Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 17.06.2014, Az. VI ZR 281/13

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 4872

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
VI [X.]
Verkündet am:

17. Juni 2014

Holmes

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
[X.] § 254 Abs. 1 Da; StVG
Der Schadensersatzanspruch eines Radfahrers, der im Straßenverkehr bei ei-nem Verkehrsunfall Kopfverletzungen erlitten hat, die durch das Tragen eines Schutzhelms zwar nicht verhindert, wohl aber hätten gemildert werden können, ist jedenfalls bei [X.] bis zum [X.] grundsätzlich nicht wegen Mitverschuldens gemäß § 9 StVG, §
254 Abs.
1 [X.] gemindert.
[X.], Urteil vom 17. Juni 2014 -
VI [X.] -
OLG [X.]

LG Flensburg

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Der VI.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 17.
Juni 2014 durch den Vorsitzenden [X.] und die Richter
[X.], Pauge, [X.] und Offenloch
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 7. Zivilsenats des [X.] in [X.] vom 5.
Juni 2013 aufgehoben, soweit zu ihrem Nachteil erkannt [X.] ist.
Die Berufung der [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 12. Januar 2012 wird insgesamt zurückgewiesen.
Die [X.] haben die Kosten der Rechtsmittel zu tragen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:
Die Klägerin begehrt Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall, der sich am 7. April 2011 ereignete. Sie befuhr gegen 15:45 Uhr mit ihrem Fahrrad die C.-Straße in [X.] in Richtung [X.] auf dem Weg zu ihrer dort gelegen [X.]. Am rechten Fahrbahnrand parkte die Beklagte zu 1 mit ihrem bei der [X.] zu 2 haftpflichtversicherten Pkw. Die Beklagte zu 1 öffnete unmittel-1

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bar vor der sich nähernden Klägerin die Fahrertür. Die Klägerin konnte nicht mehr ausweichen, prallte gegen die Tür, stürzte zu Boden und fiel auf den [X.]. Dabei zog sich die Klägerin, die keinen Fahrradhelm trug, schwere [X.] zu. Es steht außer Streit, dass die Beklagte zu 1 den Unfall allein verursacht hat. Die [X.] lasten der Klägerin jedoch ein [X.] von 50 % an, weil sie [X.] getragen hat. Die Beklagte zu 2 hat ihre hälftige Eintrittspflicht außergerichtlich anerkannt.
Das [X.] hat der Feststellungsklage stattgegeben. Auf die Beru-fung der [X.] hat das [X.] das Urteil des [X.]s teil-weise abgeändert und -
unter Abweisung der Klage im Übrigen
-
dem Feststel-lungsbegehren mit einer Haftungsquote von (nur) 80 % entsprochen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt die Klägerin
die Wieder-herstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung u.a. in [X.], 353 veröf-fentlicht ist, lastet der Klägerin ein Mitverschulden von 20 % an, weil sie als Radfahrerin [X.] getragen und damit Schutzmaßnahmen zu ihrer eige-nen Sicherheit unterlassen habe. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe fest, dass das Nichttragen eines Schutzhelms für das Ausmaß der erlitte-nen Kopfverletzungen ursächlich sei. Der Sachverständige Prof. Dr. [X.] habe dargelegt, dass die eingetretenen Verletzungsfolgen auf eine massive Gewalt-einwirkung auf den Kopf der Klägerin hindeuteten. Das Verletzungsmuster spreche für eine überwiegend lineare Akzeleration und Krafteinwirkung in Längsrichtung des Kopfes. Gerade bei linearen Krafteinwirkungen mit entspre-2
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chenden Hirnquetschungen an den Grenzen des Schädels und bei Schädelbrü-chen böten Fahrradhelme (im Gegensatz zu Verletzungen durch Rotationsbe-schleunigungen des Kopfes oder durch penetrierende Gewalteinwirkung) den größten Schutz. Die [X.]e hätten die Funktion einer Knautschzone, welche die stumpf einwirkenden Energien absorbiere. [X.] des Aufpralls werde auf eine größere Fläche verteilt und dadurch abgemildert. Damit würden die Wahr-scheinlichkeit eines Schädelbruchs verringert und die Bewegung des Gehirns, das auf der gegenüberliegenden Seite eine weniger starke Quetschung erfahre (sogenannte Contre-coup-Verletzung), gebremst. Da ein Fahrradhelm naturge-mäß seine
größte Schutzwirkung
bei einem leichten bis mittelgradigen Trauma
entfalte und beim [X.] der Klägerin nach Art und Schwere eine starke Krafteinwirkung auf den Kopf stattgefunden habe, hätte [X.] das Trauma zwar nicht verhindern, aber zumindest in einem gewissen Umfang verringern können.
Entgegen der bisher herrschenden obergerichtlichen Rechtsprechung begründe das Radfahren ohne Schutzhelm bei einer Kopfverletzung durch [X.] auch den Vorwurf des Mitverschuldens, wenn der Radfahrer am öffentlichen Straßenverkehr teilnehme. Auch ohne einen Verstoß gegen gesetz-liche Vorschriften sei ein Mitverschulden anzunehmen, wenn der Geschädigte diejenige Sorgfalt außer Acht lasse, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflege; er müsse sich insoweit verkehrsrichtig verhalten. Dies bestimme sich nicht nur nach den ge-schriebenen Regeln der Straßenverkehrsordnung, sondern auch nach den kon-kreten Umständen
und Gefahren im Verkehr sowie nach dem, was den [X.] zumutbar sei, um diese Gefahr möglichst gering zu halten. Das allgemeine Verkehrsbewusstsein in Bezug auf das Tragen von Schutzhel-men beim Fahrradfahren habe sich in den letzten Jahren stark gewandelt. Nach dem heutigen Erkenntnisstand könne grundsätzlich davon ausgegangen wer-4

