BT-Drucksache 14/1751

Keine ersatzlosen Schließungen von Auslandsvertretungen

Vom 6. Oktober 1999


Deutscher Bundestag Drucksache 14/1751
14. Wahlperiode 06. 10. 99

Antrag
der Abgeordneten Dr. Helmut Haussmann, Ulrich Irmer, Hildebrecht Braun
(Augsburg), Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher, Jörg van Essen, Horst Friedrich
(Bayreuth), Rainer Funke, Hans-Michael Goldmann, Joachim Günther (Plauen),
Dr. Karlheinz Guttmacher, Ulrich Heinrich, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer,
Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Ina Lenke, Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger, Dirk Niebel, Günther Friedrich Nolting, Hans-
Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig,
Gerhard Schüßler, Dr. Max Stadler, Dr. Dieter Thomae und der Fraktion der F.D.P.

Keine ersatzlosen Schließungen von Auslandsvertretungen

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Ein tragfähiges Konzept, mit dem Spareffekte ohne Beeinträchtigung der
außenpolitischen Interessen Deutschlands erzielt werden können, erfordert kre-
ative Lösungsansätze. Der von der Bundesregierung vorgeschlagene verstärkte
Einsatz von Ortskräften an deutschen Auslandsvertretungen, die Erhöhung von
Einnahmen durch adäquates Entgelt für konsularische und diplomatische
Dienstleistungen und die Einführung eines professionellen Managements von
deutschen Auslandsliegenschaften sind zwar Schritte in die richtige Richtung.
Die beabsichtigten ersatzlosen Schließungen von 20 Botschaften, Generalkon-
sulaten und Goethe-Instituten stehen jedoch in eklatantem Gegensatz zu der
von der Bundesregierung zu Recht betonten wachsenden weltpolitischen Ver-
antwortung Deutschlands und führen zu erheblichen Substanzverlusten bei der
Wahrnehmung deutscher Interessen.

Als zweitwichtigste Handelsnation der Welt, als drittgrößter Beitragszahler der
Vereinten Nationen, als einer der wichtigsten Geber von Entwicklungshilfe und
als größtes Mitgliedsland der Europäischen Union kann es sich Deutschland in
einer globalisierten Welt nicht leisten, sich aus kurz- bis mittelfristigen haus-
haltspolitischen Erwägungen von weltweiten Aufgaben zu verabschieden und
in der Wahrnehmung außenpolitischer Interessen weit hinter Partnerländern
wie Großbritannien und Frankreich zurückzufallen. Dies gilt neben den beab-
sichtigten Schließungen auch für die vorgesehenen unproportionell hohen Kür-
zungen im Bereich zentraler außenpolitischer Aufgaben insbesondere bei der
weltweiten Abrüstungszusammenarbeit, bei der Gemeinsamen Außen- und Si-
cherheitspolitik der Europäischen Union, bei der humanitären Hilfe, bei der
auswärtigen Kulturpolitik, bei den Beiträgen für die OSZE, für das Kinderhilfs-
werk UNICEF und den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen.

Drucksache 14/1751 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Unsere Partner in den genannten Organisationen vertrauen auf eine verantwor-
tungsvolle Wahrnehmung der deutschen Verpflichtungen. Eine drastische Re-
duzierung der deutschen Beiträge in diesen Kernbereichen der Außenpolitik
würde das deutsche Ansehen und damit den deutschen Einfluss auf die Mitge-
staltung wichtiger globaler Zukunftsaufgaben mindern.

Nachhaltige Spareffekte sind auch ohne die kontraproduktiven Schließungen
und Streichungen erreichbar. Hierfür sind jedoch zum Teil erhebliche Ein-
schnitte in festgefahrene Strukturen erforderlich: So muß nach dem In-Kraft-
Treten des Vertrages von Amsterdam insbesondere die Frage gestellt werden,
ob es noch zeitgemäß und europapolitisch sinnvoll ist, unter den 15 Mitglied-
staaten der Europäischen Union traditionelle diplomatische Beziehungen mit
enorm hohem Personalaufwand aufrechtzuerhalten und ob es nicht vernünftiger
wäre, einen Teil des dort eingesetzten Personals für die Wahrnehmung weltwei-
ter Herausforderungen zur Verfügung zu stellen. Es ist dem Unionsbürger kaum
noch vermittelbar, dass die EU-Mitgliedsländer bei einer gemeinsamen Außen-
und Sicherheitspolitik untereinander über 200 diplomatische und ca. 500 kon-
sularische Vertretungen unterhalten. Eine Strukturreform der innereuropäischen
Diplomatie mit dem Ziel einer Neudefinierung von Aufgaben und Arbeitswei-
sen ist daher dringend geboten. Mit den hieraus resultierenden Einsparungen
könnten die vorgesehenen Schließungen von Auslandsvertretungen vermieden
werden. Personalkürzungen von weniger als 5 % würden hierzu schon reichen.

Unter dem Gesichtspunkt der europäischen Integration wäre ferner zu prüfen,
in welchem Umfange Generalkonsulate innerhalb der Union entbehrlich sind.
Durch die Herstellung der Freizügigkeit im Rahmen des Binnenmarktes und
durch den Vertrag von Schengen sind die konsularischen Aufgaben erheblich
reduziert worden. Es ist daher unverständlich, dass die von der Bundesregie-
rung vorgelegte Streichliste überwiegend Generalkonsulate außerhalb der Eu-
ropäischen Union, wie z. B. in Detroit, Zürich, aber auch in Stettin, Oppeln und
Temeswar enthält. Wie die heftigen Reaktionen aus den betroffenen Staaten
zeigen, würde insbesondere die Schließung von Vertretungen in Mittel- und
Osteuropa der angestrebten Unterstützung des Transformationsprozesses und
der Heranführung an die europäischen Strukturen zuwiderlaufen.

