BT-Drucksache 14/4069

Reform der internationalen Finanzarchitektur

Vom 12. September 2000


Deutscher Bundestag

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14. Wahlperiode

12. 09. 2000

Antrag

der Abgeordneten Ursula Lötzer, Dr. Barbara Höll, Rolf Kutzmutz, Dr. Christa Luft,
Carsten Hübner, Dr. Winfried Wolf, Dr. Uwe-Jens Rössel, Eva-Maria
Bulling-Schröter, Uwe Hiksch, Gerhard Jüttemann, Christine Ostrowski, Kersten
Naumann, Rosel Neuhäuser und der Fraktion der PDS

Reform der internationalen Finanzarchitektur

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Im Zuge der Finanzmarktkrisen seit 1997 verstärkte sich die Kritik am Interna-
tionalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank. Deren Antworten auf die
Krisen in Asien, Russland und Lateinamerika, aber auch die Instrumente der
Krisenprävention stellten sich als unzureichend heraus. Unstrittig ist, dass die
vorgeschlagenen Politikrezepte und das Agieren von IWF und Weltbank zur
Verschärfung der sozialen Probleme in den betroffenen Ländern beitrugen.
Infolge dessen wurden zahlreiche Vorschläge zur Reform der internationalen
Finanzarchitektur von Regierungen, Internationalen Organisationen und For-
schungsinstituten vorgestellt. Die Vorschläge betrafen sowohl die Institutionen
und deren Aufgaben als auch die über sie durchgesetzte Wirtschaftspolitik. Die
Zeit wurde trotz der Dringlichkeit und der Gefahren, die von instabilen Finanz-
märkten ausgehen, jedoch kaum genutzt. Politische Handlungen zur umfassen-
den Reform, die das Problem der Verschuldung von Entwicklungs- und
Schwellenländern und die zentrale Rolle der Industrieländer thematisieren
müssten, unterblieben. Alle bisherigen Reformschritte sind unzureichend, da
sie sich zu stark auf mikroökonomische Verbesserungen, vor allem in den Ent-
wicklungs- und Schwellenländern, konzentrierten und nicht den Kern von
Finanzmarktkrisen berühren (Report of the Managing Director to the Interim
Committee on Progress in Strengthening the Architecture of the International
Financial System; September 1999).

Die international agierenden Finanzinstitute und Konzerne sind zu einer Macht
geworden, die zunehmend die Politik bestimmt. Immer mehr Lebensbereiche
sind davon betroffen, obwohl die gefällten Entscheidungen nicht demokratisch
legitimiert sind. Mit der Drohung, auf einen anderen Standort oder in eines der
Steuerparadiese und Offshore-Zentren auszuweichen, verfügen Finanzkon-
zerne und Kapitalbesitzer über ein Erpressungspotential, mit dem sie die Politik
gewählter Parlamente disziplinieren können. Dieses Problem besteht aufgrund
der Liberalisierung des Kapitalverkehrs für alle Länder.
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Trotzdem hat sich in den letzten Jahren die Reformdiskussion geändert, denn
die westlichen Regierungen, Banken und Unternehmen sehen offensichtlich für
sich selbst immer weniger Handlungsbedarf. Nachdem die jüngsten Krisen in
den Schwellen- und Entwicklungsländern nicht zur Ansteckung der eigenen
Volkswirtschaften führten und die negativen Wirkungen in den Industrielän-
dern relativ begrenzt blieben, ließ auch die Bereitschaft merklich nach, die poli-
tische Verantwortung für die Krise zu übernehmen. Während man zu Beginn
der Krise noch bereit war, weitergehende Reformen vorzunehmen, ist heutzu-
tage nur noch von Korrekturen in den Entwicklungs- und Schwellenländern die
Rede. In der bisherigen Reformdiskussion zeigt sich die unterschiedliche Ge-
wichtung der Interessen: Auf der einen Seite stehen die G-7-Staaten, die den
Krisen- und Schuldnerländern nicht nur die Kosten der Finanzmarktkrisen auf-
bürden, sondern in diesen Ländern die Hauptursachen der Probleme ausmachen
und die alleine die Verantwortung für die Krisen hätten. Auf der anderen Seite
können die Entwicklungs- und Schwellenländer aufgrund des unterschiedlich
gewichteten Stimmverhältnisses im IWF und der Weltbank keine Vorschläge
durchsetzen, die die Industrieländer zu einer veränderten Wirtschafts- und Fi-
nanzpolitik zwingen würde, die zukünftige Krisen minimieren könnten. Diese
Art der Verteilung der Verantwortung führt damit nicht nur in handelspoliti-
schen Fragen zur Ungleichheit, sondern drückt sich auch in der Diskussion um
eine neue internationale Finanzarchitektur aus.

