BT-Drucksache 14/4152

Kinderrechte schützen - Kinderhandel wirksam bekämpfen

Vom 28. September 2000


Deutscher Bundestag

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14. Wahlperiode

28. 09. 2000

Antrag

der Abgeordneten Karin Kortmann, Adelheid Tröscher, Brigitte Adler, Dr. Hans-
Peter Bartels, Ingrid Becker-Inglau, Rudolf Bindig, Anni Brandt-Elsweier,
Ulla Burchardt, Detlef Dzembritzki, Dieter Dzewas, Hans Forster, Lilo Friedrich
(Mettmann), Arne Fuhrmann, Renate Gradistanac, Angelika Graf (Rosenheim),
Kerstin Griese, Christel Hanewinckel, Reinhold Hemker, Frank Hempel, Ingrid
Holzhüter, Christel Humme, Christine Lehder, Christa Lörcher, Tobias Marhold,
Lothar Mark, Heide Mattischeck, Volker Neumann (Bramsche), Dagmar Schmidt
(Meschede), Wilhelm Schmidt (Salzgitter), Dr. Werner Schuster, Rolf Stöckel,
Hildegard Wester, Hanna Wolf (München), Dr. Peter Struck und der Fraktion
der SPD
sowie der Abgeordneten Dr. Angelika Köster-Loßack, Ekin Deligöz, Irmingard
Schewe-Gerigk, Hans-Christian Ströbele, Claudia Roth (Augsburg), Kerstin Müller
(Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Kinderrechte schützen – Kinderhandel wirksam bekämpfen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Handel mit Kindern ist ein weltweites Problem. Obwohl fast alle Staaten
der Welt das VN-Übereinkommen über die Rechte des Kindes (Kinderrechts-
konvention) ratifiziert haben und damit auch die Verpflichtung eingegangen
sind, alle geeigneten innerstaatlichen, zweiseitigen und mehrseitigen Maßnah-
men zu treffen, „um die Entführung und den Verkauf von Kindern sowie den
Handel mit Kindern zu irgendeinem Zweck und in irgendeiner Form zu verhin-
dern“ (Artikel 35), verdienen Verbrecherringe und Beteiligte mit dem Kinder-
handel ein Vermögen.

Der Handel mit und der Verkauf von Kindern gleichgültig zu welchem Zweck
und in welcher Form stellt eine eklatante Menschenrechtsverletzung dar, da
hierbei Kinder als kommerzielle Ware degradiert und ihrer menschlichen
Würde beraubt werden.

Folgende Dimensionen des Kinderhandels sind zu unterscheiden:

1. Kinderhandel ist eng mit dem Verkauf des Kindes in die sexuelle Ausbeu-
tung verbunden.
Laut Unicef setzen Verbrecherringe mit Kinderhandel, Kinderprostitution
und Kinderpornographie weltweit jedes Jahr rund fünf Milliarden US-Dollar
um. So werden beispielsweise Mädchen aus Nepal in indische Bordelle ver-
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kauft – oft genug vom eigenen Vater. Junge Nepalesinnen sind ein begehrter
„Exportartikel“.
Darüber hinaus ist der Handel mit Mädchen und Frauen für das Millionen-
geschäft der Heiratsvermittlung ein brisantes Problem in vielen Staaten.

2. Der Verkauf von Kindern in ausbeuterische Arbeitsverhältnisse oder skla-
vereiähnliche Formen der Ausbeutung ist eine weitere große Dimension des
Kinderhandels.
Nach Angaben der Sonderberichterstatterin der Menschenrechtskommission
über Kinderhandel, Kinderprostitution und Kinderpornographie werden
Kinder im Drogen- und Waffenhandel, bei zum Teil gefährlichen Sporter-
eignissen und als Bettler und Bettlerinnen eingesetzt sowie in bewaffneten
Konflikten als Kindersoldaten zwangsrekrutiert. Oder die Heranwachsenden
werden, wie beispielsweise in Westafrika, zu Zehntausenden in ausbeuteri-
sche Formen der Kinderarbeit hinein verkauft. Mädchen müssen sich dann
meist als „Haushaltssklavinnen“ und Jungen als Zwangsarbeiter auf Planta-
gen verdingen.

3. Kinderhandel findet im Rahmen von grenzüberschreitenden Adoptionen
statt.
Die Adoptionswünsche kinderloser Familien übersteigen die tatsächliche
Anzahl von adoptierfähigen Kindern um ein Vielfaches. Laut Unicef kom-
men auf jedes gesunde Kind rund 50 Bewerbungen. Die steigende Nach-
frage bedingt einen wachsenden Kindermarkt grenzüberschreitender Adop-
tion. In vielen „Anbieterländern“ haben sich in Folge illegale Praktiken der
„Kinderbeschaffung“ herausgebildet. Betroffen sind vor allem Babys und
Kleinstkinder, die entführt oder von einem Verwandten ohne Einverständnis
der Eltern zur Adoption freigegeben werden.
Terre des hommes zufolge werden jährlich rund 1 100 ausländische Kinder
von deutschen Familien adoptiert. Nur ein ganz geringer Anteil dieser Kin-
der gelangt über staatlich anerkannte Vermittlungsstellen in die Bundesrepu-
blik Deutschland. Das bedeutet: die Rückverfolgung und somit auch straf-
rechtliche Verfolgung etwaiger Fälle von Kinderhandel erweist sich
aufgrund nicht vorhandener Zentraler Behörden in der Adoptionsvermitt-
lung, einer häufig ungenügenden Informationslage und fehlender rechtsver-
bindlicher internationaler Übereinkommen als äußerst schwierig.

