BT-Drucksache 14/4184

Zur Notwendigkeit einer breiten öffentlichen Debatte zum "Therapeutischen Klonen"

Vom 27. September 2000


Deutscher Bundestag Drucksache 14/4184
14. Wahlperiode 27. 09. 2000

Große Anfrage
der Abgeordneten Ulrich Heinrich, Ulrike Flach, Cornelia Pieper, Detlef Parr,
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher, Jörg van Essen,
Paul K. Friedhoff, Horst Friedrich (Bayreuth), Hans-Michael Goldmann,
Dr. Karlheinz Guttmacher, Klaus Haupt, Walter Hirche, Birgit Homburger,
Ulrich Irmer, Dr. Heinrich L. Kolb, Jürgen Koppelin, Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger, Dirk Niebel, Günther Friedrich Nolting, Hans-Joachim Otto
(Frankfurt/Main), Gerhard Schüßler, Dr. Irmgard Schwaetzer, Dr. Hermann Otto
Solms, Dr. Dieter Thomae, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der F.D.P.

Zur Notwendigkeit einer breiten öffentlichen Debatte zum „Therapeutischen
Klonen“

Nach der Zustimmung der britischen Regierung, therapeutisches Klonen mit
menschlichen Stammzellen zu Forschungszwecken zuzulassen, ist eine umfas-
sende öffentliche Diskussion zu diesem Thema in Deutschland dringend not-
wendig.

Dabei muss zwischen ethisch-moralischen Aspekten und dem Nutzen aus wis-
senschaftlichem Fortschritt abgewogen werden. Ein verantwortbarer medizi-
nisch-technischer Fortschritt zum Nutzen der Menschheit darf nicht vorschnell
und grundsätzlich abgelehnt werden, ohne dass vorher eine breite öffentliche
Diskussion mit allen beteiligten gesellschaftlichen Gruppen stattgefunden hat.
Wir müssen uns jetzt mit der Problematik konstruktiv auseinandersetzen. Heute
noch unheilbar kranke Menschen, die unter Parkinson oder Alzheimer leiden,
setzen große Erwartungen in diese Forschung. Zudem zeigt der rasante Fort-
schritt in den USA, dass nationale Alleingänge in dem dynamischen For-
schungsbereich der Biomedizin die weltweite Entwicklung nicht aufhalten
können. Deutschland wird sich nicht von diesen Entwicklungen abkoppeln
können.

Deutschland darf den Anschluss an die globale Entwicklung nicht verlieren.
Deshalb dürfen wir uns nicht unendlich viel Zeit lassen. Die Politik ist gefor-
dert, rechtzeitig klare Rahmenbedingungen für Forschung und Wirtschaft vor-
zugeben. In jedem Fall sollte in Deutschland die Forschung an bereits ausdiffe-
renzierten Stammzellen fortgeführt werden. Wenn sich das für eine Therapie
tatsächlich als ebenso erfolgversprechend wie das therapeutische Klonen er-
weisen sollte, sollte dieser Weg vorrangig genutzt werden.

Gleichzeitig dürfen wir die Chancen des therapeutischen Klonens mit pluri-
potenten Stammzellen nicht von vornherein ohne eine breite öffentliche Dis-
kussion verspielen. Streng konditionierte Forschungsvorhaben zum therapeuti-
schen Klonen in Deutschland dürfen nicht kategorisch ausgeschlossen werden.
Forderungen nach einer einheitlichen Haltung in Europa erscheinen allerdings

Drucksache 14/4184 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

unrealistisch, solange Deutschland nicht die Bio-Medizin-Konvention des Eu-
roparates ratifiziert hat.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welchen Stellenwert misst die Bundesregierung dem „therapeutischen
Klonen“ bei?

2. Welche Folgerungen zieht die Bundesregierung aus dem britischen und
amerikanischen Vorstoß, die Regeln für die wissenschaftliche Arbeit mit
embryonalen Stammzellen zu lockern?

3. Liegen der Bundesregierung Informationen vor, ob neben Großbritannien
und den USA das „therapeutische Klonen“ auch in anderen Ländern zuge-
lassen werden soll?

4. Ab welchem Zeitpunkt in der Entwicklung des Fötus betrachtet die Bun-
desregierung ein menschliches Leben als schützenswert?

5. Hält es die Bundesregierung in einer modernen Gesellschaft für ethisch
vertretbar, dass zurzeit unheilbar kranken Menschen durch eine Ablehnung
des „therapeutischen Klonens“ möglicherweise die Hoffnung auf ein ge-
sundes Leben genommen wird?