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den, dass ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens beim Radfahren [X.] trage, wenn er sich in den öffentlichen Straßenverkehr begebe.

II.
Die Revision hat Erfolg. Die Auffassung des Berufungsgerichts, die [X.] der Klägerin auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens ge-mäß §§
7, 18 StVG -
bezüglich der [X.] zu 2 in Verbindung mit §
115 VVG
-
seien wegen Mitverschuldens gemäß §
9 StVG, §
254 Abs.
1 [X.] ge-mindert, weil die Klägerin keinen Fahrradhelm getragen habe, hält der [X.] Nachprüfung nicht stand.
1. Die Entscheidung über eine Haftungsverteilung im Rahmen des §
254 [X.] ist allerdings grundsätzlich Sache des Tatrichters und im [X.] nur darauf zu überprüfen, ob dieser alle in Betracht kommenden Umstände vollständig und richtig berücksichtigt und der Abwägung rechtlich zulässige Er-wägungen zugrunde gelegt hat (vgl. Senatsurteile vom 12. Juli 1988 -
VI
ZR 283/87, [X.], 1238, 1239; vom 5. März 2002 -
VI
ZR 398/00, [X.], 613, 615 f.;
vom 25. März 2003 -
VI
ZR 161/02, [X.], 783, 785
f.,
und vom 28. Februar 2012 -
VI
ZR 10/11, [X.], 772, Rn.
6, jeweils mwN; [X.], Urteile vom 20. Juli 1999 -
X
ZR 139/96, [X.], 217, 219,
und vom 14. September 1999 -
X
ZR 89/97, [X.], 280, 281 f.). In erster Linie ist hierbei nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben (Senatsurteil vom 20. September 2011 -
VI
ZR 282/10, [X.], 1540 Rn.
14 mwN). Nach den vom Berufungsgericht getroffenen und von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen war das Nichttragen 5
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eines Fahrradhelms ursächlich für das Ausmaß der von der Klägerin erlittenen Kopfverletzungen. [X.] hätte das bei dem Sturz erlittene Schädel-Hirn-Trauma zwar nicht verhindern können. [X.] habe aber die Funktion einer Knautschzone, welche die stumpf einwirkenden Energien absorbiere. [X.] des Aufpralls werde auf eine größere Fläche verteilt und dadurch abgemildert. Im vorliegenden Fall hätte ein Fahrradhelm die Verletzungsfolgen deshalb [X.] in einem gewissen Umfang verringern können.
2. Die durch das Nichttragen eines Fahrradhelms begründete objektive Mitverursachung hinsichtlich des Ausmaßes der von der Klägerin erlittenen [X.] führt entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts jedoch nicht zu einer [X.] gemäß §
254 Abs.
1 [X.].
a) Der Vorschrift des §
254 [X.] liegt der allgemeine Rechtsgedanke zu-grunde, dass der Geschädigte für jeden Schaden mitverantwortlich ist, bei [X.] Entstehung er in zurechenbarer Weise mitgewirkt hat (vgl. [X.], Urteil vom 18. April 1997 -
V
ZR 28/96, [X.]Z 135, 235, 240 mwN). §
254 [X.] ist eine Ausprägung des in §
242 [X.] festgelegten Grundsatzes von Treu und Glauben (Senatsurteile vom 14. März 1961 -
VI
