BT-Drucksache 14/3386

Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen: Überprüfung der Beschlüsse der Pekinger Weltfrauenkonferenz - Peking+5

Vom 17. Mai 2000


Deutscher Bundestag Drucksache 14/3386
14. Wahlperiode 17. 05. 2000

Antrag
der Abgeordneten Brigitte Adler, Adelheid Tröscher, Ulla Schmidt (Aachen),
Christel Hanewinckel, Hildegard Wester, Christel Humme, Dr. Hans-Peter Bartels,
Ingrid Becker-Inglau, Rudolf Bindig, Anni Brandt-Elsweier, Detlef Dzembritzki,
Dieter Dzewas, Hans Forster, Arne Fuhrmann, Renate Gradistanac, Reinhold
Hemker, Frank Hempel, Ingrid Holzhüter, Karin Kortmann, Christine Lehder,
Christa Lörcher, Tobias Marhold, Margot von Renesse, Dagmar Schmidt
(Meschede), Wilhelm Schmidt (Salzgitter), Rolf Stöckel, Dr. R. Werner Schuster,
Hanna Wolf (München), Dr. Peter Struck und der Fraktion der SPD sowie der
Abgeordneten Dr. Angelika Köster-Loßack, Rita Grießhaber, Irmingard
Schewe-Gerigk, Christian Simmert, Christian Ströbele, Kerstin Müller (Köln),
Rezzo Schlauch und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen: Überprüfung der
Beschlüsse der Pekinger Weltfrauenkonferenz – Peking+5

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Vom 4. bis 15. September 1995 fand in Peking die 4. Weltfrauenkonferenz statt.
Unter dem Motto „Aktion für Gleichberechtigung, Entwicklung und Frieden“
verfolgte die Konferenz zwei Hauptziele: 1. eine Bilanz der Umsetzung der
„Zukunftsstrategien von Nairobi zur Förderung der Frau“, 2. Entwicklung
neuer konkreter Zukunftsstrategien zur Verbesserung der Situation von Frauen
und Bündelung dieser Maßnahmen in einer „Aktionsplattform“ als Abschluss-
dokument. Das von 189 Staaten verabschiedete Schlussdokument von Peking
legt strategische Ziele für die Gleichstellung von Frauen und Männern fest:
Frauenrechte sind Menschenrechte; Frauen haben das Recht auf sexuelle
Selbstbestimmung; gleiches Erbrecht für Töchter und Söhne; Gewalt gegen
Frauen und Mädchen ist geächtet. Die Aktionsplattform benennt zwölf kriti-
sche Hauptproblembereiche, die nun Gegenstand der Überprüfung sein werden,
nämlich: Frauen und Armut, Bildung und Ausbildung von Frauen, Frauen und
Gesundheit, Gewalt gegen Frauen, Frauen und bewaffnete Konflikte, Frauen
und Wirtschaft, Frauen an den Schalthebeln und Entscheidungsfindung, institu-
tionelle Mechanismen und die Förderung von Frauen, Menschenrechte und
Frauen, Frauen und Medien, Frauen und Umwelt, Mädchen.

Die Sondergeneralversammlung zur Überprüfung der Ergebnisse der 4. Welt-
frauenkonferenz von Peking wird die dort gefassten Beschlüsse bekräftigen
und Maßnahmen beschließen, wie die Erklärung und das Aktionsprogramm
von Peking weiter umgesetzt werden sollen.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 2 – Drucksache 14/3386

II. Der Deutsche Bundestag begrüßt, dass

● in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit die Gleichstellung der
Geschlechter ein eigenständiger Grundsatz ist und in alle Entwicklungs-
vorhaben einfließt.

● im Rahmen der bilateralen Technischen Zusammenarbeit für Vorhaben
der rechts- und sozialpolitischen Beratung unter besonderer Berücksichti-
gung von Frauen umfangreiche finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt
werden. In den Projekten geht es darum, das Ziel des Empowerment von
Frauen in die Praxis umzusetzen, indem die Verbesserung ihrer gesell-
schaftlichen Stellung unterstützt wird.

