BT-Drucksache 14/1157

zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung - Agrarbericht 1999, Agrar- und ernährungspolitischer Bericht der Bundesregierung - 14/347, 14/348 -

Vom 16. Juni 1999


Deutscher Bundestag Drucksache 14/1157
14. Wahlperiode
16. 06. 99
Entschließungsantrag
derAbgeordneten Ulrich Heinrich, Hildebrecht Braun (Augsburg), Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher, Jörg van Essen, Ulrike Flach, Paul K. Friedhoff, Hans-Michael Goldmann, Dr. Karlheinz Guttmacher, Klaus Haupt, Walter Hirche, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Ulrich Irmer, Jürgen Koppelin, Dirk Niebel, Cornelia Pieper, Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Marita Sehn, Dr. Hermann Otto Solms, Carl-Ludwig Thiele, Jürgen Türk und der Fraktion der F.D.P.
zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung - Drucksachen 14/347, 14/348 (Materialband) -
Agrarbericht 1999
Agrar- und ernährungspolitischer Bericht der Bundesregierung
Der Bundestag wolle beschließen:
I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
1. Die heimische Landwirtschaft erfüllt wesentliche Aufgaben in unserer Gesellschaft. Sie produziert gesunde, qualitativ hochwertige Nahrungsmittel, sichert unsere Kulturlandschaft und erhält den ländlichen Raum. Diese gesamtgesellschaftlichen Leistungen kann nur eine unternehmerische und am Markt ausgerichtete Landwirtschaft auf Dauer erbringen. Dafür muß die Agrarpolitik die richtigen Rahmenbedingungen schaffen.
2. Im Gegensatz dazu gefährdet die Agrarpolitik der Bundesregierung in Deutschland die Land- und Forstwirtschaft als tragende Säule im ländlichen Raum und setzt falsche Rahmenbedingungen. Das von ihr als vermeintlicher Erfolg gefeierte Verhandlungsergebnis zur Agenda 2000 hat neben den Belastungen aus nationalen Regelungen zu zusätzlichen Einkommensverlusten geführt:
- Unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft wurde die Agenda 2000 beschlossen, die zu Einkommenseinbußen zwischen 5 bis 10 % führt. Die Agrarausgaben werden weiter steigen, die Bürokratie nochmals zunehmen und die Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaft in bestimmten Bereichen zusätzlich beeinträchtigt werden. Zudem sind die Beschlüsse nicht ausreichend im Hinblick auf die nächste WTO-Runde und völlig unzureichend für die EU-Osterweiterung, die Eingriffe in den Markt durch Interventionsmechanismen nur unzureichend verringert und die kostenträchtige Überproduktion in Europa
nicht angegangen worden. Die nicht ausgeglichenen Märkte in Europa sind die Ursache für hohe Kosten bei der Lagerung und beim Agrarexport. Das hat handels-, agrar- und entwicklungspolitisch negative Konsequenzen. Ferner werden die Landwirte nur unzureichend in die Lage versetzt, wesentliche Teile ihres Einkommens am Markt zu erzielen. Das Ziel einer liberalen Agrarpolitik, die kostenträchtige Überproduktion - vor allem bei Milch und Rindfleisch -abzubauen, um Angebot und Nachfrage im europäischen Binnenmarkt ins Gleichgewicht zu bringen und schrittweise einen geordneten Ausstieg aus den Marktordnungen für Milch und Rindfleisch einzuleiten, ist komplett verfehlt worden. Durch die Berliner Beschlüsse werden die Landwirte durch eine stärkere Abhängigkeit von der Politik, noch mehr Bürokratie und sinkende Einkommen zu den Verlierern der Reform.
- Im Milchbereich wurden die dringend erforderlichen Reformen auf das Jahr 2006 bzw. 2008 vertagt. Es wurden keinerlei Maßnahmen zum Abbau der europäischen Milchüberschüsse getroffen. Im Gegenteil. Durch die bereits im Jahr 2000 beginnenden weiteren Quotenzuteilungen, die zu einer Ausdehnung der Quote um 3 % führen und wegen des Wegbrechens des russischen Marktes muß mit einem weiteren Ansteigen der Überschüsse gerechnet werden. Diese Entwicklung wird den Druck auf die Milchpreise nochmals deutlich erhöhen, so daß mit Preisen unter 50 Pfennig das Kilo zu rechnen ist.
