Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.07.2020, Az. 5 StR 144/20

5. Strafsenat | REWIS RS 2020, 1916

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Gegenstand

Strafverurteilung wegen erpresserischen Menschenraubs u.a.: Konkurrenzverhältnis bei mehreren Tatbeteiligten


Tenor

Auf die Revision des Angeklagten [X.]     wird das Urteil des [X.] vom 22. Oktober 2019

a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des erpresserischen [X.] in Tateinheit mit versuchter räuberischer Erpressung, gefährlicher Körperverletzung, Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen und mit Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung, Freiheitsberaubung und Bedrohung schuldig ist,

b) aufgehoben in den diesen Angeklagten betreffenden Einzelstrafaussprüchen in den Fällen II.2 und 3 der Urteilsgründe, im Gesamtstrafausspruch sowie im Ausspruch über den [X.].

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen erpresserischen [X.] in Tateinheit mit versuchter räuberischer Erpressung, gefährlicher Körperverletzung, Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen (Tat zu II.2 der Urteilsgründe) sowie wegen Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Beihilfe zur Freiheitsberaubung und Bedrohung (Tat zu [X.]) unter Einbeziehung von anderweitig rechtskräftig gewordenen Strafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und neun Monaten verurteilt. Darüber hinaus hat es den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt. Es hat die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt bei [X.] eines Teils der Freiheitsstrafe angeordnet und Einziehungsentscheidungen getroffen.

2

Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

3

1. Allein die konkurrenzrechtliche Bewertung der unter II.2 und 3 der Urteilsgründe festgestellten Taten hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

4

a) Nach den Feststellungen des [X.]s verbrachten die in Absprache mit dem Angeklagten handelnden Mitangeklagten den Nebenkläger durch Drohung mit körperlicher Gewalt in die Wohnung des Angeklagten, um ihn zur Zahlung von Schulden in Höhe von mindestens 250 € aus Drogengeschäften zu zwingen. Zur Durchsetzung der Forderung, aber auch zur Bestrafung für die vom Nebenkläger vorgebrachten Ausflüchte und Beschwichtigungsversuche schlugen die Mitangeklagten den Nebenkläger mit Händen und Fäusten. Obwohl der Angeklagte und die Mitangeklagten nach einiger [X.] erkannten, dass der Nebenkläger weder Geld noch Wertgegenstände bei sich hatte, ließen sie nicht von ihm ab. Stattdessen setzten sie die Misshandlungen fort und demütigten den Nebenkläger auch durch die Aufnahme von [X.], in denen sie die an ihm vorgenommenen Gewalthandlungen und Demütigungen sowie dessen Verletzungen präsentierten. Der Angeklagte trug zur Steigerung der Aggressivität der Mitangeklagten bei und dirigierte das Geschehen. An den Videoaufnahmen beteiligte er sich und kommentierte sie auch. Im [X.] versetzte er dem Nebenkläger eine heftige Ohrfeige, so dass jener zu Boden ging (Tat zu II.2 der Urteilsgründe).

5

Im Laufe dieses Geschehens - noch vor der Aufnahme der [X.] - hatten die Mitangeklagten den Entschluss gefasst, den Nebenkläger in einen Wald zu fahren, um ihn in Todesangst zu versetzen. Der Angeklagte bekam diese Planung mit und gab zu bedenken, dass die Mitangeklagten den Nebenkläger nicht umbringen dürften. Einer der Mitangeklagten versicherte ihm daraufhin, dass sie den Nebenkläger in den Wald fahren und „nur“ in Todesangst versetzen wollten. Damit war der Angeklagte einverstanden, wodurch die Mitangeklagten in ihrem [X.] bestärkt wurden. Der Angeklagte rechnete damit, dass der Nebenkläger während der Autofahrt von den Mitangeklagten weiter geschlagen würde, was er ebenfalls billigte.

6

Im [X.] an das insgesamt etwa zwei Stunden dauernde Geschehen in der Wohnung setzten die Mitangeklagten ihren besprochenen Plan um. Während der Angeklagte in seiner Wohnung blieb, zwangen sie den Nebenkläger in ein Auto, wobei sie ihn im Laufe der folgenden Fahrt weiter schlugen. Infolge der angekündigten Tötung verspürte der Nebenkläger Todesangst und geriet in Panik. Im Rahmen eines [X.] gelang ihm schließlich die Flucht (Tat zu [X.]).

