BT-Drucksache 14/3861

Für eine mutige Reform des Internationalen Währungsfonds (IWF)

Vom 7. Juli 2000


Deutscher Bundestag

Drucksache

14/

3861

14. Wahlperiode

07. 07. 2000

Antrag

der Abgeordneten Rainer Brüderle, Gudrun Kopp, Dr. Hermann Otto Solms,
Hildebrecht Braun (Augsburg), Ernst Burgbacher, Jörg van Essen, Ulrike Flach,
Paul K. Friedhoff, Horst Friedrich (Bayreuth), Rainer Funke, Hans-Michael
Goldmann, Dr. Karlheinz Guttmacher, Klaus Haupt, Dr. Helmut Haussmann, Ulrich
Heinrich, Walter Hirche, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Ulrich Irmer,
Dr. Heinrich L. Kolb, Jürgen Koppelin, Günther Friedrich Nolting, Hans-Joachim
Otto (Frankfurt/Main), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig,
Gerhard Schüßler, Marita Sehn, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der F.D.P.

Für eine mutige Reform des Internationalen Währungsfonds (IWF)

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die Berufung Horst Köhlers an die Spitze des Internationalen Währungs-
fonds (IWF) ist ein großer Erfolg für deutsche Bewerbungen um Spitzenpos-
ten bei internationalen Organisationen. Es gibt aber nach dieser erfolgrei-
chen Bewerbung keinen Grund, die Hände in den Schoß zu legen.
Allerdings hat die Öffentlichkeit über die Vorstellungen, die sich die Bun-
desregierung über das künftige Zusammenwirken von IWF, Weltbank und
regionalen Entwicklungsbanken macht, bisher noch nichts Konkretes erfah-
ren können.

2. Oberstes Ziel der Bundesregierung muss es sein, stabile und nachhaltig
funktionierende Finanzmärkte als Motor für Wachstum und Beschäftigung
zu sichern. Dabei kommt dem IWF eine zentrale Rolle zu. Dies erlaubt we-
der eine bloße Rückkehr zu den dem IWF bei seiner Gründung zugedachten
Aufgaben noch seine Wandlung zu einer zweiten Entwicklungshilfeinstitu-
tion.

3. Der IWF hat sich unter dem Vorgänger von Horst Köhler immer mehr in
Fragen der langfristigen Entwicklung betätigt und sich in diesem Bereich fi-
nanziell engagiert und ist dabei gelegentlich sehr schematisch vorgegangen.
Dies geschah vor allem auf das Betreiben der US-amerikanischen Regie-
rung, einiger europäischer Länder und vieler Entwicklungsländer. Die Bun-
desbank hat als eine der wenigen Anteilseigner, unterstützt durch die alte
Bundesregierung, seit langem den Ausstieg aus der langfristigen, zinssub-
ventionierten Entwicklungsfinanzierung verlangt. Stattdessen hat sie gefor-
dert, den IWF auf die Überbrückung kurzfristiger Zahlungsbilanzungleich-
gewichte und die Verhinderung bzw. rasche Überwindung von Finanzkrisen
zu beschränken.
Drucksache

14/

3861

– 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

4. Der politische Druck, die soziale Dimension der Strukturanpassung explizit
zu berücksichtigen, hat aber in der jüngeren Zeit vielmehr dazu geführt, dass
sich IWF und Weltbank mit ihren Anpassungsprogrammen für arme Länder
noch weiter überlappt haben. Die Entscheidung des Interims-Ausschusses
des IWF im September 1999, die erweiterte Strukturanpassungsfazilität
(ESAF) durch eine Armutsreduzierungs- und Wachstumsfazilität (PRGF) zu
ersetzen, war ein Höhepunkt dieser Entwicklung. Sie wirft Fragen nach der
Eigenständigkeit des Profils des IWF gegenüber der Weltbank und der IWF-
Vorteile bei der Lösung von weltweiten Verteilungsfragen auf.

5. Groß angelegte Rettungsaktionen des IWF in Krisensituationen, wie im
Falle Mexikos oder Russlands, sind dazu geeignet, eine „Moral-Hazard“-Si-
tuation entstehen zu lassen, weil den hohen Risikoprämien, die viele
Schwellenländer oder Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion ihren
(privaten) Kapitalgebern zahlen, im Ernstfall keine Risiken gegenüberste-
hen. Zwar ist auch in Europa und in Deutschland Kritik an den Riesenret-
tungsaktionen des IWF laut geworden. Aber Europa hat seine Reformvor-
stellungen beim IWF bisher zu informell bzw. zögerlich und nicht so
lautstark und systematisch wie die USA vorgebracht. Die Kreditvergabe des
IWF steht im Zuge der Liberalisierung des Kapitalverkehrs und der an-
schwellenden Kapitalströme, insbesondere in den Schwellenländern, ohne-
hin zunehmend in Konkurrenz zu den privaten Kapitalmärkten.

