BT-Drucksache 14/3556

Perspektiven der Privatisierungspolitik des Bundes

Vom 6. Juni 2000


Deutscher Bundestag

Drucksache

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14. Wahlperiode

06. 06. 2000

Große Anfrage

der Abgeordneten Hans Jochen Henke, Susanne Jaffke, Dietrich Austermann,
Jochen Borchert, Dankward Buwitt, Manfred Carstens (Emstek), Albrecht Feibel,
Herbert Frankenhauser, Hans-Joachim Fuchtel, Carl-Detlev Freiherr von
Hammerstein, Josef Hollerith, Bartholomäus Kalb, Steffen Kampeter,
Manfred Kolbe, Hans-Peter Repnik, Kurt J. Rossmanith, Adolf Roth (Gießen),
Michael von Schmude und der Fraktion der CDU/CSU

Perspektiven der Privatisierungspolitik des Bundes

Mit der Privatisierung von Teilen des Bundesbesitzes und der Aufhebung be-
stehender Monopole hat die Bundesregierung in den vergangenen Jahren ent-
scheidend zur Begrenzung öffentlicher Aufgaben und zu einer Verbesserung
der Wettbewerbssituation beigetragen. Die Entwicklung im Telekommunika-
tionsbereich belegt nachhaltig, welche Reserven in ehemals überregulierten,
von staatlichen Monopolen geprägten Sektoren der Wirtschaft freigesetzt wer-
den können. Insbesondere die materielle Privatisierung von Beteiligungen des
Bundes steht darum für wirtschaftliche Dynamik und die Erschließung von un-
genutzten Wachstums- und Beschäftigungspotentialen. Sie trägt dazu bei, die in
Deutschland im internationalen Vergleich hohe, wachstumshemmende Staats-
quote weiter zurückzuführen. Sie schafft Spielräume zum nachhaltigen Abbau
der Verschuldung der Gebietskörperschaften. Die verstärkte Wahrnehmung
öffentlicher Aufgaben durch Privatunternehmen ermöglicht zusätzlichen Wett-
bewerb und sichert den Verbrauchern ein Angebot zu marktgerechten Preisen.

Die Bundesrepublik Deutschland verfügt über ein erhebliches Unternehmens-,
Grund- und Gebäudeeigentum. Der Beteiligungsbericht des Bundes erfasst 361
mittelbare und unmittelbare Unternehmensbeteiligungen, von denen viele für
eine materielle Privatisierung in Frage kommen. Schwerpunkte der Beteiligun-
gen sind die Postnachfolgeunternehmen, Nachfolgeorganisationen der Treu-
handanstalt, der Bankenbereich, das Verkehrswesen, die Wohnungswirtschaft
sowie der forschungs- und entwicklungspolitische Bereich. Darüber hinaus hält
der Bund Unternehmensbeteiligungen, bei denen er nicht über den Mehrheits-
besitz verfügt und die nicht aktienrechtlich von ihm abhängig sind. Hinzu
kommt ein erheblicher Grund- und Gebäudebesitz.
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Wir fragen deshalb die Bundesregierung:

I. Grundlagen der Privatisierungspolitik des Bundes

1. Von welchen finanz-, ordnungs-, sozial-, unternehmens- und wettbewerbs-
politischen Zielsetzungen geht die Bundesregierung bei der Privatisierung
des Bundesbesitzes, der Übertragung von Aufgaben des Bundes an privat-
rechtliche Unternehmen und der Gründung privatrechtlicher, im Besitz des
Bundes befindlicher Unternehmen aus?

2. Welche Einnahmen erwartet die Bundesregierung als Ergebnis ihrer Priva-
tisierungspolitik für den Bundeshaushalt?

3. Welche Auswirkungen werden sich nach den Erwartungen der Bundes-
regierung auf die Staatsquote und die Beschäftigtenzahl und -struktur des
öffentlichen Dienstes ergeben?

4. Welche Auswirkungen erwartet die Bundesregierung infolge der Privati-
sierung öffentlicher Aufgaben für die Steuer- und Abgabenquote der Pri-
vathaushalte und der Unternehmen?

