden in der Türkei

Vom 3. März 1999


Deutscher Bundestag: Drucksache 14/470 vom 03.03.1999

Antrag der Fraktion der PDS Einleitung eines internationalen
Friedensprozesses zur Situation der Kurdinnen und Kurden in der Türkei
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03.03.1999 - 470

14/470

Antrag
der Abgeordneten Heidi Lippmann-Kasten, Dr. Dietmar Bartsch, Eva-Maria
Bulling-Schröter, Dr. Heinrich Fink, Dr. Ruth Fuchs, Fred Gebhardt,
Wolfgang Gehrcke-Reymann, Carsten Hübner, Ulla Jelpke, Ursula Lötzer,
Petra Pau, Dr. Ilja Seifert, Dr. Winfried Wolf, Dr. Gregor Gysi und der
Fraktion der PDS
Einleitung eines internationalen Friedensprozesses zur Situation der
Kurdinnen und Kurden in der Türkei

Der Bundestag wolle beschließen:
Die Bundesregierung wird aufgefordert, sich im Rahmen der EU-
Ratspräsidentschaft für Maßnahmen zur Einleitung eines
Friedensprozesses in der Türkei einzusetzen. Ziel dieses Prozesses muß
u. a. die Beendigung des Krieges gegen Kurdinnen und Kurden und die
Entmilitarisierung des Konfliktes sein, die dauerhafte Sicherung der
Menschenrechte und die Anerkennung der kulturellen, politischen und
sozialen Rechte der Kurdinnen und Kurden auf der Basis des
Völkerrechtes.
Erste Schritte hierzu sind:
1. die umgehende Einberufung einer internationalen Friedenskonferenz
zur politischen Lösung der Situation der Kurdinnen und Kurden in der
Türkei unter Beteiligung aller Konfliktparteien;
2. die Einstellung jeglicher Lieferungen militärischer Güter an die
Türkei von seiten der Bundesrepublik Deutschland und das Einwirken auf
die anderen NATO-Mitglieder für ein entsprechendes Vorgehen;
3. die Erlangung folgender Maßnahmen von seiten der türkischen
Regierung:
O die Erklärung eines Waffenstillstandes
O die Garantie der Meinungs- und Organisationsfreiheit für Parteien,
Organisationen und Einzelpersonen, die sich für demokratische
Forderungen der Kurdinnen und Kurden einsetzen
O die Aufhebung des Ausnahmezustandes für die kurdischen Provinzen
O die Zustimmung einer ständigen OSZE-Delegation, VN-
Sonderberichterstattern sowie weiteren Kommissionen und Delegationen,
die Beobachtungen der Menschenrechtssituation in der Türkei zu
ermöglichen
O den Prozeß gegen Abdullah Öcalan auszusetzen, um den
Friedensprozeß nicht zu gefährden.
Bonn, den 3. März 1999
Heidi Lippmann-Kasten
Dr. Dietmar Bartsch
Eva-Maria Bulling-Schröter
Dr. Heinrich Fink
Dr. Ruth Fuchs
Fred Gebhardt
Wolfgang Gehrcke-Reymann
Carsten Hübner
Ulla Jelpke
Ursula Lötzer
Petra Pau
Dr. Ilja Seifert
Dr. Winfried Wolf
Dr. Gregor Gysi und Fraktion
Begründung
In den seit 1984 herrschenden kriegerischen Auseinandersetzungen
zwischen der Türkischen Republik und der kurdischen Bewegung wurden
über 3 500 Dörfer zerstört, an die 45 000 Menschen getötet, mehrere
Millionen Kurdinnen und Kurden zur Flucht gezwungen. Während es im
Oktober vergangenen Jahres bereits massive Ausschreitungen mit
Massenverhaftungen von seiten der türkischen Sicherheitskräfte gegeben
hatte, gab es in den vergangenen Wochen erneut Verhaftungen von über 3
000 Personen, darunter viele Mitglieder der HADEP-Partei, von
Menschenrechtsorganisationen, Gewerkschaften und Rechtsanwälten. Seit
Oktober wurden im Laufe der Auseinandersetzungen von türkischen
Sicherheitskräften mindestens 10 Menschen getötet - durch Folter im
Polizeigewahrsam und auch im Rahmen von Demonstrationen. Mittlerweile
erging ein Schießbefehl an Polizei und Militär für den Einsatz bei
Demonstrationen.
Obwohl Völkerrechtler seit langem die Anerkennung dieses Konfliktes als
Befreiungskampf fordern, wird der Kampf weiter Teile der kurdischen
