BT-Drucksache 14/4332

Endlagerung radioaktiver Stoffe

Vom 11. Oktober 2000


Deutscher Bundestag

Drucksache

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14. Wahlperiode

11. 10. 2000

Kleine Anfrage

der Abgeordneten Birgit Homburger, Marita Sehn, Ulrike Flach, Walter Hirche,
Hildebrecht Braun (Augsburg), Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher,
Jörg van Essen, Horst Friedrich (Bayreuth), Hans-Michael Goldmann,
Dr. Karlheinz Guttmacher, Ulrich Heinrich, Dr. Werner Hoyer, Dr. Heinrich L. Kolb,
Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Dirk Niebel, Günther Friedrich Nolting,
Hans-Joachim Otto (Frankfurt am Main), Detlef Parr, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig,
Gerhard Schüßler, Dr. Irmgard Schwaetzer, Carl-Ludwig Thiele, Dr. Wolfgang
Gerhardt und Fraktion der F.D.P.

Endlagerung radioaktiver Stoffe

Die Einrichtung von Anlagen zur Endlagerung radioaktiver Abfälle ist nach dem
Atomgesetz eine Aufgabe des Bundes. Bei der Standortauswahl für ein Endlager
in den Jahren 1976/77 wurden Auswahlkriterien zugrunde gelegt. Die Reaktor-
sicherheitskommission (RSK) hat 1982 Sicherheitskriterien für die Endlagerung
radioaktiver Abfälle in einem Bergwerk aufgestellt (BAnz. 35 (5. Januar 1983),
Nr. 2). Der Salzstock Gorleben erfüllte diese Kriterien. Die Bundesregierung
stimmte seinerzeit dem Standortvorschlag des Landes Niedersachsen zu, weil
der Salzstock Gorleben allen geologischen Bedingungen genügte. Die Erkun-
dungen des Salzstocks Gorleben waren so gut wie abgeschlossen. Nun aber soll
die Erkundung des Salzstocks Gorleben bis zur Klärung konzeptioneller und si-
cherheitstechnischer Fragen mindestens drei, längstens jedoch zehn Jahre unter-
brochen werden (Moratorium). Nach Einschätzung der Bundesregierung wird in
Deutschland im Jahre 2030 ein Endlager für radioaktive Abfälle benötigt.

Seit Jahren nehmen Vertreter des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (BMU) sowie des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS)
an internationalen Tagungen zur Endlagerung teil, haben als Koautoren an inter-
national erstellten wissenschaftlichen Veröffentlichungen mitgewirkt und gehö-
ren internationalen Gremien und Ausschüssen an, die sich mit Aspekten der
Endlagersicherheit beschäftigen. Trotz seit Jahrzehnten laufenden Beratungen
hat die Bundesregierung jetzt noch einen Arbeitskreis Auswahlverfahren End-
lagerstandorte eingerichtet. Der Arbeitsauftrag an den Arbeitskreis lautet, im
Hinblick auf die Auswahl von Endlagerstandorten ein Verfahren, Kriterien und
geeignete Formen für eine Beteiligung der Öffentlichkeit zu entwickeln.

Die Bundesregierung hat mit den Energieversorgungsunternehmen (EVU) eine
Vereinbarung (14. Juni 2000) getroffen, die in ihrer Anlage 4 (Erklärung des
Bundes zur Erkundung des Salzstockes in Gorleben) fünf Fragestellungen auf-
wirft, die an der bisherigen Konzeption für die Endlagerung radioaktiver Abfälle
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„Zweifel begründen“. Diese Fragestellungen werden weltweit schon längst dis-
kutiert.

Wir fragen daher die Bundesregierung:

1. Welche Kriterien/Bedingungen waren bei der Auswahl des Standortes Gor-
leben in den Jahren 1976/77 ausschlaggebend?

2. Wie kommt die Bundesregierung zu der Einschätzung, dass sich „der Stand
von Wissenschaft und Technik und die allgemeine Risikobewertung in den
letzten Jahren erheblich weiterentwickelt“ hat?

3. Welche über die bisher – insbesondere über die Erkenntnisse der RSK aus
dem Jahr 1982 – hinausgehenden Erkenntnisse hat die Bundesregierung,
die zur Einsetzung dieser Kommission und zur Erarbeitung neuer Kriterien
führten?

