Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 17.11.2011, Az. 10 C 13/10

10. Senat | REWIS RS 2011, 1318

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Gegenstand

Subsidiärer unionsrechtlicher Abschiebungsschutz; Streitgegenstand; Rechtsschutzinteresse; individuelle Gefahr; Beweiserleichterung; Gefahrendichte


Leitsatz

1. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG (juris: AufenthG 2004) verlangt für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr, dass dem Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Schaden an den Rechtsgütern Leib oder Leben droht.

2. Für die Feststellung der erforderlichen Gefahrendichte bedarf es neben der quantitativen Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos einer wertenden Gesamtbetrachtung, die auch die medizinische Versorgungslage würdigt.

Tatbestand

1

Der Kläger, ein [X.] Staatsangehöriger, erstrebt [X.] wegen ihm im [X.] drohender Gefahren.

2

Der 1976 in [X.] geborene Kläger ist [X.] Volkszugehöriger sunnitischen Glaubens. Zur Begründung des im Juli 2001 beim [X.] (jetzt: [X.] - [X.] -) gestellten Asylantrags gab er an, dass er in [X.] ein Lebensmittelgeschäft betrieben habe. Eine von einem Kunden in seinem Laden abgestellte Tasche, die Flugblätter von Schiiten enthalten habe, sei von einem Unbekannten inspiziert worden. Sein Vater habe ihm daraufhin zur Flucht geraten und sei seinetwegen später verhaftet worden. Er befürchte, wegen des Vorfalls getötet oder lebenslang inhaftiert zu werden. Mit Bescheid vom 14. September 2001 lehnte das [X.] den Asylantrag des [X.] ab, stellte jedoch fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 51 Abs. 1 AuslG 1990 (inzwischen § 60 Abs. 1 [X.]) hinsichtlich des [X.] vorliegen. Es sei davon auszugehen, dass der Kläger aufgrund der illegalen Ausreise und der Asylantragstellung verfolgt werde.

3

Wegen der veränderten politischen Verhältnisse im [X.] widerrief das [X.] am 16. März 2006 die Flüchtlingsanerkennung und stellte zugleich fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 [X.] nicht vorliegen.

4

Die hiergegen erhobene Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Urteil vom 1. Februar 2007 im Wesentlichen ausgeführt, der Widerruf sei rechtmäßig, weil der Kläger im [X.] nach dem Sturz des Regimes von [X.] keine Verfolgung mehr zu befürchten habe. Er könne auch keine Feststellung von [X.] nach § 60 Abs. 2 bis 7 [X.] bzw. subsidiären Schutz gemäß Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/[X.] beanspruchen. Im [X.] liege kein landesweiter innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vor. Zudem habe der Kläger die Möglichkeit, in Teilen des [X.] internen Schutz zu finden. Im Übrigen stehe die Erlasslage des [X.], die bei allgemeinen Gefahren vergleichbaren [X.] biete, der Gewährung [X.] subsidiären Schutzes entgegen.

5

Während des Revisionsverfahrens hat der Kläger seine Revision hinsichtlich des Widerrufs der Flüchtlingsanerkennung zurückgenommen. Der erkennende Senat hat mit Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 44.07 - das Revisionsverfahren insoweit eingestellt. Im Übrigen hat er, soweit die Verpflichtung zur Feststellung unionsrechtlichen [X.]es aus § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 [X.] und hilfsweise nationalen [X.]es aus § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 [X.] begehrt wird, das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Zur Begründung hat er darauf abgestellt, dass § 60 Abs. 7 Satz 2 [X.] keinen landesweiten bewaffneten Konflikt voraussetze. Die zusätzliche Annahme des Berufungsgerichts, der Kläger könne innerhalb des [X.] internen Schutz finden, beruhe auf einer zu schmalen Tatsachengrundlage. Schließlich verletze der Verweis auf die Aussetzung von Abschiebungen durch ministerielle Erlasse revisibles Recht. Denn § 60 Abs. 7 Satz 3 [X.] sei richtlinienkonform dahin auszulegen, dass die Sperrwirkung nicht greife, wenn die Voraussetzungen des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/[X.] erfüllt seien.

