Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 30.03.2004, Az. 1 StR 354/03

1. Strafsenat | REWIS RS 2004, 3838

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen

[X.]IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 1 StR 354/03 vom 30. März 2004 in der Strafsache gegen

wegen Vergewaltigung
- 2 - Der 1. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 30. März 2004, an der teilgenommen haben: Vorsitzender [X.] am [X.] [X.]

und die [X.] am [X.] [X.], [X.], [X.], die [X.]in am [X.] Elf,

[X.]

als Vertreter der [X.]schaft,

Rechtsanwalt

als Verteidiger,

Rechtsanwältin

als Vertreterin der Nebenklägerin,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt: - 3 - - 4 - Auf die Revision der Nebenklägerin wird das Urteil des [X.] vom 14. März 2003 mit den [X.] aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine [X.] des [X.] zurückverwiesen.
Von Rechts wegen Gründe: Das [X.] hat den Angeklagten erneut vom Vorwurf der Vergewal-tigung zum Nachteil der Nebenklägerin S.

freigesprochen. Hier-gegen richtet sich die Revision der Nebenklägerin. Diese beanstandet die [X.] sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat Erfolg. [X.]
1. Der Senat hat bereits mit Urteil vom 29. September 1998 - 1 [X.] - das erste in dieser Sache ergangene Urteil des [X.]s vom 28. November 1997 auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Neben-klägerin hin aufgehoben, soweit der Angeklagte von dem jetzt noch in Rede stehenden Tatvorwurf freigesprochen worden war. In der ersten Hauptverhand-lung hatte sich das [X.] nicht davon überzeugt, daß der Angeklagte gemeinsam mit einem unbekannten Mittäter namens [X.]die Zeugin - 5 - S. am 19. August 1996 gegen 20.30 Uhr in der Parkanlage hinter dem [X.]. -Gymnasium in [X.]. überfallen habe, wobei beide Täter [X.] jeweils den Oral- und Vaginalverkehr erzwungen hätten (Anklage vom 13. April 1997). In einer mit diesem Verfahren verbundenen weiteren [X.] war dem Angeklagten darüber hinaus vorgeworfen worden, an einem nicht näher feststellbaren Tag in der zweiten Augusthälfte 1996 wiederum mit einem unbekannten Mittäter namens [X.]und ebenfalls im [X.]. park in [X.]. eine weitere, allerdings unbekannt gebliebene Frau zum [X.] gezwungen zu haben. Diese hatte sich später anonym bei einer Frauenberatungsstelle gemeldet, war danach aber nicht mehr in Erschei-nung getreten. Auch von diesem Tatvorwurf hat das [X.] den Angeklag-ten mit seinem ersten Urteil vom 28. November 1997 freigesprochen. Insoweit ist jenes Urteil rechtskräftig.
Hinsichtlich des Vorwurfs der Vergewaltigung zum Nachteil der Zeugin [X.]konnte das [X.] seinerzeit Zweifel nicht überwinden, ob der Angeklagte bei seinem früheren, später widerrufenen Geständnis diejenige Tat geschildert habe, welche der Zeugin widerfahren sei. Auch die Identifizierung des Angeklagten durch die Zeugin sei nicht verläßlich genug, um [X.] zwischen den Tatschilderungen der Zeugin und des Angeklagten in [X.] früheren geständigen [X.]assung vernachlässigen zu können.
