BT-Drucksache 14/4011

Sofortmaßnahmen zur Sicherung der Existenz von Wohnungsgenossenschaften aus Treuhandliegenschaftsbeständen in den neuen Bundesländern

Vom 23. August 2000


Deutscher Bundestag Drucksache 14/4011
14. Wahlperiode 23. 08. 2000

Antrag
der Abgeordneten Christine Ostrowski, Gerhard Jüttemann, Rolf Kutzmutz,
Kersten Naumann, Rosel Neuhäuser, Dr. Uwe-Jens Rössel, Dr. Ilja Seifert
und der Fraktion der PDS

Sofortmaßnahmen zur Sicherung der Existenz von Wohnungsgenossenschaften
aus Treuhandliegenschaftsbeständen in den neuen Bundesländern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Mit dem Slogan: „Gemeinsam wohnen – Mieter gründen eine Wohnungsgenos-
senschaft“ umwarb in den Jahren 1992 bis 1996 die Treuhandliegenschaftsge-
sellschaft mbH die Mieterinnen und Mieter von bundeseigenen Wohnungen
und Werkswohnungen vor allem an den ehemaligen Industrie- und NVA-Stand-
orten in Ostdeutschland. Ziel war es, die Mieterinnen und Mieter dieser Woh-
nungen für die Bildung von Wohnungsgenossenschaften zu gewinnen, da sich
eine direkte Mieterprivatisierung nicht erreichen ließ und die Treuhandlie-
genschaftsgesellschaft mit der schnellen Verwertung der übernommenen
Wohnungsbestände beauftragt war. Die für die Kaufpreisbildung erstellten
Verkehrswertgutachten sowie die für alle Neugründungen erstellten
Wirtschaftlichkeitsberechnungen, die durch die Treuhandliegenschaftsgesell-
schaft in Auftrag gegeben worden waren und auf deren Grundlage den Grün-
dungsmitgliedern der Genossenschaften auch von den genossenschaftlichen
Prüfverbänden die wirtschaftliche Perspektive testiert und von den Banken auf
dieser Grundlage die entsprechenden Kredite ausgereicht wurden, erweisen
sich jedoch im Nachhinein als Fehleinschätzung, weil

● die Kaufpreise von 350 bis zu 600 DM/m2 Wohnfläche für den Bauzustand
der Gebäude, die wirtschaftliche Lage der Genossenschaftsgründer und im
Vergleich zum regionalen Wohnungsmarkt zu hoch festgelegt wurden;

● die kalkulierten Sanierungsaufwendungen von 500 bis 1 100 DM/m2 die
realen Kosten um 300 bis 500 DM/m2 unterschätzen;

● die vorhersehbare Eigenkapitalschwäche der Genossenschaften unzurei-
chend Beachtung fand;

● die Kaufpreise für den Grund und Boden weit über den Wert lagen, die be-
reits bestehende Wohnungsgenossenschaften für den Ankauf des Grund und
Bodens aufwenden mussten;

● sie unterschätzten, dass die neugegründeten TLG-Wohnungsgenossenschaf-
ten gegenüber den etablierten Wohnungsunternehmen mit einem Sanie-
rungsrückstand von mehreren Jahren antraten und damit von Anfang an ei-
nen Wettbewerbsnachteil hatten.

Drucksache 14/4011 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Die so genannten TLG-Wohnungsgenossenschaften befinden sich auf Grund
ihres Standortes ausschließlich in den wirtschaftlich schwächsten Regionen
Ostdeutschlands in einer sehr schwierigen Lage. Sie haben mit überdurch-
schnittlichen Wohnungsleerständen durch Arbeitslosigkeit und Abwanderung
aufgrund des Abbruchs der Industrie- und Armeestandorte in diesen Gebieten
zu kämpfen. Da Nachfrage ausschließlich nach sanierten Wohnungen besteht,
sind die Genossenschaften zu hoher Verschuldung gezwungen, wenn sie nicht
weiteren Wegzug und weitere Leerstände in Kauf nehmen wollen.

