BT-Drucksache 14/4398

zu der vereinbarten Debatte zur aktuellen Situation in Nahost

Vom 25. Oktober 2000


Deutscher Bundestag

Drucksache

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4398

14. Wahlperiode

25. 10. 2000

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Dietmar Bartsch, Petra Bläss, Wolfgang Gehrcke,
Carsten Hübner, Heidi Lippmann, Roland Claus und der Fraktion der PDS

zu der vereinbarten Debatte zur aktuellen Situation in Nahost

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die jüngste Eskalation der Gewalt im israelisch-palästinensischen Konflikt,
bei dem über hundert Tote und weit mehr als 3 000 Verletzte, zumeist Paläs-
tinenser, zu beklagen sind, gibt Anlass zu großer Sorge. Sie gefährdet eine
gerechte und dauerhafte Lösung des palästinensisch-israelischen Konflikts
auf der Basis der UN-Resolutionen 242 (1967) und 338 (1973) und damit
den Frieden in der Region. Die einseitige Aussetzung des Verhandlungspro-
zesses durch die israelische Seite erschwert die Situation zusätzlich.

2. Die blutigen Auseinandersetzungen haben erneut gezeigt, dass es zur politi-
schen Lösung dieses Konflikts keine Alternative gibt. Gleichzeitig haben sie
jedoch auch deutlich gemacht, dass die bisherigen Ergebnisse des Verhand-
lungsprozesses unzureichend waren und nicht mit der notwendigen Ver-
trauensbildung einhergegangen sind. Besonders auf palästinensischer Seite
verstärkte sich die Empörung, da deren Hoffnungen auf einen eigenen unab-
hängigen Staat immer wieder enttäuscht wurden. Eine dauerhafte Friedens-
lösung in Nahost lässt sich nicht durch Diktat des Stärkeren und Kapitula-
tion des Schwächeren erreichen. Sie setzt die gleichberechtigte Teilnahme
und die Berücksichtigung der Interessen aller Beteiligten voraus. Der fried-
lichen Regelung abträglich sind provokativ wirkende Bestrebungen wie die
Schaffung vollendeter Tatsachen durch widerrechtliche Landnahme und der
Ausbau israelischer Siedlungen in den besetzten Gebieten. In Zukunft sollte
der gegenseitigen Vertrauensbildung hohe Priorität zugemessen und alles
unterlassen werden, was Misstrauen und gegenseitige Ängste schürt.

3. Die Herbeiführung eines gerechten, dauerhaften Friedens zwischen Israel
und den Palästinensern bedarf der internationalen Begleitung. An diese in-
ternationale Vermittlerrolle sind hohe Anforderungen geknüpft, insbeson-
dere geht es dabei um die strikte Wahrung von Neutralität. Der UNO und
vor allem ihrem Generalsekretär kommt eine besondere Verantwortung zu,
die Einhaltung der einschlägigen UN-Beschlüsse als Grundlage für den
Friedensprozess zu gewährleisten. Auch die Staaten der Europäischen
Union, darunter Deutschland, haben die Verpflichtung, die Erfüllung dieser
UN-Beschlüsse einzufordern und durch politische und ökonomische Unter-
stützung zur Konsolidierung des Weges zum Frieden in der Nahostregion
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beizutragen. Die Konfliktparteien richten große Erwartungen an die Euro-
päische Union, den Friedensprozess im Nahen Osten aktiv zu begleiten.

Der deutsche Bundestag ruft im Sinne der UN-SR-Resolution 1322 (Oktober
2000) beide Konfliktparteien dazu auf, jede Gewaltanwendung sofort einzustel-
len und alle notwendigen Maßnahmen durchzuführen, um ein Ende der Ge-
walttätigkeiten sicherzustellen, neue Auseinandersetzungen zu vermeiden und
eine Normalisierung der Situation zu erreichen. Nur so gibt es wieder Chancen
für eine Fortsetzung des Nahost-Friedensprozesses.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

sich unter Beachtung der berechtigten israelischen Sicherheitsinteressen und
der berechtigten Ansprüche der palästinensischen Bürgerinnen und Bürger
politisch im Rahmen der Europäischen Union intensiver am israelisch-palästi-
nenischen Friedensprozess mit eigenen Initiativen zu beteiligen, die darauf ab-
zielen:

1. durch besonderes Engagement der Bundesrepublik Deutschland in Abstim-
mung mit Frankreich die aktive Rolle der EU in der politischen Dimension
des Friedensprozesses deutlich auszubauen,

2. die Bemühungen der UNO, ihres Sicherheitsrates und insbesondere des
Generalsekretärs um eine Friedenslösung zu unterstützen,