Bevölkerung gegen die Unterdrückung durch das türkische Regime und für
Demokratie und Selbstbestimmung des kurdischen Volkes in der
europäischen Öffentlichkeit kaum so dargestellt.
Aufgrund der aktuellen Entwicklung in der Türkei in den vergangenen
Monaten ist mit einer weiteren Verschärfung des Konfliktes zu rechnen.
Sollte es nicht in der nächsten Zeit zur Einleitung eines
Friedensprozesses kommen, prophezeien Experten eine Eskalation in
bürgerkriegsähnlichem Ausmaß für die türkischen Metropolen und auch
darüber hinaus.
Während sich die europäischen Regierungen mit großen Anstrengungen für
das Zustandekommen von Friedensverträgen für die Palästinenser in
Madrid, Bosnien-Herzegowina in Dayton und aktuell für die Kosovo-
Albaner in Rambouillet einsetzen, steht ein entsprechendes
diplomatisches Engagement für einen Friedensprozeß in der Türkei nach
wie vor aus. Zwar hatten sich zum Jahreswechsel die deutsche und
italienische Regierung über eine diesbezügliche Notwendigkeit
verständigt, bis heute allerdings noch keine Initiative ergriffen.
Statt dessen wird die Türkische Republik nach wie vor finanziell und
militärisch im Rahmen der NATO unterstützt. Auch die regelmäßigen
militärischen und völkerrechtswidrigen Invasionen des türkischen
Militärs in den Irak werden nicht zum Anlaß für ein diplomatisches
Eingreifen der europäischen Staatengemeinschaft genutzt.
Selbst als der Vorsitzende der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK),
Abdullah Öcalan, sich im Oktober vergangenen Jahres nach Italien begab,
um durch seine Anwesenheit in Westeuropa den dringend erforderlichen
Friedensprozeß voranzutreiben, wurde ihm die Aufnahme verweigert und
ihm in den Folgemonaten in seinen Bemühungen, in einem europäischen
Staat um Asyl nachzusuchen, in mehreren Staaten die Einreise
verweigert. Große Verantwortung trägt hierbei auch die Bundesrepublik
Deutschland, die es versäumte, die Anwesenheit Abdullah Öcalans in
Westeuropa zur Einleitung eines Friedensprozesses zu nutzen.
Die rechtswidrige Festnahme Abdullah Öcalans am 16. Februar 1999 in
Nairobi durch türkische Geheimdienstkräfte und seine Entführung in die
Türkei, wo er mittlerweile von der türkischen Staatsanwaltschaft unter
Forderung nach Verhängung der Todesstrafe angeklagt ist, hat über die
Türkei hinaus zu europaweiten Protesten von Kurdinnen und Kurden
geführt.
Wer den Friedensprozeß in der Türkei will, muß die Aussetzung des
Prozesses gegen Abdullah Öcalan fordern, weil dieser Prozeß jeglichen
Friedensbemühungen zuwiderläuft. Im übrigen ist die Forderung nach
einem fairen und rechtsstaatlichen Verfahren in der Türkei absurd. Das
Strafgesetzbuch, die Strafprozeßordnung und die Praxis der
Staatssicherheitsgerichte in der Türkei lassen ein faires und
rechtsstaatliches Verfahren nicht zu.
Die Verschärfung der politischen Lage hat in bedauerlicher Weise auch
zu Ausschreitungen geführt, wobei in Berlin zwei kurdische Männer und
eine kurdische Frau getötet und mehrere Kurdinnen und Kurden z. T.
schwer verletzt wurden. Ein vierter Kurde ist inzwischen seinen
Verletzungen erlegen. Diese Eskalation von Gewalt ist nicht zu
entschuldigen. Angesichts der Hoffnungslosigkeit hinsichtlich einer
politischen Lösung der Kurdenfrage, die bei vielen Kurdinnen und Kurden
durch die Inhaftierung Abdullah Öcalans ausgelöst wurde, ist es jetzt
um so dringender erforderlich, unter Beteiligung aller Konfliktparteien
Maßnahmen zur Einleitung eines Friedensprozesses in der Türkei und
darüber hinaus in den Nachbarstaaten Iran, Irak und Syrien einzuleiten.

03.03.1999 nnnn

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