BT-Drucksache 14/1063

Vererblichkeit von Bodenreformeigentum

Vom 19. Mai 1999


Deutscher Bundestag: Drucksache 14/1063 vom 19.05.1999

Antrag der Fraktion der PDS Vererblichkeit von Bodenreformeigentum =

19.05.1999 - 1063

14/1063

Antrag
der Abgeordneten Dr. Evelyn Kenzler, Kersten Naumann, Dr. Gregor Gysi
und der Fraktion der PDS
Vererblichkeit von Bodenreformeigentum

Der Bundestag wolle beschließen:
Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Neuere Untersuchungen der Rechtswissenschaft und Entscheidungen des
Bundesgerichtshofs haben ergeben, daß die durch das 2. VermRÄndG vom
14. Juli 1992 (BGBl. I S. 1257, 1278 ff.) in Artikel 233 §§ 11 bis 16
EGBGB eingefügten Regelungen zur Abwicklung der Bodenreform insofern
auf irrtümlichen Annahmen über die Rechtslage in der DDR beruhen, als
sie ein Erbrecht der Bodenreformeigentümer negieren. Demgegenüber ist
jetzt unbestritten, daß das Bodenreformeigentum in der Sowjetischen
Besatzungszone und dann in der DDR stets vererblich war. Dennoch geht
der Bundesgerichtshof im Widerspruch zur Eigentums- und
Erbrechtsgarantie der Verfassungsgrundsätze der DDR vom 17. Juni 1990
(GBl. I 1990 S. 299) und des Artikels 14 GG von einer weiteren
Anwendbarkeit dieser Regelungen aus.
Es bedarf daher einer schnellen Änderung dieser Regelungen und anderer
eventuell betroffener Rechtsvorschriften, einer Überwindung der in der
Vergangenheit bereits eingetretenen tatsächlichen und rechtlichen
Beeinträchtigungen zum Nachteil von Bodenreformeigentümern sowie einer
unverzüglichen Beendigung von Übereignungen aus dem Fiskus, die der neu
erkannten Rechtslage widersprechen.
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. den Entwurf eines Gesetzes vorzulegen, mit dem Artikel 233 Zweiter
Abschnitt §§ 11 bis 16 EGBGB und andere betroffene Rechtsvorschriften
entsprechend der Rechtslage geändert werden. Der Entwurf soll das
Erbrecht an Bodenreformeigentum in den Fällen gewährleisten, in denen
der verstorbene Eigentümer am 15. März 1990 im Grundbuch eingetragen
war. Insbesondere sind folgende Konsequenzen aus der Rechtslage zu
ziehen:
a) Sofern die Grundstücke gemäß Artikel 233 § 12 Abs. 2 Nr. 1
Buchstabe d bzw. Nr. 2 Buchstabe c EGBGB an den Fiskus des Landes
übereignet wurden, hat eine Rückübertragung an die Erben zu erfolgen.
b) Sofern die an den Fiskus des Landes übereigneten Grundstücke
bereits anderweitig wirksam übereignet wurden, sind die Erben zu
entschädigen.
c) Sofern gemäß Artikel 233 § 11 Abs. 3 Satz 4 EGBGB das Grundstück
nicht an den Fiskus des Landes übereignet, sondern der Verkehrswert
gezahlt wurde, ist dieser an die Erben zurückzuerstatten.
d) Gemäß Artikel 233 § 13 a EGBGB zugunsten des Fiskus des Landes
eingetragene Vormerkungen sind von Amts wegen zu löschen.
2. In den unter Nummer 1 genannten Fällen Übereignungen von
Bodenreformeigentum aus dem Fiskus bis zu einer Neuregelung
unverzüglich auszusetzen.
Bonn, den 6. Mai 1999
Dr. Evelyn Kenzler
Kersten Naumann
Dr. Gregor Gysi und Fraktion
Begründung
Den durch das zweite Vermögensrechtsänderungsgesetz (2. VermRÄndG) vom
14. Juli 1992 in das EGBGB eingefügten Regelungen liegt die Annahme
zugrunde, daß in der DDR das Erbrecht in bezug auf das aus der
Bodenreform stammende Grundeigentum ausgeschlossen war. Von dieser
Prämisse ausgehend, wurden alle sog. Alterbfälle aus der Bodenreform,
bei denen der am 15. März 1990 als Eigentümer im Grundbuch stehende
Bürger zu diesem Zeitpunkt verstorben war, durch das 2. VermRÄndG einer
Nachprüfung unterzogen. Die Regelung erfolgte über zwei Jahre nach dem
Inkrafttreten des Gesetzes über die Rechte der Eigentümer aus der
Bodenreform vom 6. März 1990 (GBl. Nr. 17 S. 134), durch das alle
Beschränkungen des Bodenreformeigentums - verglichen mit dem
allgemeinen Privateigentum - mit Wirkung ab 16. März 1990 aufgehoben
worden waren. Die endgültige Zuordnung des Bodenreformeigentums an
Erben wurde von der "Zuteilungsfähigkeit" abhängig gemacht, das heißt
von Kriterien außerhalb des Erbrechts. Zuteilungsfähig ist nach § 12
