BT-Drucksache 14/148

Verzicht auf den Ersteinsatz von Atomwaffen und NATO-Einsätze ohne VN-Mandat

Vom 1. Dezember 1998


Deutscher Bundestag: Drucksache 14/148 vom 01.12.1998

Kleine Anfrage der Fraktion der F.D.P. Verzicht auf den Ersteinsatz von
Atomwaffen und NATO-Einsätze ohne VN- Mandat =

01.12.1998 - 148



14/148

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher, Jörg van Essen,
Ulrike Flach, Gisela Frick, Paul K. Friedhoff, Rainer Funke, Hans-Michael
Goldmann, Klaus Haupt, Dr. Helmut Haussmann, Ulrich Heinrich, Walter
Hirche, Dr. Werner Hoyer, Ulrich Irmer, Dr. Klaus Kinkel, Dr. Heinrich L.
Kolb, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Ina Lenke, Jürgen W. Möllemann, Dirk
Niebel, Günther Friedrich Nolting, Detlef Parr, Cornelia Pieper, Dr.
Edzard Schmidt-Jortzig, Gerhard Schüßler, Dr. Irmgard Schwaetzer, Dr.
Hermann Otto Solms, Dr. Max Stadler, Carl-Ludwig Thiele, Dr. Dieter
Thomae, Jürgen Türk, Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der F.D.P.
Verzicht auf den Ersteinsatz von Atomwaffen und NATO-Einsätze ohne VN-
Mandat

