BT-Drucksache 14/2068

Forderung nach einem Leistungsgesetz für Menschen mit Behinderungen

Vom 10. November 1999


Deutscher Bundestag

Drucksache

14/

2068

14. Wahlperiode

10. 11. 99

Kleine Anfrage

der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, Dr. Klaus Grehn, Dr. Heidi Knake-Werner,
Dr. Gregor Gysi und der Fraktion der PDS

Forderung nach einem Leistungsgesetz für Menschen mit Behinderungen

In ihrer Koalitionsvereinbarung haben sich die Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dazu bekannt, alle Anstrengungen zu unterneh-
men, um die Selbstbestimmung und gesellschaftliche Teilhabe von Menschen
mit Behinderungen zu fördern und dem im Grundgesetz verankerten Benach-
teiligungsverbot für Behinderte Geltung zu verschaffen.

Mit der gleichen Zielstellung fordern Behindertenverbände und Selbsthilfe-
gruppen seit Jahren ein umfassendes Leistungsgesetz, das unter Berücksichti-
gung bestehender Regelungen insbesondere einen Rechtsanspruch auf

soziale
Grundsicherung

und

Nachteilsausgleiche

umfassen soll. Dabei wird von dem
Verständnis ausgegangen, dass sich die Höhe der sozialen Grundsicherung am
soziokulturellem Existenzminimum orientiert, während mit den Nachteilsaus-
gleichen der behinderungsbedingte Mehrbedarf zu decken ist.

Bei bereits bestehenden gesetzlichen Regelungen für Menschen mit Behinde-
rungen stellt sich die Frage, ob sie ordnungspolitisch zutreffend zugeordnet
sind und nicht besser – wie ebenfalls von den Verbänden gefordert – in ein
neues Leistungsgesetz überführt werden sollten. Dies ist z. B. der Fall bei den
so genannten Eingliederungshilfen im Bundessozialhilfegesetz (BSHG), aber
auch bei Leistungen für behinderte Versorgungsempfänger nach dem Bundes-
versorgungsgesetz (BVG).

Insofern könnte ein steuerfinanziertes Leistungsgesetz für Menschen mit Be-
hinderungen zwar einerseits einen höheren Finanzaufwand seitens des Bundes
erfordern, andererseits aber auch durch eine Zusammenfassung und Vereinheit-
lichung bestehender gesetzlicher Regelungen in einem solchen Leistungsgesetz
zu einer Optimierung des Aufwandes, insbesondere im Verwaltungsbereich,
und zu einer Entlastung der Städte und Gemeinden führen.

Die Bundesregierung hat mehrfach angekündigt, dass zur Umsetzung der Koa-
litionsvereinbarung ein Gleichstellungsgesetz sowie – im Bereich der Leistun-
gen für Menschen mit Behinderungen – ein Sozialgesetzbuch IX vorgelegt und
verabschiedet werden sollen. Bei einer am 12. Oktober 1999 im zuständigen
Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA) durchgeführten An-
hörung zu „Eckpunkten für ein SGB IX“ wurde jedoch seitens der Vertreter des
BMA ausdrücklich betont, dass das zu erwartende SGB IX kein Leistungs-
gesetz für Menschen mit Behinderungen darstellen soll.
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Wir fragen daher die Bundesregierung:

1. Ist es zutreffend, dass die Bundesregierung – wie von den Vertretern des
BMA bei der Anhörung am 12. Oktober 1999 angekündigt – vorsieht, in die-
ser Legislaturperiode keinen Gesetzentwurf für ein Leistungsgesetz für
Menschen mit Behinderungen vorzulegen?

2. Wenn ja, wie ist dies zu vereinbaren mit der Aussage der Koalitionsverein-
barung zu den Rechten der Menschen mit Behinderungen, dass „die Bundes-
regierung alle Anstrengungen unternehmen wird, um ihre Selbstbestimmung
und gesellschaftliche Teilhabe zu fördern und dem im Grundgesetz veran-
kerten Benachteiligungsverbot für Behinderte Geltung zu verschaffen“?

3. Sollen nach Ansicht der Bundesregierung mit einem SGB IX lediglich be-
stehende gesetzliche Regelungen des „Rechts der Rehabilitation“ zusam-
mengefasst und vereinfacht werden, oder soll das vorgesehene SGB IX auch
umfassende leistungsrechtliche Regelungen enthalten?

