BT-Drucksache 14/1993

Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Privatisierung und Reorganisation des volkseigenen Vermögens (Treuhandgesetz)

Vom 4. November 1999


Deutscher Bundestag Drucksache 14/1993
14. Wahlperiode

04. 11. 99

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Kersten Naumann, Dr. Evelyn Kenzler, Dr. Gregor Gysi und
der Fraktion der PDS

Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Privatisierung und Reorganisation
des volkseigenen Vermögens (Treuhandgesetz)

A. Problem
Zehn Jahre nach der Deutschen Einheit sind die Konflikte im Um-
gang mit dem in staatlichen Besitz befindlichen Bodenreformland in
den neuen Bundesländern nicht gelöst. Klagen vor dem Bundesver-
fassungsgericht führen immer wieder zu Unsicherheiten über die zu-
künftigen Nutzungsrechte für die gegenwärtig von den Agrarunter-
nehmen in den neuen Bundesländern gepachteten Flächen. Auch die
Entscheidung der EU-Kommission zur Privatisierung des Boden-
reformlandes und die daraus von der Bundesregierung abgeleiteten
Vorstellungen haben zu einer weiteren Zuspitzung kontroverser
Positionen geführt. All das behindert den Aufbau Ost und das Zu-
sammenwachsen der beiden Teile Deutschlands. Die von der Bun-
desregierung beabsichtigten Regelungen zur Bodenprivatisierung be-
rücksichtigen nicht die Tendenz, die auch in den alten Bundeslän-
dern zu beobachten ist, dass die Landwirtschaft sich immer stärker
zu einer Pachtlandwirtschaft entwickelt.

B. Lösung
Durch Änderungen im geltenden Treuhandgesetz werden Rege-
lungen geschaffen, die genauer dem Anliegen von Beschlüssen der
Volkskammer der DDR von 1990 entsprechen und die den Weg frei
machen, um zukünftige Entwicklungen im Agrarbereich zu erleich-
tern. Dazu ist vor allem eine Präzisierung des Treuhandauftrages
über die Privatisierung des volkseigenen Vermögens notwendig.
Über den Verkauf hinaus wird auch die privatwirtschaftliche Nut-
zung des volkseigenen Vermögens durch Verpachtung und Bestel-
lung von Erbbaurechten als gleichberechtigter Weg für eine effi-
ziente Bodennutzung angesehen, als bisher im Treuhandgesetz zu-
gelassen.

C. Alternativen
Keine

Drucksache 14/1993 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

D. Kosten
Mit der Änderung des Treuhandgesetzes ergibt sich die Möglichkeit,
Einnahmen für den Staatshaushalt zu erzielen, die über den Einnah-
men aus dem Verkauf der Treuhandflächen liegen. In den vergange-
nen sieben Jahren sind dem Bund etwa 2,4 Mrd. DM Überschüsse
aus der Privatisierungstätigkeit der BVVG zugeflossen. Gegenwärtig
betragen die Pachteinnahmen etwa 175 Mio. DM im Jahr. Sie gehen
durch weitere Verkäufe zurück.
Bisher wurden durch den Verkauf von Acker- und Grünland
3 460 DM je ha erlöst. Dieser Preis würde bei einem weiteren Ver-
kauf trotz Reduzierung des Preisnachlasses sinken, da die noch zu
privatisierenden Flächen in ihrer Mehrheit in benachteiligten Ge-
bieten liegen. Der Gesamterlös aus der Privatisierung von etwa
1 Million ha verpachteter Fläche könnte etwa in der Größenordnung
von 3 bis 4 Mrd. DM liegen, von denen noch die Privatisierungs-
kosten abzuziehen wären. Der Zeitraum der Realisierung dieser Er-
löse muss auf mindestens 10 Jahre angesetzt werden, da die Alt-
eigentümer auch zukünftig versuchen werden, den Privatisierungs-
prozess zu behindern.
Ausgehend von jährlichen Pachteinnahmen von etwa 175 DM je ha
und einem Bodenverkaufspreis von 3 000 DM ergibt sich, dass der
Verkaufserlös durch Verpachtung in 17 Jahren realisiert werden
kann. Unter Berücksichtigung der erforderlichen Zeit für einen Ver-
kauf der Flächen sind die Beträge, die dem Bund jährlich durch den
Verkauf zufließen nur unwesentlich höher als die Einnahmen aus der
Verpachtung. Durch den Verzicht auf den Verkauf hätte der Bund
aber spätestens nach 17 Jahren eine jährliche Einnahme von etwa
200 Mio. DM, wenn unterstellt wird, dass die Pachtpreise mit stei-
gender Effizienz der Produktion erhöht werden. Dieser Betrag würde
ihm bei einem Verkauf der Flächen nicht zur Verfügung stehen.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/1993

Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Privatisierung und Reorganisation
des volkseigenen Vermögens (Treuhandgesetz)

Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates
folgendes Gesetz beschlossen:

Artikel 1
Änderung des Treuhandgesetzes

Das Gesetz zur Privatisierung und Reorganisation des
volkseigenen Vermögens (Treuhandgesetz) vom 17. Juni
1990, veröffentlicht im Gesetzblatt der DDR Teil I
S. 300, in Verbindung mit dem Artikel 25 des Eini-
gungsvertrages, geändert durch das Gesetz zur Beseiti-
gung von Hemmnissen bei der Privatisierung von Unter-
nehmen zur Förderung von Investitionen vom 22. März

1991 (BGBl. I S. 766) und des Gesetzes zur abschlie-
ßenden Erfüllung der verbliebenen Aufgaben der Treu-
hand vom 9. August 1994 (BGBl. I S. 2062) wird wie
folgt geändert:
1. Artikel 1 Satz 1 wird wie folgt geändert:

„Das volkseigene Vermögen ist durch Verpachtung,
die Bestellung von Erbbaurechten oder durch Verkauf
einer privatwirtschaftlichen Nutzung zuzuführen.“

2. In Artikel 1 Abs. 6 wird folgender Satz angefügt:
„Die Reorganisation der land- und forstwirtschaft-
lichen Flächen und der Gewässer erfolgt vorrangig
durch die Verpachtung oder die Ausreichung von
Erbbaurechten.“

Berlin, den 20. September 1999

Kersten Naumann
Dr. Evelyn Kenzler
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Drucksache 14/1993 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Begründung

A. Allgemeines
Der Verkauf der landwirtschaftlichen Treuhandflächen
ist seit der Herstellung der Deutschen Einheit Gegenstand
erbitterter gesellschaftlicher, parlamentarischer und ju-
ristischer Auseinandersetzungen, die bis vor die EU-
Kommission getragen wurden. Sie haben das gesell-
schaftliche und politische Klima in der Bundesrepublik
Deutschland vergiftet und drohen auf lange Zeit ein fort-
dauernder Streitpunkt zwischen den verschiedenen Inte-
ressengruppen zu bleiben. Das wird nicht zuletzt wieder
an den Diskussionen über die von der Bundesregierung
vorgesehenen Änderungen des EALG und der Flächen-
erwerbsordnung sichtbar. Besonders kompliziert wird
die Situation durch die Verknüpfung des Flächenver-
kaufs mit der Entschädigung der Alteigentümerinnen
und Alteigentümer. Diese Verknüpfung muss unbedingt
aufgehoben werden, um die Entscheidung über die zu-
künftige Bodennutzung nicht durch das Entschädigungs-
problem zu erschweren.
Die beim Bodenverkauf entstandenen Schwierigkeiten
haben die Entwicklung der Agrarbetriebe in Ost-
deutschland belastet und gehemmt. Die vorgesehenen
Regelungen zum Kauf der bisher durch die Betriebe ge-
pachteten Flächen würde in vielen Fällen ihre Finanz-
kraft überfordern und Investitionen in anderen, für die
Effizienz der Betriebe entscheidenden Bereichen verhin-
dern. Die bisherige Bodenpacht bot in den meisten Fäl-
len für die Agrarunternehmen eine gute Grundlage für
eine zukunftsorientierte, wirtschaftliche Tätigkeit. Des-
halb stellt die mit dem vorliegenden Gesetz angestrebte
Lösung einen Ausweg aus einem verhärteten und sich
fortsetzenden Konflikt dar.
Das Treuhandgesetz und die dazu von der Volkskammer
beschlossenen Anschlussgesetze und Verordnungen sind
Bestandteil des Einigungsvertrages. Bei der Umsetzung
dieser Gesetze nach der Herstellung der Deutschen Ein-
heit wurden Wege beschritten, die nicht in jedem Falle
den Intentionen bei der Beschlussfassung der Volks-
kammer entsprachen. Sie verursachen einige der gegen-
wärtigen Konflikte. Die vorgeschlagenen Änderungen
des Treuhandgesetzes sollen dazu beitragen, den tat-
sächlichen Willen der Volkskammer präziser zum Aus-
druck zu bringen.

