BT-Drucksache 14/3742

Genehmigungsverfahren bei der Antarktisforschung

Vom 28. Juni 2000


Deutscher Bundestag Drucksache 14/3742
14. Wahlperiode 28. 06. 2000

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Birgit Homburger, Ulrike Flach, Hans-Michael Goldmann,
Hildebrecht Braun (Augsburg), Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher, Jörg van
Essen, Dr. Karlheinz Guttmacher, Walter Hirche, Dr. Werner Hoyer, Ulrich Irmer,
Dr. Heinrich Leonhard Kolb, Jürgen Koppelin, Dirk Niebel, Günther Friedrich
Nolting, Hans-Joachim Otto (Frankfurt am Main), Cornelia Pieper, Dr. Edzard
Schmidt-Jortzig, Marita Sehn, Carl-Ludwig Thiele, Dr. Dieter Thomae,
Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der F.D.P.

Genehmigungsverfahren bei der Antarktisforschung

Mit dem Beitritt der Bundesrepublik Deutschland als Konsultativmitglied zum
Antarktisvertrag 1981 sind der Bundesregierung dauerhafte Verpflichtungen
zur wissenschaftlichen Forschung im antarktischen Vertragsgebiet erwachsen.

Die Bundesregierung kommt ihrer Verpflichtung durch die Stiftung Alfred-We-
gener-Institut für Polar- und Meeresforschung (Mitglied der Helmholtz-Ge-
meinschaft Deutscher Forschungszentren, HGF) nach. Die Stiftung nimmt ihre
satzungsgemäßen Aufgaben der eigenständigen Forschung sowie Unterstüt-
zung der Forschung der Universitäten und außeruniversitären Einrichtungen
durch den Betrieb des eisbrechenden Forschungsschiffes „Polarstern“, das un-
ter der Bundesdienstflagge fährt, sowie die Durchführung von Expeditionen auf
See und dem antarktischen Inlandeis wahr.

Die im Antarktisvertrag zusammengeschlossenen Staaten haben nach langjäh-
riger Vorarbeit 1991 ein Protokoll zu diesem Vertrag beschlossen, in dem Maß-
nahmen zum dauerhaften Schutz der Südpolargebiete festgelegt worden sind.
Das so genannte Madrider Protokoll zielt darauf, die Umwelt der Antarktis zu
schützen, insbesondere auch um dieses Gebiet für wissenschaftliche Forschung
zu erhalten. In dem nationalen Ausführungsgesetz zum Madrider Protokoll,
dem Gesetz zur Ausführung des Umweltschutzprotokolls (AUG) vom 22. Sep-
tember 1994, das seit dem 1. Januar 1998 in Kraft ist, sind deshalb auch For-
schungsaktivitäten besonders geregelt worden. Insbesondere ist für die Beurtei-
lung der Umweltauswirkungen von Forschungstätigkeiten eine Kommission
unabhängiger wissenschaftlicher Sachverständiger eingerichtet worden. Es
wurde vereinbart, dass eine Genehmigung für Forschungstätigkeiten in der
Antarktis durch eines der abkommensbeteiligten Länder eine nationale Geneh-
migung ersetzt.

Für die Genehmigung von Forschungsaktivitäten in der Antarktis ist nach dem
AUG das Umweltbundesamt (UBA) zuständig. Schon seit 1994 haben die in
dem Bereich tätigen Einrichtungen der Antarktisforschung dem UBA ihre For-
schungsaktivitäten nach den gesetzlichen Vorschriften angezeigt. Dabei gab es
keine Probleme. Auch im ersten Jahr des Inkrafttretens des AUG im Jahr 1998

Drucksache 14/3742 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

konnten Anträge einvernehmlich behandelt werden. Im Jahr 1999 hat sich dies
geändert. Die deutsche Antarktisforschung wird durch eine international nicht
übliche und nicht abgestimmte Vorgehensweise zeitlich und inhaltlich stark be-
hindert.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie sind die Erkenntnisse der Bundesregierung über die Genehmigungs-
praxis des UBA?

2. Wie beurteilt die Bundesregierung das Vorgehen des UBA bei der Geneh-
migung von Forschungsaktivitäten?

3. Wie beurteilt die Bundesregierung den Sachverhalt, dass bestimmte For-
schungstätigkeiten, die bisher wie auch international üblich ohne weiteres
genehmigt worden waren, nicht mehr durchgeführt werden können, weil
sie mit nicht erfüllbaren Auflagen verbunden wurden oder weil das UBA
Umweltverträglichkeitsprüfungen oder Umwelterheblichkeitsprüfungen
forderte?