6

Während des neuen Berufungsverfahrens hat die Beklagte darauf hingewiesen, dass der Kläger im Besitz einer Niederlassungserlaubnis sei. Damit sei sein Aufenthalt gesichert und es komme auf subsidiären Schutz nicht mehr an.

7

Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung des [X.] mit Urteil vom 21. Januar 2010 zurückgewiesen, soweit sie sich auf das noch anhängige Begehren zur Feststellung von [X.] nach § 60 Abs. 2 bis 7 [X.] bezieht. Die Berufung sei zulässig, denn für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 bis 7 [X.] bestehe ein Rechtsschutzbedürfnis, obwohl der Kläger mittlerweile im Besitz einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 [X.] sei. Die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach Art. 18 der Richtlinie 2004/83/[X.] könne dem Kläger eine zusätzliche Rechtsposition vermitteln. Die Berufung sei aber unbegründet. Mit Blick auf § 60 Abs. 7 Satz 2 [X.] führt das Berufungsgericht aus, es könne dahinstehen, ob die im [X.] seit 2003 andauernden und durch staatliche Sicherheitskräfte bekämpften terroristischen Handlungen nach Intensität und Größenordnung als innerstaatlicher bewaffneter Konflikt zu qualifizieren seien. Jedenfalls sei der Kläger keiner erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt. An seinem Herkunftsort in [X.] bestehe keine so hohe Gefahrendichte, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt sei. Dies ergebe sich aus der Zahl der Anschläge und der Anzahl der Opfer im Verhältnis zur Einwohnerzahl. Die Wahrscheinlichkeit, durch einen Terroranschlag in der [X.] verletzt oder getötet zu werden, habe 2009 ca. 0,12 % oder ca. 1:800 pro Jahr betragen. Für eine Verschärfung der Sicherheitslage gebe es keine Anhaltspunkte. Gefahrerhöhende individuelle Umstände seien bei dem Kläger nicht ersichtlich. Die Voraussetzungen des hilfsweise begehrten nationalen [X.]es (§ 60 Abs. 7 Satz 1 und § 60 Abs. 5 [X.]) lägen ebenfalls nicht vor.

8

Mit seiner vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Revision wendet sich der Kläger allein gegen die Ablehnung der Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 [X.]. Er rügt, der Verwaltungsgerichtshof habe bei der Ermittlung der Gefahrendichte auf die im Rahmen der Gruppenverfolgung entwickelten Kriterien der Verfolgungsdichte abgestellt, ohne zwischen den Schutzsystemen zu differenzieren und die Besonderheiten des subsidiären Schutzes zu berücksichtigen. Auch seien die in das Verfahren eingeführten Quellen zur Häufigkeit von Anschlägen im [X.] und zur Zahl der Toten und Verletzten nicht interpretiert und bewertet worden.

9

Die Beklagte verteidigt das Berufungsurteil.

Entscheidungsgründe

Die Revision des [X.], ü[X.] die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 i.V.m. § 141 Satz 1 und § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO), ist unbegründet. Das Berufungsgericht hat die begehrte Verpflichtung zur Gewährung subsidiären unionsrechtlichen [X.]es ohne Verstoß gegen [X.] (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) abgelehnt.

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur noch das Verpflichtungsbegehren auf Gewährung subsidiären unionsrechtlichen [X.]es. Die darü[X.] hinausgehende Beschränkung des [X.] auf das Vorliegen eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 [X.] erweist sich als unwirksam. Denn der geltend gemachte Anspruch auf Verpflichtung zur Gewährung von [X.] nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 [X.] (entsprechend den Voraussetzungen für den subsidiären Schutz in Art. 15 der Richtlinie 2004/83/[X.] vom 29. April 2004 ü[X.] [X.] für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und ü[X.] den Inhalt des zu gewährenden Schutzes ([X.] 304 S. 12; [X.]. ABl [X.] vom 5. August 2005 Nr. L 204 S. 24) bildet nach dem dafür maßgeblichen materiellen Recht einen einheitlichen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand (Urteile vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 [X.] 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 11 und vom 8. Septem[X.] 2011 - BVerwG 10 [X.] - zur [X.] in der Sammlung BVerwGE vorgesehen - Rn. 16). Eine Revision kann daher nicht wirksam auf einzelne materielle Anspruchsgrundlagen dieses einheitlichen prozessualen Anspruchs beschränkt werden (Urteil vom 27. April 2010 - BVerwG 10 [X.] 5.09 - BVerwGE 136, 377 Rn. 13).

