Bundesgerichtshof, Urteil vom 28.02.2023, Az. X ZR 23/22

10. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 1273

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Gegenstand

Pauschalreisevertrag: Wegfall des Entschädigungsanspruchs des Reiseveranstalters bei Rücktritt vor Reisebeginn wegen erheblicher Beeinträchtigung der Rückreise in der Corona-Pandemie


Leitsatz

Die Frage, ob die Beförderung an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigt ist, darf nicht allein danach beurteilt werden, ob der Reisende diesen Ort ohne Beeinträchtigungen erreichen kann. Vielmehr kann auch von Bedeutung sein, ob der Reisende davon ausgehen kann, dass die Rückreise nach Ende des Reisezeitraums ebenfalls ohne wesentliche Beeinträchtigungen möglich sein wird.

Tenor

Die Revision gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des [X.] vom 19. Januar 2022 wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger beansprucht von dem Beklagten die Rückzahlung des Entgelts für eine Pauschalreise.

2

Der Kläger buchte im Oktober 2019 bei dem Beklagten eine Motorradtour durch [X.], die vom 14. bis zum 21. März 2020 stattfinden sollte. Den Hin- und Rückflug buchte der Kläger gesondert.

3

Am 14. März 2020 erklärte ein Mitreisender in einer Textnachricht an den Beklagten, dass er und der Kläger die Reise nicht anträten, weil ihnen mitgeteilt worden sei, der Flughafen in [X.] sei ab dem 15. März "zu".

4

Der Kläger verlangte Rückzahlung des geleisteten Reisepreises in Höhe von 2.335 Euro und Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten. Der Beklagte kam dem nicht nach.

5

Das Amtsgericht hat den Beklagten zur Rückzahlung des Reisepreises nebst Zinsen verurteilt und die Klage abgewiesen, soweit sie auf Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten gerichtet ist. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen und auf die Anschlussberufung des Klägers der Klage vollumfänglich stattgegeben. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt der Beklagte weiterhin die vollständige Abweisung der Klage.

Entscheidungsgründe

6

Die zulässige Revision ist unbegründet.

7

I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

8

Das Amtsgericht sei im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger gegen den Beklagten einen Anspruch auf Rückzahlung des Reisepreises habe. Der Kläger sei wirksam vom Reisevertrag zurückgetreten. Der Beklagte könne keine Entschädigung verlangen, da die Voraussetzungen des § 651h Abs. 3 BGB erfüllt seien.

9

Der Ausbruch der [X.] habe dazu geführt, dass die [X.] Ende Januar 2020 einen internationalen Gesundheitsnotstand wegen der Infektionsgefahr ausgerufen habe. Zwar sei das Infektionsgeschehen in [X.] im März 2020 aufgrund der geringen Anzahl der Fälle verhältnismäßig unbedeutend gewesen. Zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung sei dem Kläger aber bekannt gewesen, dass der Flugverkehr nach und von [X.] wegen der Ausbreitung des Corona-Virus unmittelbar nach dem Hinflug eingestellt werde und sein Rückflug nicht sichergestellt sei. Diese dem Kläger seitens der Fluggesellschaft bei der Abfertigung des [X.] erteilte Information stimme mit der Mitteilung der [X.] Behörden überein, die das [X.] bereits einen Tag vor dem geplanten Hinflug erhalten habe.

Der Kläger könne sich mit Erfolg auf unvermeidbare und außergewöhnliche Umstände berufen, die die Anreise an den Bestimmungsort und die Durchführung der Reise beträfen. Zwar sei nicht die Beförderung an den Bestimmungsort durch unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände beeinträchtigt gewesen, sondern nur der Rückflug. Wegen der großen Ungewissheit bezüglich der Möglichkeit der Abreise aus [X.] sei dem Kläger allerdings schon die Anreise nicht zumutbar gewesen.

Dem stehe nicht entgegen, dass der Kläger An- und Abreise selbst organisiert habe. Der Regelung des § 651k Abs. 4 BGB sei zudem zu entnehmen, dass unvermeidbare und außergewöhnliche Umstände in den Risikobereich des Reiseveranstalters fielen.

II. Die angefochtene Entscheidung hält der rechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand.

Der Beklagte hat gemäß § 651h Abs. 1 Satz 2 BGB seinen Anspruch auf den Reisepreis verloren, weil der Kläger nach § 651h Abs. 1 Satz 1 BGB wirksam von dem Pauschalreisevertrag zurückgetreten ist. Dem daraus resultierenden Rückzahlungsanspruch kann der Beklagte keinen Entschädigungsanspruch aus § 651h Abs. 1 Satz 3 BGB entgegenhalten, weil die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort aufgrund von außergewöhnlichen Umständen erheblich beeinträchtigt war.

