BT-Drucksache 14/2040

zum Entwurf eines Gesetzes zur Fortführung der ökologischen Steuerreform GE der BReg -14/1524-

Vom 10. November 1999


Deutscher Bundestag

Drucksache

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2040

14. Wahlperiode

10. 11. 99

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Eva-Maria Bulling-Schröter, Dr. Barbara Höll, Heidemarie Ehlert,
Rosel Neuhäuser, Dr. Uwe-Jens Rössel, Dr. Winfried Wolf, Rolf Kutzmutz,
Dr. Christa Luft, Kersten Naumann, Dr. Gregor Gysi und der Fraktion der PDS

zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung
– Drucksachen 14/1524, 14/1668, 14/2027 –

Entwurf eines Gesetzes zur Fortführung der ökologischen Steuerreform

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Dem Regierungsentwurf zur Fortführung der ökologischen Steuerreform man-
gelt es nicht nur an ökologischen Lenkungswirkungen, er ist auch zutiefst unso-
zial. Der Entwurf schreibt damit die Linie der ersten Stufe der ökologischen
Steuerreform fort.

Diese Einschätzung ergibt sich aus Berechnungen der Verteilungswirkungen,
die auf der Basis des Gesetzentwurfs der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN vorgenommen wurden. Laut mittelfristiger Finanzplanung soll
die Senkung der Rentenversicherungsbeiträge bis zum Jahre 2003 im Rahmen
dieser Reform 1,4 Prozent betragen. Werden die dann zu erwartenden Energie-
und Mineralölsteuern im Jahre 2003 den Entlastungen durch die Senkung der
Rentenbeiträge gegengerechnet, so werden Familien mit mehr als drei Perso-
nen und einem Pkw im Nettoeffekt zusätzlich belastet. Und zwar umso mehr, je
weniger sie verdienen.

Eine dreiköpfige Familie mit Pkw müsste ein sozialversicherungspflichtiges
Einkommen von monatlich mindestens 7 500 DM brutto beziehen, um in den
Genuss einer Nettoentlastung zu kommen. Eine fünfköpfige Familie mit Pkw
und 4 000 DM Bruttoeinkommen verliert im Jahr etwa 540 DM.

Transferbezieherinnen/-bezieher, wie BAföG-Empfängerinnen/-Empfänger,
Rentnerinnen/Rentner oder Sozialhilfeempfängerinnen/-empfänger, trifft es noch
härter, denn sie können nicht an der Senkung der Rentenbeiträge partizipieren.

Die Bundesregierung hat mit dem Gesetzentwurf ihr Versprechen gebrochen,
Geringverdienerinnen/-verdiener einen finanziellen Ausgleich für die Mehrbe-
lastung aus Energie- und Mineralölsteuern infolge der ökologischen Steuerre-
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form bereitzustellen. Im Gegenteil: Rentnerinnen und Rentner, die eigentlich
durch die normalerweise an die Entwicklung der Nettolöhne angekoppelte Ren-
tenerhöhung indirekt von der Senkung der Rentenversicherungsbeiträge profi-
tiert hätten, gehen nun weitgehend leer aus, weil die Bundesregierung diese
Anhebung zunächst für die Jahre bis 2001 lediglich an die Entwicklung der In-
flationsrate bindet. Infolge der von der Bundesregierung vorgesehenen Kopp-
lung der Regelsätze für die Sozialhilfe an die Entwicklung der Renten trifft diese
Ungerechtigkeit auch eine der finanziell schwächsten Gruppen dieser Gesell-
schaft, die Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfänger. Gerade sie ha-
ben aber bei steigenden Preisen nur äußerst beschränkte Möglichkeiten, ihre
Verbräuche entsprechend zu senken bzw. Substitutionsvorgänge einzuleiten.

Während bei den Ärmsten gespart wird, entlastet der Regierungsentwurf ganze
Industriebranchen.

So wird die Nettoentlastung der Wirtschaft nach verschiedenen Schätzungen, u.a.
des Förderkreises für die Ökologische Steuerreform München, schon bei der ers-
ten Stufe der ökologischen Steuerreform zirka 3 Mrd. DM betragen. In Fachkrei-
sen wird davon ausgegangen, dass bei der Fortführung der ökologischen Steuer-
reform das Aufkommen zu mehr als zwei Dritteln von den privaten Haushalten
aufgebracht wird, aber nur ein Drittel dieses Aufkommens durch die Senkung der
Rentenbeiträge dorthin zurückfließt. Damit ist abzusehen, dass bis zum Jahre
2003 zweistellige Milliardenbeträge von den privaten Haushalten in die Kassen
vor allem der großen Industrieunternehmen fließen werden.

Diese Umverteilung, vor allem an große Unternehmen, entsteht durch die
mehrfache Entlastung der Betriebe – insbesondere des Produzierenden Gewer-
bes – von Energie- und Mineralölsteuern bei gleichzeitiger Reduzierung der
Zahlungen dieser Unternehmen in die Rentenkassen.