Für diesen [X.] ist, obwohl der Kläger mittlerweile eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 [X.] besitzt, entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten das Rechtsschutzinteresse nicht entfallen. Dieses Interesse fehlt nur, wenn die Klage für den Kläger offensichtlich keinerlei rechtliche oder tatsächliche Vorteile bringen kann (Urteil vom 29. April 2004 - BVerwG 3 [X.] 25.03 - BVerwGE 121, 1 <3>). Der Beklagten ist einzuräumen, dass sich nach nationalem Aufenthaltsrecht die Rechtsstellung eines Ausländers in der Situation des [X.], der im Besitz einer Niederlassungserlaubnis gemäß § 26 Abs. 4 [X.] ist, durch die Zuerkennung unionsrechtlichen [X.]es derzeit nicht verbessern kann. Diese Betrachtung greift a[X.] zu kurz. Denn aus dem Umsetzungsdefizit des [X.] Gesetzge[X.]s, der - entgegen den unionsrechtlichen Vorgaben der Richtlinie 2004/83/[X.] im 5. Erwägungsgrund, in Art. 2 Buchst. f und in Art. 18 - den Status des subsidiär Schutz[X.]echtigten im nationalen Recht nicht explizit ausgeformt hat, darf für den Kläger kein Nachteil entstehen (vgl. auch Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 [X.] 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 13). Er hat daher ein legitimes Interesse, dass trotz seiner gesicherten aufenthaltsrechtlichen Stellung mit Blick auf diesen Schutzstatus und die damit einhergehenden Vergünstigungen ü[X.] das Bestehen eines unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbots entschieden wird.

Die zulässige Klage ist a[X.] unbegründet. Auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen, nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und das Revisionsgericht daher bindenden tatsächlichen Feststellungen (§ 137 Abs. 2 VwGO) greift keines der auf Unionsrecht [X.]uhenden Abschiebungsverbote (§ 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 [X.]).

1. Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 [X.] ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist. Diese Bestimmung entspricht nach der Rechtsprechung des Senats trotz geringfügig abweichender Formulierungen den Vorgaben des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/[X.] und ist in diesem Sinne auszulegen (Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 [X.] 43.07 - BVerwGE 131, 198 Rn. 17 und Rn. 36).

Das Berufungsgericht hat offen gelassen, ob die im [X.] seit 2003 andauernden und durch staatliche Sicherheitskräfte bekämpften terroristischen Handlungen nach Intensität und Größenordnung als innerstaatlicher bewaffneter Konflikt anzusprechen sind, weil der Kläger auch bei Annahme eines derartigen Konflikts keiner erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt wären. Das hält revisionsgerichtlicher Nachprüfung stand.

a) Für seine Prognose, ob der Kläger bei Rückkehr in den [X.] einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben infolge willkürlicher Gewalt ausgesetzt ist, hat der Verwaltungsgerichtshof zu Recht auf die tatsächlichen Verhältnisse in seiner Herkunftsregion [X.] abgestellt. Dort hat der Kläger zuletzt gelebt, so dass die Annahme gerechtfertigt ist, dass er dorthin zurückkehren wird (Urteil vom 14. Juli 2009 - BVerwG 10 [X.] 9.08 - BVerwGE 134, 188 Rn. 17).

b) Das Berufungsgericht hat des Weiteren zutreffend geprüft, ob von dem - zugunsten des [X.] unterstellten - bewaffneten Konflikt in der Region von [X.] für eine Vielzahl von Zivilpersonen eine allgemeine Gefahr ausgeht, die sich in der Person des [X.] so verdichtet, dass sie für diesen eine erhebliche individuelle Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 [X.] darstellt. Denn auch eine von einem bewaffneten Konflikt ausgehende allgemeine Gefahr kann sich individuell verdichten und damit die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 [X.] und des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/[X.] erfüllen (Urteil vom 24. Juni 2008 a.a.[X.] Rn. 34).

