BT-Drucksache 14/2707

Für eine sachgerechte Aufteilung wirtschaftspolitischer Zuständigkeiten

Vom 16. Februar 2000


Deutscher Bundestag Drucksache 14/2707
14. Wahlperiode 16. 02. 2000

Antrag
der Abgeordneten Rainer Brüderle, Hildebrecht Braun (Augsburg), Ernst
Burgbacher, Jörg van Essen, Ulrike Flach, Paul K. Friedhoff, Horst Friedrich
(Bayreuth), Rainer Funke, Hans-Michael Goldmann, Dr. Karlheinz Guttmacher,
Dr. Helmut Haussmann, Ulrich Heinrich, Walter Hirche, Dr. Werner Hoyer,
Ulrich Irmer, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Dirk Niebel,
Günther Friedrich Nolting, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia
Pieper, Dr. Günter Rexrodt, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Gerhard Schüßler,
Marita Sehn, Dr. Hermann Otto Solms, Carl-Ludwig Thiele, Dr. Dieter Thomae,
Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der F.D.P.

Für eine sachgerechte Aufteilung wirtschaftspolitischer Zuständigkeiten

Der Bundestag wolle beschließen:

Mit einem einfachen Organisationserlass hat die neue Bundesregierung bei ih-
rem Regierungsantritt zentrale allgemeine, wirtschaftspolitische Zuständigkei-
ten des Bundesministeriums für Wirtschaft (BMWi) in das Bundesministerium
der Finanzen (BMF) verlagert. Damit wurde den makroökonomischen Steue-
rungsbedürfnissen des seinerzeitigen Bundesministers Oskar Lafontaine und
seiner wirtschaftspolitischen Berater Rechnung getragen. Die von Ludwig
Erhardt konzipierte Trennung der wirtschaftspolitischen Ordnungskompeten-
zen von speziellen finanz- oder haushaltspolitischen Fachfragen wurde aufge-
geben.

Mit dem Wechsel in der Führung des BMF sind die traditionellen Kernaufga-
ben des Finanzministeriums, Steuer- und Haushaltspolitik, wieder in den Vor-
dergrund gerückt. Organisatorische Konsequenzen wurden aber aus den verän-
derten Weichenstellungen in den Ministerien nicht gezogen.

Zum zweiten Mal hat das BMF nunmehr den Jahreswirtschaftsbericht nach § 2
des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes vorgelegt und nach § 3 StWG gesamt-
wirtschaftliche Orientierungsdaten bereitgestellt. Ein gutes Viertel des Jahres-
wirtschaftsberichtes ist steuer- und finanzpolitischen Inhalten gewidmet.

Der ebenfalls vom BMF erstellte Finanzbericht nach § 31 Bundeshaushaltsord-
nung enthält traditionell eine gesamtwirtschaftliche Projektion sowie eine kurze
Darstellung des gesamtwirtschaftlichen Umfelds.

Im Sommer 1999 hat der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie,
Werner Müller, einen „Wirtschaftsbericht ’99“ vorgelegt. Dieser unterscheidet
sich thematisch nicht vom Jahreswirtschaftsbericht. Hier wie dort werden u. a.
Finanzpolitik, Technologiepolitik, Energiepolitik, Mittelstands- oder For-
schungspolitik angesprochen. Unterschiede gibt es in der Gewichtung der The-

Drucksache 14/2707 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

men, in der optischen Aufmachung und in der wirtschaftspolitischen Grundaus-
richtung zum Jahreswirtschaftsbericht 1999, wobei der letztgenannte
Unterschied möglicherweise ein Sonderfall bleiben wird. Dieses Nebeneinan-
der von Berichten, die sich teilweise überlappen, verringert die Transparenz
und ist eine Verschwendung wertvoller Fachressourcen in den Ministerien.

Im Interesse einer effizienten Vorbereitung wirtschaftspolitischer Entscheidun-
gen und einer sinnvollen Nutzung der Fachressourcen in den Ministerien ist
eine neue Aufteilung der Kompetenzen zwischen BMF und BMWi ebenso
wichtig wie eine transparente Darlegung einerseits der wirtschaftspolitischen
und andererseits finanz- und steuerpolitischer Vorhaben in der Öffentlichkeit.

