BT-Drucksache 14/4432

Ökologischer Nutzen und Anreizwirkungen der EU-Altfahrzeug-Richtlinie

Vom 25. Oktober 2000


Deutscher Bundestag Drucksache 14/4432
14. Wahlperiode 25. 10. 2000

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Birgit Homburger, Marita Sehn, Ulrike Flach, Hildebrecht Braun
(Augsburg), Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher, Jörg van Essen, Horst Friedrich
(Bayreuth), Hans-Michael Goldmann, Dr. Karlheinz Guttmacher, Klaus Haupt,
Dr. Helmut Haussmann, Ulrich Heinrich, Walter Hirche, Dr. Werner Hoyer, Ulrich
Irmer, Dr. Heinrich L. Kolb, Jürgen Koppelin, Ina Lenke, Dirk Niebel, Günther
Friedrich Nolting, Detlef Parr, Cornelia Pieper, Carl-Ludwig Thiele, Dr. Wolfgang
Gerhardt und der Fraktion der F.D.P.

Ökologischer Nutzen und Anreizwirkungen der EU-Altfahrzeug-Richtlinie

Nach Zustimmung des Ministerrates der Europäischen Union hat das Europäi-
sche Parlament den Vorschlag zu einer EU-Altfahrzeug-Richtlinie gebilligt.
Diese sieht unter anderem vor, dass bis 2006 mindestens 85 Prozent des durch-
schnittlichen Gewichts eines Altfahrzeugs zu verwerten und darunter mindes-
tens 80 Prozent wiederaufzuarbeiten sind (Recycling). Diese Quoten sind bis
2015 auf 95 Prozent (Verwertung) bzw. darunter 85 Prozent (Recycling) zu
steigern. Für die Genehmigung neuer Fahrzeugtypen sollen die letztgenannten
Werte bereits ab dem 1. Januar 2005 verbindlich sein. Der Hersteller muss dem-
nach belegen, dass das betreffende Fahrzeug zu mindestens 85 Gewichtspro-
zent stofflich rezyklierbar ist und zu höchstens 15 Prozent energetisch verwer-
tet bzw. als Abfall beseitigt werden muss. Sofern diese Quoten nicht erreichbar
sind, wird die Typzulassung verweigert.

Die einseitig auf die Endphase der Fahrzeugnutzung fixierte Quotenvorgabe
lässt außer Acht, dass mehr als 80 Prozent des Energiebedarfs eines Fahrzeuges
beim Fahrbetrieb, also vor allem durch den Kraftstoffverbrauch bestimmt wer-
den; dieser wird maßgeblich vom Fahrzeuggewicht beeinflusst. Der Entwick-
lung und dem Einsatz von Leichtbauweisen kommt insoweit also eine hohe
ökologische Bedeutung zu. Durch die Quotenregelung könnte der Leichtbau je-
doch behindert werden. Der gewichtsverringernde Effekt von Leichtbauwerk-
stoffen lässt nämlich die unter die 15-Prozent-Quote fallende zulässige Menge
schwieriger rezyklierbarer Werkstoffe (Kunststoffe, Composites und nach-
wachsende Rohstoffe) geringer werden. Da die Nutzung von Leichtbauwerk-
stoffen aus Sicht der Fahrzeughersteller künftig insoweit weniger attraktiv
wird, entsteht der Anreiz, bei der Konstruktion und beim Bau von Fahrzeugen
technische Lösungen zu wählen, bei denen wirtschaftlich rezyklierbare Kom-
ponenten in unnötig schwerer Konstruktionsweise ausgeführt werden. Bei der
Fahrzeugentwicklung würden deshalb weiterhin vor allem konventionelle, ver-
gleichsweise schwere Strukturkonzepte realisiert.

Drucksache 14/4432 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass eine dem Konzept der
Nachhaltigkeit verpflichtete produktbezogene Umweltpolitik die ökologi-
schen Auswirkungen aller Phasen des jeweiligen Produktlebenszyklus zu
bedenken hat?

2. Wenn nein, weshalb nicht?

3. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass eine Reduzierung von
Kraftstoffverbrauch und Emissionen beim Fahrzeugbetrieb aus ökologi-
scher Perspektive nicht konterkariert werden darf durch Vorgaben beim
Fahrzeugrecycling?

4. Wie beurteilt die Bundesregierung die These, dass es aus ökologischer Per-
spektive vorteilhaft sein könnte, in den Phasen des Recyclings sowie bei
der Material-, Bauteil- oder Fahrzeugherstellung umweltrelevante Nach-
teile in Kauf zu nehmen, sofern beim Fahrbetrieb eine Verringerung der
Umweltbelastung erreicht werden kann?

5. Wenn nein, weshalb nicht?

6. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass bei der privaten Pkw-
Nutzung dem Kraftstoffverbrauch eine zentrale umweltpolitische Bedeu-
tung zukommt?

7. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass für den Kraftstoffver-
brauch das jeweilige Fahrzeuggewicht von besonderer Bedeutung ist?

8. Welche umweltpolitische Bedeutung misst die Bundesregierung der so ge-
nannten Leichtbauweise im Fahrzeugbau zu?

9. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass insbesondere die so ge-
nannten nachwachsenden Rohstoffe bei der Fahrzeugherstellung in Leicht-
bauweise eine maßgeblich Rolle spielen und dass ihr Einsatz deshalb nicht
benachteiligt werden sollte?

10. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass eine Weiterentwicklung und
forcierte Nutzung der Leichtbauweise durch die in der Begründung ge-
nannte Quotenvorgabe systematisch behindert wird, obwohl die Verwen-
dung z. B. von nachwachsenden Rohstoffen nach den Maßstäben einer in-
tegrierten Produktpolitik aus ökologischer Perspektive vorteilhaft wäre?

11. Wenn nein, weshalb nicht?

12. Wenn ja, wie gedenkt die Bundesregierung dem Anreiz entgegenzuwirken,
wonach Fahrzeughersteller unter dem Quotenregime auf eine forcierte Nut-
zung der Leichtbauweise im Fahrzeugbau zugunsten vergleichsweise
schwerer Konstruktionsweisen absehbar verzichten werden?

13. Verfügt die Bundesregierung über Erkenntnisse, ob unter dem Eindruck der
beschlossenen Quotenregelung in der Automobilbranche bereits For-
schungsarbeiten zur intensiveren Nutzung der Leichtbauweise im Fahr-
zeugbau eingestellt worden sind?

14. Gedenkt die Bundesregierung die nach Artikel 7 der zitierten Altfahrzeug-
Richtlinie bestehende Möglichkeit zu nutzen, auf die Quotenvorgabe in
einem Sinne korrigierend einzuwirken, wonach die Recyclingquote zu-
gunsten des Leichtbaus und mit Blick auf einen verstärkten Einsatz nach-
wachsender Rohstoffe entfällt und durch eine einzige anspruchsvolle Ge-
samtverwertungsquote ersetzt werden soll?

15. Wenn nein, weshalb nicht?

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/4432

16. Wenn ja, welche konkreten Schritte wird die Bundesregierung zu diesem
Zweck auf europäischer Ebene unternehmen?

Berlin, den 24. Oktober 2000

Birgit Homburger
Marita Sehn
Ulrike Flach
Hildebrecht Braun (Augsburg)
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Horst Friedrich (Bayreuth)
Hans-Michael Goldmann
Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Dr. Helmut Haussmann
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Dr. Heinrich L. Kolb
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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