Wenn ja, welche?

Wenn nein, welche anderen Vorhaben hat die Bundesregierung zur Verände-
rung des Leistungsrechts für Menschen mit Behinderungen?

4. Nach welchen wissenschaftlichen Kriterien kann ein

soziokulturelles Exis-
tenzminimum

bestimmt und – z. B. in Form einer sozialen Grundsicherung –
in die sozialen Sicherungssysteme der Bundesrepublik Deutschland einge-
führt werden (ausgehend von der Annahme, dass nach Schätzungen das so-
zio-kulturelle Existenzminimum bei ca. 1 450 DM pro Person liegt)?

5. Welche Probleme ergeben sich bei der Bestimmung (bzw. Definition) des
soziokulturellen Existenzminimums aus dem unterschiedlichen Begriffsver-
ständnis „Behinderung“ in den verschiedenartigen Gesetzen des Bundes
(BSHG, Bundesversorgungsgesetz und andere beamtenversorgungsrecht-
liche Regelungen, Bundesentschädigungsgesetz, RVO, etc.)?

6. Welche Kosten würden für den Bundeshaushalt bzw. die Landeshaushalte
entstehen, wenn eine Sozialleistung zur Deckung des soziokulturellen Exis-
tenzminimums gezahlt würde an

a) alle Menschen mit Behinderungen,

b) Menschen mit Behinderungen gestaffelt nach Grad der Behinderung (20,
30, 40, 50 Prozent)?

7. Wie hoch wären die monatlichen bzw. jährlichen Aufwendungen für die in
Frage 6 genannten Haushalte, wenn in diesem Zusammenhang:

a) die Nachteilsausgleiche aus BSHG, Beamtenversorgungsrecht, BEG,
RVO angerechnet würden?

b) die in a) genannten Nachteilsausgleiche bei gleichzeitiger Garantie des
Bestandsschutzes gezahlt werden würden?

c) eine finanzielle und materielle Versorgung aller Menschen mit Behinde-
rung nach den Stufen und Vergütungen der Unfall-, Kriegs- und Wehr-
dienstopferentschädigung erfolgen würde?

d) zur Gegenfinanzierung eine 1 %ige zusätzliche Steuerpauschale

– bei Jahreseinkommen ab 500 TDM bzw.

– bei Vermögen ab 1 Mio. DM oder

– bei Vermögen ab 3 Mio. DM erhoben würde?
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8. Wie hoch sind die Aufwendungen, die für Bund und Länder durch die der-
zeit zu zahlenden behinderungsbedingten Mehrbedarfe entstehen?

Würden sich bei einer pauschalisierten Abdeckung dieser Mehrbedarfs-
leistungen finanzielle Einsparungen oder Mehraufwendungen ergeben und
in welcher Höhe?

9. Wie würden sich die Einnahmen aus der Ausgleichsabgabe nach dem
Schwerbehindertengesetz erhöhen, wenn

a) die Ausgleichsabgabe statt 200 DM 1450 DM (angenommenes sozio-
kulturelles Existenzminimum) betragen würde und

b) gleichzeitig die Beschäftigungsquote im öffentlichen Dienst auf 8 %
statt 6 % festgesetzt würde ?

10. Welcher Finanzbedarf und welcher Verwaltungsbedarf ergeben sich, wenn
bei einem Drittel der betroffenen Menschen mit Behinderung (bei einem
Grad der Behinderung ab 50 %) nach dem Arbeitgebermodell entspre-
chend der Leistungserbringung nach SGB IX, BSHG u.a. leistungsrechtli-
chen Regelungen verfahren werden würde?

In welcher Höhe würden die monatlichen Durchschnittskosten für Ar-
beitsassistenz, Betreuungs- und Wegeassistenz anfallen?

11. Welche Kosten entstehen gegenwärtig für erforderliche Hilfen

a) außerhalb und

b) innerhalb von Anstalten, Heimen und gleichartigen Einrichtungen nach
§ 3a BSHG in der gegenwärtig gültigen Fassung,

und wie würden sich diese Kosten gestalten, wenn nach BSHG der alten,
d. h. bis 1996 gültigen Fassung des § 3a BSHG verfahren werden würde?

Berlin, den 3. November 1999

Dr. Ilja Seifert
Dr. Klaus Grehn
Dr. Heidi Knake-Werner
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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