In der Koalitionsvereinbarung zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und Bündnis 90/Die Grünen vom 20. Oktober 1998 wird erklärt, daß sich die neue Bundesregierung für den Verzicht auf den Ersteinsatz von
Atomwaffen einsetzen wird.
Anfang November hat Deutschland sich bei der Abstimmung über die VN-Resolution zur Abschaffung aller Nuklearwaffen erstmals zu diesem Thema der Stimme enthalten und sich damit von unseren Bündnispartnern Frankreich,
Großbritannien und den USA abgesetzt.
Im Interview mit der Zeitschrift DER SPIEGEL vom 23. November 1998 erklärte
Außenminister Joseph Fischer, daß er in der Frage der Erstschlagoption von
Nuklearwaffen eine andere Position vertritt als unsere NATO-Partner und er
dieses bereits dem NATO-Generalsekretär Solana signalisiert habe. Im "Herald
Tribune International" vom gleichen Tag ist zu lesen, daß die US-Regierung von
den Äußerungen des deutschen Außenministers geschockt sei und eine Änderung
ihrer Position in dieser Frage strikt ablehnt. Die von Außenminister Joseph
Fischer vertretene Position wird als fehlgeleitet und gefährlich bezeichnet.
Bei seinem Antrittsbesuch in Washington am 23. November 1998 versuchte
Verteidigungsminister Rudolf Scharping die Amerikaner zu beschwichtigen. So
stellte er bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit dem US-Verteidigungsminister
Cohen, der vorher noch einmal eindeutig die Fähigkeit zum Ersteinsatz von
Atomwaffen als integralen Teil des strategischen Konzepts der NATO
herausgestrichen hatte, fest, daß die Fähigkeit zur Abschreckung erhalten bleiben
muß. In aller Deutlichkeit stellte er, bezogen auf den offensichtlichen Dissenz
zwischen dem Auswärtigen Amt und dem Bundesministerium der Verteidigung in der
Strategiefrage, fest: "Die Federführung hat der Verteidigungsminister."
Außerdem erklärte Verteidigungsminister Rudolf Scharping: "Wenn immer
möglich, sollten NATO-Einsätzen Mandate der VN zugrunde liegen."
Wir fragen die Bundesregierung:
1. Hat das Auswärtige Amt das Bundesministerium der Verteidigung konsultiert, bevor es seinen VN-Botschafter Anfang November 1998 angewiesen hat, sich bei der Abstimmung zur Frage der Abschaffung aller Atomwaffen
der Stimme zu enthalten?
a) Wenn ja, wie war die Position des Bundesministeriums der Verteidigung?
b) Wenn nein, warum ist die Konsultation unterblieben?
2. Hat der Außenminister den Verteidigungsminister konsultiert, bevor er seine Aussagen bezüglich der Option des Ersteinsatzes von Nuklearwaffen für die NATO machte?
a) Wenn ja, welche Position hat der Bundesminister der Verteidigung dazu vertreten?
b) Wenn nein, warum ist die Konsultation unterblieben?
3. Welches Ministerium hat die Federführung für die Sicherheitspolitik und somit für die Fragen des neuen strategischen Konzepts der NATO?
4. Ist es Absicht der Bundesregierung, die auf der Option eines nuklearen Ersteinsatzes beruhende Abschreckungsfähigkeit der NATO nicht mehr in das neue strategische Konzept aufzunehmen?
a) Wenn ja, wie begründet die Bundesregierung diese Absicht, und ist sie sich bewußt, daß dies so verstanden werden könnte, daß das Bündnis dann von einer Kriegsverhinderungs- zu einer
Kriegsführungsstrategie wechselt?
b) Wenn nein, wie begründet der Außenminister dann seine bei den Bündnispartnern als irritierend empfundenen Äußerungen zum nuklearen Ersteinsatz?
5. Ist die Bundesregierung der Auffassung des Außenministers, daß die Nuklearplanungen der NATO nur auf den Kalten Krieg ausgelegt waren
bzw. sind?
6. Ist die Bundesregierung nicht auch der Meinung, daß die Fähigkeit
zum Ersteinsatz von Nuklearwaffen und die Androhung eines solchen
Einsatzes geeignet sind, politische Gewalttäter vom Schlage Saddam
Hussein wirksam von der Anwendung chemischer und biologischer Waffen
absehen zu lassen?
7. Sieht die Bundesregierung nicht auch die Chance, allein durch die Aufrechterhaltung der Abschreckung durch Beibehaltung der nuklearen Erstschlagsoption der NATO Kriege zu verhindern und so Leib und Leben von
Menschen zu schützen?
8. Ist die Bundesregierung nicht auch der Überzeugung, daß gerade
Deutschland, nach der Wiedererlangung der Einheit und des bedeutenden
Zuwachses an Sicherheit, zur Solidarität verpflichtet ist, besonders mit
Blick auf die zukünftigen Mitglieder des Bündnisses Polen, Tschechien und
Ungarn, die vor allem wegen der Fähigkeit des Bündnisses zur nuklearen
Abschreckung Mitglied der NATO werden wollen?
9. Wie gedenkt die Bundesregierung, der kritischen Reaktion unserer Bündnispartner entgegenzutreten und eine internationale Isolierung Deutschlands durch eine außen-/sicherheitspolitische Sonderrolle zu
vermeiden?
10. Gedenkt die Bundesregierung anläßlich des offensichtlichen
Meinungsunterschiedes zwischen dem Außen- und dem Verteidigungsminister
in dieser vitalen Frage deutscher Außen- und Sicherheitspolitik ihren
Koalitionsausschuß zur Abklärung einer gemeinsamen Position einzuberufen?
11. Wie gedenkt die Bundesregierung die Formulierung des Koalitionsvertrages "wird sich die neue Bundesregierung . . . für den Verzicht auf den Ersteinsatz von Atomwaffen einsetzen" so zu präzisieren, daß eine
Mißdeutung auszuschließen ist?
12. Bekennt sich die Bundesregierung weiterhin in gebotener Klarheit zur nuklearen Erstschlagsoption der NATO?
13. Ist die Aussage von Verteidigungsminister Rudolf Scharping am 24.
November 1998 in Washington: "Wenn immer möglich sollten NATO-Einsätzen
Mandate der VN zugrunde liegen" so zu verstehen, daß die Bundesregierung
der Auffassung ist, daß es zukünftig durchaus auch häufiger Einsätze der
NATO, somit auch der Bundeswehr, ohne VN-Mandat geben kann?

Bonn, den 26. November 1998
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Gisela Frick
Paul K. Friedhoff
Rainer Funke
Hans-Michael Goldmann Klaus Haupt
Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich
Walter Hirche
Dr. Werner Hoyer
Ulrich Irmer
Dr. Klaus Kinkel
Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Ina Lenke
Jürgen W. Möllemann
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting Detlef Parr
Cornelia Pieper
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Gerhard Schüßler
Dr. Irmgard Schwaetzer
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler Carl-Ludwig Thiele Dr. Dieter Thomae Jürgen Türk
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

01.12.1998 nnnn

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