Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 21.03.2017, Az. 25 W 268/16

25. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 13681

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Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten zu 4. vom 10.03.2016 wird der Kostenfestsetzungsbeschluss I der Rechtspflegerin der 6. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld vom 05.02.2016 dahingehend abgeändert, dass

auf Grund des Urteils des Oberlandesgerichts Hamm vom 16.07.2015 (I-10 U 38/14) und auf Grund des Urteils des Landgerichts Bielefeld vom 27.03.2014

von dem Kläger 152.967,31 EUR EUR

– einhundertzweiundfünfzigtausendneunhundertsiebenundsechzig Euro und einunddreißig Cent –

nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 17.09.2015

an den Beklagten zu 4. zu erstatten sind.

Die weitergehende sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen der Kläger zu 2/3 und der Beklagte zu 4. zu 1/3.

Es wird angeordnet, dass die Gebühr KV 1812 auf die Hälfte ermäßigt wird.

Gründe

G r ü n d e :

Auf die sofortige Beschwerde war der angefochtene Kostenfestsetzungsbeschluss wie aus dem Tenor ersichtlich teilweise abzuändern.

I.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere ist sie fristgerecht eingelegt worden. Der Kostenfestsetzungsbeschluss I vom 05.02.2016 ist dem Beklagten zu 4. ausweislich Empfangsbekenntnis (Bl. 1631) am 07.03.2016 zugestellt worden, und die sofortige Beschwerde ist am 11.03.2016 beim Landgericht eingegangen (Bl. 1632).

II.

Das Rechtsmittel erweist sich auch als teilweise begründet.

1.

An außergerichtlichen Kosten erster Instanz kann der Beklagte zu 4. die Fahrt eines Anwalts zum Gerichtstermin am 12.12.2013 in vollem Umfang beanspruchen und nicht nur in Höhe der fiktiven Fahrtkosten eines an seinem Wohnort ansässigen Rechtsanwalts zum Gerichtsort. Des Weiteren kann der Beklagte zu 4. die Kosten für vier Fahrten zu Besprechungsterminen mit den weiteren Beklagten und Prozessbevollmächtigten in dem Umfang ersetzt verlangen, wie sie für Informationsreisen des Beklagten zu 4. zu seinem eigenen Prozessbevollmächtigten entstanden wären. Die Kosten einer Reise für die Besprechung mit dem eigenen Haftpflichtversicherer sind hingegen nicht erstattungsfähig.

a)

Fahrtkosten seines Anwalts zum Gerichtstermin in C am 12.12.2013 kann der Beklagte zu 4. im angemeldeten und nachgewiesenen Umfang von 127,31 EUR statt der vom Landgericht zugebilligten 31,03 EUR - jeweils nebst Umsatzsteuer - verlangen.

aa)

Die Erstattungsfähigkeit der Reisekosten als Auslagen des Rechtsanwalts richtet sich nach § 91 Abs. 2 S. 1 ZPO. Danach sind Reisekosten eingeschränkt erstattungsfähig für den Rechtsanwalt, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt. Die Kosten eines solchen Rechtsanwalts kann die obsiegende Partei nur insoweit erstattet verlangen, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war.

Beauftragt wie im vorliegenden Fall eine Partei, die im eigenen Gerichtsstand klagt oder verklagt wird, mit ihrer Vertretung einen auswärtigen Rechtsanwalt, der beim Prozessgericht zwar postulationsfähig war, aber nicht zugelassen ist, handelt es sich bei dem dadurch anfallenden Mehraufwand nach der Rechtsprechung des BGH regelmäßig nicht um Kosten, die für eine zweckentsprechende Rechtsverfolgung oder

-verteidigung notwendig sind (BGH, NJW 2003, 901, 902). Denn maßgeblich für die Frage der Notwendigkeit einer bestimmten Rechtsverfolgungs- oder Rechtsverteidigungsmaßnahme ist im Rahmen einer typisierenden Betrachtungsweise die Sicht einer vernünftigen, kostenbewussten Partei (BGH am angegebenen Ort). Diese wird in aller Regel wegen der geringeren Kosten und auch wegen der einfacheren Möglichkeiten der persönlichen Unterrichtung und Beratung einen beim Prozessgericht zugelassenen Rechtsanwalt beauftragen (BGH am angegebenen Ort). In Ausnahme von diesem Grundsatz wird die Beauftragung eines spezialisierten auswärtigen Rechtsanwalts als notwendig angesehen, wenn ein vergleichbarer ortsansässiger Rechtsanwalt nicht beauftragt werden kann (BGH am angegebenen Ort mit weiteren Nachweisen sowie BGH, Beschluss vom 20.12.2011, XI ZB 13/11, juris Rn. 9 mit weiteren Nachweisen).