Zu den Ursachen für Kinderhandel zählen die wachsende Armut in ländlichen
Gebieten, fehlende oder mangelnde einkommensschaffende Möglichkeiten für
Familien und Jugendliche, genereller Mangel an Bildung, mangelndes Be-
wusstsein über die Problematik des Kinderhandels, häufige Unkenntnis von
Seiten der Familien über die Lebenssituation und mögliche Bedrohung in den
Städten für Kinder, unzureichende Gesetzgebung in den betroffenen Ländern,
mangelnde Durchsetzungsmöglichkeiten der bestehenden Gesetze. Auch Sex-
tourismus, unverantwortliches sexuelles Verhalten von Erwachsenen, steigen-
der Adoptionswunsch kinderloser Familien sowie bewaffnete Konflikte sind
hier anzuführen.

Darüber hinaus existieren besondere gesellschaftliche Traditionen und Verhält-
nisse in bestimmten Regionen oder Ländern, die Kinderhandel begünstigen
können. Hierzu zählen z. B. besonders ausgeprägte geschlechtsspezifische Dis-
kriminierung und geringer Status von Mädchen, verstärktes Auftreten von Ge-
walt in den Familien in den vom Bürgerkrieg betroffenen Gesellschaften oder
die Tradition z. B. in Westafrika, dass Kinder meist in Arbeitsverhältnissen
ausgebildet werden (sollten) und schulische Einrichtungen nicht ausreichend
zur Verfügung stehen.
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Kinder ethnischer Minderheiten, Kinder, die nie gemeldet und registriert wur-
den, staatenlose Kinder und Kinder in Flüchtlingslagern können besonders
leicht zu Opfern der Menschenhändler werden.

Opfer des Kinderhandels werden oft über staatliche Grenzen hinweg verkauft,
befinden sich weit entfernt von ihrer Familie und von der ihnen vertrauten Um-
gebung, häufig in völliger sprachlicher und kultureller Isolation, können nicht
überblicken, was mit ihnen als nächstes geschieht, haben zum Teil erfahren
müssen, dass sie von denjenigen verkauft worden sind, denen sie vertraut ha-
ben. Gerade aber auch die Situation nach dem Handel – der Verkauf in sklave-
reiähnliche Formen der Ausbeutung – bedeutet in der Regel die physische und
psychische Zerstörung des Kindes.

II. Der Deutsche Bundestag unterstützt folgende von der Bundesregierung
eingeleitete Maßnahmen:

Der Deutsche Bundestag anerkennt die von der Bundesregierung in der 13. Le-
gislaturperiode ergriffenen Maßnahmen zur weltweiten Bekämpfung der Kin-
derarbeit. Dies bedeutet eben auch eine Bekämpfung des Kinderhandels
zwecks Vermittlung von Kindern in ausbeuterische Arbeitsverhältnisse. Im
Rahmen dieser Maßnahmen ist insbesondere die Förderung des Internationalen
Programms zur Abschaffung der Kinderarbeit (IPEC) zu nennen.

Der Deutsche Bundestag dankt der Bundesregierung für ihren Beitrag zur Ent-
schuldung der ärmsten Länder im Rahmen der Initiative „Erlaßjahr 2000“
(HIPC), die der steigenden Armut der ärmeren Bevölkerungsgruppen entge-
genwirken wird.

Der Deutsche Bundestag würdigt die Förderung des Programms „Kinderrechte
2000“ durch die Bundesregierung, welches die Umsetzung des „VN-Überein-
kommens über die Rechte des Kindes“ in den Ländern Lateinamerikas und der
Karibik unterstützt.

Der Deutsche Bundestag begrüßt die aktive Beteiligung der Bundesregierung
an der Ausarbeitung der Zusatzprotokolle zur Kinderrechtskonvention zu „Kin-
derhandel, Kinderprostitution und Kinderpornographie“ sowie „Kinder in be-
waffneten Konflikten“ und stimmt mit dem Bundesminister des Auswärtigen,
Joseph Fischer, überein, der in seiner Rede bei der 56. Menschenrechtskom-
mission die baldige Verabschiedung der Protokolle als ein prioritäres Anliegen
der Menschenrechtspolitik der Bundesrepublik Deutschland bezeichnet hat.

