BT-Drucksache 14/3024

Schattenwirtschaft mit marktwirtschaftlichen Mitteln eindämmen

Vom 23. März 2000


Deutscher Bundestag Drucksache 14/3024
14. Wahlperiode 23. 03. 2000

Antrag
der Abgeordneten Rainer Brüderle, Hildebrecht Braun (Augsburg),
Ernst Burgbacher, Jörg van Essen, Ulrike Flach, Paul K. Friedhoff, Horst Friedrich
(Bayreuth), Rainer Funke, Hans-Michael Goldmann, Joachim Günther (Plauen),
Dr. Karlheinz Guttmacher, Klaus Haupt, Ulrich Heinrich, Birgit Homburger,
Dr. Werner Hoyer, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Ina Lenke, Dirk Niebel,
Günther Friedrich Nolting, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia
Pieper, Dr. Günter Rexrodt, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Gerhard Schüßler,
Dr. Irmgard Schwaetzer, Marita Sehn, Dr. Hermann Otto Solms, Carl-Ludwig Thiele,
Dr. Dieter Thomae, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der F.D.P.

Schattenwirtschaft mit marktwirtschaftlichen Mitteln eindämmen

Der Bundestag wolle beschließen:

Alle wissenschaftlichen Untersuchungen in jüngerer Zeit zur Entwicklung der
Schattenwirtschaft in Deutschland kommen zu folgendem Ergebnis: Der Anteil
der Schattenwirtschaft am Sozialprodukt hat in den letzten Jahren stark zuge-
nommen. Auch wenn exakte Zahlen hierzu nicht verfügbar sind (nach der Stu-
die von Schneider/Enste sollen der Anteil der Schattenwirtschaft am Brutto-
inlandsprodukt mehr als 16% und die Zahl der zusammengerechneten „Voll-
zeitschwarzarbeiter“ in diesem Jahr erstmalig mehr als 5 Millionen betragen),
dürfte die Schattenwirtschaft inzwischen ein Ausmaß erreicht haben, das die
Leistung der deutschen Volkswirtschaft nicht unwesentlich mitbestimmt und
durch die pauschalen Schätzungen des Statistischen Bundesamtes auch nicht
annähernd genau zu erfassen ist.

46 % derjenigen, die ihren 630-DM-Job nach der Neuregelung kündigten, ga-
ben einer Studie des Instituts für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik,
Köln, zufolge zugleich an, das Geld unbedingt zum Lebensunterhalt zu brau-
chen. Die Schlussfolgerung liegt nahe, dass hier ein guter Teil der Arbeitskräfte
in die Schattenwirtschaft abgewandert ist.

Der Bundesregierung liegen nach eigenen Worten offensichtlich keine gesi-
cherten Angaben über Umfang, Entwicklung oder Struktur der Schattenwirt-
schaft vor (Antwort zu Frage 4 der Kleinen Anfrage der F.D.P.-Bundestagsfrak-
tion, Drucksache 14/2857). Ebensowenig verfügt die Bundesregierung über
gesicherte Erkenntnisse über die Zusammenhänge zwischen der Gesetzgebung
zur Scheinselbständigkeit, zur Neuregelung der geringfügigen Beschäftigung
oder zum Entsendegesetz mit der Schattenwirtschaft. Dies ist umso erstaunli-
cher, als Schattenwirtschaft immer auch ein Signal dafür ist, dass an dem staat-
lich gesetzten Rahmen etwas nicht stimmt und zwischen Bürgern und Staat eine
Entfremdung im Gange ist. Denn, um mit Adam Smith („Der Wohlstand der

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Nationen“) zu sprechen, „eine Steuer, die auf Unverständnis stößt, ist eine
große Versuchung zur Hinterziehung. Im Gegensatz zu den Grundsätzen der
Gerechtigkeit, wie sie allenthalben üblich sind, veranlasst das Gesetz erst die
Versuchung, um dann die zu bestrafen, die ihr erliegen.“

Auch verwertbare Statistiken über die Effizienz von Razzien gibt es nicht. Oh-
nehin kurieren solche Razzien nur an Symptomen, nicht aber an den Ursachen
der Schattenwirtschaft. Es kommt darauf an, unmittelbar an den ökonomischen
Wurzeln der Schattenwirtschaft anzusetzen. Denn in Deutschland gibt es nicht
zu wenig Arbeit, sondern sie ist oft unter den offiziellen Bedingungen nicht be-
zahlbar. Der Zusammenhang zwischen Leistung und Gegenleistung ist vielfach
nicht mehr erkennbar oder besteht nicht mehr (Vernachlässigung des Äquiva-
lenzprinzips).