Die Entlastung resultiert u.a. aus folgender Absenkungs- und Verrechnungs-
möglichkeit: Soweit die zusätzliche Steuerbelastung auf Strom und Heizstoffe
jeweils 1 000 DM im Jahr übersteigt, gelten dafür auf 20 Prozent ermäßigte
Sätze (ausgenommen Kraftstoffe). Darüber hinaus können Unternehmen des
Produzierenden Gewerbes sich weiter entlasten: Die Stromsteuer und die Mi-
neralölsteuer werden rückerstattet, soweit zusätzliche Steuerzahlungen die Ent-
lastung beim Arbeitgeberanteil zur Rentenversicherung um mehr als 20 Pro-
zent übersteigen. Daraus ergibt sich, dass beispielsweise Unternehmen im
Produzierenden Gewerbe – hier gibt es die größten Energieverbraucher – 96
Prozent ihrer Stromsteuern, die sie über 1 000 DM zu zahlen hätten, rückerstat-
tet bekommen, während sie praktisch unbegrenzt an der Senkung der Lohnne-
benkosten partizipieren können.

Eine ökologische Lenkungswirkung für die produzierenden Bereiche ist dem-
nach auszuschließen, da beispielsweise Unternehmen, die zusätzlich Energie ver-
brauchen, praktisch keine zusätzlichen Stromsteuern zu zahlen haben. An der
Senkung der Lohnnebenkosten verdient dagegen jedes Unternehmen ohne Ober-
grenze entsprechend der Anzahl der Beschäftigten und der Höhe der Löhne.

Die fast vollständige Rückerstattung der Ökosteuern, die über den Sockel von
1 000 DM hinaus zu zahlen wären, benachteiligt zudem Klein- und mittelstän-
dische Betriebe gegenüber Großunternehmen. Erstere liegen aufgrund ihres in
der Regel geringeren Energieverbrauchs weitaus dichter an dieser 1 000-DM-
Grenze als Großbetriebe. Somit bekommen Großunternehmen mehr zurücker-
stattet als Klein- und mittelständische Betriebe.

Der Deutsche Bundestag ist sich darüber im Klaren, dass die Arbeitskosten in der
Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich kein Wettbewerbsproblem darstellen.
Zwar liegen in Deutschland die Lohnkosten je Arbeitnehmerin bzw. Arbeitneh-
mer oder je Arbeitsstunde höher als in vielen Ländern. Die für die Konkurrenzsi-
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tuation entscheidende Kennziffer sind jedoch nicht die Lohnkosten je Arbeitneh-
merin bzw. Arbeitnehmer oder je Arbeitsstunde, sondern die Lohnstückkosten.
Letztere sind aber durch die Produktivitätsentwicklung sowie durch die zurück-
haltende Nettolohnentwicklung der letzten Jahre im Trend deutlich weniger ge-
stiegen und meist auch absolut niedriger als in anderen Staaten.

Da also die Höhe der Lohnstückkosten, die auch die Lohnnebenkosten beinhal-
ten, keinen Konkurrenznachteil bedeuten, besteht keine zwingende Notwendig-
keit, die Lohnnebenkosten aus Wettbewerbsgründen zu senken.

Weiterhin ist nicht zu erwarten, dass durch eine alleinige Senkung der Arbeits-
kosten tatsächlich mehr Arbeitsplätze geschaffen werden. Dafür gibt es keiner-
lei empirische Belege. So hat die Lohnzurückhaltung der Gewerkschaften in
den letzten Jahren nicht zu mehr Beschäftigung geführt. Im Gegenteil: Die Ar-
beitslosigkeit stieg weiter an bzw. verharrt auf einem anhaltend hohen Niveau.

Im Gegenzug ist die Bundesrepublik Deutschland 1998 wieder Exportwelt-
meister geworden, die Firmengewinne, insbesondere die vieler Großunterneh-
men und Banken, sind in den letzten Jahren förmlich explodiert. Auch dies
spricht deutlich gegen eine zu hohe Belastung durch Arbeitskosten.

Mit den rasant steigenden Gewinnen der Unternehmen wurden anscheinend
nur weitere arbeitsplatzvernichtende Rationalisierungsinvestitionen bzw. Fir-
menkäufe, Spekulationen oder Finanz- oder Immobilienanlagen finanziert. Die
entnommenen Gewinne erhöhen weiter den Reichtum des oberen Drittels der
Gesellschaft.

Diese Politik wird durch den Regierungsentwurf zur Fortführung der ökologi-
schen Steuerreform fortgeschrieben. Das ist sozial ungerecht und beschäfti-
gungspolitisch unverantwortlich.

Der Deutsche Bundestag unterstützt den Grundsatz, dass es sich für die Unter-
nehmen mehr lohnen muss Kilowattstunden, Treibstoffe oder Material einzu-
sparen statt Beschäftigte. Eine Senkung der absoluten Arbeitskosten ist dazu
aber nicht erforderlich. Diese Zielstellung ist auch über die Verteuerung des
Naturverbrauchs zu erreichen. Damit ändern sich ebenfalls die relativen Preise
zwischen Lohnkosten und Kosten für den Umweltverbrauch zu Gunsten von
mehr Beschäftigung und weniger Umweltzerstörung.

