BT-Drucksache 14/3674

OSZE stärken

Vom 28. Juni 2000


Deutscher Bundestag Drucksache 14/3674
14. Wahlperiode 28. 06. 2000

Antrag
der Abgeordneten Dr. Helmut Haussmann, Ulrich Irmer, Günther Friedrich Nolting,
Ina Albowitz, Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher, Jörg van Essen, Ulrike Flach,
Rainer Funke, Hans-Michael Goldmann, Dr. Karlheinz Guttmacher, Klaus Haupt,
Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt/Main),
Detlef Parr, Cornelia Pieper, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Gerhard Schüßler,
Carl-Ludwig Thiele, Jürgen Türk, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der F.D.P.

OSZE stärken

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die OSZE kann 25 Jahre nach ihrer Gründung eine außerordentliche Erfolgs-
bilanz vorlegen. Der KSZE-Prozess hat einen ganz entscheidenden Beitrag zur
Überwindung des Ost-West-Konfliktes und damit zur Wiederherstellung der
deutschen Einheit geleistet. Die Schlussakte von Helsinki, die Charta von Paris
und die Europäische Sicherheitscharta gehören zu den wichtigsten Grundlagen
für das Zusammenleben der Staaten und Völker in Europa. Die OSZE ist die
einzige Sicherheitsinstitution, die alle europäischen Staaten, die USA, Kanada
sowie die neuen Staaten des Kaukasus und Zentralasiens umfasst. Sie bietet
den Rahmen für den Aufbau einer gesamteuropäischen Sicherheitsarchitektur,
für europäische Abrüstungs- und Kontrollverträge, trägt mit ihren diplomati-
schen Missionen zur Entschärfung innerstaatlicher Konflikte bei und hat sich in
Ost- und Südosteuropa beim Aufbau demokratischer und rechtsstaatlicher
Strukturen große Verdienste erworben.

Seit dem Ende des Ost-West-Gegensatzes steht die OSZE vor neuen Aufgaben.
War sie zuvor vorrangig mit der Durchführung systemübergreifender vertrau-
ensbildender Maßnahmen befasst, so ist sie heute in erster Linie bei der Bewäl-
tigung innerstaatlicher Konflikte gefordert. Die Konflikte in Bosnien und Her-
zegowina sowie im Kosovo und in Tschetschenien haben erneut vor Augen
geführt, wie aus Missachtung von Menschenrechten, Diskriminierung von
Minderheiten und dem Schüren ethnischer Konflikte Krieg entstehen kann. Um
diesen neuen Herausforderungen gerecht werden zu können, müssen die OSZE
und die ihr zur Verfügung stehenden Instrumente weiter gestärkt werden. Der
Istanbuler Gipfel, bei dem die Rolle der OSZE beim Aufbau eines gesamteuro-
päischen Sicherheitsraumes, ohne neue Trennlinien bekräftigt und die Ver-
pflichtung aller Mitgliedstaaten zur Förderung der Menschenrechte, Demokra-
tie und Rechtsstaatlichkeit hervorgehoben wurde, war ein wichtiger Schritt.
Weitere müssen folgen.

Drucksache 14/3674 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf:

1. die Handlungsfähigkeit der OSZE als gesamteuropäische Organisation für
Sicherheit, Konfliktprävention, Krisenbewältigung, Abrüstung und militä-
rischer Vertrauensbildung zu stärken.

2. dabei insbesondere auf ein höheres Maß politischer Verbindlichkeit und
auf eine verbesserte praktische Umsetzung der OSZE-Beschlüsse hinzu-
wirken.

3. sich dafür einzusetzen, dass der OSZE als entscheidender Baustein einer
gesamteuropäischen Sicherheitsarchitektur, der gleichwertig neben den
Organisationen der kollektiven Verteidigung steht, eine führende Rolle bei
Präventionsmaßnahmen, beim Krisen- und Konfliktmanagement, bei
Langzeitmissionen und bei Peace Keeping Missions zugeordnet wird.

4. darauf hinzuwirken, dass die OSZE zukünftig vorrangig mit der Koordi-
nierung der Aktivitäten aller mit Frühwarnung, Prävention und Krisen-
regelung im Sinne des Grundsatzes „OSCE First“ betraut wird.

5. das Instrumentarium der OSZE-Missionen in Konfliktregionen über die
akute Vermittlungstätigkeit hinaus u. a. durch Wahlvorbereitung und Orga-
nisation, durch Unterstützung bei der Ausbildung von Justiz- und Verwal-
tungspersonal sowie durch intensivere Zusammenarbeit mit Nichtregie-
rungsorganisationen auszubauen.