ZR 189/59, [X.]Z 34, 355, 363 f.,
und vom 22. September 1981 -
VI
ZR 144/79, [X.], 1178, 1179
mwN). Da die Rechtsordnung eine Selbstgefährdung und Selbstbeschädigung nicht ver-bietet, geht es im Rahmen von §
254 [X.] nicht um eine rechtswidrige Verlet-zung einer gegenüber einem anderen oder gegenüber der Allgemeinheit beste-henden Rechtspflicht, sondern nur um einen Verstoß gegen Gebote der eige-nen Interessenwahrnehmung, also um die
Verletzung einer sich selbst gegen-über bestehenden Obliegenheit (vgl. Senatsurteil vom 17. November 2009 -
VI
ZR 58/08, [X.], 270 Rn.
16 mwN; [X.], Urteile vom 14. Oktober 1971 -
VII
ZR 313/69, [X.]Z 57, 137, 145; vom 18. April 1997 -
V
ZR 28/96, aaO, und
vom 29. April 1999 -
I
ZR 70/97, [X.], 474). Die vom Gesetz 7
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vorgesehene Möglichkeit der Anspruchsminderung des Geschädigten beruht auf der Überlegung, dass jemand, der diejenige Sorgfalt außer acht lässt, die nach Lage der Sache erforderlich erscheint, um sich selbst vor Schaden zu be-wahren, auch den Verlust oder die Kürzung seiner Ansprüche hinnehmen muss (vgl. Senatsurteil vom 29. April 1953 -
VI
ZR 63/52, [X.]Z 9, 316, 318 f.), weil es im Verhältnis zwischen Schädiger und Geschädigtem unbillig erscheint, dass jemand für den von ihm erlittenen Schaden trotz eigener Mitverantwortung [X.] Ersatz fordert (vgl. Senatsurteile vom 14. März 1961 -
VI
ZR 189/59, aaO,
und vom 22. September 1981 -
VI
ZR 144/79, aaO; [X.], Urteil vom 14. Mai 1998 -
I
ZR 95/96, [X.], 1443, 1445).
Eine [X.] gemäß §
254 Abs.
1 [X.] hängt nicht davon ab, dass der Geschädigte eine Rechts-pflicht verletzt hat (vgl. [X.]/[X.], 6.
Aufl., §
254 Rn.
3 mwN). Insbesondere ist es nicht erforderlich, dass er gegen eine gesetzliche Vorschrift (vgl. Senatsurteil vom 30. Januar 1979 -
VI
ZR 144/77,
[X.], 369 f. mwN) oder eine andere Verhaltensanweisung wie etwa eine Unfallverhütungs-vorschrift verstoßen hat (vgl. Senatsurteile vom 10. März
1970 -
VI
ZR 218/68, -
VI ZR 86/69, [X.], 469, 470; vom 25. Januar 1983 -
VI
ZR 92/81, [X.], 440 und vom 10. März 1987 -
VI
ZR 123/86, [X.], 781).
b)
Ein Mitverschulden des Verletzten im Sinne von §
254 Abs.
1 [X.] ist bereits dann anzunehmen, wenn dieser diejenige Sorgfalt außer acht lässt, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflegt (st. Rspr., vgl. etwa Senatsurteile vom 29. April 1953 -
VI
ZR 63/52, aaO, [X.]; vom 27. Juni 1961 -
VI
ZR 205/60, [X.]Z 35, 317, 321; vom 18. April 1961 -
VI
ZR 166/60, [X.], 561, 562; vom 22. Juni 1965 -
VI
ZR 53/64, [X.], 816, 817
und vom 9. Mai 1978 -
VI
ZR 212/76, [X.], 923, 924). Er muss sich "verkehrsrichtig" verhalten, was sich nicht nur durch die geschriebenen Regeln der Straßenverkehrsordnung bestimmt, sondern durch die konkreten Umstände und Gefahren im Verkehr sowie nach 9

