BT-Drucksache 14/3485

Ende der doppelten Benachteiligung für die Rechtsanwälte in den neuen Ländern

Vom 31. Mai 2000


Deutscher Bundestag Drucksache 14/3485
14. Wahlperiode 31. 05. 2000

Antrag
der Abgeordneten Rainer Funke, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Jörg van Essen,
Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der F.D.P.

Ende der doppelten Benachteiligung für die Rechtsanwälte in den neuen Ländern

Der Bundestag wolle beschließen:

Die Bundesregierung möge den 10%igen Gebührenabschlag für die Anwalt-
schaft in den neuen Ländern aufheben.

Die Bundesregierung wird daher aufgefordert, den im Einigungsvertrag vom
31. August 1990, Anlage I im Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 19, 20,
23, 25 und 26 sowie Abschnitt IV Nr. 3 festgelegten Abschlag auf die Gebüh-
ren und Kosten nach dem Gerichtskostengesetz (Nr. 19a), der Kostenordnung
(Nr. 20a), dem Gesetz über die Entschädigung der ehrenamtlichen Richter
(Nr. 24a), dem Zeugen- und Sachverständigenentschädigungsgesetz (Nr. 25a)
und der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (Nr. 26a), der mit Wirkung zum
1. Juli 1996 durch die Ermäßigungssatz-Anpassungsverordnung des Bundes-
ministers der Justiz auf 10 % reduziert wurde, zum 1. Juli 2000 aufzuheben.

Berlin, den 31. Mai 2000

Rainer Funke
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Jörg van Essen,
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

Begründung

Mit der Inkraftsetzung von § 78 Zivilprozessordnung (ZPO) in allen Bundes-
ländern wurden die Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte aus den alten und
den neuen Bundesländern ab dem 1. Januar 2000 vor allen Amts- und Land-
gerichten postulationsfähig. Dieses war ein weiterer Schritt zur Angleichung
der Rechtsberatung im wiedervereinigten Deutschland. Der dringend notwen-
dige weitere Schritt wird jedoch trotz wiederholter Aufforderung aus dem Par-
lament nicht gemacht.

Der Gebührenabschlag ist nicht mehr gerechtfertigt.

Über zehn Jahre nach dem Fall der Mauer und mehr als neun Jahre nach der
staatsrechtlichen Zusammenführung der alten und neuen Bundesländer ist für

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die im Gebiet der neuen Bundesländer und in Berlin-Ostteil tätigen Rechts-
anwälte nicht mehr nachzuvollziehen, dass die Anwaltshonorare nach der Bun-
desgebührenordnung für Rechtsanwälte (BRAGO) noch immer um 10 % ge-
genüber den normalen BRAGO-Sätzen reduziert werden müssen. Nach einem
solch langen Zeitraum ist es Aufgabe, Trennendes zwischen den alten und den
neuen Bundesländern soweit wie möglich aufzuheben und nicht weiterhin
Zustände aufrechtzuerhalten, die diese Trennung unterstützen, statt sie zu be-
seitigen.

Nicht umsonst sind bei anderen Freiberuflern, etwa den Architekten und Inge-
nieuren, die vorgesehenen Kürzungen der Honorartafeln bis Ende 1992 befris-
tet gewesen.

Zudem werden die Rechtsanwälte in den neuen Bundesländern im Ergebnis mit
einem doppelten Gebührenabschlag bestraft. Einerseits wird jede Gebühr um
10 % reduziert, andererseits sind die Gegenstandswerte in den neuen Bundes-
ländern ebenfalls geringer. Selbst bei einer Streichung des Gebührenabschlages
bestünde daher immer noch ein spürbar niedrigeres Einkommensniveau als in
den alten Bundesländern.

Dabei sind die wesentlichen Sachkosten der Kanzleien in Ost und West auf
gleichem Niveau. Raummiete, Bewirtschaftungskosten, Fort- und Weiterbil-
dungskosten, Versicherungsprämien, Kfz-Kosten, Kosten für Beschaffung von
Kanzleiliteratur, Kosten für Verbrauchsmaterial, Porto- und Telefonkosten so-
wie Kosten für die Buchführung liegen sogar teilweise über dem Westniveau.
Die Kanzleien in den neuen Bundesländern haben im Schnitt niedrigere Kanz-
leiumsätze, andererseits aber Bürokosten, die auf Westkosten liegen. Das Preis-
niveau etwa für technische Geräte ist in den neuen Bundesländern in keiner
Weise niedriger als in den alten. Schließlich sei daran erinnert, dass seit Mai
1999 die Preise der Deutschen Bahn im Westen ebenso gelten wie im Osten.