Ökosteuern sind ein Mittel für solch eine Verteuerung des Umweltverbrauchs.
Sie erreichen eine klare ökologische Lenkungswirkung aber nur, wenn die Ein-
nahmen aus diesen Steuern direkt für den ökologischen Umbau und für Kom-
pensationszahlungen für die unteren Einkommensgruppen verwendet werden.
Dieser Grundsatz muss bei angespannten Haushaltslagen besondere Berück-
sichtigung finden. Durch die zusätzlichen Investitionen im Umweltbereich wird
mit höherer Sicherheit Beschäftigung gefördert, als durch eine Senkung der
Lohnnebenkosten, bei der es den Unternehmern freigestellt ist, über die Ver-
wendung der daraus resultierenden Einsparungen zu entscheiden.

Die Verwendung der Einnahmen zur Lohnnebenkostensenkung entlastet im
Übrigen auch immer Unternehmen, welche keinerlei Beitrag zum ökologischen
Umbau leisten. Das ist in hohem Maße volkswirtschaftlich ineffizient, weil mit
Steuergeldern Stillstand und Zögern anstelle nachhaltiger Innovationen zum
Schutz der natürlichen Umwelt belohnt werden.

Dagegen hätte eine Veränderung der Bemessungsgrundlage von Lohnneben-
kosten (Wertschöpfung statt Bruttolöhne beim Arbeitgeberanteil) und eine Ver-
breiterung der Bemessungsgrundlage (Einbeziehung Selbstständiger, Freibe-
rufler usw.) für das Sozialsystem stabilisierende und für die Beschäftigung
positive Effekte.
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Direkte Investitionen in den ökologischen Umbau würden neue Arbeitsplätze
schaffen. Andererseits ist es realistisch, davon auszugehen, dass infolge einer
zielführenden Ökosteuer in ökologischen (beispielsweise energieintensiven)
Problembranchen auch Arbeitsplätze abgebaut werden müßten. Neue umwelt-
verträgliche Beschäftigungsmöglichkeiten entstünden in diesem Prozess aber
nicht automatisch am selben Standort und zur selben Zeit. Für arbeitsmarktpo-
litische Maßnahmen und zur sozialen Abfederung von zeitweise arbeitslosen
Belegschaften wären also ebenfalls erhebliche finanzielle Mittel notwendig.

Der Deutsche Bundestag geht deshalb davon aus, dass ohne eine Beteiligung
der oberen Einkommen und Vermögen ein tatsächlicher ökologischer Umbau
nicht sozialverträglich auszugestalten ist.

Der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf zur Fortführung der ökologi-
schen Steuerreform hat direkte Auswirkungen auf die künftige Umweltpolitik.
Durch seine unsoziale Ausgestaltung wird der Gedanke einer notwendigen Ver-
teuerung des Umweltverbrauchs diskreditiert. Der politische Spielraum für den
Umweltschutz wird dadurch reduziert werden.

II. Die Bundesregierung wird aufgefordert:

Die Bundesregierung hat einen neuen Gesetzentwurf für eine ökologische Steu-
erreform vorzulegen. Dabei sind folgende zwei zentrale Kriterien zu erfüllen:

Erstens: Die Einnahmen aus der Erhebung von Ökosteuern sind zur Finanzie-
rung eines ökologischen Umbauprogramms zu verwenden. An den Einnahmen
des Bundes sind die Länder und Gemeinden so zu beteiligen, dass größtmögli-
che Effekte für den ökologischen Umbau und für die Schaffung von Arbeitsplät-
zen gewährleistet werden. Es geht insbesondere um den Ausbau des öffent-
lichen Personennahverkehrs, die (Wieder-)Ausweitung der Bahn in die Fläche,
den Einstieg in die Solarwirtschaft, die deutliche Erhöhung der Energieeffizienz
bei der Energieerzeugung und -umwandlung. Das Energieeinsparpotential bei
Neubau und im Gebäudebestand ist konsequent zu erschließen, ohne Miete-
rinnen/Mieter und Nutzerinnen/Nutzer finanziell zu belasten. Es geht weiterhin
um die Ökologisierung der Landwirtschaft, die Regionalisierung von Wirt-
schaftskreisläufen, Altlastensanierungen sowie Transferleistungen an die Län-
der des Südens.

Zweitens: Der Deutsche Bundestag geht von dem unumstößlichen Grundsatz
aus, dass ein sozialer Ausgleich, beispielsweise durch Zuschüsse oder einen
Ökobonus im Steuerrecht, für untere Einkommensgruppen selbstverständlicher
Bestandteil jeder ökologischen Steuerreform sein muss.

Berlin, den 10. November 1999

Eva-Maria Bulling-Schröter
Dr. Barbara Höll
Heidemarie Ehlert
Rosel Neuhäuser
Dr. Uwe-Jens Rössel
Dr. Winfried Wolf
Rolf Kutzmutz
Dr. Christa Luft
Kersten Naumann
Dr. Gregor Gysi und Fraktion der PDS

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