Die Schattenwirtschaft betrifft nach den Worten der Bundesregierung nicht die
legal mit Arbeitsgenehmigungen zugelassenen Arbeitnehmer (Antwort zu
Frage 15, Drucksache 14/2857). Deshalb wäre die Abschaffung der Arbeits-
erlaubnispflicht – wie sie die F.D.P. vorgeschlagen hat – logischerweise ein
geeignetes Instrument, um den Kreis der nicht von der Schattenwirtschaft be-
troffenen Arbeitnehmer zu erweitern. Es ist daher unverständlich, dass die Bun-
desregierung sich an dieser Stelle gegen eine liberalere Regelung wendet.

Schließlich zeigen alle Untersuchungen, dass Arbeitszeitverkürzungen („Rente
mit 60“) zur Schattenwirtschaft ebenso beitragen wie eine hohe Steuer- und
Abgabenlast oder eine zu schwache Verwirklichung des Äquivalenzprinzips.
Die Bundesregierung teilt ausdrücklich die Auffassung dieser Studien zu den
beiden letztgenannten Punkten. Andererseits hat sie zugesagt, die zusätzlichen
gesetzlichen, zeitlich befristeten Voraussetzungen zur Umsetzung von Verein-
barungen, die das vorzeitige Ausscheiden langfristig Versicherter im Rahmen
der Beratungen des „Bündnisses für Arbeit“ ermöglichen, zu schaffen.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung deshalb auf:

1. Die Bundesregierung sollte die Untersuchung der Schattenwirtschaft inten-
sivieren, um Reformvorhaben künftig besser im Hinblick auf ihre Wirkun-
gen auf die Schattenwirtschaft abschätzen zu können. Insbesondere wird sie
aufgefordert, hierzu ein Sondergutachten des Sachverständigenrats einzuho-
len.

2. Die Bundesregierung wird die Vorschläge des „Bündnisses für Arbeit“ zum
vorzeitigen Ausscheiden aus dem Erwerbsleben im Lichte des dadurch be-
wirkten weiteren Anwachsens der Schattenwirtschaft überprüfen und darü-
ber dem Deutschen Bundestag berichten.

3. Die Bundesregierung wird den Ansatz, die Rentenversicherung aus dem
Aufkommen der sog. Ökosteuern mitzufinanzieren, im Lichte der Effizienz-
vorteile des Äquivalenzprinzips erneut überprüfen.

4. Die Bundesregierung wird dem Deutschen Bundestag erläutern, worin ge-
nau der solidarische Ausgleich einer Mitfinanzierung der Rentenversiche-
rung durch das Aufkommen aus Ökosteuern liegen soll.

5. Die Bundesregierung wird eine neue laufende Statistik von Razzien auf
Großbaustellen, insbesondere ihre Kosten und Erfolge, bei der Bundesan-
stalt für Arbeit anlegen und künftig gesondert ausweisen.

6. Die Bundesregierung wird noch in diesem Jahr einen Bericht vorlegen, der
die unter den Nummern 1 bis 5 angesprochenen Punkte aufgreift und zusätz-
lich über den Einsatz marktwirtschaftlicher Instrumente zur Eindämmung
der Schattenwirtschaft (insbesondere Rückführung der Steuern, Senkung der

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Sozialabgabenlast, Umsetzung des Äquivalenzprinzips, Flexibilisierung des
Arbeitsmarkts, Gewährleistung des Lohnabstandes) informiert.

7. Die Bundesregierung wird erläutern, welche Konsequenzen sie aus den Er-
gebnissen des Gutachtens des Instituts für Sozialforschung und Gesell-
schaftspolitik, Köln, sowie Kienbaum Consultants, dass mit erheblichen
Ausweichreaktionen in die Schattenwirtschaft infolge der Neuregelung der
630-DM-Jobs zu rechnen ist, zieht.

Berlin, den 21. März 2000

Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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