2. Das [X.] hat sich auch in der erneuten Hauptverhandlung nicht davon zu überzeugen vermocht, daß es der Angeklagte war, der die Zeu-gin [X.] mit einem unbekannten Mittäter vergewaltigt hat. Zwar sei die Zeugin [X.], wie von ihr geschildert, Opfer einer Vergewaltigung ge-worden; es lasse sich jedoch nicht feststellen, daß der Angeklagte die Tat be-- 6 - gangen habe. Das später widerrufene Geständnis des Angeklagten im Ermitt-lungsverfahren beziehe sich zwar wahrscheinlich auf eine tatsächlich verübte Tat, obwohl dies nicht als völlig zwingend erscheine. Es bestünden aber erheb-liche Zweifel an der Identität der von dem Angeklagten einerseits und der Zeu-gin andererseits jeweils geschilderten Tatabläufe. Unterschiede hätten sich bei den Angaben hinsichtlich des Ausgangspunkts der Tat und der Gehrichtung des Opfers, dessen Kleidung und Haarfarbe, der Kleidung der Täter, des [X.] und der Ausübung von Oralverkehr ergeben. Diese Abweichungen könn-ten auch nicht mit der Überlegung relativiert werden, daß die Begehung zweier vergleichbarer Vergewaltigungstaten durch jeweils zwei (andere) Täter in [X.]. in kurzem zeitlichem Abstand wenig wahrscheinlich sei. Die [X.] konnte sich von der [X.]chaft des Angeklagten auch nicht auf-grund seiner Identifizierung als Täter durch die Zeugin [X.] überzeugen. Die Identifizierung bei der [X.] sei aufgrund von [X.] bei der Beschreibung der [X.] des Angeklagten nicht sicher gewesen. Auch in der Hauptverhandlung hätten sich Unsicherheiten in bezug auf die [X.] und die Lage der Narbe im Gesicht des Angeklagten ergeben. I[X.]
Das freisprechende Urteil hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Es weist im wesentlichen die gleichen rechtlichen Fehler bei der Beweiswürdigung auf wie das seinerzeit aufgehobene erste landgerichtliche Urteil. Die Beweis-würdigung leidet wiederum unter Erörterungsmängeln, beachtet nicht in jeder Hinsicht die für sie geltenden Maßgaben und überspannt die an die tatrichterli-che Überzeugungsbildung zu stellenden Anforderungen. - 7 - 1. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters; kann er die erforder-liche Gewißheit nicht gewinnen und zieht er die hiernach gebotene [X.] und spricht frei, so hat das Revisionsgericht dies regelmäßig hinzuneh-men. Dabei kommt es nicht darauf an, ob das Revisionsgericht die [X.] anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. Ein Urteil kann [X.] dann keinen Bestand haben, wenn die Beweiswürdigung rechtsfehlerhaft ist. Dies ist etwa der Fall, wenn sie lückenhaft ist, namentlich wesentliche Fest-stellungen nicht berücksichtigt oder naheliegende [X.]lußfolgerungen nicht er-örtert, wenn sie widersprüchlich oder unklar ist, gegen Denkgesetze oder gesi-cherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderli-che Gewißheit überspannte Anforderungen gestellt worden sind (st. Rspr.; vgl. nur [X.], 338, 339; NJW 2002, 2188, 2189).