Das BMF steht mit den elementaren Herausforderungen in der Steuer- und
Haushaltspolitik vor Aufgaben, die dazu führen, dass andere wirtschaftspoli-
tisch wichtige Vorhaben im Geld- und Kreditwesen wie etwa ein neues Finanz-
marktfördergesetz oder eine politische Initiative zu den neuen Eigenkapital-
richtlinien an den Rand gedrängt werden. Die Basler Vorschläge zu den
Eigenkapitalrichtlinien können nachteilige Folgen für die deutsche Unterneh-
mensstruktur entfalten, wenn die Bundesregierung nicht rechtzeitig und ent-
schieden gegensteuert. Dafür bedarf es des fachlichen Rates aus einem Ministe-
rium, das die ordnungs- und strukturpolitischen Zusammenhänge überblickt
und nicht nur finanzwirtschaftliche Aspekte berücksichtigt. Die Notwendigkeit
einer Zusammenführung der Abteilung VII des BMF mit dem BMWi ist hier
besonders dringlich.

Wirtschaftspolitische Aspekte der Europapolitik werden seit der Reorganisation
stiefmütterlich behandelt. Es ist außerdem nicht sinnvoll, wenn die europäische
Beihilfekontrollpolitik im gleichen Ministerium angesiedelt ist, in dem über die
Gewährung von Beihilfen fiskalisch entschieden wird.

Eine Diskussion oder Formulierung grundlegend neuer wirtschaftspolitischer
Konzeptionen findet offenbar auch nicht mehr statt. Gesamtwirtschaftliche
Analysen und wirtschaftswissenschaftliche Forschung führen ein Schattenda-
sein. Statt dessen wird die Wirtschaftspolitik durch mediengerechte Ad-hoc-
Entscheidungen bestimmt.

Eine Reorganisation soll die wirtschaftspolitische Leistungsfähigkeit der Bun-
desministerien spürbar verbessern.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung deshalb auf:

1. Der Bundesminister der Finanzen legt wie bisher einen Finanzbericht gemäß
§ 31 Bundeshaushaltsordnung vor, der gesamtwirtschaftliche Bezüge wo
notwendig aufweist.

2. Im Interesse einer Wiedergewinnung konzeptioneller wirtschaftspolitischer
Kompetenz werden die dem BMWi im Herbst 1998 entzogenen Zuständig-
keiten aus der Abteilung I vollständig dorthin zurückverlagert. Das BMWi
wird den Jahreswirtschaftsbericht künftig wieder federführend erstellen. Die
wirtschaftswissenschaftliche Forschung, gesamtwirtschaftliche Analysen
und die Zuständigkeit für den Sachverständigenrat werden wieder vollstän-
dig beim BMWi zusammengeführt.

3. Die europapolitischen Kompetenzen des BMF werden mit Ausnahme der
finanzbezogenen Aspekte in das BMWi zurückverlagert, da es sich fast
ausschließlich um außenwirtschaftliche oder beihilferechtliche Zuständig-
keiten handelt, die deshalb in einem Wirtschaftsressort zusammengezogen
sein müssen.

4. Der „Wirtschaftsbericht“ wird eingestellt, eventuelle Vorarbeiten beendet.
Positive Erfahrungen aus der Erarbeitung des „Wirtschaftsberichts“ können

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/2707

bei der Weiterentwicklung des Jahreswirtschaftsberichts durch das BMWi
verwendet werden.

5. Das BMWi erhält die vollständige Zuständigkeit für wirtschaftspolitische,
insbesondere außenwirtschaftspolitische Fragen bei der OECD.

6. Die Abteilung VII „Geld und Kredit“ wird in das BMWi zurückverlagert.
Dies ist im Interesse einer Arbeitsteilung, die alle Kräfte des BMF auf die
Steuer- und Finanzpolitik einerseits konzentriert und zugleich dem BMWi
die Möglichkeit eröffnet, wieder eine umfassende Wirtschaftspolitik sowohl
in konzeptioneller wie auch in branchenübergreifender Sicht zu betreiben.
Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Verflechtungen zwischen dem Ban-
ken- und Versicherungssektor einerseits und dem Informationstechnologie-
sektor andererseits immer enger werden.

7. Die notwendigen Organisationserlasse werden nach § 9 der Geschäftsord-
nung der Bundesregierung schnellstmöglich vorbereitet.

Berlin, den 16. Februar 2000

Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.