6. Stellt die Forschung mit erwachsenen Stammzellen für die Bundesregie-
rung eine echte Alternative zum therapeutischen Klonen dar und wie be-
wertet sie diese?

7. Liegen der Bundesregierung Informationen über die Vor- und Nachteile
der Forschung mit erwachsenen Stammzellen vor und wie bewertet sie
diese?

8. Wie beurteilt die Bundesregierung die Xenotransplantation?

9. Liegen der Bundesregierung Informationen über Vor- und Nachteile der
Xenotransplantation und die damit verbundenen Gefahren vor und wie be-
wertet sie diese?

10. Hält die Bundesregierung die Forschung mit pluripotenten Stammzellen
aus abgetriebenen oder abgegangenen toten Feten für ethisch vertretbar?

11. Welche Vor- und Nachteile sieht die Bundesregierung in der Forschung mit
abgetriebenen und abgegangenen toten Feten?

12. Liegen der Bundesregierung Informationen vor, inwieweit in der Praxis an
fetalem Gewebe geforscht wird und wie bewertet sie diese?

13. Unterstützt die Bundesregierung die Forschung an fetalem Gewebe – wenn
ja, in welcher Art und in welcher Höhe?

14. Beabsichtigt die Bundesregierung das Embryonenschutzgesetz zu verän-
dern – wenn ja, wie und mit welcher Begründung?

15. Wie beurteilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass ein aus wenigen
Zellen bestehender Embryo im Reagenzglas einen höheren gesetzlichen
Schutz als ein bereits weit entwickelter Fötus im Mutterleib genießt?

16. Beabsichtigt die Bundesregierung eine einheitliche Rechtslage herbeizu-
führen – wenn ja, in welcher Art und Weise?

17. Wie beurteilt die Bundesregierung die Forschung an verwaisten Embryo-
nen nach Zustimmung der genetischen Eltern?

18. Liegen der Bundesregierung Informationen über Vor- und Nachteile der
Forschung an verwaisten Embryonen vor und wie werden diese bewertet?

19. Hält die Bundesregierung die Forschung mit Zellen aus der Reproduktions-
medizin für ethisch vertretbar und wie begründet sie dies?

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/4184

20. Welche Maßnahmen beabsichtigt die Bundesregierung zu ergreifen, um die
Forschung auf anderen Gebieten der genetischen Humanmedizin voranzu-
treiben?

21. Welche Folgerungen zieht die Bundesregierung aus dem Umstand, dass die
derzeitige Gesetzeslage die Forschung an importierten menschlichen Zel-
len erlaubt?

22. Beabsichtigt die Bundesregierung Maßnahmen gegen die Forschung mit
importierten menschlichen Zellen zu ergreifen, und wenn ja, wie begründet
sie dies?

23. Mit welchen Maßnahmen möchte die Bundesregierung einen „Organemp-
fängertourismus“ nach Großbritannien verhindern?

24. Wie beabsichtigt die Bundesregierung eine Zweiklassenmedizin, in der
sich nur Wohlhabende ein neues Organ im Ausland leisten können, zu ver-
hindern?

25. Welche Maßnahmen beabsichtigt die Bundesregierung, um Wissenschaft
und Forschung auf internationalem Standard zu halten?

26. Beabsichtigt die Bundesministerin für Bildung und Forschung, gemeinsam
mit ihren Länderkollegen neue Studien- und Ausbildungsgänge im Bereich
der genetischen Humanmedizin an Hochschulen, Fachhochschulen und
sonstigen Einrichtungen aufzubauen?

27. Wie beabsichtigt die Bundesregierung einen möglichen Dominoeffekt zu
verhindern, der sich im Rahmen der Globalisierung ergeben könnten, weil
andere Länder dem britischen Beispiel folgen, während sich die Bundes-
regierung gegen die Erlaubnis des therapeutischen Klonens ausspricht, und
was beabsichtigt sie, um diesen Dominoeffekt zu verhindern?

28. Beabsichtigt die Bundesregierung im Rahmen der Globalisierung ethische
Mindeststandards in Form von internationalen Richtlinien anzuregen?

29. Wenn ja, was sollten nach Meinung der Bundesregierung diese internatio-
nalen Richtlinien enthalten?

30. Liegen der Bundesregierung Informationen vor, wonach die EU eine ein-
heitliche EU-Regelung plant und wie bewertet sie diese?

