BT-Drucksache 14/3767

Friedensbemühungen am Horn von Afrika verstärken

Vom 4. Juli 2000


Deutscher Bundestag

Drucksache

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14. Wahlperiode

04. 07. 2000

Antrag

der Abgeordneten Joachim Tappe, Dr. R. Werner Schuster, Wilhelm Schmidt
(Salzgitter), Dr. Peter Struck und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Dr. Angelika Köster-Loßack, Hans-Christian Ströbele,
Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Friedensbemühungen am Horn von Afrika verstärken

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Der seit mehr als zwei Jahren währende Konflikt zwischen Äthiopien und
Eritrea, der mehr als 100 000 Menschenleben gefordert hat und bei dem über
1,5 Millionen Menschen beiderseits der umstrittenen Grenze zu Flüchtlingen
wurden, scheint mit der Unterzeichnung eines Waffenstillstandsabkommens
vom 18. Juni 2000 in Algier ein Ende gefunden zu haben. Damit besteht die
Chance, dass der Krieg mit seinen negativen Auswirkungen auf die gesamte
Region nunmehr mit friedlichen Mitteln gelöst werden kann.

2. Die recht guten Ansätze der wirtschaftlichen Entwicklungen in beiden Staa-
ten seit 1990 haben mit dem Ausbruch des Krieges ein jähes Ende gefunden.
Die Ökonomien der beiden Länder wurden in Kriegswirtschaften verwan-
delt. Alle ökonomischen Anstrengungen mussten sich den Erfordernissen
des Krieges unterordnen. In beiden Staaten, die nach dem UNDP-Index der
menschlichen Entwicklung zu den ärmsten der Welt gehören, wurden die
knappen Ressourcen der Bevölkerung vorenthalten.

3. Wegen der anhaltenden Trockenheit sind allein in Äthiopien 8 Millionen
Menschen vom Hunger bedroht; mindestens noch einmal so viele Menschen
leiden in Dschibuti, Eritrea, Nord-Kenia, Somalia und im Sudan unter akuter
Lebensmittelknappheit. Die mangelnde Infrastruktur in vielen Gebieten be-
hindert die Hilfsmaßnahmen der internationalen Gemeinschaft; zusätzlich
hat der Krieg ohnehin knappe Transportkapazitäten den Nothilfemaßnahmen
entzogen.

4. Im Unterschied zu anderen gewaltsamen Konflikten in Afrika wurde im
äthiopisch-eritreischen Grenzgebiet ein Hochtechnologie-Krieg geführt. Die
Waffensysteme und ihre Ersatzteile müssen von beiden Konfliktländern im-
portiert werden. Mehrere hundert Millionen Mark haben Äthiopien und Eri-
trea zum Beispiel für neue russische Kampfflugzeuge ausgegeben. Trotz in-
ternationaler Ächtung wurden in den Kriegsregionen Anti-Personen-Minen
verlegt.
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5. Nach Ausbruch der Kämpfe im Mai 1998 wurden von beiden Seiten erhebli-
che Menschenrechtsverletzungen begangen. Im Juni 1998 begann Äthiopien
mit Massendeportationen und Verhaftungen von Männern, Frauen und Kin-
dern, die eritreischer oder teilweise eritreischer Abstammung sind. Viele der
Deportierten besaßen die äthiopische Staatsbürgerschaft, bevor ihnen diese
im Zuge der Abschiebungen nach Eritrea entzogen wurde. Eigentum durfte
dabei nicht mitgeführt werden und wurde konfisziert. Bis Ende 1998 sind
auf diese Weise etwa 40 000 Menschen unter brutalen Bedingungen depor-
tiert worden. Häufig wurden Familien auseinandergerissen. In Eritrea gab es
entsprechende Deportationen und Misshandlungen äthiopischer Bürger,
wenn auch – bei aller Fragwürdigkeit von Zahlenvergleichen – in geringe-
rem Umfang. Anfang Juni 2000 hat die eritreische Regierung Massendepor-
tationen von Äthiopiern angekündigt und äthiopische Staatsangehörige in
Sammellagern interniert. Nach internationaler Kritik an diesen Maßnahmen
wurden die Ankündigungen teilweise wieder zurückgenommen und werden
nunmehr als Hilfe zur freiwilligen Ausreise unter Beteiligung des Roten
Kreuzes (IKRK) deklariert.