Der Tatrichter ist gehalten, sich mit den von ihm festgestellten Tatsa-chen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten ausei-nanderzusetzen, wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen. Eine Beweiswürdigung, die über schwerwiegende Verdachtsmomente ohne Erörterung hinweggeht, ist rechtsfehlerhaft ([X.], 656, 657). Liegen mehrere Beweisanzeichen vor, so genügt es nicht, sie jeweils einzeln [X.]. Auf solche einzelnen Indizien ist der Grundsatz "in dubio pro reo" nicht isoliert anzuwenden. Das einzelne Beweisanzeichen ist vielmehr mit allen anderen Indizien in eine Gesamtwürdigung einzustellen. Erst die Würdigung des gesamten [X.] entscheidet letztlich darüber, ob der [X.] die Überzeugung von der [X.]uld des Angeklagten und den sie tragenden [X.] gewinnt. Auch wenn keine der Indiztatsachen für sich allein zum Nach-weis der [X.]chaft des Angeklagten ausreichen würde, besteht die [X.] 8 - keit, daß sie in ihrer Gesamtheit dem Tatrichter die entsprechende Überzeu-gung vermitteln können ([X.], 45).
2. Die [X.] mußte ihrer Beweiswürdigung die Aussage der Zeu-gin [X.] zugrunde legen und prüfen, ob diese glaubhaft ist und ob die Zeugin den Angeklagten überzeugungskräftig als Täter identifiziert hat. Dabei hat die Kammer jedoch nicht hinreichend bedacht, daß der [X.] nicht schon auf das einzelne Indiz, sondern erst bei der abschließenden Überzeu-gungsbildung aufgrund der gesamten Beweislage anzuwenden ist. Bereits vor der Gesamtschau aller Beweise hat das [X.] hier wesentliche Beweis-anzeichen für die Täteridentifikation - wie die Lage der Narbe, die [X.], den Geruch und weitere Identifizierungsmerkmale - jeweils einzeln unter Zugrundelegung des [X.]es als —nicht völlig zwingendfi und deshalb nicht überzeugend erachtet. Das läßt besorgen, daß es bei der Gesamtwürdi-gung solche Indizien nicht hinreichend einbezogen hat, denen es für sich ge-sehen keinen —zwingendenfi Beweiswert beigemessen hat. Darüber hinaus hat es einzelne Beweisanzeichen und naheliegende Möglichkeiten nicht erschöp-fend oder überhaupt nicht erörtert.
a) Die [X.] hat sich zur Identifizierung des Angeklagten durch die Zeugin [X.] mit dem Beweisanzeichen der Narbe befaßt, dabei aber die Angaben der Zeugin zur Lage der Narbe im Gesicht eines der Täter und das tatsächliche Vorhandensein einer Narbe unter dem linken Auge des Ange-klagten nicht erschöpfend gewürdigt.
Das [X.] sieht in dem Umstand, daß ein Tatopfer einen Täter an einer Narbe wieder erkennt, grundsätzlich ein starkes Indiz für die Richtigkeit - 9 - der Identifizierung; das gelte unabhängig von etwaigen Abweichungen hinsicht-lich deren genauer Lage. Es hält den Wert der Wiedererkennung hier aber
deshalb für gemindert, weil die Zeugin auch nach der Gegenüberstellung mit dem Angeklagten bei der fehlerhaften Beschreibung der Lage der Narbe geblieben ist und darauf beharrt hat, diese habe sich über dem linken Auge befunden. In diesem Zusammenhang läßt es allerdings unberücksichtigt, daß die Zeugin den Angeklagten in der Hauptverhandlung "zu 100 %" identifiziert hat. Zudem erörtert es nicht, welche Bedeutung der Aussage der Zeugin zur Lage der Narbe gerade vor dem Hintergrund zukommt, daß diese bei ihrer [X.] insoweit auch später blieb, obwohl sie spätestens nach der ersten Gegenüberstellung in der Hauptverhandlung im November 1997 naheliegend-erweise die tatsächliche Lage der Narbe unter dem linken Auge gekannt haben müßte. Wenn die Zeugin dennoch den Täter mit einer über dem Auge liegen-den Narbe beschrieben hat, liegt die Erklärung nahe, daß sie diese aus ihrer Erinnerung beschrieben hat, die jedoch nicht in jeder Hinsicht verläßlich war. Dabei war zu bedenken, daß die beiden Täter die liegende Zeugin auch kopf-seitig von oben festgehalten haben. Wie dem Senat aus der Befassung mit dem ersten, aufgehobenen Urteil des [X.]s bekannt ist, war dort fest-gestellt, daß sich die Zeugin inzwischen (damals, in jener Hauptverhandlung) nicht mehr sicher war, wo am Auge des [X.] sich die Narbe genau befunden habe. Diese Besonderheiten hätte die nunmehr zur Entscheidung berufene [X.] in ihre Bewertung einbeziehen müssen.
