BT-Drucksache 14/1737

Bekämpfung des Frauenhandels, Schutz für die vom Frauenhandel betroffenen Frauen und Unterstützung für entsprechende Beratungsstellen

Vom 1. Oktober 1999


Deutscher Bundestag Drucksache 14/1737
14. Wahlperiode 01. 10. 99

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, Petra Bläss, Ulla Jelpke, Petra Pau,
Dr. Gregor Gysi und der Fraktion der PDS

Bekämpfung des Frauenhandels, Schutz für die vom Frauenhandel betroffenen
Frauen und Unterstützung für entsprechende Beratungsstellen

In den vergangenen zwei Jahrzehnten ist der Frauenanteil an der migrierenden
Bevölkerung von einer Minderheit auf über die Hälfte angewachsen. In ihrem
Beitrag zu einer Fachtagung über Migranntinnen in Deutschland im Dezember
1998 in Offenbach begründet Christiane Howe, Mitarbeiterin von agisra (Ar-
beitsgemeinschaft gegen internationale sexistische und rassistische Ausbeu-
tung) dies u.a. mit „schwierigen bis schlechten Lebens- und Arbeitsbedingun-
gen in ihren Heimatländern“. Dazu zählt die – vor allem in Mittel- und
Osteuropa enorm gestiegene – erhebliche Frauenarbeitslosigkeit. Die steigende
Nachfrage nach billigen Arbeitskräften u.a. im Haushaltssektor und in der „Se-
xindustrie“ in den reichen Ländern Europas und Nordamerikas schafft weitere
Anreize für Frauen, ihr Herkunftsland zu verlassen.

Die restriktive Einwanderungs- und Grenzsicherungspolitik der EU-Staaten er-
laubt es nur wenigen Frauen, legal in die EU und damit auch in die Bundesre-
publik Deutschland einzureisen und hier zu arbeiten. Das führt dazu, dass
Frauen auf Vermittlerinnen bzw. Vermittler und Händlerinnen bzw. Händler an-
gewiesen sind, um ihr Zielland zu erreichen. Viele der Frauen wählen diesen
Weg, weil sie keine andere Möglichkeit als die Migration sehen, ihre Lebens-
situation und die ihrer Familie zu verbessern.

Eine zunehmende Zahl wird jedoch auch gegen ihren Willen nach West- und
Nordeuropa gebracht. Auch viele Frauen, die sich bewusst für die Migration
entschieden haben, werden durch Zwang und Gewalt von skrupellosen Händle-
rinnen bzw. Händlern unterdrückt und ausgenutzt, denn sie halten sich meist
illegal in der Bundesrepublik Deutschland auf und haben sich durch die
Prämien für Vermittlerinnen bzw. Vermittler und Händlerinnen bzw. Händler
verschuldet. Dadurch sind sie in hohem Maße erpressbar.

All diese Frauen sind Opfer von Frauen- bzw. Menschenhandel. Gehandelt
werden Frauen in die Prostitution, aber auch in Ehen und in illegale Beschäfti-
gungsverhältnisse. In der EU gilt derzeit als Frauenhandel allerdings nur der
Handel in die Zwangsprostitution und andere erzwungene Tätigkeiten im Be-
reich der Sex-Arbeit.

In Medien und Öffentlichkeit, aber auch bei Polizei und Justiz ist im Zusam-
menhang mit Menschenhandel häufig nur von Schleppern, Schleusern und ille-
galer Einreise die Rede. Anstatt den betroffenen Frauen umfassenden Schutz zu

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gewähren, auch um den Frauenhändlerinnen bzw. Frauenhändlern auf die Spur
zu kommen, betrachten die Strafverfolgungsbehörden sie nach wie vor wegen
Verstoßes gegen die Einreisebestimmungen und das Ausländerrecht vorrangig
als Täterinnen.

Denn gerade in der Grenzregion zu Polen und Tschechien blüht das Prostituti-
onsgeschäft, entweder sichtbar als Straßenprostitution oder durch das Angebot
von sexuellen Diensten in Bars, Nachtklubs oder über Agenturen. In der Ano-
nymität der Großstädte Dresden, Chemnitz und Leipzig sind Frauen aus Tsche-
chien, der Slowakai, Polen, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Russland und der
Ukraine konzentriert in der Prostitution tätig. Ein großer Teil dieser Frauen
wurde mit Versprechungen oder unter Androhung von Gewalt nach Deutsch-
land gebracht, wo sie häufig unter unwürdigen Bedingungen eingesperrt leben
müssen, ohne ein Recht auf Selbstbestimmung und ohne Chance, dieser Situa-
tion aus eigener Kraft entfliehen zu können.