6. Zusätzlich droht der Konflikt die AIDS-Epidemie zu verschärfen. In Äthio-
pien gelten nach Schätzungen der WHO etwa 9 Prozent der erwachsenen
Bevölkerung als infiziert. Vertreibungen und der Zerfall von Familienstruk-
turen durch die Kriegswirren erhöhen das Risiko der Weiterverbreitung von
AIDS.

II. Der Deutsche Bundestag begrüßt folgende von der Bundesregierung bereits
eingeleitete Maßnahmen:

– die gemeinsame Unterstützung der OAE-Vermittlungsbemühungen seitens
der Bundesregierung und ihrer EU-Partner; aktive Teilnahme des Sonderbe-
auftragten der EU am Zustandekommen des Waffenstillstandsabkommens
vom 18. Juni 2000 in Algier;

– die deutsche Initiative beim VN-Sicherheitsrat zur Verhängung eines Waffen-
embargos gegen Äthiopien und Eritrea;

– die Zurückhaltung bei der Entwicklungszusammenarbeit gegenüber Äthio-
pien und Eritrea;

– die Leistung humanitärer Hilfe für die Opfer der durch den Krieg verschärf-
ten Dürrekatastrophe in Äthiopien und für die große Zahl eritreischen
Flüchtlinge innerhalb des Landes Eritrea und in den angrenzenden Staaten.

III. Der Deutsche Bundestag bekräftigt seine Entschließung über Initiativen
zur friedlichen Konfliktbeilegung im Äthiopien-Eritrea-Krieg (Beschluss
vom 24. Juni 1998 – Drucksache 13/11154) und fordert die Bundesregie-
rung auf,

im Äthiopien-Eritrea-Konflikt weiterhin bei diplomatischen Vermittlungsbe-
mühungen eine aktive Rolle zu spielen. Deutschland sollte sich in Kooperation
mit seinen EU-Partnern entschlossen bei der Suche nach dauerhaften Konflikt-
lösungen einbringen. Im Einzelnen ergeben sich folgende Ansatzpunkte:

1. Als vordringliche Aufgabe muss die internationale Staatengemeinschaft um-
gehend und mit Initiativen auf verschiedenen Ebenen den Abschluss eines
Friedensvertrages zwischen Äthiopien und Eritrea befördern. Als Grundlage
der gemeinsamen Bemühungen der Mitgliedstaaten der EU und anderer
Partner soll das OAE-Rahmenabkommen mit seinen Modalitäten und dem
technischen Arrangement dienen. Praktischer Anknüpfungspunkt muss das
Waffenstillstandsabkommen vom 18. Juni 2000 sein. Bei der Koordination
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der Beiträge der Staaten der EU sollte der Sonderbeauftragte der EU nach-
drücklich unterstützt werden.

2. Die Bundesregierung soll sich gemeinsam mit ihren EU-Partnern beim VN-
Sicherheitsrat und den beiden Konfliktparteien dafür einsetzten, so bald wie
möglich eine Beobachter-Mission in das Krisengebiet zu schicken. Die Bun-
desregierung soll zu diesem Zweck materielle und logistische Unterstützung
zusagen.

3. Die Bundesregierung soll innerhalb der EU-Gremien die Initiative ergreifen,
die IGAD und die United Nations Economic Commission for Africa (ECA)
in Addis Abeba bei ihren Entwicklungen regionaler Integrationskonzepte zu
unterstützen. Eine nachhaltige Befriedung der Region kann mittel- und lang-
fristig nur auf der Basis einer vertragsmäßigen ökonomischen Kooperation
und Integration gelingen.

4. Die Bundesregierung sollte im Rahmen der EU mit den beiden Regierungen
in einen direkten und offenen Dialog über Fragen der Menschenrechte, der
„good governance“ und der Herstellung demokratisch-rechtsstaatlicher Ver-
hältnisse eintreten. Maßnahmen der politischen Stiftungen, der Kirchen und
anderer nichtstaatlicher Organisationen, die geeignet sind, Demokratisie-
rungsbestrebungen in beiden Ländern zu fördern und auf eine friedliche Ent-
wicklung zielen, sollte die Bundesregierung mit Nachdruck unterstützen. In
beiden Ländern sollte der Aufbau von Strukturen begleitet werden, die die
Zivilgesellschaft stärkt und ihre Teilnahme an politischen Entscheidungs-
prozessen ermöglicht. Eine stabile Entwicklung beider Staaten setzt eine Be-
teiligung aller innergesellschaftlichen Kräfte („Runde Tische“/Nationaler
Dialog) an der Zukunftsgestaltung voraus. Diese Aktivitäten sollten durch
Projekte begleitet werden, die gezielt Voraussetzungen schaffen, Konflikte
(auch innergesellschaftliche) friedlich auszutragen. Ein besonderes Augen-
merk sollte sich auf die ländlichen Regionen richten.