b) Die Beweiswürdigung des [X.]s ist auch hinsichtlich des Be-weisanzeichens der [X.] unvollständig und wird den Anforderungen an die tatrichterliche Überzeugungsbildung nicht vollends gerecht. - 10 - Die Zeugin [X.] hat auch in der erneuten Beweisaufnahme gleich-bleibend bestätigt, daß einer der Täter - ihres Erachtens der Angeklagte [X.] getragen habe. Daneben hat sie aber den unbekannten Mittäter mit einem leicht an den [X.] herabwachsenden [X.]nurrbart beschrieben. Der Angeklagte hatte im Rahmen seines (später widerrufenen) Geständnisses angegeben, daß er zur Tatzeit zumindest einen Oberlippenbart getragen habe, welcher sicher an den Seiten etwas länger ausgeprägt gewesen sei. Danach hat die Zeugin einem der Täter [X.] zugeordnet, der nach der Form der [X.] des Angeklagten zur Tatzeit entsprechen konnte. Die Möglichkeit, daß die Zeugin den von ihr tatsächlich erwähnten Bart versehentlich dem [X.] Täter zugeordnet haben könnte, wird vom [X.] als spekulativ bezeichnet, ohne die besondere Anspannung der Zeugin in der [X.] und den Umstand zu würdigen, daß sie aus der Erinnerung zwei Täter zu be-schreiben hatte, denen sie bestimmte Merkmale zuordnen mußte.
c) Darüber hinaus setzt sich das [X.] wie im ersten Urteil mit dem besonderen Merkmal der Stimme des Angeklagten nicht hinreichend aus-einander, obwohl die Zeugin die Stimme des entsprechenden [X.] als nä-selnd beschrieben hat. Auch fehlt eine Erörterung der Sprache des Angeklag-ten im Hinblick auf den von der Zeugin beschriebenen —fehlenden [X.] diese Umstände können nicht aufgrund einer nach Ansicht des Landge-richts methodisch unzulänglichen früheren [X.] wiedererkannt werden. Dies gilt auch für den von der Zeugin erstmals als Wiedererken-nungsmerkmal erwähnten Geruch des Angeklagten. Das Urteil enthält keine Angaben zu den konkreten Abständen zwischen dem Angeklagten und der Zeugin in der jetzigen Hauptverhandlung und damit den [X.]. Weiter fehlt eine Würdigung im Hinblick auf Alter, Größe - 11 - und Haarfarbe des Angeklagten. [X.]ließlich wird nicht darauf eingegangen, inwieweit die Zeugin den Angeklagten anhand der Augen wiedererkannt haben will. In dem ersten, aufgehobenen Urteil ist von einem hängenden Augenlid die Rede, einem Merkmal, mit dem sich das Tatgericht damals fehlerhaft nicht auseinandergesetzt hatte. Nunmehr wird dieser Umstand vom [X.] e-benso wie die Gesichtsform nicht einmal mehr erwähnt. Das Urteil läßt schließ-lich eine Auseinandersetzung mit der beschriebenen erheblichen Alkoholisie-rung des [X.] vermissen, während im ersten Urteil immerhin noch die inso-weit übereinstimmenden Angaben von Angeklagtem und Zeugin festgestellt worden waren. Auch dies wäre als Indiz im Rahmen der Gesamtwürdigung zu berücksichtigen gewesen.
d) Überdies ist die Annahme des [X.]s nicht tragfähig, die [X.] verliere deswegen an Wert, weil sich der Ange-klagte seinerzeit aufgrund der von der Zeugin gegebenen, in der Zeitung ab-gedruckten Täterbeschreibung nach deren Lektüre gestellt habe. Es liegt nahe, daß ein Zeuge eine Person als Täter identifiziert, die er zuvor beschrieben hat und die der Beschreibung entspricht, und zwar unabhängig davon, ob diese sich selbst gestellt hat oder nicht. Dies kann sogar ein Hinweis auf die [X.] der Identifizierung sein. Sollte die [X.] hingegen gemeint ha-ben, ein etwaiges Wissen des Identifizierungszeugen um die Selbstgestellung könne die Identifizierungsleistung beeinflussen, hätte dies klar zum Ausdruck gebracht und begründet werden müssen.
