BT-Drucksache 14/4168

Zehn Jahre Deutsche Einheit

Vom 29. September 2000


Deutscher Bundestag

Drucksache

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14. Wahlperiode

29. 09. 2000

Antrag

der Abgeordneten Günter Nooke, Ulrich Adam, Dr. Sabine Bergmann-Pohl,
Hartmut Büttner (Schönebeck), Kurt-Dieter Grill, Manfred Grund, Josef Hollerith,
Dr.-Ing. Rainer Jork, Hartmut Koschyk, Dr. Paul Krüger, Dr. Norbert Lammert,
Dr. Michael Luther, Dr. Angela Merkel, Hans Michelbach, Ruprecht Polenz, Christa
Reichard (Dresden), Katherina Reiche, Hans-Peter Repnik, Christian Schmidt
(Fürth), Dr. Rupert Scholz, Reinhard Freiherr von Schorlemer, Diethard Schütze
(Berlin), Dr. Christian Schwarz-Schilling, Margarete Späte, Michael Stübgen,
Annette Widmann-Mauz und der Fraktion der CDU/CSU

Zehn Jahre Deutsche Einheit

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:

I. Der Weg zur Deutschen Einheit

Die Deutsche Einheit ist eine gesamtdeutsche Erfolgsgeschichte. Damit wur-
den Freiheit und Selbstbestimmung für alle Deutschen erreicht.

Mit der friedlichen Revolution der Bürgerinnen und Bürger der ehemaligen
DDR im Herbst 1989 begann der Prozess der Deutschen Einheit. Im Verlauf
dieser erfolgreichen Freiheitsrevolution wurde die SED-Diktatur beseitigt und
damit die wichtigste Voraussetzung für die Wiederherstellung der staatlichen
Einheit am 3. Oktober 1990 geschaffen. Mit dem Ruf „Wir sind das Volk!“
wurden Freiheit und Demokratie erkämpft und mit der Losung „Wir sind ein
Volk!“ die Einheit des Landes gefordert.

Die Einheit in Freiheit wäre nicht möglich gewesen ohne europäische Frei-
heitsbewegungen wie die Charta 77 in der Tschechoslowakei und Solidarnosc
in Polen, nicht ohne Glasnost in der Sowjetunion und ohne die Öffnung der
ungarischen Grenzen.

In Deutschland war das konsequente Offenhalten der deutschen Frage insbe-
sondere durch verantwortliche Politiker der CDU und CSU die Grundvoraus-
setzung für die Wiederherstellung der staatlichen Einheit. Ohne das Festhalten
an dem im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland fixierten Anspruch,
wonach auch die Deutschen in der DDR zum Geltungsbereich dieses Grundge-
setzes gehören, hätte es keine Ausreisebewegung und die damit verbundene
Destabilisierung des SED-Regimes gegeben. Besonders wichtig war auch der
frühzeitige und konkrete Aufriss über einen möglichen Weg zur staatlichen
Wiedervereinigung, wie er im Zehn-Punkte-Plan erfolgte.
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Die Deutsche Einheit war das Ziel der übergroßen Mehrheit der Menschen im
Osten Deutschlands. Dieses wurde auch durch den überwältigenden Wahlsieg
der Allianz für Deutschland bei den ersten freien und geheimen Volkskammer-
wahlen am 18. März 1990 deutlich. Die Ostdeutschen sahen im freiheitlich-
demokratischen Rechtsstaat und in der sozialen Marktwirtschaft der Bundes-
republik Deutschland die einzige Alternative zum untergegangenen kommunis-
tischen System. Der einzig gangbare Weg zur Wiederherstellung der staatlichen
Einheit führte über Artikel 23 des Grundgesetzes, den Staatsvertrag zur Wirt-
schafts-, Währungs- und Sozialunion und den Einigungsvertrag.