Die Bürger der neuen Bundesländer bleiben allerdings auch bei Aufhebung des
Abschlages weiterhin durch die Regelungen der Prozesskostenhilfe vor zu star-
ken Belastungen durch Verfahrenskosten geschützt.

Auch kann der wirtschaftliche Rückstand in den neuen Bundesländern kein Ar-
gument für eine Reduzierung der Gebühren sein. Sonst müsste auch in struktur-
schwachen Regionen der alten Bundesländer eine entsprechende Gebührendif-
ferenzierung erfolgen. Unglaubwürdig wird der Gebührenabschlag auch dann,
wenn man bedenkt, dass die Gerichte in den neuen Bundesländern bei Parteien
mit Sitz in den alten Ländern Gerichtskosten in Höhe von 100 % berechnen, es
den Anwälten mit Sitz in den neuen Bundesländern aber verwehrt sei, Rechts-
anwaltskosten in voller Höhe gegenüber einem Mandanten aus den alten Bun-
desländern abzurechnen. Was für den Staat billig ist, muss für den Anwalt ge-
recht sein.

Die Gebührenermäßigung war von Anfang an verfassungsrechtlich bedenklich.
Sie führte aufgrund geringerer Gegenstandswerte zu einer Herabsetzung des
Honorars der Rechtsanwälte in den fünf neuen Bundesländern gegenüber
Rechtsanwälten in den alten Bundesländern. Im Jahre 1991 etwa führte die He-
rabsetzung des Honorars der Anwälte durch niedrigere Gegenstandswerte auf-
grund eines verringerten Durchschnittseinkommens in den fünf neuen Bundes-
ländern dazu, dass sich die Prozessgebühr für eine Kündigungsschutzklage auf
570 DM, in den fünf neuen Bundesländern dagegen nur auf 202,40 DM belief.
Dies ist eine Herabsetzung des Honorars in Höhe von 181,6 %.

Im Wesentlichen bleibt diese Diskrepanz bisher erhalten. Selbst bei Fortfall des
10%igen Abschlages käme es nur zu einer Angleichung des Gebührenniveaus,

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/3485

die dem durchschnittlichen Einkommensunterschied zwischen alten und neuen
Bundesländern angenähert ist.

Beispielhaft wäre bei der anwaltlichen Vertretung einer Kündigungsschutz-
klage eines Industriearbeiters im Jahre 1998 mit einem Durchschnittseinkom-
men in Höhe von 5 855 DM (West) bzw. 4 157 DM (Ost) folgende Gebühren-
rechnung maßgeblich:

(Basis: Wirtschafts- und sozialwissenschaftliches Institut in der Hans-Böckler-
Stiftung des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Entwicklung der monatsdurch-
schnittlichen Effektivverdienste von Arbeitnehmern in der Industrie für das
Jahr 1998)

Ohne 10%igen Abschlag enthält ein Rechtsanwalt für die Vertretung in einer
arbeitsrechtlichen Kündigungsschutzklage lediglich 84,0 %,

bei Beibehaltung des 10%igen Gebührenabschlages nur 75,6 %

der Gebühren eines Rechtsanwalts aus den alten Bundesländern.

In Prozesskostenhilfestreitigkeiten führt der Abschlag sogar im Ergebnis zu ei-
ner Dreifachreduzierung. Zum einen sind die Gegenstandswerte niedriger, zum
zweiten besteht der 10%ige Abschlag und zum dritten unterfallen weit mehr
Rechtsuchende in den neuen Bundesländern den PKH-Regelungen, was
schließlich zu einer dritten Reduzierung des Anwaltshonorars führt.

Da nun durch die Änderung des § 78 ZPO alle Anwälte in der Bundesrepublik
Deutschland vor jedem Landgericht auftreten können, entfällt auch die letzte
Grundlage für eine Aufrechterhaltung des Gebührenabschlages. Völlig aus der
Luft gegriffen ist, dass der Gebührenabschlag zukünftig einen Wettbewerbsvor-
teil für die Anwälte in den neuen Bundesländern darstellt. Kein Mandant wird
einen Anwalt nach diesem Kriterium auswählen.

Außerdem führt die Fortgeltung des Gebührenabschlages aber auch des Ab-
schlages beim Gerichtskostengesetz zu einer völlig unnötigen Justizbelastung.
Die Rechtspfleger müssen sich seit dem 1. Januar 2000 regelmäßig mit der Ge-
bührenabschlagsproblematik auseinandersetzen. Gleiches würde im Falle von
Rechtsbehelfen auch die Richter selbst treffen: So hat die Bundesrechtsan-
waltskammer beispielhaft folgende Problemkreise aufgeführt:

1. Tritt die Gebührenermäßigung für einen Anwalt aus den alten Bundeslän-
dern ein, der einen Auftraggeber aus den neuen Bundesländern im Rahmen
bewilligter Beratungshilfe nur beratend vertritt?