3. Auch die Würdigung der [X.]assung des Angeklagten leidet unter [X.] und ist deshalb nicht tragfähig. - 12 - a) Der Senat hatte beanstandet, daß das Motiv des Angeklagten für den Widerruf seines bei mehreren Vernehmungen wiederholten Geständnisses nicht genügend gewürdigt worden sei. Die [X.]ilderung der zeitlichen Abläufe und näheren Umstände des Widerrufs hat er als nicht ausreichend erachtet. Im ersten Urteil hatte das [X.] als Grund für den Widerruf erwähnt, der Angeklagte habe mit einer Freiheitsstrafe von etwa drei Jahren gerechnet. Nachdem sein Anwalt ihm dann aber gesagt habe, daß ihn eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren erwarte, sei ihm das doch zuviel gewesen. Das jetzige Urteil erwähnt diese Umstände nicht mehr. Die [X.] führt aus, es sei nicht völlig unwahrscheinlich, daß sich der Angeklagte aufgrund seiner traumati-schen sexuellen Erfahrungen mit seinem Vater in eine Opferrolle hineingestei-gert haben könnte, aufgrund deren er dann ein solches Geständnis unabhän-gig von seinem tatsächlichen Wahrheitsgehalt abgelegt haben könnte, um - wie er erklärt hat - seinem Vater —eins auszuwischenfi.
Diese Erklärung des Angeklagten für sein widerrufenes Geständnis, dem "Vater eins auszuwischen", mag, auch wenn das eher fern liegt, [X.] geeignet sein, das - dann falsche - Geständnis gegenüber der Polizei zu erklären, nicht ohne weiteres jedoch das zuvor nach Lektüre des Presseartikels gegenüber der Zeugin [X.]abgegebene. Das hätte der Erörterung bedurft.
b) Das [X.] würdigt bei der Prüfung des Wahrheitsgehalts der früheren geständigen [X.]assung des Angeklagten nicht ausreichend deren Aussagequalität.
Auch ein frei erfundenes Geständnis, um dem Vater —eins auszuwi-schenfi, birgt die Gefahr der fehlenden [X.] insbesondere dann, wenn das - 13 - Tatgeschehen so genau wie hier beschrieben worden ist. Eine Erklärung dafür, warum das widerrufene Geständnis des Angeklagten durch Beständigkeit und Detailtreue auch in Nebensächlichkeiten gekennzeichnet ist, führt die [X.] nicht an. Sie geht daran vorbei, daß sich der Angeklagte das [X.] sehr spontan überlegt haben muß, wenn er nach dem Lesen des [X.] mit der Täterbeschreibung noch am selben Tag zunächst gegen-über der Zeugin [X.] die Tat eingestanden und sich in der [X.] gestellt hat. Dies hätte der näheren Bewertung bedurft. c) Die Beweiswürdigung zum Aufenthalt des Angeklagten zum Tatzeit-punkt ist nicht tragfähig. Zwar nimmt das [X.] nicht an, der Angeklagte habe ein Alibi nachweisen können, weil er am Spätnachmittag des 19. August 1996 persönlich bei seinem Arbeitgeber gekündigt habe. Das [X.] hält es aber "für sehr unwahrscheinlich", daß sich der Angeklagte danach noch nach [X.]. begeben und dort die Vergewaltigung begangen habe ([X.]). Es konnte jedoch keine Feststellungen dazu treffen, wann genau und wo der Zeuge [X.]den Angeklagten nach dem Besuch des Arbeitgebers mit dem Fahrzeug abgesetzt hat. Dieser hat sich nur noch daran erinnert, daß die Fahrt zum Arbeitgeber zwischen 17.00 Uhr und 20.00 Uhr stattgefunden und der Angeklagte sich dort ca. ein- bis eineinhalb Stunden aufgehalten habe. Da die Tat gegen 20.30 Uhr geschehen sein soll, konnte aus diesen Angaben keine tragfähige Folgerung auf die Wahrscheinlichkeit oder Unwahrscheinlich-keit einer anschließenden Vergewaltigung in [X.].