Außenpolitisch konnte auf die Westbindung der Bundesrepublik Deutschland
und das gewachsene Vertrauen der ehemaligen Alliierten des Zweiten Weltkrie-
ges und der östlichen Nachbarstaaten Deutschlands in die damalige Bundes-
regierung aufgebaut werden. In den Zwei-plus-vier-Verhandlungen wurde die
Zustimmung der daran beteiligten Länder zur staatlichen Einheit Deutschlands
und die Zugehörigkeit des vereinigten Deutschlands zum westlichen Bündnis
erreicht. Hier ist vor allem die politische Haltung der USA und der damaligen
Sowjetunion hervorzuheben.

II. Zur Lage in den neuen Bundesländern

Zehn Jahre nach Wiederherstellung der staatlichen Einheit hat sich die wirt-
schaftliche und soziale Lage der Menschen in den östlichen Bundesländern im
Vergleich zu deren Situation bis zum Jahr 1989 nachhaltig und spürbar verbes-
sert.

Rekonstruierte Altstädte, die Sanierung einer exzessiv zerstörten Umwelt, neue
soziale Einrichtungen und eine sich ständig verbessernde Verkehrsinfrastruktur
sind für alle sichtbare Zeichen des gemeinsamen Erfolgs der Deutschen Ein-
heit. Das westdeutsche Leistungsniveau der sozialen Absicherung konnte
nahezu vollständig auf die neuen Länder übertragen werden. Sowohl Löhne
und Gehälter als auch Renten und Haushaltseinkommen haben sich seit 1990
Jahr für Jahr immer mehr erhöht und nähern sich dem Niveau der alten Länder.

Im Transformationsprozess von einer ehemals sozialistischen und planwirt-
schaftlich gelenkten zu einer der sozialen Marktwirtschaft verpflichteten Öko-
nomie konnten große Erfolge in den neuen Bundesländern erzielt werden. Der
größte Teil der jetzigen betrieblichen Anlagen wurde nach 1990 errichtet. Es
gibt Standortvoraussetzungen, wie den der Telekommunikation, bei denen die
neuen Länder bereits über die modernsten Technologien verfügen.

In kurzer Zeit konnten die Institutionen des Rechtsstaats und die dafür notwen-
digen Strukturen in den neuen Bundesländern aufgebaut werden. Die neuen
Bundesländer sind seit dem 3. Oktober 1990 gleichberechtigte Bestandteile der
föderalen Strukturen der Bundesrepublik Deutschland.

Die Erfolge der Deutschen Einheit basieren einerseits auf der Leistungskraft
und Leistungsbereitschaft der Ostdeutschen sowie andererseits auf der Bereit-
schaft zu materieller und nichtmaterieller Solidarität der Westdeutschen. Auch
weiterhin müssen die Leistungspotentiale aller Deutschen entfaltet werden, da-
mit der wirtschaftliche Aufbau in den neuen Bundesländern fortgeführt werden
kann. Dieser ist noch nicht abgeschlossen. Besonders wichtig ist es, die Voraus-
setzungen für innovative Wirtschaftszweige und Zukunftstechnologien in den
neuen Bundesländern weiter zu verbessern.

Die hohe Arbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern ist eine der bedrü-
ckendsten Erblasten, welche die Bundesrepublik Deutschland vom realsozialis-
tischen Wirtschaftssystem der DDR übernommen hat. Die Anstrengungen der
Politik für die neuen Länder müssen darauf gerichtet sein, dort die Rahmenbe-
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dingungen für die Schaffung rentabler Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeits-
markt zu schaffen. Dem seit zwei Jahren wieder extrem angestiegenen Trend,
wonach gerade junge und leistungsstarke Arbeitskräfte die neuen Bundesländer
verlassen, muss durch wirksame Maßnahmen begegnet werden. Die Ostdeut-
schen haben in den letzten zehn Jahren ein hohes Maß an Flexibilität gezeigt.
Es darf aber nicht Ziel der Politik sein, einer Überalterung der Bevölkerung in
den neuen Bundesländern Vorschub zu leisten, indem die Abwanderung junger
und leistungsstarker Arbeitskräfte in die alten Bundesländer finanziell unter-
stützt wird. Vielmehr ist es wichtig, Bedingungen für ihre Rückkehr zu schaf-
fen. Solche Bedingungen können nur in der Erhöhung der Attraktivität des
Wirtschaftsstandortes neue Bundesländer bestehen.