Eine derartige Individualisierung kann sich bei einem hohen Niveau willkürlicher Gewalt für die Zivilbevölkerung aus gefahrerhöhenden Umständen in der Person des Betroffenen ergeben. Dazu gehören in erster Linie persönliche Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - z.B. als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Möglich sind a[X.] auch solche persönlichen Umstände, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht [X.]eits die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt (Urteil vom 27. April 2010 - BVerwG 10 [X.] 4.09 - BVerwGE 136, 360 Rn. 33). [X.] individuelle Umstände hat das Berufungsgericht bei dem Kläger nicht festgestellt ([X.]); dem ist der Kläger mit der Revision auch nicht entgegengetreten.

Eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr kann a[X.] auch dann, wenn individuelle gefahrerhöhende Umstände fehlen, ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen [X.] gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (Urteil vom 14. Juli 2009 a.a.[X.] Rn. 15 mit Verweis auf [X.], Urteil vom 17. Februar 2009 - [X.]. [X.]/07, [X.] - Slg. 2009, [X.] = NVwZ 2009, 705). Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich (Urteil vom 27. April 2010 a.a.[X.] Rn. 33).

In jedem Fall setzt § 60 Abs. 7 Satz 2 [X.] für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr voraus, dass dem Betroffenen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Schaden an den Rechtsgütern Leib oder Leben droht. Das ergibt sich aus dem Tatbestandsmerkmal "... tatsächlich Gefahr liefe ..." in Art. 2 Buchst. e der Richtlinie 2004/83/[X.]. Der darin enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des [X.]. Dieser stellt bei der Prüfung des Art. 3 [X.] auf die tatsächliche Gefahr ab ("real risk"; vgl. nur [X.]MR ([X.]), Urteil vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, [X.]/[X.] - NVwZ 2008, 1330 ); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (Urteil vom 27. April 2010 a.a.[X.] Rn. 22 zu § 60 Abs. 2 [X.] und Art. 15 Buchst. b Richtlinie 2004/83/[X.]).

Gemäß § 60 Abs. 11 [X.] gilt für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 2 [X.] u.a. die Beweisregel des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/[X.]. Danach ist die Tatsache, dass ein Antragsteller [X.]eits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Beweiserleichterung in Gestalt einer widerleglichen tatsächlichen Vermutung setzt a[X.] auch im Rahmen des subsidiären Schutzes voraus, dass ein innerer Zusammenhang zwischen dem vor der Ausreise erlittenen oder damals unmittelbar drohenden Schaden (Vorschädigung) und dem befürchteten künftigen Schaden besteht. Denn die der Vorschrift zugrunde liegende Wiederholungsvermutung [X.]uht wesentlich auf der Vorstellung, dass eine Verfolgungs- oder Schadenswiederholung - bei gleichbleibender Ausgangssituation - aus tatsächlichen Gründen naheliegt (Urteil vom 27. April 2010 a.a.[X.] Rn. 31).