5. Wie werden die parlamentarischen Kontroll- und Mitwirkungsmöglichkei-
ten während der materiellen Privatisierung gewährleistet, speziell im Falle
„Parklösungen“ z. B. bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW)?

6. Bleiben Kontroll- und Prüfungsmöglichkeiten des Bundesrechnungshofes
im Falle dieser „Parklösungen“ in vollem Umfang gewährleistet?

7. Wie will die Bundesregierung im Sinne von Artikel 114 Abs. 1 GG eine
zeit- und marktnähere Bewertung des Vermögensbestandes des Bundes er-
reichen?

8. Sollte die zeitnahe Bewertung des Bundesvermögens mit einem nicht zu
vertretenden Aufwand verbunden sein, besteht dann zumindest für zur Pri-
vatisierung anstehende Teile des Bundeseigentums die Möglichkeit einer
solchen Bewertung, und wie will die Bundesregierung diese künftig sicher-
stellen?

9. Wie würde sich eine verstärkt wertorientierte Betrachtung der zur Privati-
sierung anstehenden Unternehmen auf Haushaltspläne auswirken, und wie
könnten sie die Entscheidungsgrundlagen des Deutschen Bundestages und
seiner Ausschüsse im Haushaltsverfahren verändern?

10. Wie wird die Bundesregierung das Parlament vor der Übertragung bisher
unmittelbar in Verantwortung des Bundes wahrgenommener Aufgaben an
andere Leistungserbringer beteiligen?

11. Wo sieht die Bundesregierung die Notwendigkeit von Veränderungen im
Gebührenrecht und anderen gesetzlichen Bestimmungen, die der Refinan-
zierung von Unternehmen entgegenstehen, die bisher in staatlicher Verant-
wortung wahrgenommene Aufgaben übernehmen?

12. Welche Formen der Privatisierung wurden auf der Ebene des Bundes bis-
her angewandt, und mit welchen anderen Formen wurden international Er-
fahrungen bei der Privatisierung öffentlicher Unternehmungen und Auf-
gaben gesammelt?

13. Welche Gesetzesmaßnahmen sind zur Umsetzung auch neuer Formen der
Privatisierung öffentlichen Eigentums erforderlich?
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14. In welchem Umfang werden beispielsweise in

– Großbritannien,

– Schweden,

– den Niederlanden,

– den USA,

– Kanada

Aufgaben, die in Deutschland von in öffentlichem Besitz befindlichen Un-
ternehmen oder den Gebietskörperschaften wahrgenommen werden, von
privaten Leistungserbringern erbracht?

15. In welchen Bereichen wurden in diesen Ländern öffentliche Aufgaben auf
welche Weise auf private Unternehmen übertragen, und wie wirkte sich
dies auf neue Märkte, Wettbewerb, Innovation, Arbeitsplatzbilanz, Versor-
gungssicherheit und -qualität aus?

II. Bilanz der bisherigen Privatisierungspolitik des Bundes

16. Wie haben sich in den Jahren 1990 bis 1999 die im Haushaltsentwurf ent-
haltenen Soll-Zahlen und die in der Jahresrechnung enthaltenen Ist-Zahlen
der Erlöse aus der Privatisierung (einschließlich der Finanzierung der Post-
unterstützungskassen) von Beteiligungen des Bundes, unterteilt nach den
einzelnen Privatisierungsmaßnahmen entwickelt, und wie erklären sich
Abweichungen der Jahresrechnungen?

17. Wird die Bundesregierung in diesem Jahr die 1999 nicht vorgenommenen
Privatisierungen in Höhe von 12 Mrd. DM realisieren, und in welchem
Umfang wird sie die im Bundeshaushalt 2000 vorgesehenen Privatisierun-
gen der einzelnen Unternehmensbeteiligungen umsetzen?