Eine Bilanz zum zehnten Jahrestag der Deutschen Einheit muss auch einen
objektiven Blick auf das Erbe der SED-Diktatur beinhalten. Die kommunisti-
sche Ideologie war spätestens mit der friedlichen Revolution der Ostdeutschen
gescheitert. Deren daraus resultierende ökonomische und soziale Verwerfungen
sind Erbschaften, mit denen sich das vereinte Deutschland insgesamt ausein-
andersetzen muss. Dabei sollte von der Voraussetzung ausgegangen werden,
dass bei den Bürgerinnen und Bürgern in den neuen Ländern aus der Zeit der
SED-Diktatur weniger die gescheiterte kommunistische Ideologie als vielmehr
40 Jahre anderer Sozialisation nachwirken.

Von der Mehrheit der Ostdeutschen werden die Institutionen des freiheitlichen
Rechtsstaates nicht nur akzeptiert und angenommen, sondern auch positiv be-
wertet. Bestehende mentale Unterschiede und auch ein teilungsbedingter Nach-
holbedarf z. B. bei der Infrastrukturausstattung können nicht nur auf föderale
Unterschiede reduziert werden, wie sie beispielsweise zwischen Süden und
Norden bestehen. Im Sinne unserer repräsentativen Demokratie wollen die
Menschen in den neuen Bundesländern, dass ihre spezifischen – ostdeutschen –
Probleme in den Reden der Politiker vorkommen und für sie nachvollziehbar
Verbesserungen erreicht werden.

Eine Bilanz von zehn Jahren Deutscher Einheit muss auch die Menschen im
Blick haben, die in der Vergangenheit unter dem SED-Regime gelitten haben.
Ohne deren Engagement für Freiheit und für die Überwindung der zweiten
deutschen Diktatur wäre die Wiederherstellung der staatlichen Einheit nicht
zustande gekommen. Für diese Opfer und deren Kampf für Demokratie muss
die Politik nicht nur eine angemessene ideelle, sondern auch materielle Ent-
schädigung bereitstellen. Zum gemeinsamen Geschichtsverständnis der Bun-
desrepublik Deutschland muss das Gedenken an die beiden deutschen Diktatu-
ren gehören. Deshalb muss die Bundesregierung auch für eine ausreichende
Finanzierung der Gedenkstätten für die Opfer der SED-Diktatur sorgen.

2. Der Deutsche Bundestag wolle beschließen:

III. Konkrete Maßnahmen zum Aufbau Ost

Für den dauerhaften Erfolg beim weiteren Aufbau Ost sind folgende Maßnah-
men besonders wichtig:

Kurzfristig

Die Mittel für die wirtschaftsnahe Infrastruktur sind im Haushalt 2001 zu er-
höhen. Dadurch könnte die Baukonjunktur gestützt und die Basis für private
Investitionen verbessert werden.

Auch ostdeutsche Unternehmen brauchen Marktchancen im Ausland. Die Bun-
desregierung wird aufgefordert, das Sonderprogramm zur Exportförderung Ost
sofort zu intensivieren.
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In Ostdeutschland muss ein eigenständiger Energiestandort erhalten bleiben.
Jede Verzögerungsstrategie beim Verkauf der e.on-Anteile schadet den neuen
Bundesländern.

Die Ökosteuer wirkt in den neuen Bundesländern doppelt negativ und muss
abgeschafft werden. Gerade für die neuen Länder sind sie eine zusätzliche
Belastung für die wirtschaftliche Entwicklung.

Der wachsende Wohnungsleerstand muss wesentlich entschiedener bekämpft
werden. Wir fordern von der Bundesregierung weitere Entlastungen der Woh-
nungsgesellschaften von Altschulden.

