BT-Drucksache 14/4253

Europäische Grundrechte-Charta als Eckstein einer europäischen Verfassung

Vom 11. Oktober 2000


Deutscher Bundestag

Drucksache

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14. Wahlperiode

11. 10. 2000

Antrag

der Abgeordneten Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Ina Albowitz,
Hildebrecht Braun (Augsburg), Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher, Jörg van
Essen, Ulrike Flach, Horst Friedrich (Bayreuth), Rainer Funke, Joachim Günther
(Plauen), Dr. Karlheinz Guttmacher, Klaus Haupt, Ulrich Heinrich, Walter Hirche,
Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Ulrich Irmer, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun
Kopp, Jürgen Koppelin, Dirk Niebel, Günther Friedrich Nolting, Detlef Parr,
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Gerhard Schüßler, Carl-Ludwig Thiele,
Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der F.D.P.

Europäische Grundrechte-Charta als Eckstein einer europäischen Verfassung

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Konvent zur Erarbeitung eines Entwurfs einer Grundrechte-Charta für
die Europäische Union hat in bemerkenswert kurzer Zeit einen beachtlichen
Text vorgelegt. Es ist ihm gelungen, die verschiedenen Rechts- und Verfas-
sungstraditionen sowie die unterschiedlichen europapolitischen Auffassun-
gen der EU-Mitgliedstaaten aufzunehmen und zu überbrücken. Dabei wurde
die anfangs durchaus reale Gefahr, dass der endgültige Entwurf nur den
„kleinsten gemeinsamen Nenner“ dieser unterschiedlichen Ansätze darstel-
len werde, vermieden. Dem Konvent ist es darüber hinaus gelungen, die
Charta inhaltlich so auszugestalten, dass sie nicht nur hinter den in Europa
und den europäischen Staaten bereits geltenden Grundrechtsstandards nicht
zurückbleibt, sondern diese in mancher Hinsicht noch übertrifft.

Dies ist zu einem erheblichen Teil das Verdienst des Vorsitzenden des Kon-
vents, Bundespräsident a. D. Roman Herzog. Der Deutsche Bundestag dankt
ihm für seinen Einsatz und seine Leistung.

Dieser Entwurf der Charta, der in seinen Einzelheiten sicher noch diskussi-
onswürdig ist, stellt den Eckstein für die zukünftige Verfassung des verei-
nigten Europas dar. Damit ist auch ein wichtiger Schritt hin zur allmählichen
Herausbildung einer föderalen, bundesstaatlich geordneten Europäischen
Union vollzogen worden. Diese Ordnung wird in den nächsten Jahren aus-
gefüllt werden müssen durch eine klare Kompetenzabgrenzung zwischen
den Befugnissen der Europäischen Organe und der Mitgliedstaaten sowie
eine immer stärkere demokratische Legitimation der Entscheidungsverfah-
ren in der EU.

Sowohl die europäische Verfassung im weiteren Sinne als auch die Europäi-
sche Grundrechte-Charta müssen sich auf eine breite Zustimmung der Bür-
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gerinnen und Bürger Europas stützen. Daher ist es erforderlich, dass sich die
europäische Bürgerschaft mit den Inhalten der Charta, mit ihren voraussicht-
lichen Wirkungen, ihren Vorzügen und Nachteilen ausführlich beschäftigt
und vertraut macht. Das Vorgehen des Konvents, in dem das Europaparla-
ment die nationalen Parlamente und die Regierungen zusammenwirkten und
die Zwischenschritte ihrer Beratungen jeweils veröffentlichten, ist hierzu ein
erster wichtiger Schritt, reicht aber noch nicht aus. Die Bürgerinnen und
Bürger der Europäischen Union müssen auch Gelegenheit haben, auf die
Charta direkt Einfluss zu nehmen. Sie müssen Änderungswünsche vorbrin-
gen können, und sie sollen in den anschließenden Ratifizierungsprozess, der
die Grundrechte-Charta zu einem rechtsverbindlichen Teil einer künftigen
europäischen Verfassung macht, durch eine Volksabstimmung einbezogen
werden.

Die Charta wird beim Europäischen Rat Nizza nicht rechtlich verbindlich
werden. Um den Grundrechtsschutz in Europa dennoch zu sichern und um
der Gefahr einer Spaltung der Rechtsprechung zwischen dem Europäischen
Gerichtshof (EuGH) und dem Europäischen Gerichtshof für Menschen-
rechte (EGMR) zu begegnen, sollten schnell die Voraussetzungen dafür ge-
schaffen werden, dass die EU der Europäischen Konvention zum Schutze
der Menschenrechte (EMRK) beitritt.

II. Der Deutsche Bundestag fordert daher die Bundesregierung auf:

1. sich auf dem Sonder-ER Biarritz und auf dem ER Nizza für die Annahme
der Grundrechte-Charta einzusetzen,

2. eine umfassende Bürgerbeteiligung vor der endgültigen Verabschiedung
der Charta und ihrer Inkorporierung in die europäischen Verträge sicher-
zustellen und

3. sich für den Beitritt der Europäischen Union zur europäischen Men-
schenrechtskonvention einzusetzen.

Berlin, den 11. Oktober 2000

Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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