BT-Drucksache 14/2088

zu dem Gesetzentwurf der BReg -14/1513, 14/1670, 14/2022- Entwurf eines Gesetzes zur Familienförderung

Vom 11. November 1999


Deutscher Bundestag

Drucksache

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14. Wahlperiode

11. 11. 99

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Rosel Neuhäuser, Petra Bläss, Heidemarie
Ehlert, Dr. Ruth Fuchs, Dr. Gregor Gysi und der Fraktion der PDS

zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung
– Drucksachen 14/1513, 14/1670, 14/2022 –

Entwurf eines Gesetzes zur Familienförderung

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Das Zusammenleben mit Kindern ist in der Bundesrepublik Deutschland
vielfältigen Diskriminierungen ausgesetzt.

Eine wesentliche Ursache

dafür
ist das Fehlen eines familiengerechten Umfeldes. So bestehen erhebliche
Defizite hinsichtlich der Möglichkeiten institutioneller Kinderbetreuung. I
zahlreichen Kommunen wird nicht einmal der – ohnehin völlig unzurei-
chend ausgestaltete – Rechtsanspruch auf einen Kinder gartenplatz umge-
setzt. Öffentlich geförderte Freizeitmöglichkeiten für Kinder treten immer
stärker hinter teure, durch die Eltern selbst zu f nanzierende Angebote zu-
rück. Eltern und Kinder können nicht in ausreichendem Maße auf familien-
gerechten W ohnraum, familienfreundliche Arbeitszeiten oder W eiterbil-
dungsmöglichkeiten zurückgreifen.

Den vielfältigen Mehrbelastungen und Einkommensnachteilen von Familien
trägt auch das Einkommensteuerrecht nur unzureichend bzw . sehr wider -
sprüchlich Rechnung. Einerseits wird mit dem Ehegattensplitting und ande-
ren Regelungen der Zusammenveranlagung nicht die Familie, sondern ledig-
lich eine bestimmte Lebensweise – die Ehe – gefördert. Andererseits sind
Regelungen, die gezielt an das Zusammenleben mit Kindern anknüpfen, völ-
lig unzureichend bemessen. So reichen Kinderfreibetrag bzw . Kinder geld
nicht aus, um die Steuerfreistellung des Existenzminimums in einer Höhe zu
bewirken, die eine menschenwürdige Entwicklung von Kindern ermöglicht.

2. Diese Defizite sind vor allem Ausdruck des ersagens der Familienpolitik
der letzten Jahre. Bereits die Bundesregierung aus CDU/CSU und F.D.P. hat
Maßnahmen zur materiellen Entlastung von Familien bzw . zur Gleichbe-
steuerung verschiedener Lebensweisen nicht oder – nach Rechtsprechung
durch das Bundesverfassungsgericht – nur sehr zögerlich umgesetzt. T rotz
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entsprechender Beschlüsse des Bundesverfassungsgericht in den Jahren
1990 und 1992 wurden der Kinderfreibetrag und das Kindergeld erst 1996
auf Druck der damaligen Opposition erhöht. Die Möglichkeit zur steuer -
lichen Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten wurde – obwohl diesbe-
züglich V erfahren vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig waren –
weiter eingeschränkt.

Auch die Politik der Bundesregierung aus SPD und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN lässt eine grundlegende Wende in der Ehe- und Familienbesteue-
rung vermissen. Der „Gesetzentwurf zur Familienförderung“ macht viel-
mehr deutlich, dass eine sozial gerechte Umsetzung der V orgaben des Bun-
desverfassungsgerichts dem vermeintlichen Diktat von Sparzwängen
geopfert werden soll. So will die Regierung das seitens zahlreicher Fami-
lienverbände kritisierte duale System von Kinder geld und -freibetrag nicht
nur beibehalten, sondern sogar ausbauen. Während das Kindergeld ab dem
Jahr 2000 gerade um insgesamt 20 DM erhöht werden soll, beabsichtigt sie,
den bestehenden Kinderfreibetrag durch einen Betreuungsfreibetrag von
3024 DM zu er gänzen. Die daraus resultierende Steuererstattung steigt mit
steigendem Einkommen der Eltern und verstärkt die ungleichen Entwick-
lungsmöglichkeiten der Kinder.