31. Lässt sich eventuell das entsprechende Zusatzprotokoll zur Bio-Medizin-
Konvention des Europarates noch ausbauen?

32. Hält die Bundesregierung nach dem Vorstoß Großbritanniens eine einheit-
liche EU-Regelung noch für durchsetzbar und wie begründet sie dies?

33. Hält es die Bundesregierung für vertretbar, andere Länder mit menschli-
chen Zellen forschen zu lassen und deren Ergebnisse am hiesigen Standort
zu verwenden und wie begründet sie dies?

34. Was beabsichtigt die Bundesregierung zur Verbesserung der Wettbewerbs-
fähigkeit Deutschlands auf diesem Gebiet im globalen Bereich zu unter-
nehmen?

35. Welche Rolle spielen in der biomedizinischen Forschung für die Bundes-
regierung die Wirtschaft und der shareholder value?

36. Welches Entwicklungspotential misst die Bundesregierung der genetischen
Humanmedizin für den Arbeitsmarkt in den kommenden Jahren bei?

37. Welche Zukunft sieht die Bundesregierung für diesen Industriezweig am
Wirtschaftsstandort Deutschland?

38. Sieht die Bundesregierung eine Gefahr, dass einmal eine ganze Generation
von Forschern und damit ein ganzer Industriezweig ins Ausland „abwan-
dern“ könnte, da in anderen Ländern sind die Auflagen für die genetische
Humanmedizin weniger streng sind?

Drucksache 14/4184 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode
39. Beabsichtigt die Bundesregierung die Neugründung von Biotechnologie-
unternehmen zu unterstützen?

Wenn ja, liegen hierfür schon inhaltliche Konzepte vor und ggf. in welcher
Form?

40. Wie hoch sind zum derzeitigen Zeitpunkt die projektbezogenen Fördermit-
tel in diesem Bereich?

41. Beabsichtigt die Bundesregierung diese Fördermittel in den nächsten Jah-
ren aufzustocken?

Wenn ja, in welcher Höhe?

42. Liegen der Bundesregierung Informationen vor, ob neben der DFG und
dem BMBF auch andere Forschungsinstitutionen Mittel schwerpunktmä-
ßig in der Genomforschung einsetzen und wie bewertet sie diese?

43. Wie viele Unternehmen arbeiten nach Kenntnis der Bundesregierung im
Biotechnologiebereich und welche Umsätze erzielen diese Unternehmen?

44. Liegen der Bundesregierung Zahlen über Beschäftigte in diesem Bereich
vor und wie bewertet sie diese?

45. Welche Strukturen beabsichtigt die Bundesregierung zu schaffen, um Ein-
richtungen der universitären sowie außeruniversitären Forschung zu ver-
netzen und um eine Brücke zu den Bereichen der Industrie zu schlagen?

46. Liegen der Bundesregierung Ergebnisse internationaler Forschungsgrup-
pen auf diesem Gebiet vor und wie bewertet sie diese?

47. Was beabsichtigt die Bundesregierung zu unternehmen, damit die Genfor-
schung nicht in eine moralische und gesetzliche Grauzone abgedrängt
wird?

48. Liegen der Bundesregierung Informationen über die Akzeptanz des thera-
peutischen Klonens im Rahmen der Humanmedizin in der Bevölkerung
vor und wie werden diese beurteilt?

Wenn nein, beabsichtigt die Bundesregierung eine Umfrage anzuregen?

49. Plant die Bundesregierung öffentlichkeitswirksame Maßnahmen zur Auf-
klärung der Bevölkerung über die Möglichkeiten der modernen Medizin
und was sollten diese nach ihrer Meinung enthalten?

50. Wie beurteilt die Bundesregierung die Gewinnung von Stammzellen aus
Nabelschnurblut?

51. Bewertet die Bundesregierung die Gewinnung von Stammzellen aus Na-
belschnurblut als ethisch unbedenkliche Alternativmethode zur embryona-
len Stammzellgewinnung?

Wenn nein, was ist nach Auffassung der Bundesregierung ethisch proble-
matisch bzw. abzulehnen?

52. Inwieweit wird die Bundesregierung bereits im Haushalt 2001 der Forde-
rung von Bundesministerin Edelgard Bulmahn nach einem Förderpro-
gramm von 1 Mrd. DM für die Human-Genomforschung innerhalb der
nächsten fünf Jahre Rechnung tragen?

53. Beabsichtigt die Bundesregierung bei der Vergabe von Haushaltsmitteln
für die Human-Genomforschung einen besonderen Schwerpunkt bei der
Risikoabschätzung zu setzen?

Berlin, den 26. September 2000

Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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