● die Bundesrepublik Deutschland zu den zehn ersten Staaten gehört, die
das im Oktober 1999 von der Generalversammlung der Vereinten Natio-
nen angenommene Zusatzprotokoll zu dem von den Vereinten Nationen
1979 beschlossenen Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form der
Diskriminierung der Frau unterzeichnet haben, das Frauen ein Individual-
beschwerderecht ermöglicht, wenn sie aufgrund ihres Geschlechts be-
nachteiligt worden sind.

● durch die Ernennung einer Sonderbotschafterin durch den United Nation
Population Fund (UNFPA) dem Schwerpunkt der Bekämpfung der Ver-
stümmelung weiblicher Geschlechtsteile hohe Aufmerksamkeit gewid-
met wird.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

● darauf hinzuwirken, dass die Organisationen des Systems der Vereinten
Nationen, die Bretton-Woods-Einrichtungen, die Welthandelsorganisa-
tion (WTO), andere internationale und zwischenstaatliche Organe, Parla-
mente, aber auch die Bürgergesellschaft einschließlich des Privatsektors,
der Nichtregierungsorganisationen (NRO) und Gewerkschaften sich an
einer effektiven Umsetzung der Aktionsplattform beteiligen, eine ent-
sprechende internationale Zusammenarbeit verstärkt wird und ein dafür
förderliches Umfeld geschaffen wird.

● sich für die volle Umsetzung der Erklärung über die grundlegenden Prin-
zipien und Rechte bei der Arbeit und ihre Folgemaßnahmen der Inter-
nationalen Arbeitsorganisation (IAO) von 1998 einzusetzen und auf die
universelle Ratifizierung und Umsetzung der darin genannten Über-
einkommen hinzuwirken, die besonders für die Rechte der Frauen am
Arbeitsplatz relevant sind.

● das von der Generalversammlung der Vereinten Nationen angenommene
Zusatzprotokoll zu dem von den Vereinten Nationen 1979 beschlossenen
Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der
Frau dem Deutschen Bundestag umgehend zur Ratifizierung vorzulegen.

● den gleichen Zugang von Frauen zu allen Institutionen in Politik, Wirt-
schaft und Gesellschaft zu unterstützen.

● sicherzustellen, dass Frauen aktiv an der Definition, Konzipierung, Ent-
wicklung, Umsetzung und Bewertung der geschlechtsspezifischen Aus-
wirkungen einer sich verändernden Gesellschaft beteiligt sind.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/3386

● zu berücksichtigen, dass für die Einbeziehung einer geschlechtsbezo-
genen Perspektive in allen Bereichen der Politik und die Umsetzung
weiterer Aktionen und Initiativen die Tatsache wesentlich ist, dass diese
auf allen Ebenen des Lebenszyklus – Kindheit, Heranwachsen, Erwach-
senendasein und Alter – ansetzen, und zwar unter Berücksichtigung von
Faktoren wie Rasse, Sprache, ethnische Zugehörigkeit, sexuelle Nei-
gungen, Behinderungen, sozioökonomische Klasse oder Status als
autochthone Bevölkerungsgruppe, Migrantinnen, Vertriebene oder
Flüchtlinge.

● die anhaltende und steigende Last der Armut für Frauen in vielen Län-
dern, insbesondere in Entwicklungsländern, anzuerkennen und deshalb
bei der Verwendung von Haushaltsmitteln, die aufgrund von Schulden-
regelungen frei werden, sowie bei der Umsetzung von makroökono-
mischen und sozialpolitischen Programmen einschließlich unter anderem
solcher für eine strukturelle Anpassung und externe Schuldenprobleme
von einer geschlechtsspezifischen Perspektive auszugehen, um einen
universellen und gerechten Zugang zu sozialen Diensten, insbesondere
zur Bildung und Ausbildung und zu bezahlbaren Gesundheitsfürsorge-
qualitätsdiensten, und einen gerechten Zugang zu wirtschaftlichen
Ressourcen und deren Kontrolle zu gewährleisten.