Der Gesetzentwurf berücksichtigt nur unzureichend die besondere Einkom-
menssituation von Alleinerziehenden. Die Streichung der steuerlichen Ab-
setzbarkeit von Kinderbetreuungskosten und die beabsichtigte Abschmel-
zung des Haushaltsfreibetrags ab dem Jahr 2002 führt in zahlreichen Fällen
zu einer erheblichen steuerlichen Mehrbelastung alleinerziehender Eltern.
Einen Ansatz zur dauerhaften Verbesserung der Situation von Sozialhilfebe-
rechtigten lässt der Gesetzentwurf ebenfalls vermissen.

3. Angesichts der Diskriminierungen von Menschen mit Kindern sind maßgeb-
liche Schritte zur Verbesserung der sozialen und materiellen Situation aller
Eltern dringend erforderlich. Dabei muss es vor allem darum gehen, das
Kindergeld deutlich zu erhöhen und somit Einkommensnachteile von Eltern
auszugleichen. Die Maßnahmen zur Entlastung von Familien müssen geeig-
net sein, die materielle Situation von Sozialhilfeberechtigten und Menschen
mit geringen Einkommen nachhaltig zu verbessern.

Die Erhöhung des Kindergeldes kann jedoch, vor dem Hintergrund der viel-
fältigen Benachteiligungen von Menschen mit Kindern, nur ein T eilbeitrag
zur Entlastung von Eltern sein. Daran knüpft ebenfalls das Bundesverfas-
sungsgericht an, indem es den Gesetzgeber auf fordert, auch die institutio-
nelle Betreuung von Kindern zu fördern. In diesem Sinne müssen die sich
mit den Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts eröffnende Chance zu
einer wirklichen Reform der Familienbesteuerung sowie der gesellschaftli-
chen Rahmenbedingungen für das Zusammenleben mit Kindern genutzt
werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert daher die Bundesregierung auf, einen Ge-
setzentwurf vorzulegen, der die Neuregelungen der Besteuerung von Fami-
lie und Ehe nach folgenden Maßgaben vorsieht:

1. Die Steuerfreistellung des Existenzminimums von Kindern soll ausschließ-
lich über das Kindergeld – also bei Streichung des Kinderfreibetrags – erfol-
gen. Dadurch wird gewährleistet, dass mit sinkendem Einkommen nicht
auch die Entlastung abnimmt. Familien mit geringen Einkommen erhalten
aus der Steuerfreistellung des Existenzminimums den gleichen V orteil wie
Familien mit hohen Einkommen.
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2. Das durchschnittliche monatliche Existenzminimum für ein Kind beträgt
rund 744 DM. Durch Anwendung des derzeit geltenden Spitzensteuersatzes
von 53 % errechnet sich eine steuerliche Entlastung von rund 400 DM. Folg-
lich ist das Kindergeld für jedes Kind auf 400 DM zu erhöhen.

Mit der Zahlung des Kindergeldes wird im Einkommensteuerrecht dem Un-
terhaltsanspruch des Kindes gegenüber seinen Eltern Rechnung getragen.
Insoweit Kinder über eigene Einkünfte verfügen, entfällt dieser Unterhalts-
anspruch gegenüber den Eltern. Der Anspruch auf Kindergeld ist konse-
quenterweise insoweit zu kürzen, wie die Summe aus eigenen Einkünften
und Bezügen des Kindes und dem Kindergeld den Grundfreibetrag überstei-
gen. Diese Regelung soll zugleich der Steuervermeidung durch Verlagerung
von Einkommen auf Kinder entgegenwirken.