B. Einzelbegründung
1. Schon im § 1 Abs. 6 des Treuhandgesetzes wird auf

die ökonomischen, ökologischen, strukturellen und
eigentumsrechtlichen Besonderheiten der Land- und
Forstwirtschaft Bezug genommen. Dieser Aspekt wird
vom „Gesetz über die Übertragung des Eigentums
und die Verpachtung volkseigener landwirtschaftlich
genutzter Grundstücke an Genossenschaften, Genos-
senschaftsmitglieder und andere Bürger“ vom 22. Juli

1990 aufgegriffen und präzisiert. In § 4 Abs. 1 dieses
Gesetzes heißt es: „Grundstücke können durch die
Treuhand an Genossenschaften, Genossenschafts-
mitglieder und andere Bürger verpachtet oder verkauft
oder anderweitig verwertet werden.“

2. Es kann davon ausgegangen werden, dass es der
Volkskammer im Kern um die privatwirtschaftliche
Nutzung des volkseigenen Bodens ging. Nach dem
Gesetzestext ist diese möglich, indem er „verpachtet
oder verkauft oder anderweitig verwertet“ wird. Die
Verpachtung wird beim Boden dem Gesetzestext ent-
sprechend als eine spezifische Form des Privatisie-
rungsprozesses betrachtet. Dieser Gedanke wird aus-
drücklich im § 1 Abs. 1 des vorstehend genannten Ge-
setzes formuliert: „Dieses Gesetz regelt in Überein-
stimmung mit § 1 Abs. 6 des Treuhandgesetzes den
Verkauf, die Verpachtung und anderweitige Verwer-
tung (nachfolgend Verwertung genannt) von volks-
eigenen land- und forstwirtschaftlichen Flächen
(Grundstücken), die sich im Besitz von Genossen-
schaften und Einzelpersonen befinden. Den Genos-
senschaften gleichgestellt sind die durch sie gegrün-
deten Unternehmen.“ Von einer zwingenden Vor-
schrift zum Verkauf der volkseigenen Flächen kann
also keine Rede sein.

3. Für die rationelle Bodennutzung und die Effizienz
von Agrarbetrieben ist das Privateigentum am Boden
keine unverzichtbare Voraussetzung. Weltweit wirt-
schaften Agrarbetriebe auf Pachtflächen bzw. nutzen
den Boden auf der Grundlage pachtähnlicher Verhält-
nisse. In den vergangenen Jahren hat sich der Anteil
der Pachtflächen in der westdeutschen Landwirtschaft
ständig erhöht und hat inzwischen die 50 %-Marke
überschritten. Er wird in den kommenden Jahren
weiter steigen. Trotz dieser Tatsache gibt es in der
Bundesrepublik Deutschland keine Forderungen, dass
die Verpächter ihren Boden zu Sonderkonditionen an
die Pächter verkaufen sollen.

4. In der Bundesrepublik Deutschland ist es eine Selbst-
verständlichkeit, dass ein Teil des Waldes sich im
Eigentum des Staates und von Körperschaften befin-
det. Das erleichtert es der Gesellschaft, landeskultu-
relle Aufgaben und Maßnahmen des Natur- und Um-
weltschutzes gezielt durchzuführen. Um diese Ziele
auch in Ostdeutschland zu realisieren, ist ein Anteil
des Staats- und Körperschaftswaldes wie in Baden-
Württemberg oder Hessen erstrebenswert. Vorausset-
zung dafür wäre aber, dass die Waldflächen, die die
Treuhand aus dem Bodenreformfonds verwaltet, nicht
verkauft werden.

5. Mit dem Verkauf der Bodenreformflächen fließen
dem Staat einmalig Einnahmen zu, die entsprechend
den politischen Intentionen der jeweiligen Regierung
verausgabt werden. Zukünftige Generationen haben
darauf keinen Einfluss. Mit dem Verkauf der Boden-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 5 – Drucksache 14/1993

reformflächen werden Tatsachen geschaffen, die
schwer zu korrigieren sind. Die aktuellen finanzpoliti-
schen Probleme lassen sich auch durch die Verwen-
dung der Pachteinnahmen, allerdings nur über einen
längeren Zeitraum lösen. Mit der Verpachtung stehen
aber auch zukünftigen Generationen stabil fließende
Einnahmequellen zur Verfügung. Zugleich sind sie
nicht dem politischen Druck ausgesetzt, der durch das
private Bodeneigentum möglich ist.

Die Gesamtinteressen der Gesellschaft, die Erfordernisse
des Umwelt- und Naturschutzes und einer nachhaltigen
Wirtschaftsweise erfordern, die Nutzung des Bodens und

die Ausgestaltung des Eigentums am Boden in einer spe-
zifischen Weise zu regeln, die sich von der anderer Wirt-
schaftsgüter unterscheidet. Neben den entsprechenden
gesetzlichen Regelungen im Bundesnaturschutzgesetz,
dem Bodenschutzgesetz, dem Baugesetz und in anderen
Gesetzen und Verordnungen ist das staatliche und Kör-
perschaftseigentum an Grund und Boden ein wichtiges
Instrument einer gestaltenden Bodenpolitik. Der Verkauf
staatlicher Bodenflächen sollte deshalb die Ausnahme,
die Verpachtung oder die Bestellung von Erbbaurechten
die Regel sein. Die Pachtverträge oder Erbbaurechte
sollten zu einem differenzierten Instrument gesellschaft-
lich orientierter Politik werden.

Druck: Bonner Universitäts-Buchdruckerei, 53113 Bonn
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