2. Sind die Gebühren nach § 123 BRAGO für einen Rechtsanwalt aus dem al-
ten Bundesgebiet, der einen Beteiligten aus den neuen Ländern, dem Pro-
zesskostenhilfe bewilligt worden ist, in einer Familiensache vor dem BGH
vertritt, um 10 % zu kürzen?

Streitwert
(3-faches Einkommen)

West
17 565 DM

Ost (ohne
Abschlag)
12 471 DM

Ost (mit
Abschlag)
12 471 DM

10/10 Prozessgebühr 875 DM 735 DM 662 DM

10/10 Verhandlungsgebühr 875 DM 735 DM 662 DM

10/10 Vergleichsgebühr 875 DM 735 DM 662 DM

Gesamt 2 625 DM 2 205 DM 1 986 DM

Drucksache 14/3485 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode
3. Gilt die Gebührenermäßigung für die Vertretung von Mandanten mit Wohn-
sitz in den neuen Bundesländern vor Gerichten in den alten und/oder neuen
Bundesländern durch einen Anwalt aus den alten Bundesländern?

4. Ermäßigen sich bei mehreren Auftraggebern die Anwaltsgebühren nach der
Maßgabe des Einigungsvertragsgesetzes nur für diejenigen Mandanten, die
ihren Wohnsitz im Beitrittsgebiet haben (§ 6 BRAGO)? Oder ist nur die Er-
höhungsgebühr von der Kürzung betroffen?

5. Beträgt der Höchstbetrag für die Auslagenpauschale (§ 26 BRAGO) 40 DM
oder wird er auf 36 DM ermäßigt?

Schließlich ist noch zu bedenken, dass eine Anpassung der Rechtsanwaltsge-
bühren seit Jahren überfällig ist. Die Gebührenordnung der Anwälte in den al-
ten und neuen Bundesländern hinkt in sehr starkem Maße der wirtschaftlichen
Entwicklung hinterher. Einerseits hat die Kaufkraft in den letzten sechs Jahren
um 10 % nachgelassen, während sich gleichzeitig aber die Betriebskosten in
der Kanzleiführung erheblich erhöht haben.

Außerdem ist auch zu berücksichtigen, dass insbesondere im unteren Bereich
der Gegenstandswerte eine Anpassung der Gebühren dringend notwendig ist.
Gerade bei niedrigen Streitwerten werden Verfahren unterhalb der Kosten vom
Anwalt geführt.

Da im Durchschnitt in den neuen Bundesländern die Streitwerte weniger sind
als in den alten Bundesländern, werden auch insoweit die Anwälte benachtei-
ligt. Darüber hinaus ist auch zu bedenken, dass der 10%ige Gebührenabschlag
die forensisch tätigen Anwälte bestraft, während diejenigen, die ihre Gebühren
außerhalb gerichtlicher Tätigkeit frei aushandeln können, von dem Abschlag
nicht betroffen sind. Wenn man abschließend auch die hohe Zahl an Berufsein-
steigern sieht, wird deutlich, dass der Gebührenabschlag gerade diejenigen
trifft, die in Zukunft in den neuen Bundesländern den Rechtsstaat stützen sol-
len. Solange die Anwaltschaft Auffangbecken für die vom Staat ausgebildeten
Juristen bleibt, darf der Staat auf der anderen Seite die Anwaltschaft hinsicht-
lich ihrer ihnen zustehenden Gebühren nicht benachteiligen.

Wie brisant die Lage gegenwärtig ist, zeigt, dass der Jahresüberschuss einer
Einzelkanzlei vor Steuern 1996 noch bei 89 000 DM gelegen hat, während er
1997 bereits bei nur noch 66 000 DM gelegen hat.

Der derzeit noch in Höhe von 10 % bestehende Gebührenabschlag in den neuen
Bundesländern wurde im Rahmen des Einigungsvertrages eingeführt und im
Jahre 1996 von 20 % auf 10 % reduziert. Es handelt sich um eine Ministerver-
ordnung, für die nicht die Zustimmung des Bundesrates notwendig ist, da die
Kostengesetze als Bestandteile des Verfahrensrechtes nicht zustimmungspflich-
tig sind. Aufgrund der besonderen Bedeutung der Angelegenheit bedarf die
Verordnung der Zustimmung des gesamten Kabinetts. Es liegt also alleine in
der Hand der Bundesregierung, für ein weiteres Stück Gleichheit und letztlich
auch Gerechtigkeit in der Bundesrepublik Deutschland zu sorgen.

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