18. Wie bewertet die Bundesregierung die haushalts-, ordnungs-, sozial-, un-
ternehmens- und wettbewerbspolitischen Konsequenzen der während der
vergangenen beiden Legislaturperioden erfolgten Privatisierungen von Un-
ternehmen und Aufgaben des Bundes insgesamt?

19. Welche Auswirkungen hatte unter diesen Gesichtspunkten der Verkauf der
Bundesanteile an der Deutschen Lufthansa?

20. Wie bewertet die Bundesregierung unter diesen Gesichtspunkten die Er-
gebnisse der Postreform mit der daraus resultierenden Aufteilung der Bun-
despost in die Teilunternehmen Deutsche Telekom AG, Deutsche Postbank
AG und Deutsche Post AG?

21. Wie bewertet die Bundesregierung die Überführung der Deutschen Bun-
desbahn in die Deutsche Bahn AG und die Trennung in fünf Gesellschaften
unter dem Dach der DB-Holding?

22. Wie bewertet die Bundesregierung den bisherigen Verkauf einzelner Woh-
nungsgesellschaften im Bundeseigentum?

III. Perspektiven der Privatisierungspolitik des Bundes

23. Welche der im Beteiligungsbericht des Bundes enthaltenen Unternehmen,
die sich im Besitz des Bundes befinden oder an denen der Bund einen er-
heblichen Anteil hält, kommen für eine vollständige Privatisierung, welche
für eine teilweise Privatisierung in Frage, und bei welchen Unternehmen
schließt die Bundesregierung eine Privatisierung aus?
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24. Welchen Stand haben derzeit die Überlegungen der Bundesregierung, An-
teile an der Deutschen Ausgleichsbank (DtA) an die KfW zu veräußern?

25. Hat die Bundesregierung die Absicht, bei Privatisierungsmaßnahmen auch
künftig zu „Parklösungen“ bei der KfW oder anderen Instituten zu greifen?

26. Wie sichert die Bundesregierung bei Tochter- und Beteiligungsgesellschaf-
ten von Unternehmen im Bundesbesitz ihre Mitwirkung, insbesondere
wenn öffentliche Interessen wie im Fall der Bundesdruckerei unmittelbar
berührt sind?

27. Welche Chancen einer Privatisierung sieht die Bundesregierung für das
Sach- und Grundvermögen im Gemeingebrauch?

28. In welchem Umfang ist der land- und forstwirtschaftliche Besitz des Bun-
des privatisierbar?

29. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, durch alternative Finan-
zierungs- und Managementkonzepte im Zusammenhang mit dem Bau, dem
Betrieb und der Modernisierung öffentlicher Einrichtungen und Verwal-
tungseinrichtungen mittelbar oder unmittelbar eine Entlastung des Bundes-
haushalts zu erreichen?

30. Welche Alternativen zur reinen Vermögensprivatisierung sieht die Bundes-
regierung, um durch die Einbindung Privater laufende Kosten der öffentli-
chen Hand für öffentliche Einrichtungen, etwa durch effizientere Manage-
mentmethoden oder den Wettbewerb bei der Beauftragung Privater zu
reduzieren?

31. Wie beurteilt die Bundesregierung das geltende Vergaberecht, insbeson-
dere unter dem Gesichtspunkt fördernder bzw. behindernder Auswirkun-
gen bei Privatisierungsvorhaben, gleich ob Aufgabenprivatisierung oder
funktionelle Privatisierung?

IV. Privatfinanzierungsperspektiven öffentlicher Infrastruktureinrichtun-
gen und des Verkehrsbereichs

32. Sieht sich die Bundesregierung in der Lage, die erforderlichen Investitio-
nen in die Infrastruktur unseres Landes im ausreichenden Umfang aus dem
Bundeshaushalt zu gewährleisten, und wie beurteilt sie in diesem Zusam-
menhang die verstärkte Erbringung von Infrastrukturleistungen (Straße,
Schiene und Wasser) durch private Anbieter im nationalen, europäischen
und internationalen Maßstab?

