BT-Drucksache 14/4098

Präimplantationsdiagnostik rechtlich absichern

Vom 15. September 2000


Deutscher Bundestag

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14. Wahlperiode

15. 09. 2000

Antrag

der Abgeordneten Detlef Parr, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Dr. Irmgard Schwaetzer,
Dr. Dieter Thomae, Hildebrecht Braun (Augsburg), Rainer Brüderle, Ernst
Burgbacher, Jörg van Essen, Ulrike Flach, Hans-Michael Goldmann, Dr. Karlheinz
Guttmacher, Klaus Haupt, Ulrich Heinrich, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer,
Ulrich Irmer, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto
(Frankfurt am Main), Dr. Max Stadler, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion
der F.D.P.

Präimplantationsdiagnostik rechtlich absichern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das unter ethischen Gesichtpunkten sensible Thema der Fortpflanzungsmedi-
zin ist in der Bundesrepublik Deutschland durch die Erinnerung an die Rassen-
Eugenik des Nationalsozialismus historisch belastet. Mit dem dynamischen
medizinischen Fortschritt gerade in der Humangenetik und der Reproduktions-
medizin verbinden sich neue Herausforderungen an Gesellschaft und Politik.
Sie betreffen auch die Forschungsfreiheit und den Forschungsstandort Deutsch-
land, der trotz seiner hervorragenden Tradition gerade im medizinischen Be-
reich international an Boden verloren hat.

Die in Deutschland umstrittene Präimplantationsdiagnostik eröffnet durch die
Konsequenz einer Aussonderung genetisch geschädigter Embryonen neue Vor-
gehensdimensionen und ist deshalb mit schwierigen ethischen Fragen verbun-
den. Durch die Präimplantationsdiagnostik ist es möglich, bei einem künstlich
erzeugten Embryo (in vitro) bereits in einer sehr frühen Entwicklungsphase
schwere genetische Schädigungen nachzuweisen und die Einpflanzung in die
Gebärmutter deshalb zu unterlassen.

Die pränatale Diagnostik, die in Deutschland seit Jahren in wachsendem Maße
wegen genetischer Risiken praktiziert wird, erfolgt dagegen erst, wenn eine
Schwangerschaft besteht. In Fällen einer genetischen Disposition kann die
Schwangerschaft durch die Pränataldiagnostik mit der Möglichkeit eines we-
gen Gesundheitsgefährdung der Mutter eingeleiteten, nachfolgenden Schwan-
gerschaftsabbruches zu einer „Schwangerschaft auf Probe“ werden. Das bedeu-
tet für genetisch prädisponierte Paare allerdings eine sehr große seelische und
körperliche Belastung. Um diese Konflikte zu vermeiden, bleibt für Paare mit
Kinderwunsch, aber hohen genetischen Risikofaktoren, nur der Verzicht auf
leibliche Kinder oder die Adoption.
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Im Zentrum der ethischen Diskussion steht also die Frage, ob es zulässig ist, die
Lebenschance von in vitro erzeugten Embryonen unter einen Vorbehalt zu stel-
len und damit eine bedingte Zeugung vorzunehmen, die die Möglichkeit einer
Verwerfung eines genetisch geschädigten Embryos beinhaltet. Es fragt sich, in-
wieweit Menschenwürde und Lebensrecht des werdenden Lebens in seinen
Entwicklungsphasen einer ethisch-rechtlichen Güterabwägung zugänglich sind.
Diese Konstellation kann nur unter Berücksichtigung des grundsätzlichen Kin-
derwunsches des behandelten Paares überhaupt zu einer ethisch ausgewogenen
Abwägung führen. Die schwerwiegenden Entscheidungen, die auf dem betrof-
fenen Paar und dem behandelnden Arzt lasten, müssen rechtlich eindeutig ab-
gesichert werden.

