Bundesgerichtshof, Urteil vom 30.01.2024, Az. VIa ZR 647/22

6a. Zivilsenat | REWIS RS 2024, 718

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Tenor

Auf die Revision des [X.] wird der Beschluss des 12. Zivilsenats des [X.] mit Sitz in [X.] vom 1. April 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als im Verhältnis zur Beklagten zu 1 zum Nachteil des [X.] entschieden worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagte zu 1 (künftig: Beklagte) wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Der Kläger kaufte am 1. Juni 2015 von einem Dritten einen von der [X.] hergestellten gebrauchten [X.] 3.0 [X.], der mit einem ebenfalls von der [X.] hergestellten Dieselmotor vom Typ [X.] (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist.

3

Der Kläger hat von der [X.] und ihrer Konzernmutter (Beklagte zu 2) die Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Prozesszinsen Zug um Zug gegen Übergabe des Fahrzeugs begehrt. Das [X.] hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht die Berufung des [X.] zurückgewiesen. Mit seiner vom Senat allein im Verhältnis zur [X.] zugelassenen Revision verfolgt der Kläger insoweit seinen Berufungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe

4

Die Revision hat Erfolg.

I.

5

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

6

Der Kläger könne seinen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte nicht aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV herleiten. Einem solchen Anspruch stehe bereits die Tatsache entgegen, dass die Regelungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV kein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB darstellten. Aber auch ein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB stehe dem Kläger auf Grundlage seines Vorbringens nicht zu. Der Kläger habe für seine Behauptung, auch das in seinem Fahrzeug verbaute Aggregat enthalte vergleichbar dem [X.] eine unzulässige Abschaltlogik, keine greifbaren Anhaltspunkte aufgezeigt, so dass seine Vermutung als Behauptung "ins Blaue hinein" zu bewerten und einer Beweisaufnahme nicht zugänglich sei. Eine sittenwidrige Schädigung des [X.] folge auch nicht aus seinem Vortrag zum sogenannten [X.], dessen Vorliegen hier zugunsten des [X.] als wahr unterstellt werden könne. Selbst wenn man unterstelle, dass eine derartige temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 Verordnung ([X.]) Nr. 715/2007 zu qualifizieren sei, wäre der darin liegende Gesetzesverstoß auch unter Berücksichtigung einer damit einhergehenden Gewinnerzielungsabsicht der Beklagten für sich genommen nicht geeignet, den Einsatz dieser Steuerungssoftware durch die für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen zu lassen. Hierfür bedürfe es vielmehr weiterer Umstände, welche der Kläger nicht substantiiert dargelegt habe.

II.

7

Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

8

1. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat.

9

a) Das Berufungsgericht durfte den Vortrag des [X.] zu einer im Fahrzeug des [X.] enthaltenen "Umschaltlogik" vergleichbar dem den sog. Dieselskandal auslösenden [X.] als prozessual unbeachtlich behandeln (vgl. [X.], Beschluss vom 8. November 2023 - [X.], juris Rn. 11 f. mwN). Es hat greifbare Anhaltspunkte für eine solche vom Kläger behauptete Funktionsweise, welche eine sittenwidrige Schädigung begründen könnte (vgl. [X.], Urteil vom 11. September 2023 - [X.], juris Rn. 10), nicht festzustellen vermocht. Hieran ist der [X.] gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden. Die von der Revision erhobenen Verfahrensrügen hat der [X.] geprüft und nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.

b) Ebenso rechtsfehlerfrei und in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des [X.] hat das Berufungsgericht ausgeführt, dass durch die hier revisionsrechtlich zugunsten des [X.] zu unterstellende Implementierung einer temperaturabhängigen Steuerung des [X.] ("[X.]") alleine, selbst wenn diese als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung 715/2007/[X.] zu qualifizieren sein sollte, noch keine sittenwidrige Schädigung begründet werde (vgl. [X.], Urteil vom 20. Juli 2023 - [X.], [X.], 1839 Rn. 12 mwN). Gegen diese zutreffende Würdigung erhebt die Revision keine Einwände.

2. Doch kann mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV nicht verneint werden. Wie der [X.] nach Erlass des Zurückweisungsbeschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des [X.] gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der [X.] zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung ([X.]) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.], [X.]Z 237, 245 Rn. 29 bis 32).

Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des [X.] auf die Gewährung sogenannten "großen Schadensersatzes" verneint (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.], [X.]Z 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen [X.]s zustehen kann (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso [X.], Urteile vom 20. Juli 2023 - [X.], [X.], 1839 Rn. 21 ff.; - [X.], juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - [X.], juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Form des [X.]s getroffen.

III.

Die angefochtene Entscheidung ist daher in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Auf der Grundlage der Feststellungen des Berufungsgerichts kann eine deliktische Haftung der Beklagten wegen jedenfalls fahrlässiger Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung nicht ausgeschlossen werden. Der [X.] kann daher nicht in der Sache selbst entscheiden, sondern verweist die Sache im Umfang der Aufhebung des Zurückweisungsbeschlusses zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen möglichen [X.] darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des [X.]s vom 26. Juni 2023 ([X.], [X.]Z 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und gegebenenfalls zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV zu treffen zu haben.

Fischer     

      

Möhring     

      

Götz   

      

Rensen     

      

Vogt-Beheim     

      

Meta

VIa ZR 647/22

30.01.2024

Bundesgerichtshof 6a. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend BGH, 16. Oktober 2023, Az: VIa ZR 647/22, Beschluss

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 30.01.2024, Az. VIa ZR 647/22 (REWIS RS 2024, 718)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2024, 718

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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VII ZR 412/21

III ZR 303/20

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