BT-Drucksache 14/2564

Zukunft der Rechtsberatung

Vom 21. Januar 2000


Deutscher Bundestag

Drucksache

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2564

14. Wahlperiode

21. 01. 2000

Große Anfrage

der Abgeordneten Rainer Funke, Jörg van Essen, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig,
Hildebrecht Braun (Augsburg), Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher,
Horst Friedrich (Bayreuth), Hans-Michael Goldmann, Dr. Karlheinz Guttmacher,
Ulrich Heinrich, Walter Hirche, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Ulrich Irmer,
Dr. Heinrich L. Kolb, Jürgen Koppelin, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger,
Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia Pieper,
Dr. Irmgard Schwaetzer, Dr. Max Stadler, Carl-Ludwig Thiele,
Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der F.D.P.

Zukunft der Rechtsberatung

Das Rechtsberatungsgesetz dient primär dem Verbraucherschutz, aber auch der
Reibungslosigkeit der Rechtspf ege. Der Rechtsuchende soll davor bewahrt
werden, dass ihn Personen beraten, die nicht über die erforderliche Sachkunde
zur ordnungsgemäßen Erledigung seiner Rechtsangelegenheiten verfügen. Das
soll verhindern, dass der V erbraucher durch fehlerhafte Rechtsbesor gung
Rechtsnachteile erleidet oder Rechtspositionen verliert.

Das Rechtsberatungsgesetz ordnet ein präventives V erbot mit Erlaubnisvorbe-
halt an, was bedeutet, dass grundsätzlich jede geschäftsmäßige Besorgung frem-
der Rechtsangelegenheiten dem Erlaubniszwang unterfällt. Ausnahmen beste-
hen zugunsten bestimmter Personen und Personenmehrheiten, die entweder
unter behördlicher Aufsicht stehen, als Behörde bzw . Körperschaft des öf fent-
lichen Rechts selbst hoheitlich tätig werden oder wenn ein unmittelbarer Zu-
sammenhang mit einem konkreten Geschäft der eigentlichen Berufstätigkeit
gegeben ist. Letztlich bedürfen berufsständische V ereinigungen, die ihren Mit-
gliedern Rat und Hilfe in Rechtsangelegenheiten gewähren, keiner Erlaubnis.

Das Rechtsberatungsgesetz wurde am 13. Dezember 1935 noch als „Gesetz zur
Verhütung von Missbräuchen auf dem Gebiete der Rechtsberatung“ erlassen.
Mit seinem Inkrafttreten beseitigte es die bis dahin geltende Gewerbefreiheit
für die Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten. Seitdem ist es jedoch mehr-
fach modifiziert worden und auch die Überschrift wurde mit Gesetz vo
10. Juli 1958 in das heutige „Rechtsberatungsgesetz“ abgeändert. Das Bundes-
verfassungsgericht befasste sich unter anderem 1987 mit den V orschriften und
erklärte den damaligen § 1 Abs. 1 Satz für mit dem Grundgesetz unvereinbar.

Der Gesetzgeber hat in dieser und in der letzten Wahlperiode den Personenkreis
der zur Rechtsberatung berufenen Personen gelockert: Nach dem Gesetz zur
Änderung des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung dürfen geeignete
Personen oder Stellen (z. B. qualifizierte Schuldnerberatungsstellen) innerhal
des außergerichtlichen Insolvenzverfahrens Hilfe leisten.
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Das Gesetz zur Änderung der Bundesnotarordnung und anderer Gesetze stellte
klar, dass Steuerberater und Steuerbevollmächtigte rechtsberatend tätig werden
dürfen, soweit dies mit ihren Aufgaben im unmittelbaren Zusammenhang steht
und diese Aufgaben ohne die Rechtsberatung nicht sachgemäß erledigt werden
können.

Das Gesetz zur Änderung der Bundesrechtsanwaltsordnung, der Patentanwalts-
ordnung und anderer Gesetze ermöglicht es berufsständischen oder auf ähn-
licher Grundlage gebildeten Vereinigungen oder Stellen, im Rahmen ihres Auf-
gabenbereichs, ihren Mitgliedern Rat und Hilfe in Rechtsangelegenheiten zu
gewähren. Dies gilt auch dann, wenn die V ereinigungen diese Aufgabe durch
eigens dafür gegründete juristische Personen durchführen lassen. Der Deutsche
Gewerkschaftsbund hat durch die Gründung seiner Rechtsschutz-GmbH von
dieser Regelung Gebrauch gemacht.