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dem, was den Verkehrsteilnehmern zumutbar ist, um diese Gefahr möglichst gering zu halten (Senatsurteile vom
30. Januar 1979 -
VI
ZR 144/77, [X.], 369,
370 und vom 10. April 1979 -
VI
ZR 83/78, [X.], 532). [X.] würde es für eine Mithaftung der Klägerin ausreichen, wenn für Radfahrer das Tragen von [X.] zur Unfallzeit im [X.] nach allgemeinem Verkehrsbewusstsein zum eigenen Schutz erforderlich war.
c) Das Berufungsgericht nimmt an, dass dies der Fall gewesen sei. Es meint, das allgemeine Verkehrsbewusstsein in Bezug auf das Tragen von [X.] beim Fahrradfahren habe sich in den letzten Jahren stark ge-wandelt, weshalb nach dem heutigen Erkenntnisstand grundsätzlich davon ausgegangen werden könne, dass ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens beim Radfahren [X.] trage, wenn er sich in den öffentlichen Straßenverkehr begebe. Gegen diese Beurteilung wen-det sich die Revision mit Erfolg.
aa) Das Berufungsgericht stützt seine Beurteilung im Wesentlichen auf Überlegungen hinsichtlich des besonderen Verletzungsrisikos, dem Radfahrer im Straßenverkehr
heute ausgesetzt seien. Allein mit dem Verletzungsrisiko und der Kenntnis davon lässt sich ein verkehrsgerechtes Verhalten jedoch nicht begründen. Auch der heutige Erkenntnisstand hinsichtlich der Möglichkeiten, dem Verletzungsrisiko durch Schutzmaßnahmen
zu begegnen, rechtfertigt noch nicht den Schluss, dass ein Radfahrer sich nur dann verkehrsgerecht verhält, wenn er [X.] trägt. Insoweit mag der Fortschritt der Sicherheitstechnik zwar in gewissem Maße Berücksichtigung finden (vgl. [X.]/[X.], [X.], Neubearb.
2005, §
254 Rn.
51 mwN). Die technische Entwicklung hat aber nur bedingte Aussagekraft für die Beurteilung der Frage, welches Verhal-ten tatsächlich dem heutigen allgemeinen Verkehrsbewusstsein entspricht.
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bb) Der erkennende Senat hat
in einer Entscheidung, in der es um die Frage des Mitverschuldens eines Mopedfahrers ging, der bei einem [X.] eine Kopfverletzung erlitt, weil er [X.] trug, zu den Voraussetzungen für die Annahme eines verkehrsgerechten Verhaltens näher Stellung genommen (Senatsurteil vom 30. Januar 1979 -
VI
ZR 144/77,
aaO). Er hat dazu ausgeführt, dass weder die Gefährlichkeit noch das gegenüber [X.] -
nicht zuletzt wegen der zunehmenden Dichte des Verkehrs
-
bei [X.] möglicherweise gesteigerte Bewusstsein für solche Gefährdungen aus-reichten, um das Fahren ohne [X.] als nicht verkehrsgerecht zu bewerten. Zur Beurteilung einer allgemeinen Überzeugung könnten Umfrageergebnisse, [X.] und amtliche oder nichtamtliche Erhebungen herangezogen werden, die jedoch nicht vorhanden seien. Ohne solche zureichend verlässlichen
Unterla-gen könne von einer allgemeinen Überzeugung, dass es für einen ordentlichen und gewissenhaften Mopedfahrer zum eigenen Schutz in jedem Falle erforder-lich sei, auf seinen Fahrten einen Schutzhelm zu tragen, so
lange nicht gespro-chen werden, als selbst der Verordnungsgesetzgeber, von dem zu dieser Frage gewissenhafte Überlegungen und Nachforschungen erwartet werden könnten, noch Ende 1975 die einschlägigen Gefahren relativiert und die Anordnung ent-sprechender Anschaffungen der Mopedfahrer im Hinblick darauf noch als un-zumutbar angesehen habe. Bei dieser Sachlage habe sich dem verunglückten Mopedfahrer zu damaliger [X.] nicht aufdrängen müssen, dass er zu seinem Schutz [X.] aufsetzen müsse. Davon abgesehen sei nicht festgestellt, ob gerade in der Umgebung, in der er gewohnt habe, bei Mopedfahrern schon eine entsprechende Übung bestanden habe.
cc) Diese Erwägungen können auch vorliegend zur Beurteilung [X.] Verhaltens herangezogen werden. Anders als damals gibt es, worauf die Revision zutreffend hinweist, amtliche Statistiken über die tatsächli-che Akzeptanz von Fahrradhelmen. Die [X.] führt 13