gezogen werden.
d) Indem das [X.] es als nicht "völlig zwingend" erachtet, daß das Geständnis der Wahrheit entspreche und der Angeklagte auch an der Tat zum Nachteil der Zeugin [X.] beteiligt gewesen sei, hat es den Grundsatz der freien Beweiswürdigung rechtsfehlerhaft angewandt: Für die Beantwortung - 14 - der [X.]uldfrage kommt es allein darauf an, ob der Tatrichter die Überzeugung von einem bestimmten Sachverhalt erlangen kann oder nicht. Der Begriff der Überzeugung schließt die Möglichkeit eines anderen, auch gegenteiligen Sachverhalts nicht aus; vielmehr gehört es gerade zu ihrem Wesen, daß sie sehr häufig objektiv möglichen Zweifel ausgesetzt bleibt. Der Tatrichter ist aber nicht gehindert, an sich mögliche, wenn auch nicht zwingende Folgerungen aus bestimmten Tatsachen zu ziehen. Sie müssen allerdings tragfähig sein ([X.]St 10, 208, 209 f.; 41, 376, 380; [X.], Urt. v. 4. September 2003 - 3 [X.]). Da das [X.] auch im Blick auf andere Beweisumstände an sich mögliche [X.]lüsse als —nicht völlig zwingendfi bewertet oder Beweisan-zeichen als —kein zwingendes Indizfi charakterisiert (etwa [X.]), steht an-gesichts der hier vorliegenden besonderen Umstände zu besorgen, daß es die Anforderungen an die Überzeugungsbildung überspannt haben könnte.
4. Das [X.] hat eine naheliegende Möglichkeit nicht ausdrücklich gewürdigt, die sich aus der Zusammenschau des widerrufenen Geständnisses des Angeklagten und der Aussage der Zeugin [X.]
ergibt. Diese erklärt möglicherweise die von der [X.] hervorgehobenen Differenzen zwi-schen den beiden Tatschilderungen und kann ihnen den beweismindernden Wert hinsichtlich der Bekundungen der Zeugin weitgehend nehmen.
Die [X.] hat offen gelassen, ob dem später widerrufenen [X.] des Angeklagten ein wirkliches Ereignis zugrunde liegt. Einerseits hält sie es für wahrscheinlich, daß das Geständnis wegen der Detailliertheit und [X.] der Angaben über einen längeren Zeitraum und mehrere Verneh-mungen hinweg der Wahrheit entspreche. [X.] beraten führt sie andererseits aus, es sei nicht völlig unwahrscheinlich, daß der Angeklagte ein - 15 - solches Geständnis —unabhängig von seinem Wahrheitsgehalt abgelegtfi haben könnte. Wie bereits im ersten, aufgehobenen Urteil ist die [X.] davon ausgegangen, daß das widerrufene Geständnis des Angeklagten deshalb fragwürdig sei, weil es in wesentlichen Punkten von den Angaben der Geschä-digten abweiche. Insbesondere habe der Angeklagte den Ausgangspunkt, von dem aus und die Gehrichtung, in welcher er und sein Mittäter das Opfer ver-folgten, anders als die Zeugin beschrieben. Differenzen bestünden darüber hinaus hinsichtlich der [X.]ilderung der Kleidung des Opfers und der Täter so-wie des Tathergangs in seinen Einzelheiten.
Das Geständnis des Angeklagten wäre jedoch nur dann ohne jeden Be-weiswert, wenn davon auszugehen wäre, daß es erfunden war. Liegt ihm hin-gegen ein wahrer, wenn auch nicht der angeklagte Sachverhalt zugrunde, be-stünde zwischen den Angaben der Zeugin hinsichtlich des Tathergangs und der geständigen [X.]assung des Angeklagten möglicherweise kein wirklicher Widerspruch, weil beide dann verschiedene, aber reale Geschehensabläufe beschrieben haben könnten. Die vom [X.] hervorgehobenen [X.] hinsichtlich der [X.]ilderungen etwa zur Kleidung des Opfers (Hose oder Rock, roter Slip) verlören dann weitgehend ihre Bedeutung für die Würdigung der Aussage der Zeugin [X.] und deren Wiedererkennung des Angeklag-ten. Das [X.] hätte sich deshalb die Frage vorlegen müssen, ob das später widerrufene, aber detailreiche und von [X.] gekennzeichnete [X.] des