Presse, Rundfunk und Fernsehen, aber auch die neuen Medien haben die
Rechtsberatung und Rechtsbesorgung für sich entdeckt. Sie schließen in ihrem
Informationsangebot auch die Erörterung rechtlicher Fragen ein. Hinzu kom-
men neuerdings Ratgeber- und Gerichtssendungen mit unterhaltsamem Charak-
ter. Sobald die Medien die Erörterung genereller Rechtsprobleme verlassen und
sich mit einer konkreten Rechtsfrage einer bestimmten Person befassen, gera-
ten sie in Konflikt mit den Bestimmungen des Rechtsberatungsgesetzes. Meh
rere Oberlandesgerichte haben in der Praxis der Medien einen V erstoß gegen
das Rechtsberatungsgesetz erkannt.

Eine Rechtsschutzversicherung plant die direkte rechtliche Beratung ihrer Kun-
den (Handelsblatt vom 24. Juni 1999). Krankenkassen dürfen ihre Versicherten
bei der Durchsetzung ihrer Schadensersatzansprüche, die aus ärztlichen Be-
handlungsfehlern oder aus Unfällen resultieren, unterstützen, wenn sie dabei
auch ein eigenes Interesse verfolgen. Die Betriebskrankenkassen wollen ihren
Kunden dabei verstärkt Hilfe gewähren (Handelsblatt vom 20. Juli 1999).

Die Kreditwirtschaft bietet seit geraumer Zeit Dienstleistungen an, die eine erb-
rechtliche Beratung, oder eine Nachlassabwicklung zum Gegenstand haben.
Entsprechende Tätigkeiten, welche in der Praxis seit Jahren durchgeführt wer-
den, hat das Oberlandesgericht Karlsruhe als V erstoß gegen das Rechtsbera-
tungsgesetz erkannt, was zu Rechtsunsicherheiten geführt hat.

Zahlreiche Existenzgründungsberater und Unternehmensberater verstoßen ge-
gen das Rechtsberatungsgesetz – so jedenfalls die gerichtlichen Entscheidun-
gen –, wenn sie Unternehmen bei der Beantragung öf fentlicher Fördermittel
Hilfe leisten.

Wir fragen in diesem Zusammenhang die Bundesregierung:

I.

1. Erwartet die Bundesregierung angesichts der T atsache, dass der V erbrau-
cherschutz im Bereich der Rechtsbesor gung und Rechtsberatung durch das
Rechtsberatungsgesetz europaweit einzigartig gesetzlich verbür gt ist, von
den europäischen Gesetzgebungsor ganen oder den Mitgliedstaaten der EU
Maßnahmen, welche die V orschriften des Rechtsberatungsgesetzes angrei-
fen?

2. Wenn ja, auf welche W eise gedenkt die Bundesregierung den Schutz der
Rechtsuchenden, die Reibungslosigkeit der Rechtspfege und den Schutz des
Anwaltsstandes zu gewährleisten ?
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3. Welche Gefahren drohen dem V erbraucherschutz der Rechtsuchenden
durch die geplante „Richtlinie zu bestimmten rechtlichen Aspekten des
elektronischen Geschäftsverkehrs“?

II.

4. Beabsichtigt die Bundesregierung in Anbetracht der vor genommenen Ge-
setzesänderungen weitere Lockerungen hinsichtlich der juristischen Quali-
fikation als oraussetzung für die Durchführung von Rechtsberatung und
Rechtsbesorgung?

5. Erachtet die Bundesregierung auch weiterhin eine fundierte und qualif -
zierte juristische Ausbildung der Rechtsanwälte als grundlegende V oraus-
setzung, um den durch das Rechtsberatungsgesetz garantierten V erbrau-
cherschutz auf möglichst hohem Niveau zu erhalten?