1. Nach § 651h Abs. 3 Satz 1 BGB kann der Reiseveranstalter bei einem Rücktritt des Reisenden vor Reiseantritt abweichend von § 651h Abs. 1 Satz 2 BGB keine Entschädigung verlangen, wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen.

2. Unvermeidbar und außergewöhnlich sind Umstände gemäß § 651h Abs. 3 Satz 2 BGB, wenn sie nicht der Kontrolle der [X.] unterliegen, die sich darauf beruft, und sich ihre Folgen auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Vorkehrungen getroffen worden wären.

Dass im Reisezeitraum (14. bis 21. März 2020) die Gefahr einer Erkrankung an Covid-19 ein nicht [X.] erhebliches Risiko für die menschliche Gesundheit darstellte, die dem gewöhnlichen Reisebetrieb im Buchungszeitpunkt noch nicht innewohnte, zieht die Revision zu Recht nicht in Zweifel.

3. Zu Recht ist das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort im Streitfall aufgrund der in [X.] angeordneten Beschränkungen des Reiseverkehrs erheblich beeinträchtigt war.

a) Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts hatten die [X.] Behörden dem [X.] am 13. März 2020 mitgeteilt, dass ab dem 15. März 2020 der reguläre Flug- und Fährverkehr von und nach [X.] eingestellt wird.

Hieraus hat das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler die Schlussfolgerung gezogen, dass die Rückreise des [X.] mit erheblichen Unsicherheiten behaftet war. Insbesondere ist es zu Recht davon ausgegangen, dass der Tatbestand von § 651h Abs. 3 BGB bereits dann erfüllt ist, wenn vor Beginn der Reise außergewöhnliche Umstände vorliegen, die eine erhebliche Wahrscheinlichkeit dafür begründen, dass eine Beeinträchtigung im Sinne dieser Vorschrift eintreten wird.

b) Entgegen der Auffassung der Revision führt der Umstand, dass sowohl die Anreise als auch die Durchführung der Pauschalreise isoliert betrachtet ohne wesentliche Beeinträchtigungen möglich gewesen wären, nicht zu einer abweichenden Beurteilung.

Zu Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass die vor Antritt der Reise aufgetretenen Unsicherheiten bezüglich der Rückreise bereits zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Beförderung zum Bestimmungsort geführt haben.

aa) Entgegen der Auffassung der Revision darf die Frage, ob die Beförderung an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigt ist, nicht allein danach beurteilt werden, ob der Reisende diesen Ort ohne Beeinträchtigungen erreichen kann. Vielmehr kann auch von Bedeutung sein, ob der Reisende davon ausgehen kann, dass die Rückreise ebenfalls ohne wesentliche Beeinträchtigungen möglich sein wird.

Zu Recht hat es das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang als ausschlaggebend angesehen, ob dem Reisenden die Anreise zum Bestimmungsort zumutbar ist. Ebenfalls zu Recht ist es davon ausgegangen, dass einem Reisenden in der Regel nicht zugemutet werden kann, an den Bestimmungsort zu reisen, wenn nicht gewiss ist, wie und wann er den Bestimmungsort nach Abschluss der Reise verlassen kann.

bb) Vor diesem Hintergrund ist die Feststellung des Berufungsgerichts, dass die Rückreise bereits vor dem Abflug mit Unsicherheiten behaftet war, angesichts derer eine Beförderung zum Bestimmungsort nicht zumutbar war, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

Entgegen der Auffassung der Revision ist unerheblich, ob es Fährverbindungen von [X.] nach [X.] gegeben hätte. Die Revision zeigt keinen Vortrag des Beklagten auf, dass es dem Kläger möglich gewesen wäre, in der kurzen Zeit, die ihm vor dem Abflug verblieb, eine solche Verbindung und eine Weiterreise nach [X.] zu buchen. Eine Abreise ohne Gewissheit darüber, dass die Rückreise per Fähre gesichert ist, hat das Berufungsgericht zu Recht als nicht zumutbar angesehen. Ob die Nutzung dieser Beförderungsart anstelle des vorgesehenen Fluges überhaupt als zumutbare Alternative hätte angesehen werden können, bedarf angesichts dessen keiner abschließenden Entscheidung.

c) Eine andere Beurteilung ergibt sich nicht daraus, dass der Kläger die An- und Abreise selbst organisiert hat.

aa) § 651h Abs. 3 Satz 1 BGB sieht einen Ausschluss der Entschädigung nicht nur für den Fall einer erheblichen Beeinträchtigung der Pauschalreise selbst vor, sondern auch für den Fall einer erheblichen Beeinträchtigung der Beförderung von Personen zum Bestimmungsort.