3. Da das Kindergeld weitgehend auf die Sozialhilfe angerechnet wird, ergeben
sich für Haushalte mit besonders niedrigen Einkommen aus dieser Erhöhung
nur geringfügige Verbesserungen. Soweit das Einkommen der Eltern nicht
ausreicht, um das Existenzminimum der Kinder zu bestreiten, ist deshalb das
Kindergeld durch eine Zulage bis auf ein existenzsicherndes Niveau anzuhe-
ben.

Der Zulage ist das Existenzminimum nicht als Durchschnittsbetrag, sondern
entsprechend dem Alter der Kinder zugrunde zu legen. In Anlehnung an die
im Bundessozialhilfegesetz festgelegten Relationen für die Regelsätze wei-
terer Haushaltsangehöriger zum Regelsatz des Haushaltsvorstands ergeben
sich in den jeweiligen Altersstufen folgende Höchstbeträge:

4. Da bei der Berechnung des Kinder geldes Aufwendungen für die Betreuung
von Kindern nur in geringem Umfang berücksichtigt worden sind, soll die
bestehende Abzugsmöglichkeit von Kinderbetreuungskosten grundsätzlich
erhalten bleiben. Nachgewiesene Betreuungskosten können wie bisher bei
einem Kind bis zu einer Höchstgrenze von 4 000 DM abgezogen werden.
Für jedes weitere Kind erhöht sich die Grenze um 2 000 DM. Lebt das Kind
im Haushalt beider Elternteile, ist der maßgebende Höchstbetrag jeweils zur
Hälfte anzusetzen.

Entfallen sollen die einschränkenden Bedingungen für verheiratete Eltern
und die seit 1997 geltende Beschränkung, wonach Kinderbetreuungskosten
nur soweit steuerlich berücksichtigungsfähig sind, wie sie eine sog. „zumut-
bare Belastung“ übersteigen.

5. Alle Steuerpflichtigen sind mit ihren eigenen Einkünften individuell und un
abhängig von ihrer Lebensweise zu veranlagen. Die V erdopplung der Vor-
sorgepauschale sowie anderer Frei- und Abzugsbeträge in Abhängigkeit von
der Verehelichung entfällt. Das Ehegattensplitting ist in eine Freibetragsre-
gelung zur steuerlichen Berücksichtigung von Unterhaltsleistungen umzu-
wandeln. Solange das Einkommen des geringer verdienenden Ehepartners
das steuerfreie Existenzminimum (Grundfreibetrag) nicht erreicht, kann die
jeweilige Differenz vom Einkommen des besserverdienenden Partners abge-
zogen werden. Diese Regelung ist auch für andere Unterhaltsverpf ichtun-
gen anzuwenden, wenn dadurch öf fentliche Mittel (z. B. Sozialhilfe) einge-
spart werden.

Bei der Berechnung des abzugsfähigen Freibetrages sind alle Einkünfte und
Bezüge des Unterhaltsberechtigten zugrunde zu legen, soweit sie geeignet
sind, den Lebensunterhalt zu bestreiten. V on den Einkünften und Bezügen

Altersstufe
Existenzminimum
Höchstbetrag der Zulage

unter 7 Jahren
544 DM
144 DM

unter 14 Jahren
707 DM
307 DM

unter 18 Jahren
979 DM
579 DM
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sind die Vorsorgeaufwendungen entsprechend den geltenden Höchstgrenzen
abzuziehen.

Um steuerliche Mehrbelastungen für Ehepaare mit niedrigem Einkommen
zu vermeiden, ist zeitgleich mit der Neuregelung der Grundfreibetrag um
2 500 DM auf 16 000 DM jährlich zu erhöhen. Zugleich wird damit das
Existenzminimum in einer realistischen Höhe von der Einkommensteuer
befreit.