Ob ein vergleichbarer ortsansässiger Rechtsanwalt zur Verfügung steht, ist ebenfalls aus der Sicht eines verständigen, nicht notwendigerweise rechtskundigen Beteiligten zu beurteilen (Finanzgericht Hamburg, Beschluss vom 20.12.2012, 3 KO 209/11, juris Rn. 46 m. w. N.). Die Vergleichbarkeit richtet sich danach, ob der auswärtige Anwalt gegenüber anderen ortsansässigen Rechtsanwälten besondere Fachkenntnisse in einer den konkreten Fall betreffenden rechtlichen Spezialmaterie hat und/oder besondere zur Fallbearbeitung notwendige Kenntnisse auf tatsächlichem Gebiet (Finanzgericht Hamburg am angegebenen Ort juris Rn. 48; ebenso Sozialgericht Schwerin, Beschluss vom 17.04.2015, S 23 SF 42/12 E juris Rn. 14; Mayer, Erstattungsfähige Reisekosten des Spezialanwalts, NJW 2014, 2913, 2914). Dabei ist nicht allein maßgeblich, ob am Ort des Prozessgerichts bzw. Wohnort der Partei Fachanwälte für die jeweilige Materie zugelassen sind, weil Fachanwaltschaften häufig ein umfangreicheres Rechtsgebiet abdecken, das eine weitere Spezialisierung zulässt (Finanzgericht Hamburg am angegebenen Ort juris Rn. 50 mit weiteren Nachweisen). Der auswärtige Rechtsanwalt verfügt dann über rechtliche Spezialkenntnisse, die ihn von ortsansässigen Anwälten abheben, wenn er sich in einem umgrenzten Fachgebiet, das in der Regel enger als die Materie einer Fachanwaltschaft sein wird, Kenntnisse und Erfahrungen in einem Vertiefungsgrad angeeignet hat, der den eines durchschnittlichen Rechtsanwalts oder Fachanwalts erheblich übersteigt (Finanzgericht Hamburg am angegebenen Ort juris Rn. 51 mit weiteren Nachweisen; OLG Nürnberg, Beschluss vom 3. April 2014, 5 W 262/14, juris; Sozialgericht Schwerin am angegebenen Ort; Mayer am angegebenen Ort).

bb)

Unter Anwendung dieser Grundsätze erwies sich die Beauftragung des Vertreters des Beklagten zu 4. aus der maßgeblichen Sicht der Partei als notwendig, weil ein vergleichbarer ortsansässiger bzw. ortsnäherer Rechtsanwalt nicht zur Verfügung stand. In diesem Zusammenhang bedarf es keiner Entscheidung, ob bei Rechtsstreitigkeiten auf dem Gebiet der Testamentsvollstreckung die Heranziehung eines Rechtsanwalts, der zugleich von der Arbeitsgemeinschaft Testamentsvollstreckung und Vermögenssorge (AGT) zertifizierter Testamentsvollstrecker ist, stets in kostenrechtlicher Hinsicht gebilligt werden kann. Jedenfalls im vorliegenden Rechtsstreit bestand Anlass für den Beklagten zu 4., nicht nur einen Fachanwalt für Erbrecht zu beauftragen, der unter anderem besondere Kenntnisse im Bereich der Testamentsvollstreckung haben muss, um den Fachanwaltstitel verliehen zu bekommen (§ 14 Buchst. f Nr. 4 Fachanwaltsordnung), sondern einen Anwalt mit einer weitergehenden Zusatzqualifikation in Gestalt der Zertifizierung durch die AGT, die nach den Zertifizierungsrichtlinien u. a. nachgewiesene theoretische Kenntnisse (mit entsprechender Fortbildungsverpflichtung) und praktische Fertigkeiten - nach dem Urteil des BGH vom 09.06.2011 (NJW 2012, 235) in nennenswertem Umfang - erfordert. Dieser Anlass ergab sich nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit, denn auch der Klägervertreter verfügt über diese Zusatzqualifikation, sondern auch im Hinblick auf die Besonderheiten, insbesondere die Umstände der Beauftragung des Beklagtenvertreters, den erheblichen Umfang und die wirtschaftliche Bedeutung des vorliegenden Verfahrens. So sah sich der Beklagte zu 4. unstreitig ohne vorangegangene außergerichtliche Korrespondenz der Klageschrift vom 20.12.2012 gegenüber, die 339 Seiten umfasste und der ein Ordner mit 175 Anlagen beigefügt war, darunter ein nahezu 400 Seiten starkes Rechtsgutachten des Prof. Dr. N, zugestellt mit der Aufforderung zur Anzeige der Verteidigungsbereitschaft innerhalb von zwei Wochen. In der Sache wurden gegen ihn Schadensersatzansprüche gemäß § 2219 BGB, beziffert mit 7.284.546,34 EUR und für den Feststellungsantrag mit 200.000 EUR bemessen, geltend gemacht sowie im Rahmen von Stufenanträgen Rechnungslegung für die in den Jahren 1976-2000 innegehabte Testamentsvollstreckung, Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung und Herausgabe gefordert. Dieser Sachverhalt ließ es aus der Sicht des Beklagten zu 4. als notwendig erscheinen, die zu Gebote stehenden Mittel der Rechtsverteidigung in vollem Umfang auszuschöpfen und in diesem Zusammenhang einen Anwalt zu beauftragen, der nach seiner Qualifikation am besten in der Lage schien, seine Interessen wahrzunehmen. Dass ein ortsnäherer Anwalt als der vom Beklagten zu 4. gewählte mit gleicher Qualifikation hätte beauftragt werden können, hat der Kläger zwar behauptet, aber nicht näher substantiiert, was ihm ohne weiteres möglich gewesen wäre.