6. die Fähigkeit der OSZE zu stärken, im Bedarfsfalle unverzüglich geeigne-
tes ziviles Personal und Polizeikräfte zu mobilisieren sowie das Rekrutie-
rungsverfahren zu straffen.

7. insbesondere vor dem Hintergrund des anhaltenden Tschetschenien-Kon-
fliktes auf der strikten Anwendung der von Russland unterzeichneten
OSZE-Sicherheitscharta sowie des OSZE-Verhaltenskodex von 1994 zu
bestehen, wonach im Falle des Streitkräfteeinsatzes innerhalb eines Mit-
gliedslandes keine unverhältnismäßige Gewalt angewendet werden darf,
Beeinträchtigungen von Zivilpersonen zu vermeiden sind und internatio-
nale humanitäre Hilfsaktionen zur Linderung des Leids der Zivilbevölke-
rung ermöglicht werden sollen.

8. die Regierung der Russischen Föderation in diesem Zusammenhang auf
die Einlösung ihrer Zusage zu drängen, eine ständige Präsenz von Vertre-
tern des Europarates und der OSZE in Tschetschenien zuzulassen mit dem
Ziel, die Einhaltung des Kriegsvölkerrechtes zu überwachen und umfas-
sende Informationen über die Menschenrechtssituation zusammenzustel-
len.

9. eine Initiative im Rahmen der OSZE zur Verbesserung der Zusammen-
arbeit zwischen der OSZE und anderen internationalen Organisationen zu
ergreifen.

10. die Rolle der OSZE als regionale Abmachung im Sinne von Kapitel VIII
der UNO-Charta zu stärken.

11. in diesem Zusammenhang darauf hinzuwirken, dass die OSZE notfalls
auch ohne Zustimmung der an einem Konflikt beteiligten Staaten den
Sicherheitsrat der Vereinten Nationen anrufen, Lösungsvorschläge unter-
breiten und bei deren Umsetzung mitwirken kann.

12. sich in diesem Zusammenhang gegenüber den OSZE-Partnern, aber auch
im Rahmen der Vereinten Nationen für eine zunehmende Regionalisierung
der Verantwortung für die in der UNO-Charta festgelegten Grundsätze mit
dem Ziel einzusetzen, dass auch die OSZE im Rahmen ihres Verantwor-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/3674

tungsbereiches andere hierfür geeignete Organisationen mit einem robus-
ten Mandat zur Unterstützung friedenserhaltender Maßnahmen beauftra-
gen kann.

13. sich für die Aufnahme weiterer Verhandlungen über konventionelle Abrüs-
tung in Europa einzusetzen und dadurch sicherzustellen, dass nach der
Umsetzung des KSE-Vertrages keine Pause im europäischen Abrüstungs-
prozess entsteht.

14. für eine Erweiterung der Befugnisse des OSZE-Generalsekretärs ein-
schließlich der Stärkung seiner politischen Rolle bei der Vorbereitung und
Durchführung von Missionen und bei der Ausarbeitung von Lösungsvor-
schlägen für Konfliktregionen einzutreten.

15. dafür zu sorgen, dass der bereits 1992 verabschiedete Beschluss, wonach
das Konsensprinzip in bestimmten Situationen, insbesondere bei eindeuti-
gen und groben Fällen von Menschenrechtsverletzungen und Verstößen ge-
gen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit außer Kraft gesetzt werden kann
(„Konsens-minus-eins“), endlich umgesetzt wird.

16. die Rolle der OSZE-Schirmherrschaft für den Stabilitätspakt in Südosteu-
ropa mit dem Ziel einer nachhaltigen Integration der gesamten Region in
die europäischen Strukturen zu stärken.

17. für eine Fortentwicklung des Wiener Dokuments einzutreten und in diesem
Zusammenhang dafür zu sorgen, dass dieses Hauptinstrument militärischer
Vertrauensbildung in Europa auch auf paramilitärische Kräfte, die Verbes-
serung der Mechanismen zur Krisenverhütung und vor allem Stärkung re-
gionaler vertrauensbildender Maßnahmen angewandt werden kann.

18. sich aktiv für die Verbesserung der personellen und finanziellen Ausstat-
tung von OSZE-Feldoperationen einzusetzen und die eigenen Beiträge
hierfür zu erhöhen.

Berlin, den 27. Juni 2000

Dr. Helmut Haussmann
Ulrich Irmer
Günther Friedrich Nolting
Ina Albowitz,
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Rainer Funke
Hans-Michael Goldmann
Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Birgit Homburger

Dr. Werner Hoyer
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto (Frankfurt/Main)
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Gerhard Schüßler
Carl-Ludwig Thiele
Jürgen Türk
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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