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seit Mitte der 70er Jahre regelmäßig repräsentative Verkehrsbeobachtungen im gesamten [X.] durch, bei denen jährlich u.a. das Tragen von Schutz-helmen und Schutzkleidung bei Zweiradbenutzern erfasst wird. Danach trugen im [X.] über alle Altersgruppen hinweg innerorts elf Prozent der Fahrrad-fahrer einen Schutzhelm ([X.], Forschung kompakt 06/12,
veröffentlicht auf www.bast.de). Damit sei, so die seinerzeitige Beurtei-lung seitens der [X.], die [X.]tragequote gegen-über dem Vorjahr (neun Prozent) leicht gestiegen, sie befinde sich aber weiter-hin auf niedrigem Niveau. Bei dieser Sachlage ist die Annahme, die Erforder-lichkeit des Tragens von Fahrradhelmen habe im [X.] dem allgemeinen Verkehrsbewusstsein entsprochen, nicht gerechtfertigt.
Allerdings
hat der [X.] des [X.] 2009 ei-ne Empfehlung beschlossen, in der es unter Nr. 6 heißt: "Teilnehmern am [X.] wird das Tragen eines [X.]es sowie dringend der Abschluss einer Haftpflichtversicherung empfohlen" (47. [X.] 2009, 8). Der Verordnungsgesetz-geber hat aus verkehrspolitischen Erwägungen bislang jedoch bewusst davon abgesehen, eine [X.]pflicht für Radfahrer einzuführen. Die Bundesregierung hat im Jahr 2012 auf eine kleine Anfrage von Abgeordneten und der Fraktion [X.]/[X.] zur Verkehrssicherheit im Radverkehr erklärt, dass die Freiwilligkeit des Tragens eines Fahrradhelmes der Ansatz des gerade ver-abschiedeten [X.] 2011 sei (BT-Drucks. 17/8560, S.
13). Die Einführung einer [X.]pflicht wird auch von der derzeitigen Bundes-regierung bislang nicht verfolgt. So heißt es im Koalitionsvertrag "[X.] Zukunft gestalten" zwischen [X.], [X.] und [X.], 18. Legislaturperiode (abruf-bar unter [X.], [X.]) zum Thema Fahr-radverkehr vielmehr, man wolle darauf hinwirken, dass deutlich mehr Fahrrad-fahrer [X.] tragen. Solche Aussagen und Empfehlungen mögen langfristig [X.]

