BT-Drucksache 14/1192

Bekämpfung der Steuerkriminalität durch kontinuierliche und bundeseinheitliche Betriebsprüfung

Vom 18. Juni 1999


Deutscher Bundestag Drucksache 14/1192
14. Wahlperiode
18. 06. 99
Antrag
derAbgeordneten Heidemarie Ehlert, Dr. Barbara Holl, Dr. Christa Luft, Dr. Uwe-Jens Rössel, Dr. Dietmar Bartsch und der Fraktion der PDS
Bekämpfung der Steuerkriminalität durch kontinuierliche und bundeseinheitliche Betriebsprüfung
Der Bundestag wolle beschließen:
I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
1. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden hinsichtlich ihres zu versteuernden Einkommens zeitnah zu 100 % durch die zuständigen Finanzämter überprüft. Bei mit Arbeitnehmereinkommen vergleichbaren Kleinbetrieben gibt es lediglich Stichproben von 4,3 %. Groß- und Mittelbetriebe weisen Kontrollquoten von 22,2 % bzw. 7,9 % aus. Die Kontrollquote sinkt bei Kleinstbetrieben bis unter ein Prozent.
In den alten Bundesländern liegen nur Bayern, Bremen, Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz über dem niedrigen bundesdeutschen Prüfungsdurchschnitt der Groß- und Mittelbetriebe.
Von den neuen Bundesländern haben lediglich Sachsen-Anhalt und Berlin diesen Stand erreicht, in den anderen Ländern liegt die Betriebsprüfung noch darunter. Nur 7,9 % der Betriebsprüfer arbeiten in den neuen Bundesländern und erwirtschaften 2,5 % der Mehrsteuern im Bundesmaßstab.
2. Bei der Bekämpfung der Steuerkriminalität gibt es gravierende Differenzen zwischen den einzelnen Bundesländern. In den Finanzämtern Bremens sind durchschnittlich 4,9 Steuerfahnder für 10 000 Betriebe tätig, in Mecklenburg-Vorpommern sind es 2,2, in Bayern 1,7 und in Sachsen-Anhalt nur 1,1. Deshalb kommt der Bundesrechnungshof zu der Ansicht, daß insbesondere die „neuen Bundesländer nur bedingt in der Lage sind, ihrem gesetzlichen Auftrag nachzukommen. . . . Die vom Bundesrechnungshof festgestellten Mängel dürften zu Steuerausfällen in beträchtlicher Höhe für Bund und Länder führen. Die unzureichende Einsatzfähigkeit der Steuerfahndung gefährdet im übrigen die präventiven Auswirkungen der Steuerfahndung auf Steuerverkürzungen."
3. Finanzexperten bestätigen, daß zusätzliche Betriebsprüfer das Steueraufkommen wesentlich erhöhen könnten. Ursache für die Einstellungsblockade der Länder sind nicht nur die stark belasteten Länderhaushalte, sondern auch das gegenwärtige Prinzip des Länderfinanzausgleichs, das bei großem Besteuerungsgefälle nur einen Bruchteil der Steuermehreinnahmen bei den aufkommenden Ländern beläßt. Weder den Geber- noch den Nehmerländern wird ein Anreiz geboten, ihre Betriebsprüfung zu intensivieren.
Die nivellierende Wirkung hinsichtlich steuerlicher Mehreinnahmen durch den Länderfinanzausgleich kann aufgehoben werden, wenn alle Bundesländer in bezug auf die Betriebsprüfung und deren Ergebnisse einheitlich handeln und behandelt werden. Wie die unterschiedlichen Kontrollquoten zeigen, ist dies bis jetzt nicht der Fall. Deshalb ist eine Regelung längst überfällig, die für alle Bundesländer verbindlich festlegt, wie oft und in welchem Umfang Betriebsprüfungen bundeseinheitlich stattzufinden haben.
4. Die unzureichende steuerliche Betriebsprüfung und Steuerfahndung liegt nach Ansicht des Bundesministeriums der Finanzen allein in der Steuerhoheit der Länder. Dem widersprechend stellt der Bundesrechnungshof fest, daß im „Rahmen seiner Fach- und Rechtsaufsicht das Bundesministerium für die zutreffende Besteuerung im Bundesgebiet verantwortlich" ist.
5. Mit einer qualifizierten, zeitnahen und lückenlosen Anschlußprüfung könnten nicht nur legale Steuerschlupflöcher aufgedeckt, sondern auch Steuerkriminalität und Schattenwirtschaft vorgebeugt werden. Bund und Länder würden gleichermaßen von den Steuermehreinnahmen profitieren.
Ein solcher Schritt ist ein wesentlicher Beitrag zur Wiederherstellung der Steuergerechtigkeit, der Steuermoral, zur Sanierung der maroden Staatsfinanzen und ein Mittel zur Gegenfinanzierung sozialer und ökologischer Reformprojekte.
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. eine bundeseinheitliche Regelung für den Rhythmus der Betriebsprüfung zu treffen, die für alle Bundesländer verbindlich festlegt, wie oft und in welchem Umfang Betriebsprüfungen stattzufinden haben, die zeitnähere, steuerliche Prüfungen der Betriebe ermöglichen,