7

b) Danach fällt die Beihilfehandlung des Angeklagten zu den weiteren Tathandlungen der Mitangeklagten zeitlich und situativ mit dem Geschehen in der Wohnung zusammen. Die Handlungen des Angeklagten im Rahmen des mehraktigen Tatgeschehens stellen sich als eine natürliche Handlungseinheit dar, so dass insoweit nur eine Tat im Rechtssinne vorliegt.

8

Eine natürliche Handlungseinheit setzt voraus, dass zwischen mehreren strafrechtlich erheblichen Verhaltensweisen, die von einem einheitlichen Willen getragen werden, ein unmittelbarer räumlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht und das gesamte Tätigwerden bei natürlicher Betrachtungsweise auch für einen „objektiven“ [X.] als [X.] erscheint (st. Rspr.; vgl. [X.], Urteil vom 11. Juli 2019 - 1 StR 683/18 mwN). So verhält es sich hier. Denn das Geschehen in der Wohnung war von einem einheitlichen Willen des Angeklagten getragen und durch die fortdauernde Zwangslage des [X.] geprägt.

9

Darauf, ob die Geschehen in der Wohnung des Angeklagten und während der Autofahrt durch die Mitangeklagten tatmehrheitlich verwirklicht wurden, kommt es nicht an. Denn bei mehreren Tatbeteiligten ist für jeden nach der Art seines Tatbeitrags die konkurrenzrechtliche Bewertung selbständig zu treffen (st. Rspr.; vgl. [X.], Beschluss vom 2. Juli 2014 - 4 StR 176/14, [X.], 437 mwN).

c) Der Senat ändert insoweit den Schuldspruch; § 265 StPO steht dem nicht entgegen, denn der in dieser Hinsicht geständige Angeklagte hätte sich nicht wirksamer als geschehen verteidigen können.

2. Die Änderung des Schuldspruchs zieht den Wegfall der verhängten [X.] in dem unter [X.] festgestellten Fall, der Gesamtfreiheitsstrafe und des Ausspruchs über den [X.] nach sich. Die zugrundeliegenden Feststellungen werden von der Aufhebung nicht erfasst. Sie können um solche ergänzt werden, die den bisherigen nicht widersprechen.

Der Senat hat auch die Einzelfreiheitsstrafe im Fall II.2 der Urteilsgründe aufgehoben, um dem neuen Tatgericht eine Strafzumessung unter Berücksichtigung des von dem Angeklagten verwirklichten Gesamtunrechts zu ermöglichen, das von der konkurrenzrechtlichen Einordnung der [X.] im Allgemeinen nicht berührt wird ([X.], Beschluss vom 6. Dezember 2012 - 2 StR 294/12). Durch das Verschlechterungsverbot des § 358 Abs. 2 StPO wäre das neue Tatgericht nicht daran gehindert, wegen der nunmehr einheitlich zu ahndenden Straftat eine höhere Strafe als die bislang verhängten [X.] zu verhängen, solange die bisherige Gesamtfreiheitsstrafe nicht überschritten wird ([X.], Beschluss vom 3. Juni 1982 - 4 StR 271/82, [X.] 1983, 210).

Der [X.] (§ 64 StGB) kann ebenso wie die im Fall [X.] verhängte Freiheitsstrafe wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge bestehen bleiben, da diese von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht berührt werden.

3. Da sich das Verfahren nur noch gegen einen Erwachsenen richtet, hat der Senat die Sache an eine allgemeine Strafkammer zurückverwiesen.

Cirener     

        

Ri[X.] Dr. Berger ist
urlaubsbedingt an der
Unterschrift gehindert.

        

Gericke

                 

Cirener

                 
        

Mosbacher     

        

     Resch     

        

Meta

5 StR 144/20

08.07.2020

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Hamburg, 22. Oktober 2019, Az: 617 KLs 12/19 jug

§ 52 StGB, § 53 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.07.2020, Az. 5 StR 144/20 (REWIS RS 2020, 1916)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 1916

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