Mittlerweile sind jedoch der Bund und einige Bundesländer dazu übergegan-
gen, die Frauen nicht mehr nur als Täterinnen zu kriminalisieren, sondern sich
auch über Unterstützungs- und Schutzmöglichkeiten Gedanken zu machen und
Projekte zu fördern, die sich den von Frauenhandel betroffenen Frauen zuwen-
den. Ein Beispiel ist das vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend geförderte Projekt KOBRA, ein auf drei Jahre angelegtes Modell
zum Aufbau einer Beratungsstelle für diese Frauen. Der Sitz der Beratungs-
stelle ist in Zittau, das sich durch die regionale Grenznähe zu Polen und Tsche-
chien auszeichnet. Träger des Projektes ist das Raphaels-Werk e.V. Hamburg,
ein Fachverband des Deutschen Caritasverbandes.

Ziel des KOBRA-Projektes ist es, Hilfen zu initiieren, damit vom Frauenhandel
betroffene Frauen ihr Leben wieder selbst in die Hand nehmen, neue Lebens-
perspektiven entwickeln und den Kreislauf von Abhängigkeit und Ausbeutung
durchbrechen können. Das geschieht hauptsächlich durch

– Information über Frauenhandel, Prostitution und die besonderen Probleme
betroffener Frauen in ihren Herkunftsländern und in Deutschland mittels
Vorträgen, Diskussionen und Seminaren,

– Zusammenarbeit mit in- und ausländischen Beratungsstellen und Projekten,
Frauengruppen und Initiativen,

– Beratung und Unterstützung von betroffenen Frauen bei sozialen Proble-
men, in Abschiebehaft oder der Rückkehr ins Herkunftsland,

– Begleitung zu Behörden und Vermittlung fachspezifischer Hilfen und

– Information über sexuell übertragbare Krankheiten.

Vom Frauenhandel betroffene Frauen sind aufgrund ihrer schwierigen Situation
und ihrer Erfahrungen in der Regel äußerst misstrauisch gegenüber Polizei, Be-
hörden und öffentlich geförderten Initiativen. Um mit ihnen arbeiten und ihnen
helfen zu können, ist es unabdingbar, ein solides Vertrauensverhältnis aufzu-
bauen. Für die Mitarbeiterinnen von KOBRA e.V. ist besonders problematisch,
dass ihnen als Beraterinnen und Sozialarbeiterinnen – im Gegensatz zu Seelsor-
gerinnen bzw. Seelsorgern und Drogenberaterinnen bzw. Drogenberatern – kein
Zeugnisverweigerungsrecht zusteht. Werden ihnen in Beratungsgesprächen
vertrauliche Informationen mitgeteilt, die die Frauen gegebenenfalls selbst be-
lasten können, ist es ihnen nicht möglich, die Aussage über diese Informationen
vor Gericht oder in staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren zu verweigern.
Eine solche Situation dient in keiner Weise dem Aufbau und der Aufrechterhal-
tung eines Vertrauensverhältnisses zwischen Beraterin und betroffener Frau.

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Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Frauen wurden nach Kenntnis der Bundesregierung in den Jah-
ren 1997 bis 1999 Opfer von Frauenhandel (bitte nach Jahren und Bundes-
ländern aufschlüsseln)?

2. Aus welchen fünfzehn Hauptherkunftsländern stammen die von Men-
schenhandel betroffenen Frauen (bitte nach Jahren und Herkunftsländern
aufschlüsseln)?

3. In welche Formen von Zwangsverhältnissen wurden die betroffenen
Frauen nach Kenntnis der Bundesregierung gehandelt (bitte nach Zwangs-
prostitution, Ehe und illegale Beschäftigungsverhältnisse differenzieren)?

4. Stellt die Bundesregierung Überlegungen an, die Tätigkeit von Beratungs-
stellen im Interesse der von Frauenhandel betroffenen Frauen durch die
Einführung eines Zeugnisverweigerungsrechts für die jeweilige Beraterin/
Sozialarbeiterin zu unterstützen, und wenn ja,

– in welchem rechtlichen Rahmen,

– in welchem Zeitraum,

– plant die Bundesregierung, generell Beratungsstellen ein Zeugnisver-
weigerungsrecht einzuräumen, deren Arbeit auf einem unbedingt zu
schützenden Vertrauensverhältnis zwischen ratsuchenden Frauen und
Beraterinnen bzw. Beratern beruht (z. B. Frauennotrufen)?

5. Beabsichtigt die Bundesregierung, im Bundeshaushalt für das Jahr 2000
und die Folgejahre Mittel für die Unterstützung von Nichtregierungsorga-
nisationen einzuplanen, die sich um die vom Frauenhandel betroffenen
Frauen kümmern, und wenn ja,

– in welcher Höhe,

– wie hoch ist der Anteil der Mittel, die speziell zur Absicherung und zum
Ausbau der Tätigkeit von Beratungsstellen für Frauen aus Mittel- und
Osteuropa bereitgestellt wird?

6. Gibt es seitens der Bundesregierung Überlegungen zum Aufbau eines
Netzwerkes von Beratungsstellen, um dem Frauenhandel entgegen zu wir-
ken, und wenn ja,

– welche

– und welche beziehen sich speziell auf die neuen Bundesländer?

