Bundesgerichtshof, Beschluss vom 02.09.2020, Az. 5 StR 245/20

5. Strafsenat | REWIS RS 2020, 2005

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Zwangsprostitution: Umfang der erforderlichen Einflussnahme auf die Opfer


Tenor

Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 12. Februar 2020

a) im Schuldspruch dahin geändert, dass die Angeklagten wegen schweren Menschenhandels in zwei Fällen schuldig sind,

b) in den [X.] aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Die weitergehenden Revisionen werden als unbegründet verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat die Angeklagten jeweils wegen schwerer Zwangsprostitution in zwei Fällen zu Gesamtfreiheitsstrafen von einem Jahr und sechs Monaten bzw. von einem Jahr und vier Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die Revisionen der Angeklagten rügen die Verletzung materiellen Rechts. Die Rechtsmittel führen jeweils mit der Sachrüge zu einer Änderung der Schuldsprüche und Aufhebung der Strafaussprüche; im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Die Feststellungen des [X.]s belegen nicht, dass die Angeklagten die bereits zur Prostitution entschlossenen Jugendlichen im Sinne von § 232a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 StGB „veranlasst“ haben, diese Tätigkeit aufzunehmen oder fortzusetzen.

3

a) Allerdings ist das weit zu verstehende Tatbestandsmerkmal des „Veranlassens“ bereits erfüllt durch jedes Handeln des [X.], das mitursächlich für die Entscheidung des Opfers zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution ist (vgl. BT-Drucks. 18/9095, [X.]). Insoweit sind die an die Tathandlung des § 232a Abs. 1 StGB zu stellenden Voraussetzungen gleich geblieben gegenüber jenen, die an den Begriff des „dazu Bringens“ im Sinne der Strafnormen zum Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung in § 232 StGB aF anknüpften, an deren Stelle aufgrund der Novellierung vom 11. Oktober 2016 die Regelungen der Zwangsprostitution (§ 232a StGB) getreten sind. Durch die Neuregelung ist es diesbezüglich zu keinen relevanten Änderungen im Regelungsgehalt der Straftatbestände gekommen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 23. März 2017 - 1 [X.], [X.]R StGB § 2 Abs. 3 Gesetzesänderung 18; vom 29. Oktober 2019 - 3 StR 437/19, [X.], 127; siehe auch BT-Drucks. 18/9095, [X.]).

4

Den Tatbestand der Zwangsprostitution gemäß § 232a StGB erfüllt deshalb nur eine Einflussnahme des [X.], die den Erfolg einer Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution herbeiführt. Der Täter muss also einen bislang nicht vorhandenen Entschluss des Opfers, der Prostitution nachzugehen, erst hervorrufen oder das Opfer von dem von ihm gefassten Entschluss, die Prostitution aufzugeben oder in geringerem Maße auszuüben, abbringen (vgl. zu § 232 StGB, aF, [X.], Urteil vom 17. März 2004 - 2 StR 474/03, [X.], 233, 234; Beschluss vom 7. Juli 2009 - 3 [X.], [X.], 429, 430; siehe zur Neufassung des § 232a auch BT-Drucks. 18/9095, [X.] f.: Das Schutzgut der freien sexuellen Selbstbestimmung des Opfers wird beeinträchtigt, wenn der Täter „es zu einer Entscheidung ‚veranlasst‘, die es ohne sein Dazutun nicht getroffen hätte“).

5

b) Die Angeklagten haben die beiden Geschädigten nach den [X.] Feststellungen nicht in diesem Sinne zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution gebracht, sondern lediglich die Prostitutionsausübung in vielfältiger Weise durch Fahrdienste, Vermittlung von Unterkünften und die Vermittlung an Freier gefördert. Hierdurch haben sie jeweils den Tatbestand des § 232 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a, Abs. 3 Nr. 1 StGB erfüllt. Ihre Unterstützungshandlungen folgten den Entschlüssen der Geschädigten zur Prostitutionsausübung bzw. -fortsetzung nach.

6

2. Schuldsprüche wegen (schwerer) Zwangsprostitution scheiden danach aus. Da nicht zu erwarten ist, dass in neuer Hauptverhandlung insoweit weitergehende Feststellungen als bisher getroffen werden könnten, hat der Senat in analoger Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO und unter Berücksichtigung der vom [X.] nach § 154a Abs. 2 StPO vorgenommenen Beschränkung der Strafverfolgung die Schuldsprüche entsprechend geändert. § 265 StPO steht dem nicht entgegen.

7

3. Trotz der vom [X.] maßvoll erkannten Strafen kann der Senat nicht ausschließen, dass es bei zutreffender rechtlicher Beurteilung aufgrund der niedrigeren Strafrahmenuntergrenze des [X.] des schweren Menschenhandels gemäß § 232 Abs. 3 Satz 1 StGB zu geringeren Einzelstrafen gekommen wäre. Die Aufhebung der Einzelstrafen entzieht auch den Aussprüchen über die Gesamtstrafen die Grundlage.

8

4. Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht, weil diese rechtsfehlerfrei getroffen sind (§ 353 Abs. 2 StPO); sie dürfen um solche ergänzt werden, die den bisherigen nicht widersprechen.

Cirener     

        

Berger     

        

[X.]

        

Resch     

        

von Häfen     

        

Meta

5 StR 245/20

02.09.2020

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Berlin, 12. Februar 2020, Az: 518 KLs 49/19

§ 232 Abs 1 S 1 Nr 1 Buchst a StGB, § 232 Abs 3 S 1 Nr 1 StGB, § 232a Abs 1 Nr 1 StGB, § 232a Abs 4 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 02.09.2020, Az. 5 StR 245/20 (REWIS RS 2020, 2005)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 2005

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

3 StR 132/20 (Bundesgerichtshof)

Voraussetzungen des Grundtatbestands der Zwangsprostitution sowie des Qualifikationstatbestands der schweren Zwangsprostitution durch List


2 StR 348/22 (Bundesgerichtshof)


1 StR 65/22 (Bundesgerichtshof)

Versuchte schwere Zwangsprostitution: Tatvollendung und unmittelbares Ansetzen


4 StR 370/21 (Bundesgerichtshof)

Schwere Zwangsprostitution: Erfüllung des Qualifikationstatbestandes nur bei Unterschreitung der Schutzaltersgrenze von 18 Jahren


4 StR 336/17 (Bundesgerichtshof)

Wiederholungsabsicht bei gewerbsmäßigen Menschenhandel und Zuhälterei


Referenzen
Wird zitiert von

2 StR 348/22

Zitiert

1 StR 607/16

3 StR 437/19

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.