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zu beitragen, die Akzeptanz des Tragens von Fahrradhelmen zu erhöhen. Ei-nen Beleg für ein entsprechendes allgemeines Verkehrsbewusstsein im [X.] vermögen sie nicht zu liefern.
d) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist daher mit der
bis-herigen obergerichtlichen Rechtsprechung und der überwiegenden Auffassung der Literatur daran festzuhalten, dass Schadensersatzansprüche eines Radfah-rers, der im Straßenverkehr bei einem Verkehrsunfall Kopfverletzungen erlitten hat, die durch das Tragen eines Schutzhelms zwar nicht verhindert, wohl aber hätten gemildert werden können, jedenfalls bei [X.] bis zum [X.] grundsätzlich nicht wegen Mitverschuldens gemäß §
9 StVG, §
254 Abs.
1 [X.] gemindert sind (vgl. [X.], [X.], 15, 18 f.; [X.], [X.], 1257, 1259; [X.], [X.], 38, 39 mit [X.] [X.]; [X.], [X.], 614, 618 f.; [X.], [X.], 202, 203 f. mit [X.] [X.], [X.] 1/2008 [X.] 3; [X.], [X.] 2014, 101, 102 ff. mit [X.] [X.], [X.] 5/2014 [X.] 3; [X.]/Zwickel, Haftungs-recht des Straßenverkehrs, 5.
Aufl., §
22 Rn.
62;
[X.] in [X.], 2009, S.
396 mwN; [X.], Recht für Radfahrer, 3.
Aufl., S.
174 ff.; [X.], [X.], 289, 292; [X.], [X.], 603 f.; Prelinger, juris-PR-VerK 21/2013 [X.] 2 [[X.] zum Urteil des Berufungsgerichts]; Türpe, [X.], 404, 405 f.
[[X.] zum Urteil des Berufungsgerichts]; aA: [X.]/Knerr, [X.], 26.
Aufl. Kap.
2 Rn.
58; [X.]/[X.], aaO; vgl. dazu auch [X.], zfS 2010,
62, 66
sowie Scholten, SVR 2012, 161
ff.). Inwie-weit in Fällen sportlicher Betätigung des Radfahrers das Nichtragen eines Schutzhelms ein Mitverschulden begründen kann (vgl. dazu [X.], [X.], 614, 618; [X.], [X.], 619, 622; [X.], NJW-RR 2008, 266, 267
f.; [X.], Urteil vom 3. März 2011 -
24
U 384/10, juris
Rn. 32; [X.], aaO; [X.]/[X.], aaO Rn.
42; [X.], [X.], 603
ff.), bedarf vorliegend keiner Entscheidung.
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3. Nach alledem kann das angefochtene Urteil, soweit zum Nachteil der Klägerin erkannt worden ist, keinen Bestand haben. Da es keiner weiteren Feststellungen mehr bedarf, kann der erkennende Senat gemäß §
563 Abs.
3 ZPO in der Sache selbst entscheiden. Die Berufung der [X.] gegen das landgerichtliche Urteil ist insgesamt zurückzuweisen, denn das Feststellungs-begehren der Klägerin erweist sich in vollem Umfang als begründet.
Galke
[X.]
Pauge

[X.]
Offenloch

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 12.01.2012 -
4 [X.]/11 -

OLG [X.], Entscheidung vom 05.06.2013 -
7 U 11/12 -

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Meta

VI ZR 281/13

17.06.2014

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 17.06.2014, Az. VI ZR 281/13 (REWIS RS 2014, 4872)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 4872

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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VI ZR 281/13

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