6. Die Finanzierung der Reform erfolgt hauptsächlich durch die Streichung
des Ehegattensplittings und anderer Regelungen der Zusammenveranla-
gung. Der als Ausgleich für das Ehegattensplitting bisher für Alleinerzie-
hende gewährte Haushaltsfreibetrag ist ebenfalls zu streichen. Mit der Erhö-
hung des Kinder geldes entfällt darüber hinaus die Notwendigkeit des
Kinder- und des Ausbildungsfreibetrags. Durch die Beibehaltung des Spit-
zensteuersatzes in einer Höhe von 53 % entfällt die ab dem Jahr 2000 in
den öffentlichen Haushalten bereits berücksichtigte Minderung des Steuer -
aufkommens. Einsparungen er geben sich u. a. durch die Streichung der
steuerlichen Absetzbarkeit von Aufwendungen für Hausangestellte sowie
im Rahmen der Sozialhilfe.

Berlin, den 8. November 1999

Dr. Barbara Höll
Rosel Neuhäuser
Petra Bläss
Heidemarie Ehlert
Dr. Ruth Fuchs
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Allgemeiner Teil

Aufgrund der ökonomischen und gesellschaftlichen Benachteiligungen sind Fa-
milien heute einem erheblichen Armutsrisiko ausgesetzt. Das Gesamteinkom-
men einer Durchschnittsfamilie liegt bei 80 % des Einkommens, das ein Paar
unter gleichen Bedingungen ohne Kinder erzielt. Das Pro-Kopf-Einkommen
von Familien mit einem Kind beträgt 64 %, das von Familien mit zwei Kindern
bei 54 % des Pro-Kopf-Einkommens vergleichbarer kinderloser Paare.

Besonders besorgniserregend ist die finanzielle Lage alleinerziehender Eltern
Im Jahr 1996 erreichten Alleinerziehende mit einem Kind gerade 70 % des Ein-
kommens eines Ehepaars mit einem Kind. Der Anteil der Sozialhilfebezieherin-
nen ist in der Gruppe der alleinerziehenden Eltern besonders hoch: Im W esten
erhalten 30 % der alleinerziehenden Frauen Sozialhilfe. Im Osten beträgt die
Sozialhilfequote – bei traditionell höherer Erwerbsbeteiligung von Frauen –
rund 13 %.

Kinder sind zunehmend selbst von Armut betroffen. Von allen Sozialhilfebezie-
henden waren 1997 rund 39 % unter 18 Jahre alt. Jedes zwölfte Kind unter sie-
ben Jahren lebt in den alten Bundesländern von Sozialhilfe. In den neuen Bun-
desländern ist sogar jedes zehnte Kind auf Sozialhilfe angewiesen.
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Vor diesem Hintergrund griff das Bundesverfassungsgericht in den Beschlüssen
vom November 1998 verschiedene Def zite bei der Besteuerung von Familien
auf. Bisher hatte es die Mindesthöhe des steuerfrei zu stellenden Existenzmini-
mums am Leistungsniveau der Sozialhilfe orientiert. Indem das Bundesverfas-
sungsgericht nun auch Erziehungs- und Betreuungsaufwendungen als Bestand-
teil des Existenzminimums von Kindern anerkennt und dessen steuerliche
Freistellung fordert, löst es sich von dieser unzureichenden Bemessungsgrund-
lage.

Allerdings eröf fnet der Beschluß neue W idersprüche und – im Hinblick auf
seine Umsetzung – erhebliche Interpretations- und Gestaltungsspielräume. Das
betrifft insbesondere die Unterscheidung von Kinderbetreuung und Kinderer-
ziehung. Vor allem aber fehlt im Beschluß ein deutlicher Hinweis auf die not-
wendige Verbindung mit einer umfassenden Reform der Ehe- und Familienbe-
steuerung. In deren Mittelpunkt muss v. a. der Übergang zu einer konsequenten
Individualveranlagung aller Steuerpf ichtigen stehen.

Würden bei der Umsetzung der Beschlüsse diese Erfordernisse ignoriert, wären
neue Ungerechtigkeiten bei der Besteuerung von Alleinerziehenden und von
nicht verheirateten Eltern gegenüber Ehepaaren die Folge.