6. Kurzfristige, makroökonomisch ausgerichtete IWF-Programme sind in der
Diskussion um die soziale Dimension zu Unrecht pauschal in den Ruf ge-
kommen, die Armut in den betroffenen Ländern zu verschärfen. Größere
monetäre Stabilität kann durchaus Vorteile für die Einkommensverteilung
und für das Wachstum bringen, weil nur die Wohlhabenden die Möglichkeit
einer Flucht aus einer instabilen Währung haben. Politiken, die die Inflati-
onsrate drücken und die Inflationsschwankungen reduzieren, erhöhen das
Realeinkommen gerade der Ärmsten. Eine Verringerung von Staatsausgaben
trifft zumeist jene Bevölkerungsschichten, die in der Vergangenheit wegen
ihrer politischen Bedeutung in den Genuss subventionierter öffentlicher
Dienstleistungen kamen. Dies ist in der Regel die städtische Bevölkerung,
die auf der Einkommensskala aber in der Regel überdurchschnittlich ab-
schneiden dürfte. Mit monetären Anpassungsprogrammen einhergehende
Abwertungen senken das Realeinkommen derjenigen, deren Warenkorb im
Wesentlichen aus handelbaren Gütern besteht, weil diese Preise dann stei-
gen. Davon sind regelmäßig die Bezieher höherer Einkommen bzw. die
Stadtbewohner in den Entwicklungsländern stärker betroffen. Insoweit kön-
nen Abwertungen dazu beitragen, ungleiche Einkommensverteilungen zu
korrigieren. Restriktive Geldpolitiken und Abwertungen können die Sparka-
pitalbildung fördern und Sektoren wie der Landwirtschaft und exportorien-
tierten Bereichen Wettbewerbsvorteile gegenüber den binnenmarktorientie-
renden Sektoren verschaffen. Auch davon können die ländlichen Armen
oder Arbeitskräfte mit geringerer Qualifikation profitieren, weil in diesen
Sektoren Investitionsanreize geweckt werden und Arbeitsplätze entstehen.

7. Eine Abschaffung des IWF unter Hinweis auf die Rolle der Weltbank ist an
dieser Stelle keine Lösung. Auch ein systematischer Ausschluss bestimmter
Länder vom IWF führt in die Irre. Wenn solche Länder sich dann ohne die
Aussicht auf den Beistand durch den IWF in schwierigen Zeiten etwa mit
überzogenen Kapitalkontrollen gegen die Schwankungen der internationalen
Finanzströme zu schützen versuchen, können negative Folgen für ganze
weltwirtschaftliche Regionen entstehen. Offene und integrierte Finanz-
märkte sind ein internationales öffentliches Gut, dessen Angebot gewähr-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 –

Drucksache

14/

3861

leistet bleiben muss. Eine internationale Institution, die sich dieser Aufgabe
annimmt, bleibt unentbehrlich.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung deshalb auf, sich für fol-
gende Reformschritte mit Nachdruck einzusetzen:

1. Der IWF muss sich noch stärker als bisher auf die Vermeidung von Finanz-
krisen konzentrieren. Deshalb sollte er eine internationale Führungsrolle bei
der Überwachung der Einhaltung von international vereinbarten Verhaltens-
kodizes, insbesondere im Geld- und Kreditsektor übernehmen. Dazu zählen
auch Aufsichts- und Datenveröffentlichungsstandards sowie die Überwa-
chung der Einhaltung von Kodizes und Standards in den „Offshore-Finanz-
zentren“. Schließlich sollte der IWF die Durchführung der Beschlüsse des
Baseler Ausschusses für Bankenaufsicht zu den künftigen Eigenkapitalan-
forderungen für Kreditinstitute bei IWF-Beistandskandidaten mit überwa-
chen. Wo der IWF eine direkte Zuständigkeit besitzt, muss er diese Stan-
dards weiterentwickeln und verbreiten.

2. Die Rolle des IWF als einer Institution, die ein makroökonomisches Rating
für Länderrisiken erleichtert, ist zu stärken. Der IWF muss durch seine Län-
derüberwachung und die Veröffentlichung umfangreicher Länderdaten das
Informationsproblem lindern und die Effizienz der Kapitalmärkte verbes-
sern. Die Höhe der Staatsverschuldung, der Kreditsalden und der Verbind-
lichkeitsstruktur des Privatsektors, Bilanzierungsregelungen der Banken,
das Konkursrecht oder Eigentumsverflechtungen von kombinatsähnlichen
Konzernen sind Indizien für die Krisenanfälligkeit von Ländern. Der seit
1997 existierende „Spezielle Datenveröffentlichungs-Standard“ (SDDS) ist
hier ein erster Schritt. „Offshore-Finanzzentren“, die sich einer neuen Über-
wachung des IWF weder stellen noch die Transparenzauflagen erfüllen,
müssen Gegenstand von Bekanntmachungen werden. Zweck aller Kodizes
und Standards muss es letztlich sein, durch Schaffung von mehr Transparenz
internationalen Kapitalgebern sachgerechtere Kreditentscheidungen zu er-
möglichen.