- Vor allem im Rindfleischbereich wird deutlich, daß nicht der Markt, sondern Bullen-, Ochsen-, Mutterkuh-, Schlacht- und Extensivie-rungsprämien zukünftig das Handeln und die Einkommen der Landwirte bestimmen. Damit wurden auch bei Rindfleisch keine ausreichenden Maßnahmen zum Abbau der Überschüsse auf den Weg gebracht, zudem wurde eine unsinnige und teure Lagerhaltung fortgeführt und der Ausstieg aus der Marktordnung verpaßt.
- Die Agenda 2000 verfehlt somit ihre wichtigsten Ziele und führt zu einer unverantwortlichen und teuren EU-Agrarpolitik, die Jahr für Jahr volkswirtschaftliche Verluste in zweistelliger Milliardenhöhe verursacht. Auch nach der Reform bleiben die Ursachen dieser unsinnigen Vernichtung von Steuergeldern weiterhin bestehen. Daran ändert die Annäherung an die Weltmarktpreise nichts, weil die Absenkung der Stützpreise durch Preisausgleichszahlungen kompensiert werden müssen.
- Die Bundesregierung belastet zusätzlich die deutsche Land- und Forstwirtschaft und den Gartenbau durch eine falsche nationale Gesetzgebung. Dies sind vor allem das sog. Steuerentlastungsgesetz, die sog. Ökosteuer, die Regelungen zum Abbau der sog. Scheinselbständigkeit, eine unausgegorene Reform der 630-DM-Jobs und die Haushaltskürzungen 1999. Mit den vorgesehenen undifferen-zierten Kürzungen nach der Rasenmäher-Methode in den Agrar-haushalten der folgenden Jahre und der geplanten Erhöhung der Mineralölsteuer gefährdet die Bundesregierung den ländlichen Raum insgesamt.
- Die Unentschlossenheit der Bundesregierung in der Frage der nationalen Ausgestaltung der zukünftigen Milchpolitik hat bei den Milchbauern große Verunsicherung ausgelöst. Obwohl die Landwirte als Unternehmer dringend berechenbare Rahmenbedingungen benötigen, um sich in einem immer härter werdenden Markt be-
haupten zu können, ist es der Bundesregierung bisher nicht gelungen, hier Klarheit zu schaffen.
- Die Bundesregierung hat im Naturschutz die Kooperation mit den Land- und Forstwirten offensichtlich durch Konfrontation ersetzt. Anders sind die verschiedenen Versuche nicht zu erklären, die in der vergangenen Legislaturperiode mühsam erkämpfte Ausgleichsregelung für Auflagen des Naturschutzes, die über der sog. guten fachlichen Praxis liegen, zu kippen.
- Für viele Obst-, Wein- und Gemüseanbauer ist die Zulassungssituation von Pflanzenschutzmitteln zu einer existenzbedrohenden Gefahr für ihre Betriebe geworden. Im kontrollierten Integrierten Anbau fehlen vor allem nützlingsschonende Pflanzenschutzmittel. Praxisfremde Zulassungskriterien haben insbesondere bei den Obstanbauern dazugeführt, daß speziell nützlingsschonende Pflanzenschutzmittel nicht mehr zur Verfügung stehen.
- In Deutschland haben sich die Rahmenbedingungen für die Gen- und Biotechnologie aufgrund einer innovationsfeindlichen Politik verschlechtert (Beschlußempfehlung auf Drucksache 14/838 - Über das Verbot des Verkaufs von genetisch verändertem Mais).
- Der belgische Dioxin-Skandal hat auch in Deutschland die Verbraucher und Landwirte nachhaltig verunsichert und den Landwirten große Verluste zugefügt. Die Verschleierungstaktik der belgischen Behörden hat zu einer inakzeptablen Gefährdung der Verbraucher geführt.