Ein sozial gerechter Familienlastenausgleich kann sich deshalb nicht darauf be-
schränken, die Steuerlasten zwischen Haushalten mit und ohne Kinder gerecht
zu verteilen. Gerechtigkeit verlangt vor allem auch, die erheblichen Einkom-
mensunterschiede von Eltern und die daraus resultierende Ungleichheit in den
Entwicklungsmöglichkeiten der Kinder zu mindern. Kindern sollen gleiche
Chancen auf eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und bei ihrer individu-
ellen Entwicklung haben.

Eine wesentliche Voraussetzung dafür ist die deutliche Erhöhung des Kinder -
geldes, die v. a. die spezifische Situation von Eltern mit geringem oder keine
oder keinem eigenen Einkommen berücksichtigt. Soweit fnanzielle Mehrbelas-
tungen durch die Betreuung von Kindern nicht durch direkte Förderungen aus-
geglichen werden, sind diese steuerlich zu berücksichtigen.

Zu Nummer II. 1.

Wird die Steuerfreistellung des Existenzminimums ausschließlich über einen
Kinderfreibetrag bewirkt, erhalten Eltern, die ohnehin über ein hohes Einkom-
men verfügen, eine höhere Entlastung als Eltern mit niedrigeren Einkommen.
Vorausgesetzt das Einkommen der Eltern reicht aus, um den Kinderfreibetrag in
voller Höhe zu nutzen, wächst aufgrund des progressiven Einkommensteuerta-
rifs die steuerliche Entlastung mit steigendem Einkommen. Für ein Elternteil
mit einem Einkommen von 50 000 DM ergibt sich beispielsweise aus der An-
wendung des geltenden Kinderfreibetrags (jährlich 3 456 DM) eine Entlastung
von 1 142 DM. Ist das Einkommen doppelt so hoch, muss V ater oder Mutter
1 604 DM weniger Steuern zahlen.

Die Steuerfreistellung des Existenzminimums über einen Kinderfreibetrag führt
somit zwar zu mehr Steuergerechtigkeit, da Haushalte mit Kindern nicht höhere
Steuern zahlen müssen als Haushalte ohne Kinder . Doch verstärkt eine solche
Regelung die bestehenden Einkommensunterschiede der Eltern und somit die
ungleichen Entwicklungschancen der Kinder.

Diese Ungerechtigkeit ist im Rahmen des derzeitigen dualen Systems des Fa-
milienlastenausgleichs lediglich gemindert. Danach können Eltern zwischen
Kinderfreibetrag und Kinder geld „wählen“. Da jedoch das Kinder geld für ein
Kind lediglich 250 DM, die maximale Steuerersparnis aus dem Kinderfrei-
betrag aber monatlich 305 DM beträgt, entsteht der Eindruck, dass die Kinder
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eines Spitzenverdieners mehr wert sind, als Kinder , deren Eltern nur über ein
durchschnittliches Einkommen verfügen.

Mit den Plänen der Bundesregierung wird dieses Auseinanderdriften fortge-
schrieben. Während sich ein Großteil der Familien mit einem Kindergeld von
270 DM zufrieden geben müssen, erhalten Spitzenverdiener durch Kinder- und
Betreuungsfreibetrag eine monatliche Steuerentlastung von rund 422 DM.

Ein gerechter Familienlastenausgleich erfordert deshalb die Ersetzung des Kin-
derfreibetrags durch ein Kinder geld, dessen Berechnung sich wegen der
Gleichbesteuerung von Haushalten mit und ohne Kinder an den Steuersatz
hoher Einkommen orientieren muss. Die daraus resultierende deutliche Erhö-
hung des Kinder geldes trägt zu einer wirksamen V erbesserung der Situation
von Familien mit niedrigen Einkommen bei und insoweit zu mehr Chancen-
gleichheit in der Entwicklung von Kindern.

Zu Nummer II. 2.