6. Über welche Erfahrungen aus der Praxis bei der Anwendung des neuge-
fassten Artikels 1 § 5 Nr . 2 des Rechtsberatungsgesetzes, welcher die
Rechtsunsicherheit bei der Frage nach der Befugnis der Steuerberater und
Steuerbevollmächtigten zur Rechtsberatung und Rechtsbesor gung besei-
tigte, kann die Bundesregierung berichten?

7. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass mit den vorgenommenen Än-
derungen der Schutz der Rechtsuchenden weiterhin realisiert wird?

8. Beabsichtigt die Bundesregierung durch eine Änderung des Rechtsbera-
tungsgesetzes den Inkassounternehmen, wie in den Koalitionsvereinbarun-
gen angedeutet, zu Lasten der Anwaltschaft weitere Befugnisse bei der
Einziehung fremder oder zur Einziehung abgetretener Forderungen zuzu-
gestehen?

9. Hält die Bundesregierung eine Haftung für fehlerhafte Rechtsberatung
durch berufsständische Vereinigungen i. S. des Artikels 1 § 7 des Rechts-
beratungsgesetzes lediglich in Höhe der gesetzlichen Einlage für ausrei-
chend, um den im Rechtsberatungsgesetz vorgesehenen Verbraucherschutz
zu gewährleisten?

10. Wenn nein, gedenkt die Bundesregierung zum Schutze der Rechtsuchenden
eine der Anwalts-GmbH entsprechende Mindesthaftpf ichtversicherung
einzuführen?

11. Hält die Bundesregierung die T atbestandsvoraussetzungen des Artikels 1
§ 7 des Rechtsberatungsgesetzes für gegeben, wenn nicht die berufsständi-
sche Vereinigung, sondern eine Vermögens- und Treuhandgesellschaft mit
beschränkter Haftung dieser V ereinigung sämtliche Gesellschaftsanteile
der Rechtsschutz-GmbH hält?

12. Teilt die Bundesregierung die Auf fassung, dass eine Fortbildungspf icht
der Angestellten der Rechtsschutz-GmbH, wie sie für die Rechtsanwalt-
schaft zutrif ft, die Qualität der Rechtsberatung und Rechtsbesor gung im
Sinne des Verbraucherschutzes fördern würde?

13. Wie lässt sich nach Ansicht der Bundesregierung die Einsetzung eines
rechtspolitischen Beirates, der die Rechtspolitik einer berufsständischen
Vereinigung vor gibt, an welche sich die weisungsgebundenen Rechts-
schutzsekretäre zu halten haben, mit dem im Rechtsberatungsgesetz ver -
folgten Ziel des Verbraucherschutzes vereinbaren?

14. Wie verträgt sich nach Ansicht der Bundesregierung der rechtspolitische
Beirat einer Rechtsschutz-GmbH mit dem Grundgedanken des Organs der
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Rechtspflege, der Unabhängigkeit voraussetzt und für die Rechtsanwalt
schaft vorausgesetzt wird?

15. Sieht die Bundesregierung Handlungsbedarf, den Umfang der Rechtsbera-
tungserlaubnis für Rentenberater konkreter zu umreißen?

16. Wenn ja, denkt die Bundesregierung daran, die Rechtsbesor gung durch
Rentenberater auch auf forensische Tätigkeiten auszudehnen?

17. Soll nach Ansicht der Bundesregierung eine deutlichere Abgrenzung der
Rentenberatung zu anderen Rechtsgebieten erfolgen, zum Beispiel auf sol-
che, die zwar dem Sozialrecht angehören, denen aber der innere Bezug
zum Rentenrecht fehlt?

18. Teilt die Bundesregierung die Auf fassung, dass Absolventen des Fach-
hochschulstudienganges W irtschaftsrecht mit dem Abschluss eines Di-
plom-Rechtswirts (FH) bzw . Diplom-Rechtswirtin (FH) oder Diplom-
Rechtsökonoms (FH) bzw. Diplom-Rechtsökonomin (FH), für die bei Fi-
nanzdienstleistungsunternehmen, im Steuer- und Prüfungswesen und in der
Immobilienwirtschaft Beschäftigungsmöglichkeiten gesehen werden, von
der Befugnis zur Rechtsberatung und Rechtsbesor gung ausgeschlossen
bleiben müssen?

