BT-Drucksache 14/3776

Fairer Wettbewerb und Rechtssicherheit bei Unternehmensübernahmen in Europa

Vom 4. Juli 2000


Deutscher Bundestag

Drucksache

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14. Wahlperiode

04. 07. 2000

Antrag

der Abgeordneten Hartmut Schauerte, Gunnar Uldall, Wolfgang Börnsen
(Bönstrup), Hansjürgen Doss, Albrecht Feibel, Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof),
Erich G. Fritz, Dr. Jürgen Gehb, Kurt-Dieter Grill, Ernst Hinsken, Ulrich Klinkert,
Dr. Martina Krogmann, Dr. Norbert Lammert, Vera Lengsfeld, Erich Maaß
(Wilhelmshaven), Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn), Elmar Müller (Kirchheim),
Bernd Neumann (Bremen), Friedhelm Ost, Dr. Bernd Protzner, Thomas Rachel,
Hans-Peter Repnik, Dr. Heinz Riesenhuber, Heinrich-Wilhelm Ronsöhr, Heinz
Schemken, Karl-Heinz Scherhag, Dietmar Schlee, Max Straubinger, Andrea
Voßhoff, Matthias Wissmann, Dagmar Wöhrl und der Fraktion der CDU/CSU

Fairer Wettbewerb und Rechtssicherheit bei Unternehmensübernahmen
in Europa

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Unternehmensübernahmen sind Ausdruck freier unternehmerischer Entschei-
dung. In- und ausländische Investoren sind dabei gleichermaßen willkommen.
Viele Zusammenschlüsse haben positive Auswirkungen auf die Innovationsfä-
higkeit der betroffenen Unternehmen und die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Ar-
beitsplätze und stärken so den Standort Deutschland.

Innerhalb der EU haben sich die Auslandsinvestitionen zwischen 1997 und
1998 verdoppelt. Grenzüberschreitende Fusionen und Übernahmen haben ei-
nen Rekordstand erreicht. Die Entwicklung geht unvermindert weiter. Während
1992 noch 42 % aller Fusionen auf Dienstleistungsunternehmen entfielen, wa-
ren es 1998 mehr als die Hälfte (53 %).

Ein verbindlicher gesetzlicher Rahmen für Übernahmen existiert bisher weder
im Gemeinschaftsrecht noch im deutschen Recht. In Deutschland gibt es einen
freiwilligen Übernahmekodex, den weniger als die Hälfte aller börsennotierten
Unternehmen anerkannt haben und der keine Sanktionsmöglichkeiten vorsieht.
Der Deutsche Bundestag begrüßt, dass in Kürze eine EU-Richtlinie über Über-
nahmegebote auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts verabschiedet werden soll.

Der Deutsche Bundestag tritt für einen EU-weiten gesetzlichen Mindeststan-
dard als ordnungspolitischen Rahmen von Unternehmensübernahmen ein. Das
zusammenwachsende Europa mit dem Ziel eines funktionierenden Binnen-
marktes und die zunehmende Globalisierung der Weltwirtschaft machen eine
europaweite Regelung und die Angleichung an internationale Standards not-
wendig. Der Rechtsrahmen sollte einen angemessenen Ausgleich der Interessen
der Aktionäre der Zielgesellschaft und des Bieters gewährleisten. Als Ausdruck
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freier unternehmerischer Entscheidung und Motor für Innovation und Wettbe-
werbsfähigkeit des Standortes Deutschland ist dabei ein Mindestmaß gesetzge-
berischer Regulierung ordnungspolitisch geboten. Rechtliche Regeln müssen
den betroffenen Unternehmen und den Entscheidungsträgern einen verlässli-
chen Rahmen geben. Sie dürfen nicht dazu führen, dass Übernahmen zukünftig
unnötig erschwert werden. Der rechtliche Rahmen darf nicht zwischen in- und
ausländischen Unternehmen unterscheiden.

Nach Auffassung des Deutschen Bundestages sollten die folgenden Punkte bei
der weiteren Beratung der EU-Richtlinie (13. Richtlinie des Europäischen Par-
laments und des Rates auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts über Übernah-
meangebote) und bei nationalen Gesetzesvorhaben zum Übernahmerecht zu-
grunde gelegt werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich für eine pauschale EU-weite Übernahmeschwelle von 30 bis 35 % aller
stimmberechtigten Anteile einzusetzen.