Obwohl in der Regel vergleichsweise hohe Genossenschaftsanteile von 6 000
bis 12 000 DM gezeichnet wurden, lag die Eigenkapitalquote der Genossen-
schaften bei Gründung deutlich unter 20 Prozent und ist infolge der notwendi-
gen Aufnahme hoher Sanierungskredite bei der Mehrzahl der Genossenschaf-
ten nunmehr unter 10 Prozent gefallen.

Darüber hinaus sind die aus TLG-Beständen gegründeten Genossenschaften
von gesetzlich geregelten Vorteilen, die bestehenden Wohnungsunternehmen
zugebilligt wurden, abgekoppelt. Das betrifft das Altschuldenhilfegesetz (Kap-
pung der Altschulden bei 150 DM/m2), das Wohnungsgenossenschaftsvermö-
gensgesetz (Kauf von Grund und Boden für 1 m2 bis 3 m2), die Grunderwerbs-
steuerbefreiung für vereinigungsbedingte Vermögensübertragungen und das
DM-Eröffnungsbilanzgesetz (Aufbau von Sonderrücklagen zur Schaffung von
bilanziellem Eigenkapital). Die schwierige Lage, in die die TLG-Genossen-
schaften durch Anhäufung von Problemen (hoher Leerstand durch Bevölke-
rungsverlust, hohe Arbeitslosigkeit an den Standorten, Eigenkapitalschwäche,
überhöhte Kaufpreise, Wettbewerbsnachteile gegenüber begünstigten Mitbe-
werbern) gekommen sind, kann nicht allein ihren Mitgliedern, den Vorständen
und Geschäftsführungen angelastet werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf:

Die Chancen- und Wettbewerbsgleichheit für die aus bundeseigenen Woh-
nungsbeständen und ehemaligen Werkswohnungen gegründeten Wohnungs-
genossenschaften ist durch gesetzliche und finanzielle Rahmenbedingungen
herzustellen.

Zur Sicherung des Gleichheitsgrundsatzes sind mindestens folgende Maßnah-
men erforderlich:

● Finanzieller Zuschuss bzw. Kaufpreisnachlass auf eine Höhe von 150 DM/m2
Wohnfläche als Ausgleich für die von der Treuhandliegenschaftsgesellschaft
verlangten zu hohen Erwerbskosten

● Erlass der Grunderwerbssteuer

● Übernahme oder Zuschuss zu notwendigen Abrisskosten für einzelne Ob-
jekte und zu den darauf ruhenden Kreditbelastungen

● Gewährung von kostenlosen, modifizierten Ausfallbürgschaften für die
Sicherung von Darlehen und Krediten.

Berlin, den 16. August 2000

Christine Ostrowski
Gerhard Jüttemann
Rolf Kutzmutz
Kersten Naumann
Rosel Neuhäuser
Dr. Uwe-Jens Rössel
Dr. Ilja Seifert
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/4011

Begründung

Es war und ist erklärtes Ziel der Bundesregierung, bundeseigene und ehemalige
Werkswohnungen aus DDR-Zeiten vorwiegend an Mieter und sozial verträg-
lich zu privatisieren. Der vom Gesetzgeber geplante Einzelverkauf der Woh-
nungen an Mieterinnen und Mieter an ehemaligen NVA- und Industriestand-
orten der DDR ging sehr schleppend voran, weshalb der Weg der
Genossenschaftsgründung von der Treuhandliegenschaftsgesellschaft vor- und
eingeschlagen wurde. Die von der Treuhandliegenschaftsgesellschaft empfoh-
lene Gründung von Genossenschaften wurde vorwiegend von älteren Bewoh-
nerinnen und Bewohnern angenommen. Sie haben – im Vertrauen auf eine ge-
sicherte Perspektive ihrer Wohnungsgenossenschaft – mit ihren Ersparnissen
Genossenschaftsanteile von 6 000 bis zu 12 000 DM gezeichnet. Die so ge-
nannten TLG-Genossenschaften bewirtschaften heute ca. 13 000 Wohnungen
und geben damit mehr als rund 25 000 Menschen in den neuen Bundesländern
ein Zuhause.