Die Vorgaben des Bundesverfassungerichts sind nur bedingt zur Berechnung
eines soziokulturellen Existenzminimums geeignet. Die Orientierung des ein-
kommensteuerlichen Existenzminimums am sozialhilferechtlich def nierten
Existenzminimum ermöglicht zwar die Festsetzung einer unteren Grenze, doch
ist zweifelhaft, ob die sozialhilferechtlichen Regelungen selbst noch ein Leben
ermöglichen, „das der Würde des Menschen entspricht“ (§ 1 Abs. 2 Satz 1
Bundessozialhilfegesetz). Wird Armut am hälftigen Durchschnittseinkommen
gemessen, waren 1994/1995 in den westdeutschen Bundesländern 56 % und in
den ostdeutschen Ländern 64 % der Sozialhilfeempfänger arm. Da die Re-
gelsätze zwischenzeitlich nicht entsprechend der wirklichen Steigerung der
Lebenshaltungskosten angepasst wurden, ist gegenwärtig durch das Sozial-
hilfeniveau ein soziokulturelles Existenzminimum nicht mehr gewährleistet.

Das Bundesverfassungsgericht hat im Beschluss vom 10. November 1998 – zu-
mindest im Hinblick auf die Einkommenbesteuerung – den Umfang des Exis-
tenzminimums um einen sog. Betreuungs- und Erziehungsbedarf erweitert.
Daraus ergibt sich grundsätzlich die Notwendigkeit, das Mindestniveau des ein-
kommensteuerlichen Existenzminimums zu erhöhen. Doch belassen die Be-
schlüsse einen zum T eil widersprüchlichen Interpretations- und Gestaltungs-
spielraum. Nicht nachvollziehbar ist beispielsweise die Unterscheidung von
Betreuungs- und Erziehungsaufwendungen. Besuchen Kinder eine Tagesstätte,
einen Hort oder Sportverein, werden sie dort zugleich „betreut“ und „erzogen“.
Darüber hinaus bestehen zwischen den einzelnen Bundesländern und Gemein-
den derartig große Unterschiede in der Bereitstellung und den Kosten der Be-
treuungseinrichtungen, dass die Festsetzung eines allgemeinen Freibetrags, der
angemessen Betreuungs- und Erziehungsaufwendungen abdeckt, kaum mög-
lich ist. Im Beschluß des Bundesverfassungsgerichts f nden sich folglich auch
keine Anhaltspunkte dafür, warum es sich bei der Bemessung des Betreuungs-
bedarfs an einer Höhe von 4 000 DM und bei der Bemessung des Erziehungs-
bedarfs an 5 616 DM orientiert.

Da die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts kaum als Maßstab für die Er-
mittlung eines soziokulturellen Existenzminimums dienen können und aktuelle
Angaben über den existenziellen Mindestbedarf nicht vorliegen, sind zur Be-
rechnung des Existenzminimums hilfsweise die in der Einkommens- und V er-
brauchsstichprobe 1993 (EVS) ausgewiesenen Aufwendungen heranzuziehen.
Dabei werden die Aufwendungen von Ehepaaren mit einem Kind und einem
Haushaltsnettoeinkommen von 3 000 DM bis 4 000 DM entsprechend der Ent-
wicklung der Lebenshaltungskosten fortgeschrieben. Diese Einkommenshöhe
deckt annähernd das für 1992 auf Basis der Sozialhilfe ermittelte Existenzmini-
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mum von zwei Erwachsenen und einem Kind. Aus dieser Berechnung ergibt
sich ein Existenzminimum von monatlich 744 DM.

Zu Nummer II. 3.