2. sicherzustellen, dass keine über die Bestimmungen des Gemeinsamen
Standpunktes vom 9. Juni 2000 hinausgehenden Regelungen zur Barzah-
lungsverpflichtung in einzelnen Mitgliedstaaten eingeführt werden können.

3. ein angemessenes Abwehrpotenzial der Zielgesellschaft sicherzustellen, in-
dem die totale Stillhalte- und Neutralitätspflicht sowie eine ausschließlich
zwingend vorgeschriebene Bindung des Vorstands an den Beschluss der
Hauptversammlung bei Abwehrmaßnahmen durch eine flexiblere Regelung
ersetzt werden.

4. die möglichen Auswirkungen der geplanten Fusion der Deutschen Börse AG
Frankfurt am Main mit der London Stock Exchange (LSE) bei einer nationa-
len Übernahmegesetzgebung zu berücksichtigen.

5. sich dafür einzusetzen, dass die Umsetzungsfrist der EU-Richtlinie von vier
auf zwei Jahre verkürzt wird.

6. der EU-Richtlinie aus Gründen der Rechtsklarheit und der Rechtseinheit-
lichkeit nicht national vorzugreifen und zu prüfen

,

ob ein nationales Über-
nahmerecht darüber hinaus notwendig und sachgerecht ist, sofern ein EU-
weiter Mindeststandard gewährleistet ist.

Berlin, den 4. Juli 2000

Hartmut Schauertew
Gunnar Uldall
Wolfgang Börnsen (Bönstrup)
Hansjürgen Doss
Albrecht Feibel
Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)
Erich G. Fritz
Dr. Jürgen Gehb
Kurt-Dieter Grill
Ernst Hinsken
Ulrich Klinkert
Dr. Martina Krogmann
Dr. Norbert Lammert
Vera Lengsfeld
Erich Maaß (Wilhelmshaven)
Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn)

Elmar Müller (Kirchheim)
Bernd Neumann (Bremen)
Friedhelm Ost
Dr. Bernd Protzner
Thomas Rachel
Hans-Peter Repnik
Dr. Heinz Riesenhuber
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr
Heinz Schemken
Karl-Heinz Scherhag
Dietmar Schlee
Max Straubinger
Andrea Voßhoff
Matthias Wissmann
Dagmar Wöhrl
Friedrich Merz, Michael Glos und Fraktion
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Begründung

1. Die geplante EU-Richtlinie ist ein Entwurf für eine „Rahmenrichtlinie“. Ihr
Ziel ist daher lediglich eine Mindestharmonisierung im Sinne des Subsidia-
ritätsprinzips. Demnach steht den Mitgliedsländern die weitere Ausgestal-
tung dieser Mindeststandards frei. Die EU-Richtlinie sollte in Kernbereichen
daher noch deutlicher als im vorliegenden Richtlinienentwurf exakte Min-
deststandards festschreiben.

Problematisch erscheint in diesem Zusammenhang, dass der Gemeinsame
Standpunkt des Rates vom 9. Juni 2000 eine Übernahmeschwelle, die derzeit
in Europa noch nicht harmonisiert ist, nicht näher festlegt. Vielmehr richtet
sich der Anteil der Stimmrechte, der eine Kontrolle begründet, nach den Vor-
schriften des Sitzmitgliedstaates der Zielgesellschaft. Dies würde dazu füh-
ren, dass für die an den zentralen Börsenplätzen gehandelten Unternehmen
unterschiedliche Bestimmungen für die Übernahmeschwelle gelten würden.
Es sollte deshalb für eine pauschale EU-weite Übernahmeschwelle plädiert
werden, die bei 30 bis 35 % aller stimmberechtigten Anteile liegen könnte.

