BT-Drucksache 14/4639

Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit - 14/4230, 14/4630

Vom 15. November 2000


Deutscher Bundestag

Drucksache

14/

4639

14. Wahlperiode

15. 11. 2000

Änderungsantrag

der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, Monika Balt, Dr. Ruth Fuchs, Dr. Klaus Grehn,
Dr. Heidi Knake-Werner, Pia Maier, Christina Schenk und der Fraktion der PDS

zu der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
– Drucksachen 14/4230, 14/4630 –

Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter
Erwerbsfähigkeit

Der Bundestag wolle beschließen:

Der im vorliegenden Gesetzentwurf enthaltene Artikel 1

Änderung des Sechs-
ten Buches Sozialgesetzbuch

wird in Nummer 29 Buchstabe a (zu § 102) wie
folgt gefasst:

„(2) Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit werden auf Zeit geleistet,
wenn

1. begründete Aussicht besteht, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit in
absehbarer Zeit behoben sein kann, oder

2. der Anspruch auch von der jeweiligen Arbeitsmarktlage abhängig ist,

es sei denn, die Versicherten vollenden innerhalb von zwei Jahren nach Renten-
beginn das 60. Lebensjahr. Dies gilt entsprechend für große Witwenrenten oder
große Witwerrenten wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit. Die Befristung
erfolgt für längstens drei Jahre nach Rentenbeginn. Sie kann wiederholt wer-
den, darf jedoch bei sich anschließenden Befristungen nach Satz 1 Nr. 1 die
Gesamtdauer von sechs Jahren nicht übersteigen.“

Berlin, den 15. November 2000

Dr. Ilja Seifert
Monika Balt
Dr. Ruth Fuchs
Dr. Klaus Grehn
Dr. Heidi Knake-Werner
Pia Maier
Christina Schenk
Roland Claus und Fraktion
Drucksache

14/

4639

– 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode
Begründung

Die nach dem gegenwärtig gültigen Recht zu zahlenden Erwerbsminderungs-
renten werden weit überwiegend als Dauerrenten gewährt. Dauerrenten begin-
nen grundsätzlich mit dem Kalendermonat, in dem die Anspruchsvoraussetzun-
gen erfüllt sind. Künftig sollen die Erwerbsminderungsrenten regelmäßig als
Zeitrenten geleistet werden. Diese Renten sind dann frühestens vom Beginn
des siebten Monats nach Eintritt des „Versicherungsfalls“ an zu zahlen.

Der mit dem Gesetzentwurf vorgeschlagene § 102 kehrt das bisher geltende
Regel-Ausnahme-Verhältnis (Regel: dauerhafte Rente, Ausnahme: Zeitrente)
ins Gegenteil (Regel: Zeitrente, Ausnahme: Dauerrente), obwohl z. B. nach
Ansicht des Ausschusses Sozialrecht im Deutschen Anwaltsverein die bisherige
Verwaltungspraxis keine Änderung erfordert (vgl. Ausschussdrucksache 14/585
des Ausschusses für Gesundheit).

Auch aus sozialmedizinischer Sicht ist die bisherige Regelung ausreichend. Sie
stellt sicher, dass die Versicherten einerseits entsprechend der Behinderung
finanziell durch Rentengewährung abgesichert sind und die Heilungschancen
tatsächlich wahrnehmen. Im Übrigen werden die Chancen auf und von Hei-
lungsmaßnahmen bereits während des Verwaltungsverfahrens abgeklärt.

Die im Gesetzentwurf enthaltene Umkehr des Regel-Ausnahme-Verhältnisses
führt zu einer nicht zu rechtfertigenden Verunsicherung der Versicherten, da
nach Ablauf der Zeitrente eine „soziale Lücke“ eintreten kann, weil sogar der
Anspruch auf Arbeitslosenhilfe durch Aufhebung des § 191 SGB III weggefal-
len ist. Selbst unter Berücksichtigung des vom Gesetzgeber für die Zeit vor der
Berentung eingeführten Prinzips der Nahtlosigkeit gemäß § 125 SGB III ist
eine solche Betrachtung derjenigen Personen, bei denen Erwerbsunfähigkeit
festgestellt wurde, nicht vertretbar. Dabei ist zu berücksichtigen, dass insbeson-
dere chronisch kranke Menschen – in ihrer ohnehin schon komplizierten Le-
benssituation – sozial, psychisch und physisch erheblich destabilisiert werden
können.

Der Vorteil der bisher gültigen Regelungen besteht in der Lebensstandardsiche-
rung der Betroffenen. Aus der im Gesetzentwurf vorgesehenen Regelung
erwächst dagegen die Gefahr, dass nach zeitweiligem Wegfall des Erwerbs-
minderungszustandes Anspruchs- und Versorgungslücken auftreten und die
betroffenen Menschen Sozialhilfeleistungen in Anspruch nehmen müssen. Da-
durch können für die Kommunen weitere Lasten im Bereich der Sozialhilfe
entstehen.

Die Zeitrentenregelung als Regelfall führt ferner dazu, dass in einer erheb-
lichen Zahl von Fällen nach dem vorübergehenden Wegfall der Erwerbsminde-
rungsrente ein Anspruch auf Krankengeld wiederauflebt. Als Folge dieser
Regelung und in Verbindung mit weiteren Veränderungen erwarten die Kran-
kenkassen erhebliche zusätzliche finanzielle Belastungen, insbesondere im
Bereich der GKV.

Die Argumentation, mit Zeitrentenregelung als Regelfall würde besser dem
Prinzip „Reha vor Rente“ Rechnung getragen, erscheint weitgehend unbegrün-
det. Denn hierfür können andere gesetzliche Regelungen, die bereits in Vorbe-
reitung sind, ggf. wesentlich effizienter greifen (z. B. ein Sozialgesetzbuch IX).

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.