3. Die IWF-Kreditkonditionen müssen in Abhängigkeit von der Erfüllung der
o. g. Standards differenziert werden. Dadurch wird die Umsetzung von Ko-
dizes und Standards indirekt gefördert. Um den revolvierenden Charakter
der IWF-Ressourcen zu wahren, ist auch die Vergabe besonders hoher Kre-
dite und eine wiederholte Verlängerung mit einer progressiv steigenden
Zinsbelastung der jeweiligen Kreditnehmerländer zu verbinden. Die IWF-
Mitgliedstaaten sollten a priori Orientierungshilfen erhalten, welche Verfeh-
lung von welchen Standards mit welchen Zinsaufschlägen belegt werden.
Solche Zinsstaffeln sind zu veröffentlichen.

4. Langfristig konditionierte Kredite zur Strukturanpassung sollten die Welt-
bank und regionale Entwicklungsbanken übernehmen. Der IWF muss sich
hingegen darauf konzentrieren, die vorbeugende und begleitende makroöko-
nomische Beobachtung und die schnelle Hilfe bei Zahlungsbilanzschwierig-
keiten zu gewährleisten. Dadurch können auch die wirtschaftspolitischen
Auflagen auf wenige Kernpunkte konzentriert werden, was der Tendenz zur
Überfrachtung von Programmen mit Bedingungen entgegenwirkt. Umge-
kehrt sollte die Weltbank sich von der kurzfristigen Finanzierung von Kri-
senpaketen zurückziehen. Es ist nach Wegen zu suchen, die „Armutslinde-
rungs- und Wachstumsfazilität“ (PRGF) an die Weltbank zu übertragen.
Dabei bleiben aber alle Länder grundsätzlich zugangsberechtigt zu IWF-
Beistandsmitteln, soweit der konkrete Fall in das Spektrum der neu definier-
ten IWF-Aufgaben fällt.
Drucksache

14/

3861

– 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode
5. Der IWF muss einen universellen Charakter und eine universelle Rolle als
zentrale internationale Institution auf dem Gebiet der Wirtschafts- und Wäh-
rungspolitik innehaben. Deshalb sollte der IWF auch zukünftig für alle Mit-
glieder bei makroökonomischen Problemen tätig werden können. Ein expli-
ziter Ausschluss von bestimmten Entwicklungsländern aus dem
Empfängerkreis des IWF ist mit dem kooperativen Grundgedanken des
Währungsfonds nicht vereinbar. Ein Wegfall des „IWF-Schirms“ für viele
Entwicklungsländer könnte hingegen negative Auswirkungen auf die Libe-
ralisierung des Handels- und des Kapitalverkehrs haben. Ein enger Informa-
tionsaustausch mit der Weltbank ist dabei notwendig.

6. Der IWF muss bei der Bewältigung von Finanzkrisen den Privatsektor stär-
ker als bisher mit einbeziehen. Eine leichtsinnige, teilweise durch die Politik
ermunterte Kreditvergabe an Länder im Vertrauen auf die „bail-out“-Rolle
des IWF muss der Vergangenheit angehören.

7. Der IWF muss die Sicherheitsvorkehrungen gegen einen Missbrauch seiner
Mittel und seiner institutionellen Bedingungen verbessern. Es ist zu begrü-
ßen, dass die Jahresabschlüsse der Zentralbanken durch den IWF veröffent-
licht werden sollen. Bei der geplanten institutionalisierten Erfolgskontrolle
muss vermieden werden, dass Fehlentwicklungen und falsche Informatio-
nen aus bestimmten Ländern aus politischen Gründen beschönigt werden.
Es ist auch zu vermeiden, dass bestimmten Ländern aus politischen Gründen
ein Grad an Marktwirtschaftlichkeit und Rechtstaatlichkeit bescheinigt
wird, der durch Tatsachen nicht gedeckt wird.

8. Die Bundesbank hält eine Reserveposition im IWF, die zz. um 8 Mrd. Euro
schwankt. Hierbei handelt es sich letztendlich um öffentliche Mittel, wo-
durch ein Mitwirkungsanspruch des Deutschen Bundestages hinreichend be-
gründet erscheint. Die Öffentlichkeit und insbesondere der Deutsche Bun-
destag sind daher eingehend und rechtzeitig zu informieren bzw. zu
beteiligen, wenn grundlegende Veränderungen im IWF anstehen. Die US-
Regierung muss vor das Parlament treten, wenn Veränderungen im IWF an-
stehen. In Deutschland stimmt dagegen die Bundesbank als Anteilseigner
im Benehmen mit der Bundesregierung in den IWF-Gremien ab, ohne dass
das Parlament formell beteiligt wird. Die Bundesregierung ist hier in der
Pflicht, dafür zu sorgen, dass die deutsche Position in IWF-Fragen an die
Öffentlichkeit getragen wird. Diese Pflicht ist unabhängig davon, wer for-
mal als IWF-Anteilseigner fungiert.

Berlin, den 4. Juli 2000

Rainer Brüderle
Gudrun Kopp
Dr. Hermann Otto Solms
Hildebrecht Braun (Augsburg)
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich (Bayreuth)
Rainer Funke

Hans-Michael Goldmann
Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Dr. Helmut Haussmann
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Dr. Heinrich L. Kolb

Jürgen Koppelin
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto (Frankfurt/Main)
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Marita Sehn
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.