Inzwischen hat es in diesen Regionen den Zusammenbruch ganzer Wirtschafts-
zweige ohne Arbeitsplatzersatz gegeben, dessen Folge Massenarbeitslosigkeit
und Abwanderung vor allem jüngerer Bewohnerinnen und Bewohner ist.
Durch die weitere demografische Entwicklung vermindert sich die Bevölke-
rung in diesen Regionen. Die Förderung des Wohnungsneubaus verschlechterte
darüber hinaus die Wettbewerbschancen der TLG-Genossenschaften mit ihren
überalterten Beständen in besonderem Maße.

Die gegenwärtige Situation stellt sich für sie wie folgt dar:

● erhebliche Mietausfälle durch hohen und ständig steigenden Leerstand (bis
zu 20 bis 35 %) und daraus folgende außergewöhnliche Leerstandskosten

● extrem hohe Belastungen durch den Kapitaldienst für Kauf und Sanierung

● zusätzliche Kosten durch einen umfangreichen Anteil denkmalgeschützter
Bauten.

Die vorwiegend durch die Treuhandliegenschaftsgesellschaft zu verantworten-
den Geburtsfehler bei der Gründung der TLG-Genossenschaften treten mit zu-
nehmendem Wohnungsleerstand immer deutlicher zutage. Sie überlagern sich
mit struktureller Arbeitslosigkeit und anhaltendem Bevölkerungsrückgang. Der
Negativsaldo zwischen Ausgaben und Einnahmen der TLG-Genossenschaften
wächst weiter. Darüber hinaus sind die TLG-Genossenschaften von gesetzlich
geregelten Begünstigungen anderer Wohnungsunternehmen – z. B. durch das
Altschuldenhilfegesetz, die Grunderwerbssteuerbefreiung, das Wohnungsge-
nossenschaftsvermögensgesetz, das DM-Eröffnungsbilanzgesetz – ausgenom-
men. Dadurch besitzen die aus TLG-Beständen gegründeten Genossenschaften
keine Chancengleichheit. Die Treuhandliegenschaftsgesellschaft selbst ist in-
zwischen zum schärfsten Konkurrenten der von ihr gegründeten Genossen-
schaften geworden. Sie vermietet in ihrem Besitz verbliebene vollsanierte
Wohnungen, z. B. in Böhlen bei Leipzig, zu einem Mietpreis von 9 DM/m2 und
darunter. Zu diesem Mietpreis können die TLG-Genossenschaften ihre sanier-
ten Wohnungen durch hohe Kreditbelastungen nicht anbieten. Viele Mieterin-
nen und Mieter und selbst Mitglieder der Genossenschaften wechseln daher in
die sanierten TLG-Bestände und kündigen ihre Genossenschaftsanteile, was die
Eigenkapitaldecke der Genossenschaften weiter schwächt. Obwohl diese be-
drohliche Lage der Bundesregierung seit langem bekannt ist, hat sie bisher
nichts zur Rettung der Genossenschaften bzw. zu ihrer Unterstützung unter-
nommen. Der Beauftragte der Bundesregierung für die Angelegenheiten der
Neuen Länder, Staatsminister Schwanitz, hat auf entsprechende Hilferufe des
sächsischen Arbeitskreises „TLG-Genossenschaften“ erst nach über einem Jahr
reagiert und zu einer Beratung ins Kanzleramt eingeladen. In Auswertung die-

Drucksache 14/4011 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode
ses Gespräches hat die Treuhandliegenschaftsgesellschaft mbH in Sachsen
ihrerseits eine Wirtschaftsprüfung einzelner Genossenschaften durchgeführt,
deren Ergebnisse noch ausstehen.

Zur Vermeidung weiterer wirtschaftlicher und damit sozialer Instabilität in den
betreffenden Regionen sind die geforderten gesetzlichen Entlastungen und
finanziellen Unterstützungen dringend geboten.

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.