5. Neben den beständigen Vermittlungsbemühungen mit hochrangigen staatli-
chen Partnern beider Länder sollte die Bundesregierung die politischen Stif-
tungen und andere Nichtregierungsorganisationen anregen, Seminare/
„round-table-workshops“ mit einflussreichen Akteuren aus beiden Ländern
durchzuführen.

6. Im Rahmen der EU sollte die Bundesregierung in Äthiopien und Eritrea die
Einrichtung unabhängiger Treuhand-Agenturen durch die äthiopische Re-
gierung anregen und fördern, die in Zusammenarbeit mit den VN oder einer
Regionalorganisation (OAE/ IGAD) das Eigentum der deportierten Men-
schen bis zu ihrer Rückkehr verwaltet.

7. Die Bundesregierung sollte Äthiopien anbieten, die Entwicklungszusam-
menarbeit auf dem Niveau der Vorkriegsjahre fortzusetzen und Eritrea die
Möglichkeit einer Aufnahme von Entwicklungszusammenarbeit eröffnen.
Dabei sollte auf die Bedeutung der Kriterien der „good governance“ nach-
drücklich hingewiesen werden. Die Bundesregierung sollte sich im Rahmen
der Geberkoordinierung für eine entsprechende Konditionalisierung der Ent-
wicklungszusammenarbeit einsetzen, um gezielter auf die Konfliktparteien
einwirken zu können. Der EU-Sonderbeauftragte, sollte bei der Koordinati-
on, die nicht nur EU-Mitglieder, sondern alle entscheidenden Gebernationen
umfassen sollte, eine aktive Rolle spielen.
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8. Die Bundesregierung und ihre europäischen Partner sollten Unterstüt-
zungsmaßnahmen bei dem Wiederaufbau lokaler Verwaltungen in den vom
Krieg betroffenen Gebieten der beiden Länder in Aussicht stellen. Die Ge-
währleistung von stabilen lokalen Administrationen zu beiden Seiten der
Grenze würde künftig konfliktpräventiv wirken.

9. Die Bundesregierung sollte sich im Rahmen der EU dafür engagieren, bei-
den Ländern für den Fall einer friedlichen Streitbeilegung in Aussicht zu
stellen, bei Infrastrukturprojekten und Wiederaufbau behilflich zu sein.

10. Gemeinsam mit anderen bilateralen und multilateralen Gebern sollten die
Bundesregierung und ihre EU-Partner anbieten, dass bei einer friedlichen
Konfliktlösung Demobilisierungs- und Reintegrationsmaßnahmen für An-
gehörige der Streitkräfte finanziert und durchgeführt werden.

11. Die Bundesregierung sollte in Kooperation mit EU-Partnern, den Vereinten
Nationen und den Konfliktparteien Unterstützung und Mittel zusagen, um
gemäß den Bestimmungen der Waffenstillstandsvereinbarung vom 18. Juni
2000 die Ausbildung von Minenräumpersonal und die Räumung von Land-
minen durchzuführen. Gleichzeitig sollten die Vorbereitungen für die fi-
nanzielle Ausstattung des Fonds für die Demarkation der eritreisch-äthiopi-
schen Grenze, dessen Einrichtung schon in der Sicherheitsratsresolution
1177 (1998) vorgesehen war, so weit vorangetrieben werden, dass unver-
züglich Gelder für die Arbeiten zur Festlegung der gemeinsamen Grenze
zur Verfügung stehen.

Der Deutsche Bundestag will mit diesen Handlungsoptionen die deutschen Be-
mühungen um eine nachhaltige friedliche Entwicklung zwischen Äthiopien und
Eritrea und der Region am Horn von Afrika intensivieren.

Berlin, den 4. Juli 2000

Dr. Peter Struck und Fraktion
Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und Fraktion

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