Mittelfristig

Auf der Basis einer Bilanz von zehn Jahren Aufbau Ost erscheint es zwingend
notwendig, den Förderkatalog Ost zu überarbeiten und einen Schwerpunkt bei
Investitions- und Innovationsförderung zu setzen.

Von entscheidender Bedeutung für die Planungssicherheit in den neuen Bun-
desländern ist die zügige Verhandlung des Solidarpaktes II und seine schnelle
Verabschiedung noch in dieser Legislaturperiode.

Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und Strukturen der Trägergesellschaften sind
zu überprüfen. Wo es möglich ist, sind Mittel umzuschichten und neue Brücken
in den ersten Arbeitsmarkt zu bauen.

Die Standort-Werbung Ostdeutschland im Ausland durch das Industrial Invest-
ment Council sollte über 2001 verlängert werden.

Die Entschädigungsleistungen für SED-Opfer sind zu erhöhen. Die Bundes-
regierung wird aufgefordert, eine monatliche Ehrenpension für die Opfer politi-
scher Verfolgung einzuführen und eine Erhöhung der Kapitalentschädigung zu
beschließen.

Die wichtige Arbeit der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen
des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR muss weiterhin sicherge-
stellt sein und bisher nicht erschlossene Stasiunterlagen müssen schneller ver-
fügbar gemacht werden.

Langfristig

Im Zusammenhang mit dem Länderfinanzausgleich und dem Solidarpakt II
sollten die Mischfinanzierungen verringert und die zweckungebundenen Mit-
telzuweisungen erhöht werden, um so eine Stärkung von Länderkompetenzen
und Eigenverantwortlichkeit zu erreichen.

Am überzeugendsten sind Modellprojekte und erfolgreiche Beispiele aus den
neuen Bundesländern. Dazu sollten Verwaltungsmodernisierungsprojekte auf
kommunaler und Länderebene genauso gehören wie innovative Schul- und
Sozialprojekte vor Ort.

Die vorhandenen Standortvorteile im Osten sind zu nutzen. Dazu gehören das
12-jährige Abitur, eine positive Einstellung zu Naturwissenschaften und Tech-
nik und zur Elitenbildung. Schule, Hochschule, Wirtschaft und Technologieent-
wicklung sollten miteinander verknüpft werden.

Die Vorgaben der Föderalismuskommission sind zu beachten. Es geht um eine
vorrangige Ansiedlung und – sofern geplant – eine nachrangige Schließung
von Bundesbehörden im Osten.
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Die Renten der Ostdeutschen sollten weiter an das Westniveau angeglichen
werden. Bei der Rentenreform ist die spezifische Situation der jetzt in Rente
kommenden Generation in den neuen Bundesländern zu beachten, die keine
Chance zur privaten Vermögensbildung hatte.

Die Bundesregierung wird aufgefordert, eine Perspektive für eine differenzie-
rende Lohnangleichung im öffentlichen Dienst zu entwickeln.

Jede Form von EU-Zentralismus sollte bekämpft werden. Wichtig ist eine
Rückverlagerung von Kompetenzen auf die nationale Ebene, statt neuer euro-
päischer Harmonisierung und EU-Beschäftigungspakte.

Die EU-Osterweiterung ist durch die Planung und den Ausbau transeuropäi-
scher Netze zu flankieren.

Die neuen Bundesländer sollten alle Chancen erhalten, um sich auf die neuen
Märkte in den mittel- und osteuropäischen Ländern zu orientieren. Die Bundes-
regierung sollte für die EU-Osterweiterung werben, die regionale Wirtschafts-
förderung in den Euroregionen vereinfachen und neu ausrichten.

Berlin, den 29. September 2000

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Dr. Sabine Bergmann-Pohl
Hartmut Büttner (Schönebeck)
Kurt-Dieter Grill
Manfred Grund
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Dr.-Ing. Rainer Jork
Hartmut Koschyk
Dr. Paul Krüger
Dr. Norbert Lammert
Dr. Michael Luther
Dr. Angela Merkel
Hans Michelbach
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Hans-Peter Repnik
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Annette Widmann-Mauz
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