2. im Rahmen der Fach- und Rechtsaufsicht durch ein Aktionsprogramm zur konsequenten Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität und Steuerhinterziehung für eine zutreffende Besteuerung im gesamten Bundesgebiet einzutreten,
3. bundesweite Mindeststandards für die Ausstattung der Steuerfahndung festzulegen,
4. die Aufstockung um 10 000 Betriebsprüfer und 1 000 Steuerfahnder in den Finanzämtern im Rahmen der Fach- und Rechtsaufsicht zu befördern.
5. 50 % der Mehreinnahmen durch die verstärkten Steuerprüfungen verbleiben im ersten Jahr bei den Ländern als Anschubfinanzierung, um Ausgebildete in die Landesfinanzverwaltung zu übernehmen.
Bonn, den 18. Juni 1999
Heidemarie Ehlert
Dr. Barbara Höll
Dr. Christa Luft
Dr. Uwe-Jens Rössel
Dr. Dietmar Bartsch
Dr. Gregor Gysi und Fraktion
Begründung
Nach wie vor besteht ein großes Prüfgefälle sowohl zwischen Betriebsgrößen als auch zwischen Bundesländern. In Bayern werden z. B. 27 % der Großbetriebe kontrolliert, während in Thüringen nur 2,2 % der Kleinbetriebe geprüft werden. Damit wird gegen den Verfassungsgrundsatz der gleichmäßigen Besteuerung verstoßen. Ein Ausbau der Betriebsprüfung und der Steuerfahndung sind demzufolge Schritte zu größerer Steuergerechtigkeit.
Die Mehrausgaben für Personal werden durch die Mehreinnahmen an Steuern aufjeden Fall kompensiert. Je Betriebsprüfer sind Mehrsteuern von 1,85 Mio. DM brutto und abzüglich der Brutto - Lohnkosten von je 130 000 DM 1,72 Mio. DM netto und je Steuerfahnder von 1,3 Mio. DM brutto und 1,17 Mio. DM netto jährlich zu erwarten. Betriebsprüfer und Steuerfahnder haben 1997 20,5 Mrd. DM Mehrsteuern erwirtschaftet. Mit der dringend erforderlichen Aufstockung des Personalbestandes um 11 000 Stellen würden jährlich 19,8 Mrd. DM an Mehrsteuern zusätzlich aufgebracht werden.
Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist eine zeitnahe steuerliche Betriebsprüfung verfassungsrechtlich geboten, um den Grundsatz der Belastungsgleichheit im Sinne des Artikels 3 Abs. 1 („Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich") des Grundgesetzes sicherzustellen. Von der Umsetzung dieses Verfassungsgrundsatzes ist die Besteuerungspraxis noch weit entfernt. Weder zwischen Lohnsteuer und veranlagter Einkommen-/Kör-perschaftsteuer noch zwischen Bundesländern und Betriebsgrößen bei der veranlagten Einkommen-/Körperschaftsteuer existiert real eine Gleichbehandlung. Der Bundesrechnungshof fordert deshalb „sämtliche Steuerquellen auszuschöpfen - also nicht nur die Einkünfte der Arbeitnehmer, sondern auch diejenigen der Gewerbetreibenden und selbständig Tätigen gleichmäßig und zutreffend zu erfassen". Innerhalb der Unternehmen entstehen durch zu lange und höchst unterschiedliche Prüfabstände je Betriebsgröße und Bundesland prüfungsfreie Zonen. Bei Mittel- und Kleinbetrieben mit durchschnittlichen Prüfungsturnussen von 12,7 bis 23,3 Jahren werden nur die letzten drei Jahre geprüft. Großbetriebe (Prüfungsturnus 4,5 Jahre), die eigentlich lückenlos geprüft werden sollen, können wegen des Personalnotstandes ebenfalls nur lückenhaft kontrolliert werden. Der Bundesrechnungshof stellte deshalb fest, daß „nur wenige Betriebsprüfungsstellen mit dem vorhandenen Personal das vorgeschriebene Ziel erreichen, Großbetriebe im Anschluß prüfen. . . . die Entwicklung geht dahin, bei etwa 25 % der Großbetriebe keine Anschlußprüfung durchzuführen."
Seit Mitte der achtziger Jahre sind die Prüfungsabstände immer länger geworden, da der abnehmenden Zahl von Betriebsprüfern immer mehr zu prüfende Betriebe gegenüberstehen.
Um den Personalfehlbestand zu beheben, müssen mehr Betriebsprüfer eingestellt werden. Nur so können die in § 85 der Abgabenordnung festgelegten Besteuerungsgrundsätze in die Praxis umgesetzt werden. Dort heißt es: „Die Finanzbehörden haben die Steuern nach Maßgabe der Gesetze gleichmäßig festzusetzen und zu erheben. Insbesondere haben sie sicherzustellen, daß Steuern nicht verkürzt, zu Unrecht erhoben oder Steuererstattungen und Steuervergütungen nicht zu Unrecht gewährt oder versagt werden."
Dem Auf- und Ausbau der Betriebsprüfungen in den Ländern ist von Bundesseite ein hoher Stellenwert beizumessen, zumal sich die Betriebsprüfung in den neuen Ländern nach wie vor im Aufbau befindet. Die hier erbrachten Mehrsteuern sind ein wichtiger Beitrag zur Sanierung der Staatsfinanzen, zur Gegenfinanzierung sozialer und ökologischer Reformprojekte, und sie sind ein Schritt zur Wiederherstellung von Steuergerechtigkeit.

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