Angeklagten zwar eine andere Tat betraf, er aber dennoch auch die - von ihm dann nicht gestandene - Tat zum Nachteil der Zeugin [X.]begangen hat. Es hätte in Betracht ziehen müssen, ob der Angeklagte auf-grund der veröffentlichten Täterbeschreibung nach Begehung einer zweiten Tat zunächst nach seiner Gestellung nur Anlaß sehen konnte, lediglich eine der - 16 - Taten zu gestehen. Auf diese Möglichkeit könnte hindeuten, daß innerhalb ei-nes relativ kurzen Zeitraums an demselben Ort zwei Vergewaltigungen mit der-selben Vorgehensweise von jeweils zwei Tätern begangen worden sein könn-ten. Dabei hätte jeweils einer der Täter nach den insoweit übereinstimmenden Angaben sowohl der Zeugin als auch des Angeklagten eine Tätowierung mit dem Motiv einer Spinne aufgewiesen. Der zweite Täter, der die Tat zum Nach-teil der Zeugin [X.] mit begangen hat, hätte dann ebenso wie der Ange-klagte, der die Tat zum Nachteil des unbekannten Opfers gestanden und [X.] hätte, eine Narbe am Auge. Würde das [X.] also beide [X.]ilderungen - das frühere Geständnis des Angeklagten, aber auch die [X.] der Zeugin [X.] - unter diesen Umständen für nicht wider-sprüchlich und für glaubhaft halten, müßte es sich fragen, ob es sich auf sol-cher Grundlage davon überzeugen kann, daß der Angeklagte auch die von ihm nicht gestandene Tat zum Nachteil der Nebenklägerin begangen hat. Die [X.] in den Tatschilderungen könnten dann nicht mehr gegen eine sol-che Überzeugung von der [X.]chaft des Angeklagten im Fall zum Nachteil der Nebenklägerin ins Feld geführt werden. Der Identifizierungsleistung der Zeugin käme dann für die Wiedererkennung in der Hauptverhandlung und auch in bezug auf die [X.] möglicherweise ein höherer Be-weiswert zu.
Daß der Angeklagte von dem Vorwurf der zweiten Vergewaltigung zum Nachteil des unbekannten Opfers rechtskräftig freigesprochen ist, hindert nicht dessen Erörterung und etwaige indizielle Bewertung im Blick auf den noch in Rede stehenden Anklagevorwurf. Der rechtskräftige Freispruch verbraucht die Strafklage und steht fortan einer Sanktionierung wegen der nämlichen Tat [X.] 17 - gegen. Eine Tatsachenbindung gehört aber nicht zum Wesen der Rechtskraft (vgl. [X.]St 43, 106, 108 f.; [X.] 46. Aufl. [X.]. [X.]. 170, 188). II[X.]
Auf diesen sachlich-rechtlich erheblichen Beweiswürdigungsmängeln kann das Urteil beruhen. Es ist nicht auszuschließen, daß das [X.] bei ihrer Vermeidung die Überzeugung von der [X.]chaft des Angeklagten ge-wonnen hätte. - 18 - IV.
Die Sache muß somit neu verhandelt und entschieden werden. Der [X.] verweist sie an ein anderes [X.] zurück (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO; vgl. im übrigen [X.]. 713 ff. der Strafakten). [X.] Boetticher [X.]

Herr [X.] am [X.] [X.]

Elf

ist erkrankt und deshalb an der

Unterschrift verhindert.

[X.]

Meta

1 StR 354/03

30.03.2004

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 30.03.2004, Az. 1 StR 354/03 (REWIS RS 2004, 3838)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2004, 3838

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

2 StR 336/02 (Bundesgerichtshof)


2 StR 111/02 (Bundesgerichtshof)


4 StR 322/03 (Bundesgerichtshof)


4 StR 351/16 (Bundesgerichtshof)

Strafverfahren wegen versuchter Vergewaltigung: Notwendige Gesamtwürdigung von Beweisanzeichen für die Täterschaft des Angeklagten im Urteil …


3 StR 140/12 (Bundesgerichtshof)

Versuchter Totschlag: Feststellung des bedingten Tötungsvorsatzes bei einer Vielzahl von Messerstichen


Referenzen
Wird zitiert von

1 StR 248/16

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.