2. Die Pflicht zur Abgabe eines Barzahlungsangebots ist laut Gemeinsamem
Standpunkt lediglich dann erforderlich, wenn die Gegenleistung nicht aus
liquiden Wertpapieren besteht. Es ist nach dem vorliegenden Gemeinsamen
Standpunkt allerdings nicht auszuschließen, dass in einzelnen Mitgliedstaa-
ten eine darüber hinausgehende Barzahlungspflicht eingeführt wird. Da die
meisten Übernahmen grenzüberschreitend stattfinden, sollte eine Regelung
der Barzahlungspflicht nicht auf nationaler Ebene stattfinden. Die Ein-
schränkung des Bargebots, die die Expertenkommission der Bundesregie-
rung am 18. Mai 2000 vorgeschlagen hat, ist deshalb abzulehnen.

3. Nach den „Eckpunkten eines Gesetzes zur Regelung von Unternehmens-
übernahmen“ der Expertenkommission der Bundesregierung vom 18. Mai
2000 und dem Gemeinsamen Standpunkt des Rates vom 9. Juni 2000 dürfte
sich der Vorstand eines Unternehmens, das sich einem Übernahmebegehren
ausgesetzt sieht, nur begrenzt wehren. Er dürfte nach einem anderen Über-
nehmer („weißer Ritter“) suchen, müsste dabei aber in fast allen Fällen die
Hauptversammlung einschalten. Solche Regelungen führen zu einer unange-
messenen Wehrlosigkeit der Zielgesellschaft und es besteht die Gefahr der
Wettbewerbsverfälschung.

Nach Artikel 9 des Gemeinsamen Standpunktes vom 9. Juni 2000 besteht
nach wie vor der Grundsatz, dass das Leitungs- oder Verwaltungsorgan der
Zielgesellschaft mit Ausnahme der Suche nach konkurrierenden Angeboten
die Vornahme jedweder Handlung zu unterlassen habe, durch die das Ange-
bot vereitelt würde. Das Verbot gilt nicht für Handlungen des Leitungs- oder
Verwaltungsorgans der Zielgesellschaft, zu denen die Hauptversammlung
während der Frist für die Annahme des Angebots zuvor ihre Zustimmung er-
teilt hat. Diese Regelung könnte gegebenenfalls unternehmerisches Handeln
wie beispielsweise den Erwerb und Verkauf von Beteiligungen unterbinden,
weil diese als Abwehrmaßnahmen ausgelegt würden. Theoretisch könnte ein
Bieter sogar allein durch Abgabe eines Angebots wettbewerbsorientiertes
Handeln eines Konkurrenten unter bestimmten Umständen verhindern.

Zudem ist zu befürchten, dass es zu Konflikten innerhalb der Rechtssysteme
der Mitgliedstaaten kommen könnte. Im deutschen Aktienrecht ist beispiels-
weise die Ergreifung von Abwehrmaßnahmen eine Teilaufgabe der Ge-
schäftsführung, also des Vorstands. Dessen Tätigkeit wird jedoch vom Auf-
sichtsrat und nicht von der Hauptversammlung kontrolliert. Zweifelhaft ist
deshalb, ob die Hauptversammlung das geeignete Organ für die Genehmi-
gung sämtlicher Abwehrmaßnahmen ist, soweit nicht wie zum Beispiel im
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deutschen Aktienrecht bestimmte Maßnahmen, wie die Erhöhung des
Stammkapitals, ohnehin der Zustimmung der Hauptversammlung bedürfen.

Das Abwehrpotenzial des Vorstands muss gestärkt werden, wie dies auch in
den Vereinigten Staaten der Fall ist. Im US-amerikanischen Recht, das auf
eine strenge Regulierung des Übernahmerechts verzichtet, wird dagegen
dem Leitungsorgan der Zielgesellschaft im Rahmen der Verpflichtung auf
das Unternehmensinteresse ein Ermessensspielraum in Bezug auf Abwehr-
maßnahmen gegen feindliche Übernahmeversuche in Form der „Business
Judgement Rule“ eingeräumt. Danach muss der amerikanische Vorstand sein
Handeln an dem „wohlverstandenen Gesellschaftsinteresse“ ausrichten; da-
zu gehören auch das Interesse der Gesellschaft am Fortbestand der Unab-
hängigkeit und an der Fortführung einer bisher erfolgreichen Geschäftspoli-
tik. Bei Missachtung dieser Grundsätze können die Aktionäre der
Gesellschaft den Vorstand auf Unterlassung, Abfindung und/oder Schadens-
ersatz verklagen.

