BT-Drucksache 14/3161

Wirkungen der Ausgleichsabgabe auf die Beschäftigungssituation von Menschen mit Behinderungen

Vom 7. April 2000


Deutscher Bundestag Drucksache 14/3161
14. Wahlperiode 07. 04. 2000

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, Dr. Klaus Grehn, Dr. Heidi Knake-Werner,
Heidemarie Ehlert und der Fraktion der PDS

Wirkungen der Ausgleichsabgabe auf die Beschäftigungssituation von Menschen
mit Behinderungen

In der Bundesrepublik Deutschland gibt es ca. 3,2 Millionen Schwerbehinderte
im erwerbsfähigen Alter (15–65 Jahre). Davon sind jedoch lediglich 795 000
auf dem allgemeinen bzw. so genannten ,ersten‘ Arbeitsmarkt, 154 300 in
Werkstätten für Behinderte, 4 700 auf Arbeitsplätzen in Integrationsbetrieben
und 3 900 in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (nach Angaben der Industriege-
werkschaft Metall vom Februar 2000).

Die Beschäftigungssituation von Menschen mit Behinderungen ist nach wie
vor kritisch. Die Beschäftigungsquote von Schwerbehinderten lag 1998 nur
noch bei 3,8 Prozent. Die Anzahl der mit Schwerbehinderten besetzten Arbeits-
plätze ist rückläufig. Während 1995 noch 844 351 Arbeitsplätze mit Schwer-
behinderten besetzt waren, traf dies 1997 nur noch für 795 104 Arbeitsplätze
zu. Trotz einer steigenden Anzahl der Vermittlungen durch die Bundesanstalt
für Arbeit – von 32 249 im Jahr 1994 auf 41 709 im Jahr 1999 – ist die Anzahl
der arbeitslosen Schwerbehinderten im Zeitraum 1994 bis 1999 von 175 210
auf 190 200 weiter angewachsen (nach Angaben der Bundesanstalt für Arbeit,
jeweils zum 31. Dezember).

Die im Februar 2000 von der Bundesanstalt für Arbeit bekannt gegebenen Zah-
len zu arbeitslosen Schwerbehinderten (insgesamt 192 400) machen weitere
Probleme sichtbar. So ist zwar im Vergleich zum Vormonat und zum Vorjahres-
monat ein Rückgang deutlich, der insbesondere auf eine entsprechende Ent-
wicklung in den alten Bundesländern zurückzuführen ist. In den neuen Bundes-
ländern ist jedoch gegenüber dem Vorjahresmonat ein deutlicher Zuwachs an
arbeitslosen Schwerbehinderten um 2 777 auf insgesamt 38 565 zu verzeich-
nen. Dies entspricht einem Zuwachs von 7,8 Prozent, bei arbeitslosen schwer-
behinderten Frauen sogar um 8,1 Prozent.

Gleichzeitig ist zu verzeichnen, dass 143 676 Arbeitgeber die im Schwerbehin-
dertengesetz (SchwbG) festgelegte Beschäftigungspflicht – Besetzung von
mindestens 6 Prozent aller Arbeitsplätze mit Schwerbehinderten in Betrieben
und Einrichtungen mit 16 und mehr Beschäftigten – nicht erfüllen. 70 617 der
gesetzlich verpflichteten Arbeitgeber (37 Prozent) beschäftigen keinen einzigen
Schwerbehinderten. Sie nehmen damit in Kauf, monatlich pro nicht mit einem
Schwerbehinderten besetzten Arbeitsplatz die im Schwerbehindertengesetz
festgelegte Ausgleichsabgabe (§ 11 SchwbG) in Höhe von gegenwärtig
200 DM zu bezahlen, die als Betriebsausgabe steuerlich abzugsfähig ist.

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Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die bisherige Regelung der
Ausgleichsabgabe als ein Steuerungsinstrument zur Förderung der Beschäfti-
gung von Schwerbehinderten weitgehend nicht den Erfordernissen entspricht.
Ein vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (in einer Fassung
vom Februar 2000) vorgelegter Referentenentwurf für ein „Gesetz zur Be-
kämpfung der Arbeitslosigkeit von Schwerbehinderten“ sieht verschiedene
Änderungen zur Anwendung, Wirkungsweise und Nutzung der Ausgleichs-
abgabe vor, die bereits auf öffentliche Kritik bei Behindertenverbänden, in
Gewerkschaften und Schwerbehindertenvertretungen gestoßen ist. Insbeson-
dere werden Zweifel laut, dass die im Referentenentwurf vorgesehenen Ände-
rungen bei der Ausgleichsabgabe Folgen haben könnten, die der von der
Bundesregierung angekündigten Zielstellung entgegenwirken würden, 50 000
arbeitslose Schwerbehinderte in versicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse zu
bringen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie hat sich nach Kenntnis der Bundesregierung im Zeitraum 1992 bis 1999
die Erfüllung der Pflichtquote für die Beschäftigung von Schwerbehinderten
insgesamt und differenziert nach Männern und Frauen in folgenden Berei-
chen entwickelt:

a) private Wirtschaftsunternehmen insgesamt und aufgegliedert nach fol-
genden Bereichen