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
- der deutschen Land- und Forstwirtschaft sowie dem Gartenbau keine weiteren Belastungen zuzumuten. Die EU, der Bund und die Länder müssen alle Anstrengungen zur Förderung der Wachstumschancen im ländlichen Raum unternehmen. Dazu bietet sich die zweite Säule der Agenda 2000 besonders an. Sie eröffnet die Grundlage für eine zu-kunftsorientierte, integrierte Förderung des ländlichen Raumes, die die multifunktionale Rolle der Land- und Forstwirtschaft in den Mittelpunkt der ländlichen Entwicklung stellt. Aktivitäten, wie z. B. die Förderung des Tourismus und Maßnahmen zur Erhaltung der Kulturlandschaften, müssen integriert werden;
- in Brüssel dafür zu sorgen, daß die Überschüsse bei Milch und Rindfleisch zurückgeführt werden, um die heimischen Märkte und Haushalte zu entlasten und um die WTO-Verhandlungen nicht zusätzlich zu belasten;
- die unternehmerischen Kräfte in der Land- und Forstwirtschaft zu stärken. Die Bundesregierung muß die Rahmenbedingungen zukünftig so gestalten, daß Landwirte ihre wesentlichen Einkommensanteile am Markt und nicht über Einkommentransfers erzielen können;
- zukünftig mehr Mittel im nationalen Agrarhaushalt für die einzelbetriebliche Investitionsförderung zur Verfügung zu stellen, damit sich Junglandwirte und unternehmerisch handelnde Landwirte auf eine stärker marktorientierte Landwirtschaft konzentrieren können;
- endlich über die zukünftige nationale Ausgestaltung der Milchmengenregelung Klarheit zu schaffen. Dazu muß die Bundesregierung sofort ein Modell vorlegen, das die Wettbewerbsnachteile der deutschen Milcherzeuger in Europa beseitigt und mit dem die Kosten der Milchquote
deutlich gesenkt werden können. Zudem darf nicht noch mehr Bürokratie und Dirigismus geschaffen werden;
- das sog. Steuerentlastungsgesetz, die sog. Ökosteuer, die Regelungen zur Bekämpfung der sog. Scheinselbständigkeit und die unausgegorene Reform der 630-DM-Jobs unverzüglich zurückzunehmen;
- die undifferenzierten Kürzungen nach der Rasenmäher-Methode in den Agrarhaushalten für die kommenden Jahre und die geplante Erhöhung der Mineralölsteuer aufzugeben;
- unverändert an der Ausgleichsregelung im Bundesnaturschutzgesetz festzuhalten und anstatt auf Konfrontation wieder auf Kooperation mit Land- und Forstwirten sowie Kommunen zu setzen. Zudem muß der Vertragsnaturschutz Vorrang vor staatlich verordnetem Dirigismus erhalten;
- auf die Länder einzuwirken, damit diese bei der Umsetzung der europäischen Fauna-Flora-Habitat(FFH)-Richtlinie zu einer abgewogenen und umfassenden Betrachtungsweise zurückfinden. Die nationale Umsetzung der FFH-Richtlinie darf nicht einseitig zu Lasten der Land- und Forstwirte, der Kommunen und der Entwicklung der ländlichen Räume gehen;
- in der Pflanzenschutzpolitik muß sich die Bundesregierung wieder an wissenschaftlichen und nicht an ideologischen Maßstäben orientieren. Obst-, Gemüse- und Weinanbauer müssen, damit sie umwelt- und nütz-lingsschonend wirtschaften können, auch auf diese umwelt- und nütz-lingsschonenden Pflanzenschutzmittel zurückgreifen können;
- aufeuropäischer und nationaler Ebene Rahmenbedingungen für die Gen-und Biotechnologie zu erhalten und auszubauen, damit Deutschland nicht den Anschluß an die internationale Entwicklung bei diesen Zukunftstechnologien verliert;
- auf europäischer Ebene endlich für eine schnelle und lückenlose Informationspolitik der Mitgliedstaaten gegenüber der EU-Kommission zu sorgen, die einen Dioxin-Skandal von solchen Ausmaßen wie in Belgien zukünftig verhindern hilft. Bei derartigen Verstößen darf nichts unter den Teppich gekehrt werden. Vielmehr müssen diese Verbrechen konsequent geahndet werden.
Bonn, den 15. Juni 1999
Ulrich Heinrich Hildebrecht Braun (Augsburg) Rainer Brüderle Ernst Burgbacher
Dr. Werner Hoyer Ulrich Inner
Jürgen Koppelin Dirk Niebel
Jörg van Essen Ulrike Flach
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig
Cornelia Pieper
Marita Sehn Dr. Hermann Otto Solms Carl-Ludwig Thiele Jürgen Türk
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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