Dass fast alle der geplanten Botschaftsschließungen afrikanische Staaten be-
treffen, steht überdies in krassem Widerspruch zu dem von der Bundesregie-
rung angekündigten verstärkten außen- und entwicklungspolitischen Afrika-
engagement. Der von afrikanischer Seite erhobene Vorwurf, die entwickelte
Welt betrachte Afrika als verlorenen Kontinent, wird hierdurch bestätigt.

Um irreversible Schäden abzuwenden, sollte zumindest in jedem Falle die
Möglichkeit der Umwandlung von Botschaften, Generalkonsulaten und Goe-
the-Instituten in Außenstellen übergeordneter Vertretungen geprüft werden.
Hierdurch könnte, wie die frühere erfolgreiche Praxis mit der Einrichtung von
Außenstellen belegt, der durch ersatzlose Schließungen hervorgerufene Scha-
den begrenzt werden.

Ferner ist es im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik drin-
gend geboten, den jahrelangen Ankündigungen nunmehr Taten folgen zu lassen
und die außereuropäischen Vertretungen der EU-Mitgliedstaaten zusammenzu-
legen. Hierdurch würden nicht nur enorme logistische und personelle Rationali-
sierungspotentiale, sondern auch europapolitische Synergieeffekte entstehen.
Wenn Europa zukünftig nach außen mit einer Stimme sprechen will, ist eine
derartige Strukturreform unerlässlich.

Schließlich wäre es auch im Sinne der durch die Sparbeschlüsse beabsichtigten
schlankeren Bundesverwaltung, das Bundesministerium für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung mit dem Auswärtigen Amt zusammenzulegen.
Hierdurch würden überdies wichtige außenpolitische Kohärenzeffekte erzielt.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/1751

Die Bundesrepublik Deutschland ist das weltweit einzige große Geberland, das
sich eine Trennung zwischen diesen beiden inhaltlich verwandten Ressorts leis-
tet. Aus der Perspektive der Empfängerländer sind Außen- und Entwicklungs-
politik ohnehin zwei Seiten derselben Medaille.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf:

1. keine Haushaltssanierung zu Lasten der weltpolitischen Verantwortung
Deutschlands durchzuführen und auf ersatzlose Schließungen von Auslands-
vertretungen und Goethe-Instituten sowie auf Ausgabenkürzungen in Kern-
bereichen der deutschen Außenpolitik zu verzichten,

2. im Rahmen der Europäischen Union eine Initiative für die Zusammenlegung
der außereuropäischen diplomatischen Vertretungen der EU-Mitgliedstaaten
zu ergreifen und dort, wo dies kurzfristig nicht realisierbar erscheint, zumin-
dest für eine gemeinschaftliche Nutzung logistischer und personeller Res-
sourcen der Auslandsvertretungen einzutreten,

3. eine Neubewertung der Strukturen, Aufgaben und Arbeitsweisen der deut-
schen diplomatischen Vertretungen in den Partnerländern der Europäischen
Union mit dem Ziel durchzuführen, die im Rahmen einer derartigen Struk-
turreform frei werdenden Personalstellen für andere außenpolitische Aufga-
ben weltweit einzusetzen,

4. angesichts der im Rahmen des europäischen Binnenmarktes hergestellten
Freizügigkeit und der EU-weiten Geltung des Schengener Abkommens eine
Strukturreform der innereuropäischen konsularischen Dienste mit dem Ziel
der Kostenersparnis durchzuführen,

5. dort, wo trotz alternativer Einsparmöglichkeiten Schließungen von Aus-
landsvertretungen und Goethe-Instituten als Ultima Ratio unausweichlich
erscheinen, ersatzweise Umwandlungen in weniger personalintensive
Außenstellen übergeordneter Vertretungen durchzuführen,

6. die Bemühungen um eine durchgreifende Konsolidierung des Bundeshaus-
haltes für die politisch angestrebte weitere Verschlankung der Bundesver-
waltung zu nutzen und in diesem Rahmen ein Konzept für die bereits in den
Koalitionsverhandlungen erörterte Überführung des Bundesministeriums für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in den Zuständigkeitsbe-
reich des Auswärtigen Amts auszuarbeiten.

Berlin, den 5. Oktober 1999

Dr. Helmut Haussmann Dr. Heinrich L. Kolb
Ulrich Irmer Gudrun Kopp
Hildebrecht Braun (Augsburg) Jürgen Koppelin
Rainer Brüderle Ina Lenke
Ernst Burgbacher Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Jörg van Essen Dirk Niebel
Horst Friedrich (Bayreuth) Günther Friedrich Nolting
Rainer Funke Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Hans-Michael Goldmann Detlef Parr
Joachim Günther (Plauen) Cornelia Pieper
Dr. Karlheinz Guttmacher Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Ulrich Heinrich Gerhard Schüßler
Birgit Homburger Dr. Max Stadler
Dr. Werner Hoyer Dr. Dieter Thomae

Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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