In diesem Sinne begrüßt der Deutsche Bundestag ebenfalls die Teilnahme der
Bundesregierung an den Verhandlungen zu einem VN-Übereinkommen gegen
das transnationale organisierte Verbrechen und einem Zusatzprotokoll zur Be-
kämpfung des Menschenhandels.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf:



Den Verkauf von und den Handel mit Kindern in jedweder Form und zu jed-
wedem Zweck als Angriff auf die Würde des Kindes und schwere Men-
schenrechtsverletzung zu verurteilen und sie als solche in den Politikdialog
der Bundesregierung und hier insbesondere des Auswärtigen Amts, des
Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
und des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie aufzunehmen.



Bei den von den Bundesministerien und ihren zugeordneten Einrichtungen
zu erstellenden Länderberichten, dort wo zutreffend, die Problematik des
Kinderhandels besonders zu berücksichtigen.
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Dort wo notwendig im Rahmen der entwicklungspolitischen Zusammenar-
beit Präventionsstrategien in den Partnerländern zu unterstützen und ein öf-
fentliches Bewusstsein über die moralischen und juristischen Aspekte des
Kinderhandels zu fördern und somit dem Kinderhandel wirksam entgegen-
zutreten.

Hierzu gehören insbesondere:

– Armutsbekämpfung in ländlichen Gebieten;

– Förderung von einkommensschaffenden Maßnahmen für arme Jugend-
liche und ihre Familien auf dem Land ebenso wie im informellen Sektor
der Städte;

– Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten besonders für die gefährdeten
Gruppen zu schaffen, um so den Kindern und Jugendlichen den Zutritt zu
neuen Einkommens- und Berufsalternativen zu gewährleisten;

– Verbesserungen des Arbeitsschutzes für Kinder: das beinhaltet die Ab-
schaffung von ausbeuterischer, gefährlicher und die Entwicklung des
Kindes schädigender Kinderarbeit, Überwachung der Arbeitsbedingun-
gen, Einhaltung geregelter Arbeitszeiten, Zeit für Erholung und Freizeit
sowie Umsetzung des Rechts auf Bildung und Ausbildung;

– gezielte Aufklärungskampagnen für Familien und Arbeitgeber;

– Einbeziehung von Gemeindevertretern (local leaders) und den Aufbau
von Dorfwachen und Komitees, um zu verhindern, dass Kinderhändler in
den Gemeinden Fuß fassen;

– Lobbyarbeit zum Schutz besonders gefährdeter Gruppen (z. B. Mädchen,
Straßenkinder, ethnische Minderheiten);

– verlässliche Daten in Form von Studien und Erhebungen zu sammeln;

– Rehabilitierung und Unterstützung von „befreiten“ Kindern durch staat-
liche und nichtstaatliche Organisationen.



Sich im Rahmen des Politikdialogs der Bundesregierung und der multilate-
ralen Entwicklungszusammenarbeit dafür einzusetzen, dass in den Partner-
ländern Meldestellen eingerichtet werden mit dem Ziel, dass alle Kinder und
Jugendlichen registriert werden, eine Geburtsurkunde und einen Identifikati-
onsnachweis erhalten.



Sich gemäß den Vorschlägen der Sonderberichterstatterin der Menschen-
rechtskommission für die Einrichtung einer internationalen Stelle einzuset-
zen, bei der alle angegebenen vermissten Kinder erfasst und verfügbare Da-
ten zu ihrer Identifizierung zur Verfügung gestellt werden.



Das Zusatzprotokoll zur Kinderrechtskonvention „Kinder in bewaffneten
Konflikten“ und das Zusatzprotokoll zu „Kinderhandel, Kinderprostitution
und Kinderpornographie“ zu ratifizieren und damit u. a. sicherzustellen,
dass bestimmte Tatbestände bezüglich Verkauf von Kindern, Kinderporno-
graphie und -prostitution in den Beitrittsstaaten unter Strafe gestellt und
international strafrechtlich verfolgt werden können.



Das „Übereinkommen über das Verbot und unverzügliche Maßnahmen zur
Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit“, Nr. 182, der Inter-
nationalen Arbeitsorganisation (IAO) umgehend zu ratifizieren.



Die Haager „Übereinkunft über den Schutz von Kindern und die Zusam-
menarbeit auf dem Gebiet grenzüberschreitender Adoption“ zu ratifizieren
und damit die Zusammenarbeit zwischen Herkunfts- und Aufnahmestaaten
zum Wohl der betroffenen Kinder zu verbessern, z. B. durch die Verpflich-
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tung, eine Zentrale Behörde einzurichten. Im Rahmen des Umsetzungspro-
zesses muss ebenfalls eine Regelung dahingehend gefunden werden, dass
bei so genannten Drittstaatenvermittlungen die Schutzmechanismen der
Haager Konvention nicht umgangen werden können.

Berlin, den 28. September 2000

Dr. Peter Struck und Fraktion
Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und Fraktion

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