BT-Drucksache 14/3162

Gesellschaftliche Hilfe und Verantwortung für Selbsthilfe, Selbsthilfegruppen und Selbsthilfekontaktstellen

Vom 7. April 2000


Deutscher Bundestag Drucksache 14/3162
14. Wahlperiode 07. 04. 2000

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, Dr. Ruth Fuchs, Dr. Klaus Grehn
und der Fraktion der PDS

Gesellschaftliche Hilfe und Verantwortung für Selbsthilfe, Selbsthilfegruppen
und Selbsthilfekontaktstellen

Selbsthilfe leistet einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Lebensqualität
von kranken und behinderten Menschen.

Seit Beginn der 70er Jahre entwickeln sich zunehmend Selbsthilfegruppen,
Selbsthilfeorganisationen und Selbsthilfekontaktstellen. Die von betroffenen
Frauen und Männern, ihren Angehörigen und Freunden und/oder Ärztinnen
und Ärzten initiierte Selbsthilfebewegung nimmt im Sozial- und Gesundheits-
system inzwischen einen festen Platz ein. Sie ergänzt in vielfältiger und wirk-
samer Weise die institutionellen bzw. professionellen Angebote der gesund-
heitlichen Versorgung. Der Erfolg der Selbsthilfe beruht vor allem auf
Eigeninitiative und Eigenverantwortung ihrer Mitglieder.

Selbsthilfeförderung ist aber zugleich eine Gemeinschaftsaufgabe und so Aus-
druck gesellschaftlicher Solidarität und Verantwortung vor dem Leben und der
Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land. Daher sollten sich
die öffentliche Hand, die Sozialversicherungsträger (Renten-, Kranken- und
Unfallversicherung) und die private Krankenversicherung an der Förderung der
Selbsthilfe beteiligen. Die Stärkung der Selbsthilfe durch die gesetzlichen
Krankenkassen soll und darf nicht zu einem Rückzug anderer Kostenträger wie
beispielsweise der öffentlichen Hand führen. Vielmehr sollte sie dazu beitra-
gen, die Bereitschaft der anderen Sozialleistungsträger und der öffentlichen
Hand zu steigern, die Selbsthilfe ihrerseits durch eine maßgebliche Erhöhung
ihres finanziellen Engagements zu fördern. Diese Auffassung des Gesetzgebers
wird von der gesetzlichen Krankenversicherung und den Vertretern der Selbst-
hilfe geteilt und liegt auch den „Gemeinsamen und einheitlichen Grundsätzen
der Spitzenverbände der Krankenkassen zur Förderung der Selbsthilfe gemäß
§ 20 Abs. 4 SGB V vom 10. März 2000“ zugrunde.

Diese Grundsätze beziehen sich ausschließlich auf die finanzielle Förderung
der Selbsthilfe und regeln Voraussetzungen, Inhalt, Umfang und Formen dieser
Förderung sowie die Abstimmung mit anderen Fördersträngen. Die vielfältigen
Formen und Möglichkeiten der immateriellen, sächlichen und strukturellen
Förderung bleiben hiervon unberührt.

Am 17. Dezember 1999 hat der Deutsche Bundestag das Gesetz über die „GKV
– Gesundheitsreform 2000“ beschlossen. Damit wurden auch die Möglichkei-
ten der Selbsthilfeförderung durch die Krankenkassen ab dem Jahr 2000 in der

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Neufassung des § 20 Absatz 4 SGB V neu geregelt. Daraus ergeben sich neue
Ansprüche und zugleich Hoffnungen für die Selbsthilfe, Selbsthilfegruppen
und Selbsthilfekontaktstellen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Über welche Erkenntnisse verfügt die Bundesregierung, dass und in wel-
chem Maße die einzelnen Kassen ihrer gesetzlichen Pflicht nachkommen
und entsprechende Haushaltsmittel eingestellt haben, um die Forderungen
aus § 20 SGB V erfüllen zu können?

2. Wie will bzw. kann die Bundesregierung Einfluss nehmen, dass die vorgese-
henen Mittel zweckentsprechend ausgegeben werden?

a) Durch wen wird eine entsprechende Kontrolle darüber gesichert?

b) Welche Formen und Zeiträume der Kontrolle durch die Bundesregierung
sind dazu vorgegeben bzw. vorgesehen?