Abs. 3 nur, "wer bei Ablauf des 15. März 1990 in dem in Artikel 3 des
Einigungsvertrages genannten Gebiet in der Land-, Forst- und
Nahrungsgüterwirtschaft tätig war oder wer vor Ablauf des 15. März 1990
in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet in der
Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft insgesamt mindestens zehn
Jahre lang tätig war und im Anschluß an diese Tätigkeit keiner anderen
Tätigkeit nachgegangen ist und einer solchen voraussichtlich auf Dauer
nicht nachgehen wird." In Anwendung dieser Kriterien wurden viele Erben
von der Übertragung des Bodeneigentums des Erblassers ausgeschlossen.
Erfolgte die Übertragung nicht an einen Miterben, so mußte das
Grundstück an den Fiskus des Landes unentgeltlich übertragen bzw. der
Verkehrswert gezahlt werden.
Die Annahme der Nichtvererblichkeit von Bodenreformland erweist sich
spätestens jetzt als unrichtig. In der SBZ/DDR war dieses Eigentum nach
den neuen Erkenntnissen zu jeder Zeit - sowohl unter dem Regime des BGB
als auch dem des ZGB - vererbbar. Das Erbrecht war allerdings von
Rechtsvorschriften überlagert, die Verfügungsbeschränkungen und
Nutzungsgebote enthielten, die am Bestand des Erbrechts selbst jedoch
nichts ändern konnten und wollten. Diese Überlagerungen wurden mit dem
Bodenreformgesetz der DDR vom 6. März 1990 beseitigt.
Die Erkenntnis vom Bestand des Erbrechts an Bodenreformeigentum hat
weitreichende juristische Konsequenzen. Den Erben der Neubauern, denen
im Zuge der Bodenreform Bodeneigentum übertragen wurde, steht dieses
Eigentum - natürlich im Rahmen des Erbrechts der §§ 1922 ff. BGB - ohne
Einschränkung zu. Die entgegenstehenden Regelungen des EGBGB und die
auf dieser Grundlage getroffenen Entscheidungen gegen die Erben von
Bodenreformeigentümern und für die Übertragung in den Bodenfonds
erweisen sich als unzulässige entschädigungslose Enteignungen und damit
als Verstöße gegen Artikel 14 GG.
Es besteht somit dringender gesetzgeberischer Handlungsbedarf, um die
Regelungen im EGBGB und in anderen Rechtsvorschriften entsprechend der
neu erkannten Rechtslage zu ändern. Die Änderungen müssen darauf
gerichtet sein, das Erbrecht an Bodenreformeigentum entsprechend den
erbrechtlichen Bestimmungen des BGB in vollem Maße zu gewährleisten.
Eine solche Lösung entspricht auch dem Sinn des völkerrechtlich und
verfassungsrechtlich abgesicherten Verbots der Rückgängigmachung der
Enteignungen auf besatzungsrechtlicher und besatzungshoheitlicher
Grundlage (1945 bis 1949), das vom Bundesverfassungsgericht und von der
Bundesregierung mehrfach bestätigt wurde.
Die Rechtslage in bezug auf die Vererblichkeit von Bodenreformeigentum
wurde von Rechtsanwältin Dr. Beate Grün, Erlangen-Nürnberg untersucht.
In dem Aufsatz "Die Geltung des Erbrechts beim Neubauerneigentum in der
SBZ/DDR - verkannte Rechtslage mit schweren Folgen" (Zeitschrift für
Vermögens- und Immobilienrecht 10/1998, S. 537 ff.) kommt sie zu
folgendem Resümee:
,Das Neubauerneigentum war in der SBZ/DDR stets vererblich. Es ging im
Wege der Universalsukzession gemäß §§ 1922, 2032 BGB, 363 DDR-ZGB mit
dem Tode des Erblassers auf dessen Erben über. Die
bodenreformrechtlichen Besonderheiten betrafen erst die weitere
Nachlaßabwicklung. Bis zum 16. März 1990 nicht bodenreformrechtlich
abgewickelte Alterbfälle wurden ex nunc wieder ausschließlich den
allgemeinen zivilrechtlichen Regelungen unterstellt. Das Modrow-Gesetz
1990 war rechtlich vollständig. Die Eigentümer-Erben erhielten mit ihm
noch in der DDR eine gesicherte, nicht mehr entziehbare
Eigentumsposition. Diese unterlag gemäß Artikel 3 EinigungsV seit dem
3. Oktober 1990 dem Schutz des Artikels 14 GG. Das 2.
Vermögensrechtsänderungsgesetz 1992 hat in diese Eigentumsposition
entschädigungslos eingegriffen, weil die DDR-Rechtslage mangels
vorheriger Prüfung verkannt wurde. Die vermeintliche Nachzeichnung der
DDR-Rechtslage ist deshalb mißglückt. Der jeweilige Landesfiskus im
Beitrittsgebiet hat dadurch heute eine Quasi-Vertretungsfunktion des