Fragen zur Zukunft von IWF und Weltbank ergeben sich nicht erst durch den
„Meltzer-Bericht“ des US-Finanzministeriums (International Financial Institu-
tion Advisory Commission). Die Diskussion um eine neue Finanzarchitektur
bekommt durch die dort enthaltene marktradikale Kritik aber eine zusätzliche
Komponente, die über Finanzmarktkrisen und ihre Prävention hinausweist. Die
geforderte Reduzierung der öffentlichen Entwicklungshilfe, die Konzentration
der Kreditvergabe auf die ärmsten Länder und eine Verknüpfung von Schul-
denerlass mit einer vorherigen Strukturanpassung wird den Problemen der glo-
balen Ungleichheit nicht gerecht. Unterstellt wird, dass die benötigten Finanz-
mittel für eine soziale, nachhaltige Entwicklung durch private Kreditgeber oder
die Finanzmärkten zur Verfügung gestellt werden könnten. Dies ist jedoch un-
realistisch. Es gibt eine klare Konzentration des privaten Kapitals auf wenige
Länder, die auf steigende Privatkredite und Direktinvestitionen zurückgreifen
könnten. Mehr als 130 Länder haben nicht diesen Zugang bzw. in diese Länder
fließt kein Kapital trotz liberalisierter Finanzmärkte. Damit sind sie mehr als
zuvor auf die öffentliche, staatlich organisierte bi- und multilaterale Entwick-
lungshilfe angewiesen. Gleichzeitig bestätigt der „Meltzer-Bericht“ die seit
Jahrzehnten vorgebrachte internationale Kritik von Nichtregierungsorganisatio-
nen und zahlreichen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlern, dass der IWF in
den letzten 25 Jahren statt ökonomisches Wachstum zu befördern, wirtschaftli-
che Stagnation verursachte. Auch die Weltbank hat, gemessen an ihrem Auftrag
der Reduzierung weltweiter Armut, komplett versagt. Richtig festgestellt wird
außerdem, dass beide Institutionen die Schlüsselinstitutionen sind, mit denen
die G-7-Staaten ihre Interessen durchsetzen. Für den IWF gilt speziell, dass er
primär nach US-Vorgaben handelt.

Die Generalversammlung von IWF und Weltbank vom 25. bis 29. September
2000 in Prag sollte genutzt werden, umfassende Reformen auf den Weg zu
bringen. Die Bundesrepublik Deutschland und die Europäische Union haben
dabei eine besondere Verantwortung aufgrund ihrer Wirtschaftskraft und ihres
kumulierten Stimmanteils im IWF. Die Bundesregierung könnte hier eine zen-
trale Rolle in der Diskussion um die Ausrichtung der Institutionen und einer
neuen Finanzarchitektur einnehmen, die erste Schritte für eine sozial gerechte
Weltwirtschaftsordnung umsetzt. Bisher fehlt jedoch ein umfassendes Konzept
der Bundesregierung und es ist unklar, wie sie die im Kontext der Konferenz
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„Regieren im 21. Jahrhundert“ erhobene Forderung nach einer Regulierung der
internationalen Finanzmärkte, umsetzen will. Ein zielführendes Konzept
müsste die Reform von IWF und Weltbank, die Regulierung der internationalen
Finanzmärkte und die Überwindung der globalen Ungleichheit miteinander
verbinden. Die Fraktion der PDS hat solche Vorschläge bereits im Vorfeld des
Weltwirtschaftsgipfels 1999 der G8 in Köln (Bundestagsdrucksache 14/954)
und der 3. Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation in Seattle (Bundes-
tagsdrucksache 14/1834) eingebracht.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich für grundsätzliche Reformen von IWF und Weltbank einzusetzen,

– die zur Erhöhung der Transparenz und Verminderung von Finanzmarkt-
risiken führen (Rechenschaftspflicht der Institutionen und unabhängige
Evaluation);