Nach der derzeitigen Rechtslage (Embryonenschutzgesetz von 1990) ist der
Schutz des künstlich gezeugten Embryos bis zur Einnistung in der Gebärmutter
wesentlich weiter gefasst als der des natürlich gezeugten Embryos in derselben
Frühphase und vor allem des weiterentwickelten Embryos bzw. Fötus im Mut-
terleib (Recht des Schwangerschaftsabbruchs nach den §§ 218 ff. StGB).

Einer ethischen Bewertung bedürfen auch Aspekte, die sich aus dem Verfahren
der Präimplantationsdiagnostik ergeben. So ist die Anwendung der In-vitro-
Fertilisation für die Präimplantationsdiagnostik unverzichtbar. Der Anwen-
dungsbereich der extrakorporalen künstlichen Befruchtung, der bisher auf
Störungen der Fertilität beschränkt war, erfährt also eine Ausweitung im Sinne
einer genetischen Indikation. Auch stellt sich die Frage nach dem Umgang mit
den bei der In-vitro-Fertilisation erzeugten Embryonen, die nicht in die Gebär-
mutter transferiert werden.

Die Präimplantationsdiagnostik ist ein Teilbereich des großen Themenkomple-
xes, der sich durch die neuen Methoden der Humangenetik und der Gentechnik
ergibt. Er bedarf eines breiten gesellschaftlichen Dialogs, der auf die Frage eine
Antwort finden muss, ob in der Bundesrepublik Deutschland zukünftig For-
schung mit menschlichen Embryonen in wie auch immer begrenztem Umfang
zugelassen werden soll oder nicht. Diese und weitere zentrale Aspekte sind
parallel zu den Teilbereichen in einer Grundsatzdiskussion zu klären.

Zehn Staaten der Europäischen Union lassen die Präimplantationsdiagnostik
bereits zu. Weltweit wurde die Methode bei mehr als 1300 Paaren angewendet;
mehr als 424 Kinder wurden danach geboren.

Die Ethik-Kommission des Landes Rheinland-Pfalz hat 1999 zur Präimplanta-
tionsdiagnostik Stellung genommen und erachtet sie in einem eng beschriebe-
nen Rahmen für ethisch und rechtlich zulässig. Allerdings müssten die Grund-
voraussetzungen der Präimplantationsdiagnostik gesetzlich geregelt werden,
weil sie wesentlich für das Ausmaß des Grundrechtsschutzes seien. Die Bun-
desärztekammer hat im Februar dieses Jahres einen Richtlinienentwurf zur Dis-
kussion gestellt, der eine eng umgrenzte berufsrechtliche Zulassung der Präim-
plantationsdiagnostik anstrebt.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, den Umgang mit
der Präimplantationsdiagnostik im Rahmen eines Fortpflanzungsmedizingeset-
zes zu regeln. Hierbei sind der Stand der medizinischen Wissenschaft und der
ethischen Diskussion zugrunde zu legen. Insbesondere ist die Möglichkeit zu
würdigen, mit Hilfe der Präimplantationsdiagnostik zum frühestmöglichen
Zeitpunkt schwerste genetische Schädigungen von Kindern zu verhüten sowie
genetisch schwer vorbelasteten Paaren mit Kinderwunsch diese Methode der
Fortpflanzung in Deutschland zu eröffnen, während das unter den derzeitigen
Bedingungen nur für wenige Paare im Ausland möglich ist.
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Berechtigten ethischen Bedenken wäre gegebenenfalls durch strenge Eingren-
zung der Nutzungsmöglichkeiten der Präimplantationsdiagnostik Rechnung zu
tragen. Eine Kodifizierung strenger, medizinischer Zulassungskriterien sowie
eine zivilrechtliche Würdigung und strafrechtliche Bewehrung müssen ein ho-
hes Schutzniveau und Rechtssicherheit für alle Beteiligten garantieren. Gleich-
zeitig ist zu gewährleisten, dass der Respekt vor Menschen mit geistigen, seeli-
schen oder körperlichen Beeinträchtigungen in vollem Umfang erhalten bleibt.

Berlin, den 15. September 2000

Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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