4. Wie schätzt die Bundesregierung die Konsequenzen ein vor dem Hinter-
grund, dass solche Verfahren einen Zeitraum von bis zu zwei Jahren bean-
spruchen und im Rahmen der Antarktisstaaten-Konferenz behandelt wer-
den müssen?

5. Ist zu befürchten, dass wegen der Bewertungspraxis des UBA der Einsatz
von Navigationsloten nicht mehr oder nur noch in zeitaufwendigen Verfah-
ren genehmigt wird, insbesondere vor dem Hintergrund, dass ein Schiff
ohne Echolot aus Sicherheitsgründen in der Antarktis nicht fahren darf?

6. Wie beurteilt es die Bundesregierung, dass Forschungsvorhaben – wie die
Vermessung des Meeresbodens – faktisch nicht mehr durchgeführt werden
können, obschon sie für die Erstellung sicherer Seekarten notwendig sind
und entsprechende internationale Verpflichtungen zur Erstellung solcher
Seekarten bestehen?

7. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass faktisch keine akustischen
Verfahren mehr im Meer zugelassen werden, andere Länder diese Verfahren
aber sehr wohl genehmigen, und wie schätzt sie die Konsequenzen ein?

8. Ist das Vorgehen des UBA mit dem Bundesministerium für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit abgesprochen?

9. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber, ob die vom UBA
jetzt geübte Genehmigungspraxis mit den Voten der nach dem AUG einge-
richteten Kommission unabhängiger Sachverständiger in Einklang steht?

10. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über Störungen laufender
Expeditionen vor, die bei Arbeiten südlich von 60 S, durch die geänderte
Genehmigungspraxis des UBA entstanden sein sollen?

11. Wie hoch beziffert die Bundesregierung den wirtschaftlichen Schaden, der
durch die Änderung der Genehmigungspraxis entsteht, weil geplante For-
schungsvorhaben, in die bereits Mittel investiert wurden, nicht durchge-
führt werden können?

12. Rechnet die Bundesregierung mit Schadensersatzforderungen anderer Län-
der – wie z. B. Italien –, da aufgrund deutscher Genehmigungspraxis Expe-
ditionen nicht durchgeführt wurden?

13. Wird die Bundesregierung die entsprechende Initiative ergreifen, um ein-
heitliche Bewertungsstandards für die Zulassung von Forschungsaktivitä-
ten für die Antarktis auf internationaler Ebene zu erreichen, und wenn nein,
warum nicht?

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/3742

14. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass von anderen abkom-
mensbeteiligten Ländern Genehmigungen erteilt werden, bei denen das
UBA Genehmigungen versagt, und wie beurteilt sie dies?

15. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass die Genehmigungspraxis
des UBA nicht im Einklang mit internationalen Gepflogenheiten steht?

16. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass die Genehmigungspraxis
des UBA für die betroffenen Forschungseinrichtungen nicht kalkulierbar
ist?

17. Wie beurteilt die Bundesregierung das Einhalten ihrer internationalen Ver-
pflichtungen zur wissenschaftlichen Forschung im antarktischen Vertrags-
gebiet?

18. Wie beurteilt die Bundesregierung vor dem Hintergrund der Genehmi-
gungspraxis die Qualität, Effektivität und das internationale Ansehen der
Antarktisforschung?

19. Teilt die Bundesregierung vor dem Hintergrund intensiver internationaler
Zusammenarbeit bei Forschungsprojekten die Sorge, dass die entsprechen-
den deutschen Forschungseinrichtungen in Zukunft nicht mehr als zuver-
lässiger Kooperationspartner betrachtet werden, und wenn nein, warum
nicht?

20. Wie beurteilt die Bundesregierung die augenblickliche Genehmigungspra-
xis des UBA vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlich gewährten und
geschützten Forschungsfreiheit?

21. Was will die Bundesregierung unternehmen, um den im Rahmen der Ge-
nehmigungspraxis entstandenen Nachteil für die deutsche Polarforschung
entgegenzuwirken?

Berlin, den 26. Juni 2000

Birgit Homburger
Ulrike Flach
Hans-Michael Goldmann,
Hildebrecht Braun (Augsburg)
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Dr. Karlheinz Guttmacher
Walter Hirche
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Dr. Heinrich Leonhard Kolb
Jürgen Koppelin
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto (Frankfurt am Main)
Cornelia Pieper
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Marita Sehn
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.