BT-Drucksache 14/2961

Haltung der Bundesregierung zum Krieg in Tschetschenien

Vom 15. März 2000


Deutscher Bundestag Drucksache 14/2961
14. Wahlperiode 15. 03. 2000

Große Anfrage
der Abgeordneten Jürgen Koppelin, Dr. Helmut Haussmann, Ulrich Irmer, Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger, Hildebrecht Braun (Augsburg), Rainer Brüderle,
Jörg van Essen, Horst Friedrich (Bayreuth), Rainer Funke, Joachim Günther
(Plauen), Dr. Karlheinz Guttmacher, Klaus Haupt, Walter Hirche, Birgit Homburger,
Dr. Werner Hoyer, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Ina Lenke, Dirk Niebel,
Günther Friedrich Nolting, Cornelia Pieper, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig,
Dr. Irmgard Schwaetzer, Marita Sehn, Dr. Hermann Otto Solms, Carl-Ludwig Thiele,
Dr. Dieter Thomae, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der F.D.P.

Haltung der Bundesregierung zum Krieg in Tschetschenien

Mit ihrem Vernichtungsfeldzug gegen die tschetschenische Bevölkerung hat
die russische Regierung in eklatanter Weise gegen von ihr übernommene völ-
kerrechtliche und menschenrechtliche Verpflichtungen verstoßen. Auch nach
Beendigung des massiven Militäreinsatzes ziehen russische Soldaten plün-
dernd durch tschetschenische Dörfer und setzen die wenigen, in den so genann-
ten „befreiten Gebieten“ noch verbliebenen Zivilisten in Angst und Schrecken.
Trotz der fortdauernden Menschenrechtsverletzungen beschränkt sich die Bun-
desregierung unter dem Vorwand, Russland politisch nicht isolieren zu wollen,
im Wesentlichen auf Ermahnungen, die Verhältnismäßigkeit zu wahren, und
auf Appelle, eine politische Lösung für Tschetschenien zu suchen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche konkreten Initiativen hat die Bundesregierung ergriffen, um die rus-
sische Seite zu einer Beendigung des Krieges in Tschetschenien zu bewe-
gen?

2. Welche Initiativen hat die Bundesregierung insbesondere im Rahmen der
Europäischen Union, des Europarates, der OSZE und der Vereinten Natio-
nen ergriffen, um auf die russische Regierung mit dem Ziel der Beendigung
des Tschetschenien-Krieges einzuwirken?

3. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, wonach eine Einmischung von
außen im Falle massiver Menschenrechtsverletzungen völkerrechtlich ge-
rechtfertigt ist bzw. sogar geboten sein kann?

4. Hat sich die Bundesregierung in ihrem Dialog mit der russischen Seite in
einer über die veröffentlichten Verlautbarungen hinausgehenden Weise
geäußert?

Drucksache 14/2961 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

5. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass von einem deutschen Bun-
deskanzler erwartet werden kann, dass er bei aller Interessenbezogenheit
deutscher Außenpolitik die Position der Bundesregierung ohne wenn und
aber nicht nur hinter verschlossenen Türen klipp und klar zum Ausdruck
bringt?

6. Treffen Medienberichte von Anfang Februar 2000 zu, wonach der Bundes-
minister des Auswärtigen, Joseph Fischer, bei einem Gespräch mit dem
amtierenden russischen Präsidenten Wladimir Putin äußerte, er sei beein-
druckt von Wladimir Putins Argumentation hinsichtlich des Tschetsche-
nien-Konfliktes?

7. Hat die Bundesregierung der russischen Regierung, wie von dem Bundes-
minister des Auswärtigen, Joseph Fischer, anlässlich seines Besuches im
Oktober 1999 in St. Petersburg angekündigt, Vorschläge für politische Lö-
sungen des Tschetschenien-Konfliktes unterbreitet und bejahendenfalls,
welches waren die russischen Reaktionen hierauf?

8. Hat die Bundesregierung ein Konzept für eine dauerhafte Lösung der Pro-
bleme auf dem Kaukasus einschließlich Tschetscheniens erarbeitet und –
bejahendenfalls – in welchem Rahmen sollte dieses nach ihrer Auffassung
umgesetzt werden?

9. Hat die Europäische Union im Rahmen der gemeinsamen europäischen
Außen- und Sicherheitspolitik ein derartiges Konzept entworfen?

10. Welche Initiativen hat die Bundesregierung zur Bereitstellung humanitärer
Hilfe für die vom Krieg betroffene tschetschenische Zivilbevölkerung er-
griffen?

11. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung gegenüber der Russischen
Föderation getroffen, um internationalen Hilfsorganisationen die Tätigkeit
in Tschetschenien – wie in solchen Krisensituationen üblich – zu ermögli-
chen?

12. Welchen Einfluss hat nach Auffassung der Bundesregierung der gegenwär-
tige Wahlkampf in Russland auf die russische Tschetschenien-Politik?

13. Liegen der Bundesregierung Berichte über Greueltaten russischer Söldner
in Tschetschenien, insbesondere über willkürliche Erschießungen, Folte-
rungen und Vergewaltigungen, vor?

Bejahendenfalls, aus welcher Quelle stammen diese Berichte und wie hat
die Bundesregierung hierauf reagiert?

14. Welche konkreten Ergebnisse hat die Ankündigung des Bundesministers
des Auswärtigen, Joseph Fischer, bewirkt, er werde sich für die Entsen-
dung internationaler Beobachter nach Tschetschenien einsetzen?

15. Hat die Bundesregierung den amtierenden russischen Präsidenten Wladi-
mir Putin um Darlegung der Eckpunkte der von ihm angestrebten politi-
schen Lösung des Tschetschenien-Konfliktes gebeten und in welcher
Weise hat die Bundesregierung die Umsetzung dieser Ankündigung einge-
fordert?

16. Welche Auswirkungen haben die von der Europäischen Union beschlosse-
nen Korrekturen an den laufenden Programmen der Zusammenarbeit mit
Russland auf die Bereitschaft der russischen Regierung gehabt, ein Ende
des Krieges in Tschetschenien herbeizuführen?

17. Welche Auswirkungen hat nach Auffassung der Bundesregierung die Äuße-
rung vom Bundesminister des Auswärtigen, Joseph Fischer, nach seinem
Moskau-Besuch, Sanktionen gegen Russland würden nicht in Erwägung ge-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/2961

zogen werden, auf die Bereitschaft der russischen Seite gehabt, im Tschet-
schenien-Konflikt einzulenken?

18. Welche Konsequenzen sollte die Europäische Union nach Auffassung der
Bundesregierung aus der russischen Haltung im Tschetschenien-Konflikt
für die zukünftige Gestaltung der gemeinsamen europäischen Strategie ge-
genüber Russland ziehen?

19. Welche Konsequenzen sollten nach Auffassung der Bundesregierung aus
dem russischen Vorgehen in Tschetschenien für die zukünftige Gestaltung
des Partnerschafts- und Kooperationsabkommens zwischen der Europäi-
schen Union und Russland gezogen werden?

20. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung getroffen, um die Regierung
der Russischen Föderation zu einer Einhaltung der von ihr übernommenen
Verpflichtungen des Artikels 23 der Erklärung des Istanbuler OSZE-Gip-
fels zu bewegen?

21. Gegen welche Normen des Völkerrechts, des Völkervertragsrechts und des
Völkergewohnheitsrechts hat die Regierung der Russischen Föderation
nach Auffassung der Bundesregierung durch ihr Vorgehen in Tschetsche-
nien verstoßen?

22. Befindet sich das Vorgehen der russischen Armee in Tschetschenien und
die Lage der geflüchteten Zivilisten nach Auffassung der Bundesregierung
im Einklang mit Artikel 3 der Genfer Konvention?

23. Steht die Stationierung russischer Streitkräfte in der Region in und um
Tschetschenien in Widerspruch zu den im KSE-Vertrag vereinbarten Be-
schränkungen über regionale Obergrenzen für Waffensysteme und – beja-
hendenfalls – welche Maßnahmen beabsichtigt die Bundesregierung hier-
gegen zu treffen?

24. Welche völkerrechtlichen Schritte beabsichtigt die Bundesregierung gegen
das völkerrechtswidrige Verhalten der russischen Regierung einzuleiten?

25. Wie beurteilt die Bundesregierung die vom russischen Außenminister Igor
Iwanow anlässlich seiner Rede vor der Parlamentarischen Versammlung
des Europarates am 27. Januar 2000 geäußerten Vorschläge für die zukünf-
tige Verwaltung und den Wiederaufbau von Tschetschenien und der ande-
ren russischen Föderationssubjekte im Nordkaukasus?

26. Ist die Bundesregierung bereit, dem Europarat zusätzliche Mittel für sein
Engagement in der Region um Tschetschenien zur Verfügung zu stellen?

27. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass ihre Politik gegenüber
Russland im Tschetschenien-Konflikt als „Politik des Wandels durch An-
biederung“ bezeichnet werden kann?

Berlin, den 14. März 2000

Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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