3. eine stärkere Ergebnisorientierung der israelisch-palästinensischen Verhand-
lungen – auch durch wirtschaftliche Unterstützungsangebote und Nutzung
politischer Beziehungen auf verschiedenen Ebenen – zu fördern,

4. die Einhaltung der Vertragsverbindlichkeiten, insbesondere aus dem Osloer-
Vertrag und seinen Folgevereinbarungen von Wye und Scharm el Scheich (I)
durch Israel einschließlich des vereinbarten Abzugs der israelischen Trup-
pen aus den besetzten Gebiete zu erreichen,

5. die Proklamation eines unabhängigen palästinensischen Staates auf allen
Ebenen zu fördern und einen palästinensischen Staat auch dann anzuerken-
nen, wenn er noch nicht Ergebnis der Endstatusverhandlungen sein sollte,

6. ein Ende der israelischen Siedlungs- und Enteignungspolitik in den besetzten
Gebieten sowie die dauerhafte Aufhebung der vertragswidrigen Blockade
der Autonomiegebiete, die die soziale und wirtschaftliche Entwicklung ver-
hindert und somit den Nährboden für die Eskalation der Gewalt bereitet, zu
erreichen,

7. in den selbstverwalteten Gebieten eine sozialpolitische Stabilisierung und
Sicherung der infrastrukturellen Grundbedürfnisse durch weitere Entwick-
lungszusammenarbeit zu fördern und eine selbsttragende ökonomische Ent-
wicklung sowie deren Verstetigung durch Unterstützung und rechtliche Ab-
sicherung von privaten Investitionen zu forcieren.

Berlin, den 25. Oktober 2000

Dr. Dietmar Bartsch
Petra Bläss
Wolfgang Gehrcke
Carsten Hübner
Heidi Lippmann
Roland Claus und Fraktion
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Begründung

Die Osloer Vereinbarungen von 1993 führten zum Abschluss eines Interimver-
trages, der den Palästinensern als Zwischenschritt hin zur staatlichen Unabhän-
gigkeit die Bildung eines Autonomiegebietes mit weitgehenden Selbstregie-
rungsbefugnissen ermöglichte. Unter Wahrung israelischer Sicherheitsinteres-
sen wurde vereinbart, dass Israel sich in mehreren Etappen aus den besetzten
Gebieten zurückziehen solle und die israelische Zivilverwaltung in Gaza und
der Westbank aufgelöst wird.

Seit dem jüngsten israelisch-palästinensischen Gipfel in Camp David ist sicht-
bar geworden, dass Stabilität und Frieden in der Region in Gefahr sind. Trotz
jahrelanger Verhandlungen sind die Palästinenser in ihren Bemühungen, die Ei-
genstaatlichkeit und eine sozial-ökonomische Entwicklung zu erzielen, obwohl
vertraglich verbrieft, kaum vorangekommen. Die Palästinenser leben weiterhin
eingeschnürt in Autonomiegebieten, abgetrennt von geregelten Marktbeziehun-
gen. Dadurch hat sich die ökonomische Lage in den Autonomiegebieten dra-
matisch verschlechtert. In den Autonomiegebieten herrscht eine erschreckend
hohe Arbeitslosigkeit (80 %) vor. Die junge Generation ist von jeglicher Zu-
kunftsperspektive abgeschnitten.

Die nahezu kompromisslose Haltung Israels in der Jerusalemfrage (arabischer
Teil Jerusalems) bei der Beendigung des Ausbaus neuer Siedlungen sowie
beim Stopp der Enteignung von palästinensischen Böden in den besetzen Ge-
bieten ist nicht nachzuvollziehen. Unter der Regierung Barak wurden den Pa-
lästinensern in den besetzten Gebieten monatlich ca. 9 000 Dunam Land zum
Ausbau der jüdischen Siedlungen enteignet. Damit gefährdet Israel die Frie-
denschancen, die Normalisierung der Beziehungen zu den arabischen Nach-
barn und konterkarriert eigene Sicherheitsinteressen.

Das sozialpolitische Umfeld in den Autonomiegebieten kann durch eine
bessere wirtschaftliche Unterstützung durch die EU stabilisiert werden. Die
Mittel der EU und der einzelnen Geberländer müssen dazu aufgestockt werden.
Durch eine weitere Internationalisierung des Friedensprozesses unter Einbezie-
hung der EU und der UNO können positive Impulse auf die Verhandlungspart-
ner ausgehen, so dass es zu einem gerechten Friedensabschluss kommt.

Der Frieden zwischen Israelis und Palästinensern ist der Kernpunkt eines
dauerhaften Friedens in der gesamten Region und darüber hinaus.

Israel hat eine Chance für Frieden und für Sicherheit nur dann, wenn es die
Palästinenser als gleichberechtigte Partner in diesem Prozess anerkennt.

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