– die zur Demokratisierung der Entscheidungen führen, indem das Stimm-
recht der Entwicklungs- und Schwellenländer stärker als bisher gewichtet
wird;

– die engere Anbindung an die Vereinten Nationen gewährleisten, eine Re-
chenschaftspflicht ihr gegenüber einführen und damit das vorwiegend an
den Interessen der Industrieländer und v. a. der USA ausgerichtete, sozial
kontraproduktive Agieren von IWF und Weltbank zu beenden;

– die eine strikte Aufgabentrennung der Institutionen vorsieht, indem u. a.
die verfehlten IWF-Kreditkonditionalitäten aufgehoben und durch Aufla-
gen zur Einhaltung der Menschenrechte und der friedlichen Koexistenz
ersetzt und die Eingriffe in die Wirtschafts- und Sozialpolitik des kredit-
nehmenden Landes beschränkt werden;

– indem der IWF sich langfristig aus der Entwicklungsfinanzierung zu-
rückzieht und sich auf sein Kernmandat, kurzfristige Zahlungsbilanzdefi-
zite und Liquiditätskrisen auszugleichen und die Stabilität der internatio-
nalen Währungsbeziehungen zu gewährleisten, konzentriert;

– die zur Abschaffung der Strukturanpassungsprogramme und aller damit
verbundenen Instrumente dienen (ESAF, PRGF, PRSP);

– die dabei jedoch die Zuständigkeit des IWF nicht so erweitern, dass die
Liberalisierung der nationalen Finanzsysteme für Auslandskapital zu sei-
nen Aufgaben zählen würde, und den Artikel VI des IWF-Statuts (Mög-
lichkeit der Beschränkung des Kapitalverkehrs) unverändert beizubehal-
ten;

– die eine Abkehr von der primären Politik der Liberalisierung des nationa-
len Kapitalmarktes unterstützen und stattdessen Empfehlungen zur Ein-
führung bzw. Beibehaltung von Kapitalverkehrskontrollen abgeben, die
den kurzfristigen Zu- und Abfluss regulieren;

– welche bei der Kreditvergabe (privat und öffentlich) Bestimmungen zur
Umschuldung (z. B. von kurzfristiger auf langfristige Laufzeiten bei ver-
änderten Zinssätzen) und zur Aussetzung der Zahlungen im Krisenfall
enthalten, um damit Liquiditätsprobleme in den Ländern und Beistands-
kredite zur Finanzierung privater Ausfälle (bail-out) zu verhindern;

– die in Verbindung mit der UNCTAD und anderen UN-Organisationen
zum Aufbau eines internationalen Insolvenzrechts für verschuldete
Staaten führen sollen;
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2. prozessuale und weitere institutionelle Reformen vorzuschlagen,

– die zur Verbesserung der internationalen Banken- und Kreditaufsicht füh-
ren und eine Zulässigkeit der Intervention beinhalten;

– die zur Schaffung einer internationalen Kreditversicherung führen, um
eine exzessive Kreditvergabe vor allem an „highly leveraged institution“
(Hedgefonds) zu verhindern und private Risiken privat abzusichern und
die Verluste, nicht wie bisher, auf den Steuerzahler abzuwälzen;

– die Empfehlungen des Financial Stability Forums (Report of the Working
Group on Highly Leveraged Institutions) aufgreifen und weiterentwi-
ckeln, damit der Kredithebel zu Spekulationszwecken für Hedge Fonds
eingeschränkt wird;

– mit dem Ziel des Verbots bestimmter Derivatgeschäfte, die ökonomisch
keine Funktion haben und nur der Spekulation dienen;

– um anknüpfend an den jüngsten OECD-Report (Towards Global Tax
Cooperation – Progress in Identifying and Eliminating Harmful Tax
Practices) und des Financial Stability Forums (Report of the Working
Group on Offshore Financial Centres) Maßnahmen zu ergreifen, die Off-
shore-Finanzzentren abzuschaffen bzw. die Banken und Finanzinstitu-
tionen mit Sanktionen zu belegen, die Geschäfte mit diesen tätigen;

– die eine Bardepotpflicht für Kredite aus dem Ausland mit kurzer Lauf-
zeit und/oder der Einführung einer Kapitalverkehrsteuer (Tobin-Steuer/
Transaktionsteuer/Witholding Tax) ermöglichen bzw. im Rahmen der
G7 umsetzen, um die kurzfristigen spekulativen Kapitalströme zu ver-
ringern;