Der Bedarf eines Kindes im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem
Bundessozialhilfegesetz beträgt unter Berücksichtigung der ef fektiven Woh-
nungsmieten in den alten Ländern 643 DM pro Monat und in den neuen Län-
dern 574 DM pro Monat. Für Eltern, deren Einkommen niedriger oder nur we-
nig höher als das Existenzminimum ist, würden sich folglich auch aus einem
Kindergeld von 400 DM keine finanziellen erbesserungen ergeben. Dabei ist
zu berücksichtigen, dass die Bedarfsangaben Durchschnittsgrößen darstellen.
Da beispielsweise die Regelsätze sowohl regional als auch altersabhängig sehr
verschieden sind, ist davon auszugehen, das für einen sehr großen Teil der Kin-
der höhere Leistungen gewährt werden.

Mit der Erhöhung des Kinder geldes auf ein existenzsicherndes Niveau wird
ausgeschlossen, dass Eltern wegen ihrer Kinder von der Sozialhilfe abhängig
werden und sich der oft entwürdigenden Bedürftigkeitsprüfung durch das So-
zialamt unterziehen müssen. Die Erhöhung des Kinder geldes ist zugleich ein
wichtiger Schritt zur Einführung eines existenzsichernden Kindergeldes, dass
allen Eltern unabhängig von ihren Einkommen gewährt werden soll.

Zu Nummer II. 4.

Die Betreuung und Erziehung von Kindern ist für ein würde- und verantwor-
tungsvolles Leben gleichermaßen von Bedeutung wie beispielsweise Essen,
Kleiden und Wohnen.

Den vielfältigen Mehrbelastungen, denen Eltern und Kinder ausgesetzt sind,
sollte allerdings nicht vorrangig durch eine Erweiterung steuerlicher Entlastun-
gen begegnet werden. Vielmehr müssen die Nachteile beim Erwerb des zu be-
steuernden Einkommens und vor allem bei der Aufnahme einer Erwerbstätig-
keit überwunden werden. Im Mittelpunkt muss deshalb der Ausbau einer
bedarfsorientierten und öffentlich geförderten institutionellen Kinderbetreuung
stehen. Da es sich aber hierbei um einen längerfristigen Prozess handelt, wer-
den den Eltern auch weiterhin erhebliche Aufwendungen aus der Betreuung
und Erziehung von Kindern erwachsen. Darüber hinaus wird auch eine weitge-
hend kostenlose Kinderbetreuung in den entsprechenden Einrichtungen nicht
alle Belastungen abdecken können, die den Eltern aus der Betreuung ihrer Kin-
der erwachsen. Diese Aufwendungen mindern die Leistungsfähigkeit der El-
tern und sind demzufolge steuerlich zu berücksichtigen.

Die Kinderbetreuungskosten entstehen unabhängig davon, ob die Eltern verhei-
ratet sind. Folglich sind auch in Hinblick auf deren steuerliche Absetzbarkeit
die derzeit geltenden Einschränkungen für verheiratete Eltern zu streichen.

Zu Nummer II. 5.

Die Möglichkeit zur Zusammenveranlagung von Ehepartnern ist keine Regelung,
die der Entlastung oder Förderung von Familien dient. Vielmehr werden zahlrei-
che Familien steuerlich diskriminiert. Das betrif ft insbesondere alleinerziehende
Mütter und Väter, aber auch Eltern, die verheiratet sind und die Möglichkeit der
Zusammenveranlagung wählen können. Da beispielsweise die steuerliche Entlas-
tung aufgrund des Ehegattensplittings nicht nur vom Einkommensunterschied
zwischen Mann und Frau, sondern auch von der Höhe der jeweiligen Einkommen
abhängt, nimmt die Entlastung mit steigenden Einkommen zu.

Auch im Rahmen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist nun
verdeutlicht worden, dass die derzeitige Möglichkeit zur Zusammenveranla-
gung von verehelichten Menschen in keinem Zusammenhang mit den kind-
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bedingten Betreuungs- oder Erziehungsleistungen der Eltern steht. So wird im
Beschluss vom 1 1. November 1998 betont, dass die Zusammenveranlagung
von allen Ehegatten in Anspruch genommen werden kann, „unabhängig davon,
ob sie unterhaltsberechtigte Kinder haben oder nicht; die Zusammenveranla-
gung setzt eine Ehe, nicht einen kindbedingten Bedarf voraus“.