19. Sieht die Bundesregierung einen Nachteil, wenn andere Personen, die nicht
Organe der Rechtspflege sind sowie eine langjährige und quali zierte Aus-
bildung absolvieren mussten, Rechtsberatung und Rechtsbesorgung durch-
führen dürfen?

20. Welche Gefahren drohen nach Ansicht der Bundesregierung

– dem Verbraucherschutz,

– dem System der gesetzlichen Rechtsanwaltsgebühren,

– dem Schutz der Anwaltschaft

von der so genannten Anwalts-Hotline, bei der den Rechtsuchenden die
Möglichkeit gegeben wird, telefonisch rechtsanwaltlichen Rat einzuholen?

III.

21. Hält die Bundesregierung eine Änderung des Rechtsberatungsgesetzes für
geboten, um Kreditinstituten die Tätigkeit als T estamentsvollstrecker zu
gestatten?

22. Gedenkt die Bundesregierung, diesbezüglich eine gesetzliche Klärung her-
beizuführen?

23. Hält die Bundesregierung eine weitere Lockerung des Rechtsberatungsge-
setzes für angezeigt, um Unternehmensberatern und Existenzgründungsbe-
ratern die Möglichkeit der erlaubten Rechtsberatung und Rechtsbesorgung
für bestimmte Bereiche zu eröffnen?

24. Gedenkt die Bundesregierung, der unerlaubten Rechtsberatung und Rechts-
besorgung durch Unternehmensberater und Existenzgründer entgegenzu-
wirken?

25. Teilt die Bundesregierung die Auf fassung, dass die Möglichkeiten der
Rechtsberatung und Rechtsbesorgung durch Verbraucherschutzorganisatio-
nen keinesfalls erweitert werden sollen?

26. Welche Position bezieht die Bundesregierung zu Bestrebungen von Rechts-
schutzversicherungen, zukünftig selbst die Rechtsberatung ihrer Kunden
zu übernehmen?
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27. Hält die Bundesregierung eine Zusammenarbeit zwischen Versicherten und
Krankenkassen im Bereich der Durchsetzung von Schadensersatzansprü-
chen, welche aus ärztlichen Kunstfehlern oder Unfällen resultieren, über
den bisherigen Status quo hinaus für geboten?

IV.

28. Sieht sich die Bundesregierung veranlasst, die Rechtsunsicherheit, welche
im Bereich der Medien besteht, wenn diese über Rechtsfragen – auch unter
Bezugnahme auf Einzelfälle – berichten oder aber Hilfe als Publikations-
organ leisten, zu beseitigen ?

29. Sieht die Bundesregierung die Notwendigkeit einer Änderung des Rechts-
beratungsgesetzes aufgrund der immer wieder auftretenden Streitigkeiten
über die Frage der unerlaubten individuellen Rechtsberatung durch Fern-
seh- und Radiosendungen?

30. Wie beurteilt die Bundesregierung die Rechts- und Lebenshilfe der Medien
hinsichtlich des Verbraucherschutzes?

31. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass ein Rechtsuchender, welcher
sich an die Öffentlichkeit wendet und die Lösung seines Problems über die
Mechanismen des öf fentlichen Meinungsmarktes verfolgt, nicht des im
Rechtsberatungsgesetz normierten Verbraucherschutzes bedarf?

32. Erkennt die Bundesregierung in der Berichterstattung der Medien im Be-
reich der Rechts- und Lebenshilfe eine Konkurrenz für die anwaltliche Tä-
tigkeit?

33. Welche Konflikte sieht die Bundesregierung zwischen den orschriften des
Rechtsberatungsgesetzes und dem Grundrecht der Medien auf Presse- und
Rundfunkfreiheit?

Berlin, den 21. Januar 2000

Rainer Funke
Jörg van Essen
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Hildebrecht Braun (Augsburg)
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Horst Friedrich (Bayreuth)
Hans-Michael Goldmann
Dr. Karlheinz Guttmacher
Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Dr. Heinrich L. Kolb
Jürgen Koppelin
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Dr. Irmgard Schwaetzer
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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