Es muss gefragt werden, ob der Verweis auf die alleinige Zuständigkeit der
Hauptversammlung für Gegenmaßnahmen sachgemäß und zielgerecht ist.
Richtiger wäre, dass in der zugrunde liegenden Satzung der jeweiligen Un-
ternehmen ein Wahlrecht festgeschrieben wird, nach dem über Abwehrmaß-
nahmen entweder Vorstand und Aufsichtsrat oder Vorstand und Hauptver-
sammlung entscheiden können. Durch eine Gestaltungsmacht der
Unternehmen können hier wichtige Erkenntnisse gewonnen werden.

Aktionäre und Arbeitnehmer könnten dadurch geschützt werden, dass der
Vorstand angemessene Abwehrstrategien nur in enger Abstimmung mit dem
Aufsichtsrat entwickeln dürfte. Sonst besteht die Gefahr, dass Unternehmen
zu schnell Opfer von Übernahmen werden. Auch ist zu befürchten, dass sie
zu rasch als Wettbewerber ausgeschlossen werden könnten.

4. Nach dem Gemeinsamen Standpunkt des Rates vom 9. Juni 2000 wird die
Aufsicht über die Übernahmen in demjenigen Land stattfinden, in dem die
Aktien des Unternehmens gehandelt werden, nicht aber am Sitz der Zielge-
sellschaft. Das könnte nach gegenwärtigem Stand der Fusionsvereinbarun-
gen zwischen der Deutschen Börse AG Frankfurt und der London Stock Ex-
change bedeuten, dass zumindest bei Unternehmen der „Old Economy“
künftig Großbritannien die Aufsicht führt.

Daher scheint insbesondere eine Modifizierung des Artikels 4 des Gemein-
samen Standpunktes vom 9. Juni 2000 geboten. Die Richtlinie muss dahin
gehend geändert werden, dass bei Übernahmeangeboten, auch gegen deut-
sche Unternehmen, nicht automatisch britisches Rechts zur Anwendung
kommt, wenn sich London als primärer Börsenplatz in Europa herauskristal-
lisiert. Andernfalls besteht die Gefahr, dass eine nationale Übernahmege-
setzgebung/deutsche Regelungen ins Leere läuft.

Geklärt werden muss die Zuständigkeit des jeweiligen nationalen Rechts. Es
muss verhindert werden, dass sich die Unternehmen durch die einfache Ent-
scheidung, die Aktien-Listings zu verändern, das jeweils günstigste Recht
aussuchen können. Besser wäre es, die Zuständigkeit an den Rechtssitz des
Unternehmens zu binden.

Der Gemeinsame Standpunkt des Rates der EU im Hinblick auf den Erlass
der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates auf dem Gebiet
des Gesellschaftsrechts betreffend Übernahmeangebote vom 9. Juni 2000
sieht eine Umsetzungsfrist von vier Jahren nach Inkrafttreten vor. Ange-
sichts der ständig steigenden Zahl von grenzüberschreitenden Übernahmen
ist eine wesentlich kürzere Umsetzungsfrist von maximal zwei Jahren ge-
boten.
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6. Mit der Verabschiedung der EU-Übernahmerichtlinie, über die sich die Mit-
gliedstaaten in der Sache bereits verständigt haben, ist im ersten Halbjahr
2001 zu rechnen. Es ist deshalb wenig sinnvoll

,

ihrer Umsetzung national
vorzugreifen. Ein solches deutsches Übernahmegesetz, wie es derzeit von
der Bundesregierung mit dem Ziel des Inkrafttretens zum 1. Januar 2001
vorbereitet wird, müsste aller Voraussicht nach bald wieder geändert wer-
den. Statt nationale Alleingänge zu unternehmen, sollte die Chance genutzt
werden, für die europäischen Kapitalmärkte in zeitlichem Gleichklang
gleichwertige Mindestbedingungen für das Übernahmerecht zu schaffen.
Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten einzelner Mitgliedstaaten könnten da-
durch verhindert werden. Nationale Alleingänge verhindern die Anpassung
an internationale Standards, führen zu Wettbewerbsverzerrungen und tragen
nicht zur Rechtssicherheit bei.

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