– die eine Wechselkursstabilisierung zwischen den Währungen der G3
(US-Dollar, Euro, Yen) ermöglichen;

3. einen wirtschaftspolitischen Kurswechsel einzuleiten und auf internationaler
Ebene zu flankieren,

– der auf einer koordinierten, nachfrageorientierten Wirtschafts- und Fi-
nanzpolitik zwischen den G7-Ländern aufbaut;

– der eine Verständigung über internationale Maßnahmen zum langfristi-
gen Ausgleich von Leistungsbilanzen befördert und das Problem einer
strukturellen Verschuldung vermeidet;

– der den Entwicklungs- und Schwellenländern die Möglichkeit bietet, sich
verstärkt um die Sicherstellung und Verbesserung der Basisversorgung
(Ernährung, Medizin, Ausbildung) und dem Aufbau nachhaltiger sozialer
und ökonomischer Strukturen einzusetzen und eine primäre Ausrichtung
auf die Exportorientierung vermeidet;

– der eine Entschuldung der Entwicklungsländer initiiert und eine Schul-
denstreichung beinhaltet, die es ihnen ermöglicht, eine nachhaltige Wirt-
schafts- und Sozialpolitik zu entwickeln.

Berlin, den 12. September 2000

Dr. Gregor Gysi und Fraktion
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Begründung

1. Ziel bei der Gründung des Bretton-Woods-Systems nach dem Zweiten Welt-
krieg war die Gewährleistung eines Aufschwungs der internationalen Han-
delspolitik durch Stabilisierung der Wechselkurse, so dass im Inland nicht
mit massiven Währungs- und Preisschwankungen gerechnet werden musste.
Zu diesem Zweck wollte die Staatengemeinschaft unter Führung der USA
und Großbritannien ihre internationalen wirtschaftlichen Beziehungen zur
Finanzierung des Wiederaufbaus sowie des zwischenstaatlichen Zahlungs-
verkehrs einschließlich der Währungspolitik in eine institutionelle Form
bringen und schuf den IWF und die Weltbank. Aus diesem Gründungskon-
sens bildete sich die Aufgabe des IWF heraus, seine Mitgliedstaaten vor
allem vor Währungskrisen zu schützen und einzelnen Staaten die Möglich-
keit zu geben, kurzfristige Zahlungsbilanzdefizite durch Kreditaufnahme
auszugleichen. Ursprüngliches Ziel der Kreditvergabe war die Stabilisierung
der heimischen Währungen und der Wechselkurse, um so eine nationale
Wachstums- und Beschäftigungspolitik international abzusichern.

2. Mit dem Zerfall des in den IWF-Statuten festgelegten Systems der festen
Wechselkurse und der steigenden Verschuldung vieler Entwicklungsländer
konzentrierte sich der IWF zunehmend auf die Aufgabe, der Einflussnahme
und der wirtschaftspolitischen Beaufsichtigung der Entwicklungsländer.
Dieser Einfluss entsteht in zweierlei Hinsicht: Erstens greifen seine Aufla-
gen bei der Kreditvergabe in die Innenpolitik der Kreditnehmer ein. Zwei-
tens hat jeder IWF-Kredit für private Kreditgeber und transnationale Kon-
zerne eine Signalfunktion. Länderspezifische Auflagen des IWF können
wiederum nur gemacht werden, wenn Einblick in die internen Strukturen ge-
währt wird und eine klare Vorgabe von angestrebten wirtschafts- und sozial-
politischen Zielen besteht. Hierauf abgestimmt werden die Mittel vergeben,
um die Ziele mit den dafür als notwendig angesehenen Instrumenten zu er-
reichen. Durch diese Struktur werden den Ländern, die aus unterschiedlichs-
ten Gründen mit dem IWF und der Weltbank zusammenarbeiten, Vorgaben
für ihre Entscheidungen gemacht. Die Souveränität, mittels demokratischer
Entscheidungen über die Ziele der nationalen Wirtschafts- und Sozialpolitik
zu bestimmen, wird damit letztendlich außer Kraft gesetzt. Intransparenz bei
der Kreditvergabe und eine harte Konditionalität für das Schuldnerland sind
Kernbestandteil jeder IWF-Beistandsverhandlung. Über die Kreditvergabe
und daraus abgeleitete Verpflichtungen werden folgende Ziele zur Struktur-
anpassung durchgesetzt: Kürzung der Staatsausgaben durch eine restriktive
Fiskal-, Geld- und Kreditpolitik; Abwertung (Wechselkurskorrektur) der
Währung; Abbau von Handelsbeschränkungen (Liberalisierung) und Ex-
portorientierung; Deregulierung von Märkten und Preisen, was zur Abschaf-
fung von Preissubventionen für Grundbedarfsartikel führt; Privatisierung
und institutionelle Reformen in der staatlichen Verwaltung, in den Staatsbe-
trieben und Unterstützung der produktiven Ressourcen (good governance).
Die Ergebnisse dieser Politik sind jedoch ernüchternd. Statt wirtschaftli-
chem Aufschwung und Wachstum ergeben sich in den meisten Fällen nur
ökonomische Stagnation, zunehmende Armut und Einkommenskonzentra-
tion. Für Afrika und Lateinamerika sind dies die Erfahrungen in den 80er
und 90er Jahren, was auch die interne Evaluation von IWF/Weltbank bestä-
tigt.