● darauf hinzuwirken, dass in Wissenschaft und Forschung geschlechtsspe-
zifische Aspekte, z. B. in den Bereichen Umwelt, Arbeitswelt, Erziehung
und Gesundheit, berücksichtigt werden.

● geschlechtssensible statistische Indikatoren für die Überwachung und die
Wirkungsbewertung politischer Maßnahmen zu formulieren, damit
geschlechtsspezifische Daten erhoben, die Auswirkungen hinsichtlich
politischer und gesellschaftlicher Veränderungen beurteilt und entspre-
chende Vorschläge für politisches Handeln entwickelt werden können.

● die Umsetzung der Aktionsplattform dahin gehend zu beschleunigen,
dass messbare Ziele formuliert und nationale Verantwortlichkeiten
definiert werden.

● zum Abbau bestehender Hemmnisse beizutragen, die eine Umsetzung der
Beschlüsse der Weltfrauenkonferenzen erschweren oder gar unmöglich
machen. Dies betrifft insbesondere Hemmnisse innerhalb von Kulturen
und Zivilisationen, wie unterschiedliche Religionsverständnisse und die
sich daraus ergebende aktive Verletzung der Menschenrechte von Frauen
und Mädchen. Die universelle Durchsetzung der Menschenrechte soll auf
allen gesellschaftlichen Ebenen Unterstützung erfahren und in ihrem
Bestand nicht durch Religion instrumentalisierende gesellschaftliche
Gruppierungen bedroht werden.

● bei der Durchführung der HIPC-Entschuldungsinitative genderspezifi-
schen Aspekten weiterhin Rechnung zu tragen.

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● nicht zuzulassen, dass die in Peking erzielten Fortschritte bei der Gleich-
stellung der Geschlechter abgeschwächt werden, und die bereits einge-
leiteten Reformprozesse sowohl in der Diskussion als auch in der prak-
tischen Umsetzung zu stärken.

Berlin, den 17. Mai 2000

Brigitte Adler Renate Gradistanac
Adelheid Tröscher Reinhold Hemker
Ulla Schmidt (Aachen) Frank Hempel
Christel Hanewinckel Ingrid Holzhüter
Hildegard Wester Karin Kortmann
Christel Humme Christine Lehder
Dr. Hans-Peter Bartels Christa Lörcher
Ingrid Becker-Inglau Tobias Marhold
Rudolf Bindig Margot von Renesse
Anni Brandt-Elsweier Dagmar Schmidt (Meschede)
Detlef Dzembritzki Wilhelm Schmidt (Salzgitter)
Dieter Dzewas Rolf Stöckel
Hans Forster Dr. R. Werner Schuster
Arne Fuhrmann Hanna Wolf (München)
Dr. Peter Struck und Fraktion

Dr. Angelika Köster-Loßack Irmingard Schewe-Gerigk
Rita Grießhaber Christian Simmert
Christian Ströbele
Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und Fraktion

Begründung

Seit den neunziger Jahren hat sich die Diskussion um das gesellschaftliche
Rollenverständnis positiv entwickelt. Beide Geschlechter werden in ihren
jeweiligen gesellschaftlichen Rollen betrachtet (Gender). Die Ursachen für die
Benachteiligung von Frauen, die in der Macht- und Rollenverteilung liegen,
sollen durch die gezielte Stärkung der Einflussmöglichkeiten von Frauen nach-
haltig verändert werden (Empowerment). In der Praxis hat sich jedoch auch
fünf Jahre nach der Peking-Konferenz die Gleichstellung von Frauen und
Männern in keinem Land der Erde vollständig durchgesetzt. Das Hauptproblem
bei der Umsetzung der Pekinger Aktionsplattform ist der in vielen Ländern
fehlende oder nur in geringem Umfang vorhandene politische Wille.