b)

Die vom Beklagten zu 4. angemeldeten Kosten für Besprechungen seines Anwalts mit den Beklagten und den weiteren Prozessbevollmächtigten sind in dieser Form nicht erstattungsfähig, denn für die Rechtsverteidigung war es nicht notwendig, dass der Prozessbevollmächtigte des Beklagten zu 4. sich zu Besprechungen nach Hamm begab. Allerdings wären grundsätzlich Aufwendungen des Beklagten zu 4. für Informationsreisen zu seinem Anwalt erstattungsfähig, § 91 Abs. 1 S. 2 ZPO (vergleiche Flockenhaus, in: Musielak/Voit, ZPO, 13. Aufl. 2016, § 91 Rn. 63); in deren fiktiver Höhe kann der Beklagte zu 4. die Kosten seines Anwalts ersetzt verlangen. Mindestens eine Reise für jede Tatsacheninstanz wird als notwendig angesehen (Flockenhaus am angegebenen Ort). Ob weitere Reisen kostenrechtlich zu billigen sind, richtet sich nach Schwierigkeit des Streitstoffs, Umfang der erhobenen Einwendungen und dem Ablauf des Verfahrens (Flockenhaus am angegebenen Ort mit weiteren Nachweisen). Angesichts des außergewöhnlichen Umfangs der Klageschrift und der Schwierigkeit der Aufbereitung des Streitstoffs bezüglich der fast 25-jährigen Testamentsvollstreckung durch den Beklagten zu 4., die zudem im Zeitpunkt der Klagerhebung bereits über zehn Jahre zurücklag, hält der Senat die Anzahl von vier Besprechungsterminen vor Fertigung der Klageerwiderung, die immerhin 65 Seiten umfasste, für angemessen. An Fahrtkosten gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 1 JVEG i.V.m. § 91 Abs. 1 S. 2, 2. Hs. ZPO hätte der Beklagte zu 4. pro Termin 100 EUR beanspruchen können (einfache Entfernung zwischen H und C nach dem Routenplaner bei Google Maps 200 km x 2 × 0,25 EUR), insgesamt somit 400 EUR.

c)

Nicht beanspruchen kann der Beklagte zu 4. die Kosten für die Besprechung bei der Ergo-Versicherung am 11.03.2013. Diese waren für die Rechtsverteidigung des Beklagten im vorliegenden Rechtsstreit nicht erforderlich, sondern dem Deckungsverhältnis des Beklagten zu 4. zu seinem Haftpflichtversicherer geschuldet.

d)

Insgesamt ergeben sich die folgenden erstattungsfähigen und nach der Kostenentscheidung auch zu erstattenden Kosten des Beklagten zu 4. für die erste Instanz:

Anwaltsvergütung

Verfahrensgebühr

VV 3100

7.494.546,34

1,3

31.194,80

Terminsgebühr

VV 3104

7.494.546,34

1,2

28.795,20

Entgelte für Post- und Telekommunikations-dienstleistungen

VV 7001

66,41

Abwesenheitsgeld 12.12.2013

VV 7005

mehr als 4 bis 8 Stunden

35,00

Fahrtkosten

12.12.2013

VV 7004

127,31

Summe netto

60.218,72

USt

VV 7008

11.441,56

Summe brutto

71.660,28

fiktive Reisekosten des Beklagten zu 4.

§ 5 Abs. 2 Nr. 1 JVEG

200 km x 2 x 0,25

4

400,00

insgesamt

72.060,28

2.

Nach den obigen Ausführungen schuldet der Kläger auch zweitinstanzlich die Fahrtkosten des Prozessbevollmächtigten des Beklagten zu 4. zum Termin beim Oberlandesgericht Hamm am 09.06.2015 in nachgewiesener Höhe von 102,70 EUR zuzüglich Umsatzsteuer. Festzusetzen sind damit außergerichtliche Kosten i. H. von 80.907,03 EUR entsprechend dem Kostenfestsetzungsantrag vom 14.09.2015, auf den wegen der Einzelheiten verwiesen wird.

3.

Insgesamt ergibt sich für die erste und zweite Instanz zu Gunsten des Beklagten zu 4. ein Erstattungsanspruch i.H.v. 152.967,31 EUR.

4.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Sie entspricht dem Unterliegensanteil beider Parteien. Dieser führt in Ausübung billigen Ermessens auch zur Ermäßigung der Gebühr nach KV 1812.

Meta

25 W 268/16

21.03.2017

Oberlandesgericht Hamm 25. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: W

Zitier­vorschlag: Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 21.03.2017, Az. 25 W 268/16 (REWIS RS 2017, 13681)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 13681

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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