3. Gemessen an den erklärten Zielen, vor allem der Armutsbekämpfung, ist die
Politik der Weltbank ebenso gescheitert. Ihre Kreditvergabe konzentrierte
sich in der Vergangenheit auf 11 Länder (70 %), wobei die weiteren 145
Mitgliedsländer der Weltbank die verbleibenden 30 % der Mittel unter sich
aufteilten. 80 % der gesamten Kredite flossen nicht an arme Länder, denen
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der Zugang zu privatem Kapital durch negative Ratings verbaut ist, sondern
an „reichere“ Länder, die die benötigten Mittel ebenso am privaten Kapital-
markt hätten aufnehmen können. Nach interner Evaluation des Ziels, einen
positiven Entwicklungsbeitrag zu leisten, die Armut zu reduzieren und die
Verschuldung zu verringern, sind ca. 60 % der gesamten Projekte fehlge-
schlagen. Diese Fehlerrate ist besonders hoch in den ärmsten Ländern, also
den Hauptzielgebieten der Weltbankprogramme, wo sie ca. 70 % beträgt.
Alles in allem zeichnen sich der IWF und die Weltbank durch eine falsche
und sozial schädliche Politik aus, die nichts mit den selbstgesetzten Zielen
zu tun haben. Der IWF hat seine ursprüngliche Aufgabe, der Sicherung
weltweiter Liquidität zur Garantie von Währungs- und Wechselkursstabilität
angesichts der seit den 70er Jahren häufiger auftretenden Finanzmarktkrisen
verfehlt.

4. Die bisher vorgeschlagenen Instrumente zur Krisenprävention sind untaug-
lich, da die wirtschafts- und finanzpolitischen Empfehlungen des IWF selbst
eine wesentliche Ursache für die Krisen sind. Dazu zählen das Drängen auf
freie Wechselkurse bzw. die Anbindung der nationalen Währung an den
Dollar (eine Leitwährung, die in Konkurrenz zu anderen Währungen steht),
die Liberalisierung der nationalen Finanzmärkte und die Deregulierung trotz
nicht vorhandener institutioneller Rahmenbedingungen. Daneben griff die
über den IWF durchgesetzte Konsolidierungspolitik nach und während der
Krise 1997 auf die falschen Instrumente zurück, denn das Kernproblem war
gerade nicht die steigende Staatsverschuldung. Massive weltweite Kapita-
lumschichtungen und „exzessive Liquidität“ (Bank für Internationalen Zah-
lungsausgleich 1998/99) führten zum Zusammenbruch der Wechselkurse,
der Abwertung und dem Einsatz der Währungsreserven für Stützungskäufe
und zur Stabilisierung der heimischen Wirtschaft. Die Verursacher aus den
Industrieländern wiederum (private Akteure, Banken, Unternehmen und Fi-
nanzinstitutionen) konnten durch die Hilfsaktionen des IWF im Vergleich zu
den Entwicklungsländern diese Krise relativ gut überstehen. Der Effekt da-
von ist die stärkere „Konsolidierung“ der Staatshaushalte und die Restruktu-
rierung des Unternehmenssektors, was durch Massenarbeitslosigkeit, Lohn-
zurückhaltung und soziale Einschnitte finanziert wird. Die Armut steigt und
die Entwicklungserfolge der letzten Jahre sind vernichtet. Die Weltbank
kann hier nur wenig helfen, denn sie ist gekennzeichnet durch eine Politik,
in der die Kreditvergabe aus den eigenen institutionellen Vorgaben und den
Bedürfnissen der Industriestaaten abgeleitet wird. Die Projekt- und Pro-
grammförderung verfehlen ihre Ziele, sind selten nachhaltig konzipiert und
stehen häufig in Konkurrenz zu Projekten und Programmen der regionalen
Entwicklungsbanken.