3. Welche Erkenntnisse bzw. Erwartungen hat die Bundesregierung hinsicht-
lich einer konkreten Bürgerbeteiligung und Mitgestaltung sowie hinsichtlich
der Transparenz und gerechten Verteilung der Fördermittel durch gemein-
same und einheitliche Grundsätze der Krankenkassen?

4. Wie will und kann die Bundesregierung die erforderliche Transparenz dieses
Förderprozesses und die damit verbundenen Modalitäten gewährleisten?

5. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung hinsichtlich der Kriterien,
nach welchen die Fördermittel fließen, bewilligt und verteilt werden?

6. Ist der Bundesregierung bekannt, ob die ausgereichten Mittel in entspre-
chender Form auch tatsächlich bei den jeweiligen Selbsthilfegruppen an-
kommen?

Wenn nein, was gedenkt die Bundesregierung dann zu tun, um einerseits
ihrer gesetzlichen Kontrollpflicht und andererseits ihrer solidarischen Ver-
antwortung nachzukommen?

7. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung zu immateriellen und finan-
ziellen Leistungen der gesetzlichen und privaten Krankenkassen bzw. -ver-
sicherer zur Unterstützung der Selbsthilfe für die Prävention oder Rehabi-
litation von Krankheiten und Behinderungen sowie für Selbsthilfekontakt-
stellen?

a) Welche konkreten Leistungen und Hilfen wurden dabei durch die jewei-
ligen Kassen bzw. Versicherer seit 1996 erbracht und welche sind vorge-
sehen?

b) Wie hat sich in diesem Zeitraum die Entwicklung der projektbezogenen
und institutionellen Förderung der Selbsthilfe, Selbsthilfegruppen und
Selbsthilfekontaktstellen, differenziert nach Ländern und Kassen, vollzo-
gen und wie ist der aktuelle Stand?

8. Wie will die Bundesregierung die Selbsthilfe als Gemeinschaftsaufgabe über
das SGB V hinaus regeln und welche Möglichkeiten der Stärkung der
Selbsthilfe sieht sie hinsichtlich einer entsprechenden Einbeziehung der
öffentlichen Hand und der Sozialversicherungsträger (Renten-, Kranken-
und Unfallversicherung) in die Selbsthilfeförderung als Ausdruck gesell-
schaftlicher Solidarität und Verantwortung vor dem Leben und der Gesund-
heit der Bürgerinnen und Bürger in der Bundesrepublik Deutschland?

a) Welche konkreten Schritte will die Bundesregierung dazu einleiten?

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/3162

b) Welche Erfahrungen und Ergebnisse liegen auf diesem Gebiet bereits
vor?

9. Welche speziellen Möglichkeiten der Förderung und Unterstützung von
Selbsthilfe, Selbsthilfegruppen und Selbsthilfekontaktstellen sieht die
Bundesregierung durch die privaten Krankenversicher?

a) Welche konkreten Erkenntnisse über eine solche Unterstützung der
Selbsthilfe durch die privaten Krankenversicherer liegen der Bundes-
regierung vor?

b) Welche konkreten Schritte will bzw. kann die Bundesregierung einlei-
ten, damit auch private Krankenversicherer einen verstärkten, angemes-
senen solidarischen Beitrag zur Verbesserung der Lebensqualität von
kranken und behinderten Menschen leisten?

10. Welche Rolle sieht die Bundesregierung für Selbsthilfeorganisationen und
vergleichbare Vereinigungen im Behindertenbereich angesichts der Ge-
fährdung von Leistungen im Rahmen der individuellen Schwerbehinder-
tenbetreuung (ISB) durch Einschränkungen im Zivildienst, die sich unter
anderem aus dem Haushaltssanierungsgesetz ergeben?

Welche Möglichkeiten der Förderung der Selbsthilfe und Selbsthilfeorgani-
sationen sieht die Bundesregierung in diesem Zusammenhang?

Berlin, den 6. April 2000

Dr. Ilja Seifert
Dr. Ruth Fuchs
Dr. Klaus Grehn
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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