ehemaligen sozialistischen Bodenreformfonds übernommen. Da der
bundesdeutsche Gesetzgeber die Eigentümer nicht enteignen, sondern die
DDR-Rechtslage nachzeichnen wollte, erscheint es vertretbar,
insbesondere die geregelten Fiskusansprüche im Wege einer
verfassungskonformen, am Ziel der Bodenreformabwicklung "Nachzeichnung"
ausgerichteten, Auslegung auf einen Anwendungsbereich von "null" zu
reduzieren. Lehnt man dies ab, so ist das BVerfG erneut anzurufen . . .
Vor allem aber ist der bundesdeutsche Gesetzgeber aufgefordert, die
Bodenreformabwicklung neu zu regeln und den nunmehr durch ihn zu Opfern
gemachten Neubauern-Erben Gerechtigkeit widerfahren zu lassen!' (S.
547).
Der Bundesgerichtshof hat sich in Urteilen vom 17. Dezember 1998 (V ZR
200/97 und V ZR 341/97) von seiner bisherigen Rechtsprechung abgewandt,
"daß die vom 2. VermRÄndG angenommene Ausgangslage zutreffe, das
Eigentum an Grundstücken aus der Bodenreform sei nicht Bestandteil des
Nachlasses des Begünstigten." Er erklärt nunmehr unter Berufung auf Dr.
Beate Grün: "Mit dem Tod eines Begünstigten aus der Bodenreform sind
seine Erben Eigentümer der dem Begünstigten aus dem Bodenfonds
zugewiesenen Grundstücke geworden." (Neue Justiz 4/1999, S. 203 ff.).
Der Bundesgerichtshof zieht daraus allerdings nicht die
verfassungsrechtlich notwendige Konsequenz. Er kommt zum Ergebnis, daß
gleichwohl die §§ 11 bis 16 in Artikel 233 EGBGB weiter angewandt
werden müßten, weil eine "verdeckte Regelungslücke" vorhanden sei.
Danach hat die Volkskammer der DDR mit dem Gesetz vom 6. März 1990 gar
nicht beschließen wollen, was sie beschlossen hat. Der Volkskammer wird
unterstellt, die volle, sofortige und uneingeschränkte Anwendung des
Erbrechts des ZGB auf alle Nachlaßfälle nicht erkannt zu haben. Es wird
der Schluß gezogen, daß "schwerlich angenommen werden" kann, daß "die
Volkskammer dies gesehen und die vom Zufall bestimmte Rechtsfolge in
ihren Willen aufgenommen" hat. Die Beschränkungen für die noch nicht
eingetragenen Erbrechtsfälle seien "durch das Gesetz vom 6. März 1990
nicht bewußt aufgehoben worden". Es wird von einem "gesetzgeberischen
Versehen der Volkskammer", das durch das 2. VermRÄndG korrigiert worden
ist, von "sachwidriger Rechtsfolge" sowie von der "Unvollständigkeit"
des Gesetzes vom 6. März 1990 gesprochen (Neue Justiz 4/1999, S. 205
f.).
Die Argumente des Bundesgerichtshofes werden von Rechtsanwalt Prof. Dr.
Joachim Göhring, Berlin in einem Aufsatz "Ist die ,Abwicklung der
Bodenreform' im Sinne von Art. 233 §§ 11 - 16 EGBGB rechtsstaatlich
zwingend?" (Neue Justiz 4/1999, S. 173 ff.) schlüssig unter Beiziehung
der Protokolle der Volkskammer und ihres Rechtsausschusses widerlegt.
Prof. Dr. Joachim Göhring kommt zu folgendem Ergebnis: "Der
dokumentierte Ablauf und die in diesem Zusammenhang gegebenen
Begründungen belegen die eindeutige Absicht bei der Anregung,
Erarbeitung, Diskussion und Verabschiedung des Gesetzes, den
übergebenen Boden den Bürgern und ihren Familien zu sichern, denen er
zugeteilt war." (S. 175). Er stellt zusammenfassend fest, "daß die
Entscheidung des BGH den von Grün gegenüber der Regelung der §§ 11 ff.
des Artikels 233 EGBGB erhobenen Vorwurf der Verfassungswidrigkeit
nicht zu entkräften vermag. Die durch das Gesetz vom 6. März 1990 als
uneingeschränkte Eigentümer bestätigten Erben genossen ab 3. Oktober
1990 den Schutz des Artikels 14 GG. . . . Der Gesetzgeber bleibt
aufgefordert - wie in der jüngsten Vergangenheit schon verschiedentlich
- "Heilungsregelungen' zur Korrektur einer unrichtigen Regelung und
einer von der Rechtsstaatlichkeit abweichenden Rechtsprechung
vorzunehmen." (S. 176)
Eine solche Heilungsregelung wird hier vorgeschlagen. Nummer 1
formuliert die Schlußfolgerungen aus der unrichtigen, der Eigentums-
und Erbrechtsgarantie des Artikels 14 GG widersprechenden Regelung in
Artikel 233 EGBGB. Mit Nummer 2 soll verhindert werden, daß durch
weitere Anwendung dieser Regelung neues Unrecht geschaffen wird.

19.05.1999 nnnn

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