5. Ein Kernproblem, das angegangen werden muss, ist die Verschuldungssitua-
tion in den Entwicklungsländern. Das Verhältnis von Schuldendienst zu
Schuldenstand lag für diese Länder in der ersten Hälfte der 90er Jahre bei
12,7 % und stieg in den letzten beiden Jahrzehnten auf 16,5 % (IWF, World
Economic Outlook 1999). Ein ähnlicher Trend besteht für die Relation von
Schuldendienst und Exporterlösen. Die Finanzmarktkrisen haben diese Si-
tuation zusätzlich verschärft, da die Abwertung gegenüber dem US-Dollar
es notwendig macht, einen erheblich größeren Betrag zur Rückzahlung auf-
zubringen. Damit wächst der Anteil des Sozialprodukts, gemessen in inlän-
discher Währung, der zum Schuldendienst verwendet werden muss. Die so-
fortige Schuldenstreichung, wie sie auch der „Meltzer-Report“ für die
ärmsten Länder vorschlägt, wäre ein erster Schritt, um die Notwendigkeit
nach massivem Kapitalzufluss in die Entwicklungs- und Schwellenländer zu
begrenzen. Die auf dem Weltwirtschaftsgipfel 1999 in Köln angekündigte
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Schuldeninitiative hingegen hat bisher zu keinen Ergebnissen geführt und
wird auch in Zukunft die Probleme nicht lösen können.

6. Strukturelle und mikroökonomische Reformen (Transparenzerhöhung, bes-
sere Finanzmarktaufsicht, Herstellung institutioneller Rahmenbedingungen
etc.) reichen allein nicht aus, um die Stabilität der Finanzmärkte und des in-
ternationalen Finanzsystems zu erhöhen. Waren bis Anfang der 70er Jahre
die Zins- und Wechselkursrisiken aufgrund des Systems fester Wechselkurse
gering, so entfiel diese makroökonomische Stabilität mit der Freigabe der
Wechselkurse. Die damit verbundene Einschätzung, bei flexiblen Wechsel-
kursen würden die Märkte von sich aus zu einem Gleichgewicht tendieren
und damit eine Wechselkursstabilität erzeugen, hat sich als falsch erwiesen.
Ergebnisse sind stattdessen Fehlentwicklungen an den Devisenmärkten, In-
formationsasymetrien und die Zunahme von Sicherungsgeschäften gegen
Währungs- und Zinsschwankungen, was sich in steigenden Umsätzen auf
den Finanzmärkten niederschlägt. Um diese und andere Fehlentwicklungen
zu reduzieren, bedarf es Wechselkursen, die sich annähernd an ökono-
mischen Fundamentaldaten orientieren. Fehlt dies, führen übermäßige
Schwankungen an den Devisenmärkten zu negativen Auswirkungen in an-
deren Teilen der Finanzmärkte und zu massiven gesamtwirtschaftlichen Stö-
rungen auf den Güter- und Arbeitsmärkten, die im Zuge der internationalen
Vernetzung weltweit wirksam werden können.