– Banken und Versicherungen

– vom Bund privatisierte ehemalige Bundesunternehmen

– Einzelhandel

b) öffentlicher Dienst insgesamt und aufgegliedert nach den Bereichen

– des Bundes

– der Länder

– der Städte und Gemeinden

c) regional in den Bundesländern?

2. Wie hat sich das Aufkommen der Ausgleichsabgabe im Zeitraum 1992 bis
1999 entwickelt (bitte Angaben für alle Jahre seit 1992 und gegliedert nach
Bundesländern)?

3. Wie erfolgte die Verwendung der Ausgleichsabgabe im Zeitraum 1992 bis
1999 über die Hauptfürsorgestellen in den Bundesländern und den Aus-
gleichsfonds für überregionale Maßnahmen (entsprechend § 12 SchwbG)
für Maßnahmen zur

– Beschäftigungssicherung von Schwerbehinderten,

– Vermittlung von Schwerbehinderten in den ersten Arbeitsmarkt,

– besonderen Förderung der Beschäftigung von schwerbehinderten Frauen,

– Beschäftigungsförderung von Schwerbehinderten in Integrationsprojek-
ten, Integrationsabteilungen und -betrieben sowie

– Entwicklung von Werkstätten für Behinderte (WfB)?

4. Wie bewertet die Bundesregierung die bisherige Wirkung der Ausgleichs-
abgabe für die Verbesserung der Beschäftigungssituation von Schwerbehin-
derten und wo sieht sie die Ursachen dafür, dass die Ausgleichsabgabe in
ihrer bisherigen Form offenbar unzureichend geeignet ist, einen wirksamen

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Beitrag zu leisten, um die Beschäftigungslage von Schwerbehinderten ent-
scheidend zu verbessern?

5. Welche Auswirkungen haben die im Referentenentwurf des Bundesministe-
riums für Arbeit und Sozialordnung (BMA) für ein Gesetz zur Bekämpfung
der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter vorgesehenen Veränderungen, ins-
besondere die

– Absenkung der Pflichtquote von sechs auf fünf Prozent für private
Arbeitgeber,

– vorgesehene Kleinbetriebsregelung,

– Aufhebung der Befristung für die bisherige Regelung zur Nichtanrech-
nung von Ausbildungsplätzen bei der Berechnung der Mindestzahl von
Arbeitsplätzen (entsprechend § 8 SchwbG),

– am 16. März 2000 bei einer Beratung des BMA mit Verbänden vereinbar-
ten Staffelungen für die Ausgleichsabgabe für private und öffentliche
Arbeitgeber

für die Entwicklung der Einnahmen aus der Ausgleichsabgabe auf der Seite
der Hauptfürsorgestellen der Länder und des Ausgleichsfonds für über-
regionale Maßnahmen (entsprechend § 12 SchwbG i.V.m. §§ 35, 36, 41
SchwbAV)?

6. Wie soll angesichts dieser Einnahmeentwicklung aus der Ausgleichsabgabe
nach Ansicht der Bundesregierung die Verwendung der Einnahmen künftig
gesteuert werden, insbesondere im Hinblick auf

– Maßnahmen zur Beschäftigungssicherung von Schwerbehinderten,

– Erfordernisse zur besonderen Förderung der Beschäftigung von schwer-
behinderten Frauen,

– die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen für Schwerbehinderte in schnell
wachsenden und modernen Wirtschaftsbereichen, wie z. B. den Informa-
tionstechnologien,

– Maßnahmen zur verstärkten beruflichen Ausbildung und Qualifikation
von Schwerbehinderten,

– die Sicherung einer überproportional hohen Besetzung von Arbeitsplät-
zen mit Schwerbehinderten in Bereichen der Arbeitsvermittlung, die spe-
ziell für die Vermittlung von Schwerbehinderten in den ersten Arbeits-
markt entwickelt werden sollen (z. B. Integrationsfachdienste),

– den geplanten Auf- und Ausbau von Integrationsfachdiensten,

– die Förderung des Übergangs aus Werkstätten für Behinderte (WfB) auf
den ersten Arbeitsmarkt?