Diese Äußerungen des Bundesverfassungsgerichts weisen einmal mehr darauf
hin, dass sich Ehegattensplitting, V erdopplung von Freibeträgen und andere
Regelungen der Zusammenveranlagung nicht mit Betreuungs-, Erziehungs-
oder anderen Arbeiten für die Familie rechtfertigen bzw. begründen lassen. Ge-
genstand einer Reform der Familienbesteuerung muss also nicht nur die Steuer-
freistellung des Existenzminimums aller Familienmitglieder sein, sondern auch
die konsequente Individualveranlagung aller Steuerpf ichtigen. Das Schutzge-
bot des Artikels 6 Grundgesetz gilt nicht nur für die Ehe. Auch die Familie darf
infolge dieses Schutzgebotes steuerlich nicht diskriminiert werden. Da aber
beispielsweise alleinerziehende Mütter und Väter den V orteil des Ehegatten-
splittings nicht in Anspruch nehmen können, wird diese Familie steuerlich
schlechter gestellt als die kinderlose Ehe. Nach der „Neuinterpretation“ des
Haushaltsfreibetrags durch das Bundesverfassungsgericht, wonach dieser nicht
mehr Kompensation des Ehegattensplittings, sondern Entsprechung eines so-
genannten Erziehungsmehrbedarfs und somit auch Ehepaaren zu gewähren ist,
fällt diese steuerliche Diskriminierung noch viel stärker ins Gewicht.

Zu Nummer II. 6.

Die Erhöhung des Kinder geldes einschließlich der Zulage führt, saldiert mit
den Einsparungen beim Kinderfreibetrag und durch die Anrechnung der Ein-
künfte des Kindes, zu einem f nanziellen Mehrbedarf von rund 25 bis 26 Mrd.
DM. Zu berücksichtigen sind darüber hinaus die Streichung der Einschränkun-
gen beim steuerlichen Abzug von Kinderbetreuungskosten (geschätzter Mehr-
bedarf 3 Mrd. DM) und die Erhöhung des Grundfreibetrags (geschätzter Mehr-
bedarf 19 Mrd. DM).

Die deutliche Erhöhung des Kinder geldes ermöglicht die Streichung diverser
Frei- und Abzugsbeträge sowie außersteuerliche Subventionen. So ergeben
sich allein aus der Streichung des Haushalts- und Ausbildungsfreibetrags so-
wie des sog. „Dienstmädchenprivilegs“ steuerliche Mehreinnahmen von insge-
samt 3,5 Mrd. DM.

Die Beibehaltung der bereits beschlossenen Absenkung der einkommensteuer-
lichen Spitzenbelastung von 53 auf 51 % verhindert Einnahmenausfälle von
ungefähr 1,7 Mrd. DM.

Einsparungen ergeben sich im Rahmen der Sozialhilfe. Die Erhöhung des Kin-
dergeldes bis auf ein existenzsicherndes Niveau führt im Rahmen der Hilfe zum
Lebensunterhalt zu Einsparungen von 2 bis 3 Mrd. DM. Im Rahmen der Unter-
haltsvorschussleistungen werden die T räger der Sozialhilfe um etwa 2 Mrd.
DM entlastet.

Der größte Beitrag zur Finanzierung der Reform wird durch die Umwandlung
des Ehegattensplittings und anderer Regelungen der Zusammenveranlagung er-
bracht. Diesbezüglich sind steuerliche Mehreinnahmen von rund 30 bis 33
Mrd. DM zu erwarten.

Obwohl diese Schätzungen angesichts der unvollständigen und veralteten Da-
tenlage notwendigerweise ungenau sein müssen, kann davon ausgegangen wer-
den, dass das Finanzierungsdef zit den von der Bundesregierung geplanten Ge-
samtrahmen nicht übersteigt.

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