Zur Lösung der Probleme sind eine makroökonomische Koordinierung und
Stabilisierung der Wechselkurse, mit dem Ziel, eine sozial und ökologisch
verträgliche Entwicklung zu ermöglichen, notwendig. Hierzu bedarf es vor
allem der politischen Bereitschaft, eine koordinierte Absprache zwischen
den Regierungen der großen Währungsblöcke (US-Dollar, Euro, Yen) zu
erreichen. Nebensächlich wäre dabei der Begriff, mit dem dieser Ansatz
belegt würde (Zielzonen, gestaltete Wechselkursflexibilität oder managed
floating). Das grundsätzliche Problem muss angegangen werden: Wechsel-
kurstrends, die sich vom internationalen Inflations- und Zinsgefälle lösen,
sind ein Störfaktor für das Erreichen gesamtwirtschaftlicher Ziele in den
einzelnen Ländern sowie für die Weltwirtschaft insgesamt. Sie erzeugen
Spannungen, die später zu ruckartigen Kurskorrekturen an den Devisen-
märkten mit einem Überschießen der Wechselkurse führen. Bei der Stabili-
sierung der Wechselkurse kann angeknüpft werden an die Erfahrungen der
Zentralbanken bei ihrer Festlegung der Geldmengenziele. Es ist nicht er-
sichtlich, warum diese Praxis der Zentralbanken hinsichtlich des Geldmen-
genwachstums sich als erfolgreich erwiesen hat und ein vergleichbares Vor-
gehen bei der Bestimmung von Referenzwerten für Wechselkurse der drei
großen Währungen scheitern muss. Genau hier ist die Politik gefragt, die die
Globalisierung durch eine internationale Koordinierung ergänzt, um das per-
manente Marktversagen zu begrenzen.

7. Destabilisierende Spekulationen aufgrund von „Herdenverhalten“ der An-
leger führte mit zu den übermäßigen Marktausschlägen aufgrund von kurz-
fristigen massenhaften Kapitalab- und -zuflüssen. Hier spielen die institu-
tionellen Anleger und kurzfristige Kredite eine herausragende Rolle. Ihre
finanzielle Verflechtung mit dem Bankensystem ist entscheidend, da ihnen
hohe Bankkredite zur Verfügung gestellt werden, die sie als „Kredithebel“
nutzen können. Da Spekulation in der Regel nicht mit eigenem, sondern mit
geliehenem Geld erfolgt, kann vermutet werden, dass derartige Kredite ins-
besondere an Hedge- und Investmentfonds vorwiegend der kurzfristigen Fi-
nanzspekulation dienen. Demnach ist die Kreditvergabe zu verteuern z. B.
durch die Erhöhung der Eigenkapitalquoten für rein projektunspezifische
Forderungen der Banken, d. h. für Bankkredite, die nicht zweckgebunden
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sind für z. B. Konsumgüterkäufe, Investitionen, Handelsfinanzierung. Die
Banken werden die Kosten für die Haltung höherer Eigenkapitalquoten an
die Kreditnehmer weitergeben, so dass sich ihr Engagement verteuern und
damit vermindern wird. Gleichzeitig ist eine Verbesserung der Bankenauf-
sicht unabdingbar, sollen die Instabilitäten, die sich aus der Zahlungsunfä-
higkeit bei Verlusten ergeben, und die damit verbundenen Kettenreaktionen
minimiert werden. Die verbesserte Aufsicht allein greift jedoch zu kurz, da
drei Viertel der Hedgefonds ihren Sitz in Offshore-Finanzzentren haben und
sich so jeder Kontrolle entziehen. Eine Bestrafung von Banken und Finanz-
institutionen, die Geschäfte mit dort ansässigen Institutionen betreiben ist
erforderlich, so lange der rechtsfreie Raum besteht.

8. Auch in den Industrieländern besteht ein grundsätzliches Problem mit de-
regulierten Finanzmärkten; sie stellen die soziale Demokratie in Frage.
Politische Entscheidungen werden zunehmend direkt oder indirekt durch
Finanzinstitutionen und Konzerne beeinflusst, so dass parlamentarisches
Handeln als Nachvollzug von externen Vorgaben wahrgenommen wird. Die
stärkeren ökonomischen Interessen setzen sich durch und verlangen eine
spezielle Wirtschafts- und Sozialpolitik, die sowohl den Arbeitsalltag als
auch das gesellschaftliche Leben der Steigerung des „Sharholder Values“
aussetzt. Dementsprechend wird über die internationalen Fonds eine „Sach-
zwanglogik“ durchgesetzt, die auch in den OECD-Staaten eine Strukturan-
passung mit ähnlichen Instrumenten wie in den Entwicklungs- und Schwel-
lenländern (s. o.) begründet. Die Reform der internationalen Finanzarchitek-
tur muss deshalb die Ansprüche nach demokratischer und sozialer Teilhabe
für alle beinhalten und kann sich nicht allein mit der Krisenprävention und
der institutionellen Reform begnügen. Denn bereits das störungsfreie Funk-
tionieren der Finanzmärkte führt zu massiven gesellschaftlichen Verände-
rungen und Problemen.

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