7. Gibt es seitens der Bundesregierung Pläne, am Aufenthaltsstatus der vom
Frauenhandel betroffenen Frauen etwas zu ändern,

– wenn ja, was soll geändert werden,

– wenn nein, warum nicht?

8. Gibt es seitens der Bundesregierung Pläne, den von Frauenhandel betroffe-
nen Frauen einen befristeten Abschiebeschutz zu gewähren, und wenn ja,

– für wie lange,

– zu welchen Bedingungen,

– wenn nein, warum nicht?

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9. Gibt es seitens der Bundesregierung Pläne, bei den von Frauenhandel be-
troffenen Frauen auf eine unmittelbare Ausweisung oder Abschiebung zu
verzichten, und wenn ja,

– für wie lange,

– zu welchen Bedingungen,

– wenn nein, warum nicht?

10. Gibt es seitens der Bundesregierung Pläne, von Frauenhandel betroffenen
Frauen während ihres Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland eine
Arbeitserlaubnis zu erteilen?

11. Gibt es seitens der Bundesregierung Pläne, die unglückliche Lage der vom
Frauenhandel betroffenen Frauen nicht noch dadurch zu verschlimmern,
dass sie in Abschiebehaft genommen werden,

– wenn nein, warum nicht,

– wenn ja, gibt es Pläne, eventuell bereits in Abschiebehaft sitzenden
Frauen sofort zu entlassen?

12. Gibt es seitens der Bundesregierung Pläne, den vom Frauenhandel betrof-
fenen Frauen eine Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen, und wenn ja,

– für wie lange,

– unter welchen Bedingungen,

– wenn nein, warum nicht?

13. Hat die Bundesregierung Pläne, den vom Frauenhandel betroffenen Frauen
Unterstützungen zukommen zu lassen, um sich eine neue Existenz aufzu-
bauen, indem sie

– Gelder zur Verfügung stellt, um im Bedarfsfall eine psychosoziale Be-
treuung zu gewährleisten,

– ihnen mit finanziellen Mitteln hilft,

– eine berufliche Qualifizierung unterstützt,

– darauf verzichtet, dass ihnen ihr ganzes Geld zur Sicherung der Ausreise
abgenommen wird, wenn sie ohne gültige Aufenthaltspapiere aufgegrif-
fen werden,

– auf eine rechtliche Regelung hinwirkt, die Schulden von Frauen bei
Menschenhändlerinnen bzw. Menschenhändlern für nichtig erklärt,

– wenn nein, warum nicht; hat die Bundesregierung andere Pläne und
wenn ja, welche, wenn nein, warum gibt es diese Pläne nicht?

14. Gedenkt die Bundesregierung, die Prostitution als Arbeit anzuerkennen
und somit den einreisenden Migrantinnen eine legale Möglichkeit zu eröff-
nen, eine Arbeitserlaubnis zu beantragen, wenn nein, warum nicht?

15. Hat die Bundesregierung Pläne, um den Zeuginnenschutz für von Frauen-
handel betroffene Frauen zu verbessern,

– wenn ja, welche,

– wenn nein, warum nicht?

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16. Wie schätzt die Bundesregierung den Stand der grenzüberschreitenden Zu-
sammenarbeit mit den Herkunftsländern zur Bekämpfung des Frauenhan-
dels, speziell der Zurückdrängung des Frauenhandels für die Zwecke der
Zwangsprostitution ein, welche weiteren Maßnahmen sind im Kampf ge-
gen den Frauenhandel geplant?

17. Gibt es seitens der Bundesregierung Pläne, mit den Herkunftsländern zu-
sammenzuarbeiten, um die Familien der von Frauenhandel betroffenen
Frauen vor gewalttätigen Übergriffen der Menschenhändlerinnen bzw.
Menschenhändlern zu schützen,

– wenn ja, welche,

– wenn nein, warum nicht?

18. Hat die Bundesregierung Pläne, über eine Strafverfolgung von anderen
Personengruppen nachzudenken, die von Frauenhandel und Zwangsprosti-
tution profitieren wie z. B. Freier, Bordellbesitzerinnen bzw. Bordellbesit-
zer, Geldverleiherinnen bzw. Geldverleiher, Arbeitgeberinnen bzw. Arbeit-
geber etc.,

– wenn ja, welche,

– wenn nein, warum nicht?

19. Beabsichtigt die Bundesregierung Mittel zur Verfügung zu stellen, um die
Öffentlichkeit über die Realität in Deutschland – Nachfrage nach billigen
Arbeitskräften und ausländischen Sexarbeiterinnen – und die daraus resul-
tierenden Situationen von Migrantinnen aufzuklären,

– wenn ja, in welchem Umfang,

– wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 1. Oktober 1999

Dr. Ilja Seifert
Petra Bläss
Ulla Jelpke
Petra Pau
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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