Eine für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr ausreichende Gefahrendichte hat das Berufungsgericht für den Bereich der Stadt [X.] verneint. Es hat - in Anlehnung an die Vorgehensweise zur Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts (vgl. dazu Urteil vom 18. Juli 2006 - BVerwG 1 [X.] 15.05 - BVerwGE 126, 243 Rn. 20 ff.) - aufgrund aktueller Quellen die Gesamtzahl der in der [X.] und deren Hauptstadt [X.] lebenden Zivilpersonen annäherungsweise ermittelt und dazu die Häufigkeit von Akten willkürlicher Gewalt sowie der Zahl der dabei Verletzten und Getöteten in Beziehung gesetzt. Dabei hat es festgestellt, dass das Risiko, in der [X.] verletzt oder getötet zu werden, für das gesamte Jahr 2009 ungefähr 1:800 betrug. Einen Trend zur Verschlechterung der Sicherheitslage vermochte es nicht festzustellen ([X.]). Seine auf der Grundlage dieser Feststellungen gezogene Schlussfolgerung, dass der Kläger bei seiner Rückkehr in sein Herkunftsland keiner erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben infolge willkürlicher Gewalt ausgesetzt ist, ist revisionsgerichtlich im Ergebnis nicht zu beanstanden.

Zwar bedarf es - wie die Revision im Ansatz zu Recht rügt - neben dieser quantitativen Ermittlung auch einer wertenden Gesamtbetrachtung des statistischen Materials mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung (Urteil vom 27. April 2010 a.a.[X.] Rn. 33). Zu dieser wertenden Betrachtung gehört jedenfalls auch die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in dem jeweiligen Gebiet, von deren Qualität und Erreichbarkeit die Schwere eingetretener körperlicher Verletzungen mit Blick auf die den Opfern dauerhaft verbleibenden Verletzungsfolgen abhängen kann. Der Mangel in der Vorgehensweise des Berufungsgerichts bleibt a[X.] im vorliegenden Fall ohne Folgen. Denn die Höhe des vom Berufungsgericht festgestellten Risikos eines dem Kläger drohenden Schadens ist so weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt, dass sich der Mangel im Ergebnis nicht auszuwirken vermag.

Auch der Umstand, dass der Verwaltungsgerichtshof nicht auf die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/[X.] eingegangen ist, verhilft der Revision nicht zum Erfolg, denn das Vorfluchtschicksal des [X.] gab dazu keinen Anlass. Dieses lässt keine Beeinträchtigung erkennen, die auch unter dem Blickwinkel des Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/[X.] die Qualität einer Vorschädigung erreichen könnte. Zudem bestünde kein sachlicher Zusammenhang mit den nunmehr im [X.] drohenden Gefahren.

2. Das Berufungsgericht hat auch die Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 2 und 3 [X.] in den Blick genommen, sie a[X.] nicht als durchgreifend angesehen. Dagegen bestehen aus revisionsgerichtlicher Sicht keine Bedenken.

Meta

10 C 13/10

17.11.2011

Bundesverwaltungsgericht 10. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 21. Januar 2010, Az: 13a B 08.30285, Urteil

§ 60 Abs 2 AufenthG 2004, § 60 Abs 3 AufenthG 2004, § 60 Abs 7 S 2 AufenthG 2004, Art 2 Buchst e EGRL 83/2004, Art 4 Abs 4 EGRL 83/2004, Art 15 Buchst c EGRL 83/2004, Art 18 EGRL 83/2004

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 17.11.2011, Az. 10 C 13/10 (REWIS RS 2011, 1318)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 1318