7. In welchem Umfang sollen nach Ansicht der Bundesregierung Einnahmen
aus der Ausgleichsabgabe für die vorgesehene Einführung der Arbeitsassis-
tenz eingesetzt werden und wie werden dabei der individuelle Bedarf und
das Wunsch- und Wahlrecht des Betroffenen berücksichtigt?

8. a) Welche konkreten Folgen ergeben sich nach Erkenntnis der Bundesregie-
rung aus einer im Referentenentwurf vorgesehenen Änderung des § 41
der Schwerbehindertenausgleichsabgabeverordnung (SchwbAV) für die
bisher in § 30 SchwbAV ausgewiesenen förderfähigen Einrichtungen?

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b) Durch welche Maßnahmen beabsichtigt die Bundesregierung, bei ei-
ner – wie im Referentenentwurf vorgesehen – Änderung des § 41
SchwbAV Leistungen für die Schaffung, Erweiterung, Ausstattung und
Modernisierung von förderfähigen Einrichtungen nach § 30 SchwbAV
künftig zu sichern?

9. a) Wie soll nach Ansicht der Bundesregierung die künftige Verwendung
der Einnahmen aus der Ausgleichsabgabe für Werkstätten und Wohn-
stätten für Behinderte erfolgen und wie soll das Verhältnis zwischen den
Aufwendungen für Investitionen einerseits und für laufende Betriebs-
kosten andererseits beeinflusst werden?

b) Teilt die Bundesregierung die von Verbänden geäußerte Befürchtung,
dass eine im Referentenentwurf vorgesehene Änderung des bisherigen
§ 41 SchwbAV dazu führen könnte, dass Mittel aus dem Ausgleichs-
fonds nicht mehr zur Deckung von Investitionskosten für Werkstätten
und Wohnstätten für Behinderte zur Verfügung stehen?

Wenn nein, warum nicht?

10. Mit welchen Auswirkungen für die Einnahmeentwicklung der Hauptfür-
sorgestellen ist nach Ansicht der Bundesregierung in den neuen Bundeslän-
dern in den Jahren 2000 bis 2004 zu rechnen, wenn es

– zu einer Art Länderfinanzausgleich kommen sollte, wie er im Referen-
tenentwurf vorgesehen ist,

– das vorgesehene Gesetz zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Schwer-
behinderter zum 1. Juli 2000 oder – wie offenbar auch angedacht –
rückwirkend zum 1. Januar 2000 in Kraft treten soll?

11. Gibt es seitens der Bundesregierung Pläne für spezielle Maßnahmen zum
Abbau der stabil hohen und – im Vergleich zu den alten Bundesländern –
nicht rückläufigen Arbeitslosigkeit von Schwerbehinderten in den neuen
Bundesländern?

a) Wenn ja, welche?

b) Wenn nein, warum nicht?

12. Wie soll nach Ansicht der Bundesregierung die Beschäftigung von
Schwerbehinderten zukünftig finanziell gefördert werden, wenn durch das
geplante Gesetz zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter
ein höherer Beschäftigungsgrad von Schwerbehinderten erreicht wird und
die Einnahmen aus der Ausgleichsabgabe dadurch zurückgehen?

a) Gibt es seitens der Bundesregierung neben dem vorgesehenen Gesetz
weitere Vorstellungen oder Konzepte zur Verbesserung der Beschäfti-
gungssituation von Schwerbehinderten für den Fall, dass die im Refe-
rentenentwurf vorgesehenen befristeten Regelungen zur Beschäfti-
gungspflichtquote und zur Ausgleichsabgabe nicht zu den angestrebten
Resultaten führen sollten, und wenn ja, welche?

b) Welche Möglichkeiten zieht die Bundesregierung in Betracht, um mit-
telfristig den Geltungsbereich des Schwerbehindertengesetzes systema-
tisch auf Menschen mit Behinderungen auszuweiten, die einen aner-
kannten Grad der Behinderung von 40 Prozent und von 30 Prozent
aufweisen?

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13. Hat die Bundesregierung die Absicht, die steuerliche Abzugsfähigkeit der
Ausgleichsabgabe als Betriebskosten im Zuge der Unternehmensteuer-
reform zugunsten einer Entlastung des Bundeshaushalts abzuschaffen?

Wenn ja, wie und wann?

Wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 6. April 2000

Dr. Ilja Seifert
Dr. Klaus Grehn
Dr. Heidi Knake-Werner
Heidemarie Ehlert
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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