4. Basieren diese Einschätzungen auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, und
wenn ja, auf welchen?

5. Wenn nein, welche Gründe waren dann ausschlaggebend?

6. Sind die in Anlage 4 der Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und
den EVU bezeichneten Fragen nicht längst durch ständig laufende Bera-
tungen bzw. in internationalen Arbeitsgemeinschaften beantwortet wor-
den?

7. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die bisher gewonnenen
geologischen Befunde einer Eignungshöffigkeit des Salzstockes nicht ent-
gegenstehen, und wenn nein, warum nicht?

8. Welcher Zusammenhang besteht zwischen der Abarbeitung der aus Sicht
der Bundesregierung bestehenden Zweifelsfragen an der Eignung des End-
lagerstandortes Gorleben und der Dauer des Moratoriums?

9. Sollen die fünf Fragestellungen (Anlage 4 der Vereinbarung vom 14. Juni
2000) allein durch die Mitglieder des Arbeitskreises Auswahlverfahren
Endlagerstandorte geklärt werden?

10. Wie beurteilt die Bundesregierung, dass die „Internationale Länderkom-
mission Kerntechnik“ (ILK) die Auffassung vertritt, dass die Endlagerung
von radioaktiven Abfällen, wie auf internationaler Ebene üblich, in zwei
getrennten Endlagern, abhängig von der Wärmeentwicklung, erfolgen soll?

11. Aufgrund welcher Erkenntnisse hält die Bundesregierung an der Auffas-
sung fest, dass ein Endlager für alle radioaktiven Abfälle ausreicht?

12. Welche neuen Erkenntnisse erhofft sich die Bundesregierung von dem Ar-
beitskreis Auswahlverfahren Endlagerstandorte vor dem Hintergrund, dass
alle seit zwei Jahrzehnten zur Kritikalität durchgeführten Untersuchungen
und angestellten Überlegungen zu dem Ergebnis kamen, dass im unwahr-
scheinlichsten Fall einer kritischen Anordnung das Endlagerwirtsgestein
Salz vergleichsweise die größte Sicherheit bietet?

13. Welche Gründe liegen dafür vor, dass die Fragestellung der „Menschlichen
Einwirkungen“ erneut untersucht wird, obwohl das BfS diese Fragestellung
bereits abgehandelt hat und sie auch für nichtwärmeentwickelnde Abfälle
untersucht und geklärt wurde?

14. Wie glaubt die Bundesregierung unter Berücksichtigung der bisherigen
zeitlichen Erfahrungen mit Standortuntersuchungen in Gorleben und dem
Planfeststellungsverfahren Konrad einen neuen Standort realisieren zu
können, wenn aus Sicht der Bundesregierung spätestens 2030 in Deutsch-
land ein Endlager für radioaktiven Abfall benötigt wird?
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15. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung nach Bekanntgabe der Ver-
einbarung vom 14. Juni 2000 bereits ergriffen bzw. wird sie ergreifen, um
das Endlager Gorleben gegen Eingriffe Dritter zu schützen, insbesondere
vor dem Hintergrund privater Vorhaben zum Salzabbau durch Aussohlen,
deren Durchführung den Standort Gorleben als Endlager gefährden würde?

16. Wie will die Bundesregierung die Akzeptanz der Kernenergie für die Rest-
laufzeiten und insbesondere von Zwischenlagern erreichen, wenn die
Lösung der Entsorgungsfrage faktisch in die Zukunft verschoben wird?

17. Geht die Bundesregierung davon aus, dass die Kosten für den Arbeitskreis
Auswahlverfahren Endlagerstandorte durch die EVU refinanziert werden?

Berlin, den 10. Oktober 2000

Birgit Homburger
Marita Sehn
Ulrike Flach
Walter Hirche
Hildebrecht Braun (Augsburg)
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Horst Friedrich (Bayreuth)
Hans-Michael Goldmann
Dr. Karlheinz Guttmacher
Ulrich Heinrich
Dr. Werner Hoyer
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto (Frankfurt am Main)
Detlef Parr
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Dr. Irmgard Schwaetzer
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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