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Referenzen
Wird zitiert von

3 A 1194/17 As HGW

3 A 676/17 As HGW

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Au 5 K 16.31189

Au 5 K 16.31243

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3 A 3364/17 As SN

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8 A 8150/16

11 A 3406/17

8 A 1135/17

8 A 4134/17

3 A 17/17

4 LB 50/16

4 LB 51/16

8 A 11005/17

Au 9 K 20.30218

AN 17 K 19.31331

AN 17 K 17.34711

M 11 K 17.38867

Au 9 K 20.30436

B 8 K 17.32211

M 11 K 17.41381

Au 9 K 18.30285

M 16 K 17.41340

Au 9 S 20.30557

AN 17 K 17.36034

AN 17 K 18.31437

AN 17 K 16.31691

Au 9 K 17.35055

Au 9 K 19.30603

RN 12 K 17.33130

Au 9 K 17.35117

AN 18 K 16.30257

M 11 K 17.34454

AN 18 K 16.31262

W 9 K 19.30941

Au 9 K 17.32148

Au 5 K 17.31133

Au 5 K 16.31414

M 18 K 17.35707

Au 5 K 17.32950

Au 5 K 17.30524

W 10 S 18.50534

M 26 K 17.38736

M 24 E 18.33442

M 26 K 17.40445

W 10 S 18.50501

Au 5 K 17.32112

M 26 K 17.38760

M 26 K 17.35228

W 8 K 18.30770

W 8 K 18.30771

W 8 K 18.30790

M 26 K 17.38822

M 6 K 18.30761

Au 5 K 17.31192

W 8 K 17.33618

M 11 K 17.32342

M 21 K 17.41757

Au 5 K 17.32123

Au 5 K 17.30690

11 ZB 17.31950

M 26 K 17.37464

M 26 K 17.37440

Au 5 K 17.30441

M 21 S 17.42430

Au 5 K 17.30611

M 24 K 17.30469

M 26 K 17.36145

M 26 K 17.35166

W 2 K 17.33587

M 21 S 17.42542

M 26 K 17.36197

20 B 17.30947

B 6 K 17.30100

M 11 K 17.30754

B 6 K 17.31734

B 6 K 16.31892

Au 7 K 17.30377

M 11 K 16.36509

M 17 K 17.31322

M 17 K 17.31284

M 17 K 17.32955

M 17 K 17.31387

M 17 K 17.31325

M 17 K 17.31327

M 17 K 17.31276

M 17 K 17.31283

B 6 K 17.30678

M 17 K 17.34308

M 17 K 17.32869

11 K 16.33901 710

M 17 K 17.31268

B 6 K 17.30573

M 11 K 16.35887

B 6 K 17.30836

Au 7 S 17.33192

M 17 K 17.31270

B 6 K 17.30337

M 11 K 17.37884

M 17 K 16.35674

M 24 K 16.34946

M 17 K 17.31335

M 17 K 17.31308

M 17 K 17.31275

W 2 K 17.32898

M 17 K 17.32936

M 17 K 17.32867

M 26 K 17.30834

M 17 K 17.31307

M 17 K 16.34971

B 3 K 16.31657

M 17 K 16.35022

M 11 K 16.34746

M 23 K 16.30377

B 3 K 16.30578

M 11 K 14.30712

M 11 K 13.30992

M 23 K 14.31198

M 25 K 14.30918

M 11 K 14.30765

M 11 K 14.30280

M 11 K 15.31047

M 23 K 14.31121

M 4 K 13.30844

M 11 K 14.30595

AN 11 K 16.30149

RN 12 K 16.30837

W 1 K 16.30842

M 11 K 14.30194

M 4 K 13.30689

M 23 K 14.30585

M 4 K 16.30558

M 4 K 13.30562

M 4 K 13.31025

M 23 K 14.30636

M 4 K 13.30031

M 11 K 14.31130

M 4 K 13.30639

M 11 K 13.30997

M 23 K 13.30979

M 23 K 13.30964

M 23 K 11.30328

M 23 K 13.31345

M 23 K 13.31365

Au 7 K 14.30546

RN 7 K 14.30016

RO 7 K 13.30801

W 9 K 19.31811

Au 9 K 19.30382

Au 9 K 17.34947

M 26 K 17.35170

W 5 K 19.30994

M 26 K 17.40464

B 6 K 17.30075

M 26 K 17.40450

M 2 K 17.42783

Au 6 K 17.33115

M 11 K 16.33457

M 31 K 17.30013

W 5 K 16.32013

B 6 K 16.31956

M 26 K 17.37506

M 17 K 16.35697

W 5 K 16.31236

M 17 K 17.32716

M 11 K 17.30199

11 ZB 17.30768

M 17 K 17.31320

M 17 K 16.35539

M 17 K 16.35648

M 17 K 16.35014

29 K 10078/18.A

29 K 1915/19.A

Au 9 K 22.30135

RO 14 K 22.30745

RN 13 S 23.31428

M 11 K 21.30073

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