Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.08.2015, Az. 1 StR 334/15

1. Strafsenat | REWIS RS 2015, 6428

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Gegenstand

Eingehungsbetrug: Ermittlung des Vermögensschadens bei Forderungsabtretung


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 19. März 2015 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen Betrugs in sechs Fällen, in zwei Fällen davon in Tateinheit mit Untreue, verurteilt worden ist, sowie im Ausspruch über die Gesamtstrafe.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung, wegen Betrugs in sechs Fällen, davon in zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit Untreue sowie wegen Untreue in zwei weiteren Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlichem Bankrott zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt.

2

Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen ist sie aus den Gründen der Antragsschrift des [X.] offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

3

1. [X.], in zwei Fällen davon in Tateinheit mit Untreue, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

4

a) [X.] hat bei der Schadensfeststellung im Wege der gebotenen Gesamtsaldierung (vgl. [X.], Beschlüsse vom 18. Februar 2009 - 1 StR 731/08, [X.], 199, 201 und vom 29. Januar 2013 - 2 StR 422/12, [X.], 711) zunächst zutreffend darauf abgestellt, dass für die Schadensberechnung der Wert der von den Geschädigten an die [X.] abgetretenen Forderungen im [X.]punkt der Abtretung entscheidend ist, weil die Zahlungsansprüche der Geschädigten objektiv wertlos waren; denn die von dem Angeklagten vertretene [X.] war von Anfang an nicht bereit, den Kaufpreis für die Forderungen zu entrichten. Den Wert der jeweils abgetretenen Forderung hat das [X.] aber nicht tragfähig bestimmt.

5

b) Ein Vermögensschaden im Sinne des § 263 StGB tritt nur ein, wenn die Vermögensverfügung des [X.] bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise unmittelbar zu einer nicht durch Zuwachs ausgeglichenen Minderung des wirtschaftlichen [X.] seines Vermögens führt (Prinzip der Gesamtsaldierung, vgl. [X.] aaO). Bei der hier vorgenommenen [X.] hat die Strafkammer zu Unrecht die [X.] der Forderungen als Schaden angesetzt. Dieser errechnete sich aus einem Prozentsatz von 20 bis 25 % des „Fair Value". Die sogenannten [X.] sind damit auf eine typisierte Durchschnittsbetrachtung zurückgeführt und stellen schon deshalb keine geeignete Basis für die Schadensbestimmung im Sinne des § 263 StGB dar. Demnach sind die verfahrensgegenständlichen [X.] auch keine Verträge, in denen die Vertragsparteien in einem von Angebot und Nachfrage bestimmten marktwirtschaftlichen System den Wert eines häufig verkauften oder gehandelten Gegenstandes festsetzen, und deshalb bei der Darlegung des Schadens auf nähere Ausführungen verzichtet werden könnte. Hinzu kommt, dass der Angeklagte für die völlig überschuldete [X.] die Forderungen zwar schnell erwerben und verwerten wollte, er von vorneherein jedoch nie vorhatte, den Kaufpreis zu zahlen. Deshalb lässt sich aus dem Kaufpreis kein tragfähiges Indiz für den objektiven Wert der abgetretenen Forderung ableiten.

6

Die Berechnung des wirtschaftlichen Werts der durch die Forderungsabtretung aus dem Vermögen der Geschädigten ohne werthaltigen Gegenanspruch ausgeschiedenen Forderungen hätte das [X.] deshalb - gegebenenfalls im Wege der Schätzung oder mit sachverständiger Hilfe - anhand der insoweit maßgeblichen Wertkriterien (etwa: materiell-rechtliche Begründetheit des Anspruchs nebst Anspruchsgrundlage und -höhe, Beweisbarkeit im Gerichtsverfahren, Bonität des Schuldners, Vergleichsbereitschaft des Schuldners - Einwendungen/Einreden) ermitteln müssen. Für diese Wertermittlung kann als Indiz auch relevant sein, inwieweit eine Forderung später tatsächlich durchgesetzt werden konnte.

7

c) Vor dem Hintergrund, dass in der Mehrzahl der hier abgeurteilten Fälle die Forderungseintreibung erfolglos blieb, kann der [X.] nicht ausschließen, dass die abgetretenen Forderungen im Einzelfall wirtschaftlich wertlos waren und den [X.] deshalb im Ergebnis kein Schaden entstanden ist. Der Rechtsfehler betrifft deshalb nicht nur den Schuldumfang, sondern in jedem Fall auch den Schuldspruch des Betrugs.

8

d) Von dem Rechtsfehler sind auch die zugehörigen Feststellungen betroffen (vgl. § 353 Abs. 2 StPO). Um dem nunmehr zur Entscheidung berufenen Tatgericht insgesamt widerspruchsfreie neue Feststellungen zu ermöglichen, hebt der [X.] sämtliche Feststellungen zu den genannten Taten auf.

9

2. Die Aufhebung des Schuldspruchs wegen Betrugs zieht auch die Aufhebung der [X.] nach sich (vgl. zum Verhältnis Betrug und Untreue RG, Urteil vom 6. Juli 1933 - III 598/33, [X.], 273 ff.; [X.], Urteile vom 22. April 1954 - 4 StR 807/53, [X.]St 6, 67, 68 und vom 22. Juli 1970 - 3 [X.], [X.]St 23, 304, 306; Beschluss vom 20. September 2000 - 3 StR 19/00, [X.], 195, 196; Urteil vom 16. Dezember 2010 - 4 [X.], [X.], 280, 281).

3. Unberührt von der Entscheidung des [X.]s bleibt der Ausspruch des [X.]s zur Kompensation der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung ([X.], Beschluss vom 8. Januar 2013 - 1 StR 641/12 mwN). Der neue Tatrichter wird aber zu prüfen haben, ob die Kompensation im Hinblick auf die nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils verstrichene [X.] zu erhöhen sein wird.

Raum                              Graf                            Jäger

                Mosbacher                       Fischer

Meta

1 StR 334/15

19.08.2015

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Stuttgart, 19. März 2015, Az: 10 KLs 154 Js 55435/06

§ 263 StGB, § 261 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.08.2015, Az. 1 StR 334/15 (REWIS RS 2015, 6428)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 6428

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