70 % der 1,3 Milliarden Armen der Welt sind Frauen (Feminisierung der
Armut). Die AIDS-Infektionsrate bei Frauen und heranwachsenden Mädchen
steigt und stellt bei weltweit insgesamt 33 Millionen HIV-Infizierten und täg-
lich weiteren 16 000 Neuinfektionen gewaltige Anforderungen an die Gesund-
heitsfürsorge. 80 % der Flüchtlinge vor Kriegen und Katastrophen sind Frauen
und Kinder. Etwa 78 % der Mädchen in Entwicklungsländern gehen heute zur
Schule und dennoch sind 60 % aller Analphabeten immer noch Frauen. Nicht
einmal ein Drittel der von Frauen geleisteten Arbeit wird bezahlt. Dabei leisten
Frauen weltweit mehr als die Hälfte aller Arbeitsstunden. Im informellen
Sektor stellen sie 60 bis 80 % der Beschäftigten. Diese Arbeit ist rechtlich und
sozial nicht gesichert, was Frauen in der Doppelfunktion in Familie und Beruf
besonders hart trifft: Es gibt häufig keinen Kündigungsschutz, keine Zusiche-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 5 – Drucksache 14/3386

rung sozialer Mindeststandards und gewerkschaftliche Organisation wird häu-
fig behindert. Jedes Jahr sterben weltweit mehr als eine halbe Million Frauen an
den Folgen häufig fehlender oder mangelnder medizinischer Betreuung bei der
Geburt. Frauen und Mädchen sind sexuellem Missbrauch und physischer Miss-
handlung ausgesetzt.

Der Anteil von Frauen an Führungspositionen in Wirtschaft und Verwaltung
liegt weltweit bei 14 %. Nur etwa 12 % aller Parlamentsmitglieder der Welt
sind Frauen.

Der gestiegenen Bedeutung und gesellschaftlichen Akzeptanz und Relevanz
der Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern auf allen Ebenen stehen
bei der weiteren Umsetzung der Pekinger Aktionsplattform erhebliche Hinder-
nisse entgegen. Die staatliche Schuldenlast und unverhältnismäßige Militäraus-
gaben in vielen Entwicklungsländern, die in ihren sozialen Auswirkungen
belastenden Strukturanpassungsmaßnahmen, mangelnde Armuts- und Entwick-
lungsorientierung vieler Staaten und negative Auswirkungen der wirtschaft-
lichen Globalisierung verstärken die Gefahr von Armut insbesondere für
Mädchen und Frauen.

Im Bildungsbereich sind u. a. aufgrund mangelnder ganzheitlicher Konzepte,
geschlechtsspezifischen stereotypen Unterrichtsmaterials, unangemessener
Gehälter, fehlender Bildungseinrichtungen, fortbestehender Geschlechts-
diskriminierung und mangelnder Infrastruktur gerade in den Entwicklungs-
ländern nur in geringem Umfang Fortschritte zu erkennen. In Anbetracht der
Anforderungen des Informationszeitalters schlagen hier Defizite besonders
deutlich zu Buche.

Die Nichtanerkennung geschlechtsbezogener Perspektiven bei der Entwicklung
einer makroökonomischen Politik, auseinanderdriftende Gehälter und fehlende
Gesetze, etwa im Bereich von Eigentums- und Nutzungsrechten, behindern die
wirtschaftliche Gleichstellung.

Die Berücksichtigung der kulturellen Unterschiede und der konstruktive Dialog
zwischen den Kulturen und Zivilisationen sind grundlegende Voraussetzungen
für gemeinsam zu entwickelnde Lösungsansätze aller Problembereiche. Aber
auch der Dialog innerhalb der Kulturen und Zivilisationen muss kontinuierlich
geführt werden, damit interne Konflikte vermieden werden können. In diesem
Zusammenhang spielen unterschiedliche Interpretationen des Religions-
verständnisses eine bedeutende Rolle. Intolerante Ausprägungen können ein
wesentliches Entwicklungshemmnis darstellen und sich in instrumentalisie-
render Weise auch gegen Menschen richten.

Die Regierungen sind für den Schutz und die Förderung der Menschenrechte
der Frauen verantwortlich und sind verpflichtet, diese Menschenrechte anzu-
erkennen, zu gewähren und zu schützen.

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