Der zuletzt genannte Tatbestand ist gerade - und nur - dann von Bedeutung, wenn die Beförderung zum Bestimmungsort nicht zu den geschuldeten Reiseleistungen gehört. [X.] der Reiseveranstalter auch diese Beförderung, führen Beeinträchtigungen in diesem Stadium bereits zu einer Beeinträchtigung der Pauschalreise selbst.

bb) Dass wesentliche Beeinträchtigungen auf der Rückreise vom Bestimmungsort für sich gesehen nicht unter den Tatbestand von § 651h Abs. 3 BGB fallen, führt entgegen der Auffassung der Revision nicht zu einer abweichenden Beurteilung.

Dieser Umstand spricht zwar dafür, dass der Anspruch auf Entschädigung nicht entfällt, wenn ausschließlich die Rückreise vom Bestimmungsort erheblichen Beeinträchtigungen unterliegt. Entgegen der Auffassung der Revision ist hieraus aber nicht abzuleiten, dass Umstände, die der Rückreise entgegenstehen, stets und ausschließlich in den Risikobereich des Reisenden fallen und deshalb bei der Frage, ob die Anreise von Personen zum Bestimmungsort zumutbar ist, zwingend außer Betracht bleiben müssen.

cc) Eine abweichende Beurteilung ergibt sich auch nicht aus Erwägungsgrund 31 der Pauschalreise-Richtlinie, wonach ein außergewöhnlicher Umstand vorliegen kann, wenn eine sichere Reise an das im Pauschalreisevertrag vereinbarte Reiseziel unmöglich ist.

Auch in diesem Zusammenhang wird zwar nur die Reise an den Bestimmungsort angeführt. Für die Frage, ob eine sichere Reise an den Bestimmungsort möglich ist, darf aber nicht allein darauf abgestellt werden, ob der Urlauber ohne Beeinträchtigungen an diesen Ort gelangen kann. Sicher ist die Anreise in der Regel nur dann, wenn der Reisende mit hinreichender Gewissheit davon ausgehen kann, dass er nach Ende des [X.] an den Ausgangsort zurückkehren kann. Daran fehlt es, wenn bereits vor Antritt der Hinreise Umstände erkennbar sind, die es ungewiss erscheinen lassen, wie und wann eine Rückkehr möglich ist.

dd) Dass § 651k Abs. 4 BGB Ansprüche des Reisenden bei Beeinträchtigungen der Rückreise nur unter bestimmten Voraussetzungen vorsieht, ist für die Konstellation des Streitfalls unerheblich.

Wie bereits dargelegt wurde, knüpft die im Streitfall geltend gemachte Rechtsfolge - der Wegfall des [X.] nach § 651h Abs. 3 BGB - nicht unmittelbar an Beeinträchtigungen der Rückreise an, sondern an eine erhebliche Beeinträchtigung der Beförderung von Personen zum Bestimmungsort. Dass bei der Beurteilung dieser Frage Umstände, die die Rückreise betreffen, außer [X.] zu bleiben haben, ergibt sich aus § 651k Abs. 4 BGB ebenso wenig wie aus anderen Vorschriften des Reiserechts.

III. Für ein Vorabentscheidungsverfahren an den [X.] gemäß Art. 267 AEUV besteht kein Anlass.

Entgegen der Auffassung der Revision wirft der Streitfall nicht die Rechtsfrage auf, ob der Reiseveranstalter den Anspruch auf Entschädigung wegen Rücktritts auch dann verliert, wenn weder die Durchführung der Reise noch die Beförderung an den Bestimmungsort beeinträchtigt ist.

Vielmehr geht es um die Frage, unter welchen Umständen eine Anreise zum Bestimmungsort zumutbar ist. Für die Frage der Zumutbarkeit sind stets alle Umstände des jeweiligen Einzelfalls von Bedeutung. Einer grundsätzlichen Klärung von Rechtsfragen durch den Gerichtshof bedarf es in diesem Zusammenhang nicht.

IV. [X.] beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

[X.]     

  

Kober-Dehm     

  

Rombach

  

Rensen     

  

Crummenerl     

  

Meta

X ZR 23/22

28.02.2023

Bundesgerichtshof 10. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend LG Neuruppin, 19. Januar 2022, Az: 4 S 47/21

§ 651h Abs 3 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 28.02.2023, Az. X ZR 23/22 (REWIS RS 2023, 1273)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 1273 NJW 2023, 1882 REWIS RS 2023, 1273

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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37 C 270/21 (Amtsgericht Düsseldorf)


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