33. Welche Szenarien einer verstärkten Privatfinanzierung oder sogar Privati-
sierung prüft die Bundesregierung gegenwärtig, und welche Auswirkungen
hätten diese auf die Kalkulation der von einem Projektträger zu erwirt-
schaftenden Gebührenaufkommen?

34. Wie beurteilt die Bundesregierung den Einsatz privaten Kapitals für die Fi-
nanzierung des Baus und Betriebs von Bundesfernstraßen?

35. Wie beurteilt sie hierbei Betreibermodelle nach dem „Shadow-Toll-Prin-
zip“ (Gebührenverantwortung des Staates)?

36. Wie beurteilt sie hierbei Betreibermodelle nach dem Konzept des Bundes-
fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetzes, nicht nur auf Brücken, Tunnel,
Kreuzung etc.?

37. Welchen Bedarf für Änderungen des Bundesfernstraßenbauprivatfinanzie-
rungsgesetzes sieht die Bundesregierung?
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38. Wie bewertet die Bundesregierung Szenarien des privatwirtschaftlichen
Betriebs von Bundesfernstraßen bei

– Einzelbauwerken,

– Einzelstrecken,

– Teilnetzen und

– Komplettnetzen?

39. Welche Auswirkungen würden diese Privatisierungsszenarien jeweils für
das nachgeordnete Straßensystem zur Folge haben?

40. Wie bewertet die Bundesregierung die Perspektiven der Integration eines
Bundesfernstraßennetzes in öffentlicher, in geringen Teilen privater oder in
überwiegend privater Trägerschaft in das europäische Fernstraßennetz?

41. Mit welchen ordnungs-, verkehrs- und finanzpolitischen Maßnahmen be-
absichtigt die Bundesregierung während der kommenden Jahre die Rah-
menbedingungen der Deutschen Bahn AG zu gestalten, und welche Aus-
wirkungen hätte dies auf die Kapitalmarktfähigkeit?

42. Welches Ziel verfolgt die Bundesregierung auch unter Berücksichtigung
der europäischen Entwicklung, längerfristig Netz und Betrieb bei der Bahn
voneinander zu trennen, und wie beurteilt die Bundesregierung die durch
den Vorstandsvorsitzenden der DB AG bekannt gewordene Studie der un-
abhängigen Instituts PricewaterhouseCoopers und KPMG, nach der nur die
Bahnen erfolgreich operieren, bei denen Netz und Betrieb in einer Hand
sind?

43. Wie beurteilt die Bundesregierung eine (ggf. teilweise) Privatisierung des
Baus und Betriebs von Eisenbahnstrecken und -einrichtungen auch unter
Einbeziehung der dafür erforderlichen rechtlichen Voraussetzungen?

44. Welche Auswirkungen hätten zusätzliche, privatfinanzierte Neu- und Aus-
baumaßnahmen der Verkehrsinfrastruktur auf die Bauwirtschaft und die
hier vorhandenen Arbeitsplätze?

45. Wo beabsichtigt die Bundesregierung, Privatisierungs- und Deregulie-
rungsbeschlüsse der Europäischen Union zu nutzen, um den Ländern zu-
sätzliche Entscheidungs- und Gestaltungsräume zur Stärkung des privaten
Sektors in bisher von öffentlichen Unternehmen oder Leistungserbringern
bewältigten Aufgabenbereichen einzuräumen?

46. In welchem Umfang haben die Bundesländer bisher vom Bundesgesetzge-
ber eingeräumte Privatisierungs- und Deregulierungsspielräume in Landes-
recht umgesetzt bzw. genutzt?

Berlin, den 6. Juni 2000

Hans Jochen Henke
Susanne Jaffke
Dietrich Austermann
Jochen Borchert
Dankward Buwitt
Manfred Carstens (Emstek)
Albrecht Feibel
Herbert Frankenhauser
Hans-Joachim Fuchtel

Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein
Josef Hollerith
Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter
Manfred Kolbe
Hans-Peter Repnik
Kurt J. Rossmanith
Adolf Roth (Gießen)
Michael von Schmude

Friedrich Merz, Michael Glos und Fraktion

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