Bundesgerichtshof, Beschluss vom 24.03.2020, Az. 6 StR 18/20

6. Strafsenat | REWIS RS 2020, 1729

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Gegenstand

Erpresserischer Menschenraub: Strafmilderung bei tätiger Reue; Ablassen vom Geschädigten wegen Erkenntnis fehlender Erfolgsaussicht


Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 22. Oktober 2019, soweit es ihn betrifft, im Strafausspruch und im Ausspruch über den [X.] aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine allgemeine Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, erpresserischem Menschenraub, versuchter schwerer räuberischer Erpressung und zwei tateinheitlichen Fällen des versuchten Betrugs zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Es hat die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt und den [X.] von einem Jahr und einem Monat und zwei Wochen Freiheitsstrafe angeordnet. Den nicht revidierenden Mitangeklagten hat es wegen derselben Tat und weiterer schwerwiegender Delikte zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die gegen das Urteil gerichtete, auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel aus den Gründen der Antragsschrift des [X.] unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO). Eine Revisionserstreckung auf den [X.] gemäß § 357 StPO ist nicht veranlasst.

2

1. Nach den zu Fall [X.] getroffenen landgerichtlichen Feststellungen verkaufte der frühere Mitangeklagte D.        an den Geschädigten 95 Gramm Haschisch mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 5 % THC, das er zuvor von dem Angeklagten zum Weiterverkauf erhalten hatte. Einige Tage später lockten der Angeklagte und D.        den Geschädigten unter einem Vorwand auf die Rückbank eines vom Angeklagten geführten zweitürigen Fahrzeugs. Während der anschließenden mindestens zweistündigen Fahrt forderten beide von dem Geschädigten unter der Drohung, ihn anderenfalls umzubringen, die Begleichung von [X.]. Um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen, nahmen sie dem Geschädigten das Mobiltelefon ab und schlugen ihm mehrfach mit der flachen Hand ins Gesicht, der Angeklagte drohte zusätzlich Verletzungen mittels eines durch ein Feuerzeug erhitzten Radkreuzes aus Metall an. Der Geschädigte schlug daraufhin vor, zu seinen in der Nähe wohnenden Eltern zu fahren und diese um Geld zu bitten. Mit dem falschen Hinweis, dass ihr [X.] dem D.      wertvollen Goldschmuck gestohlen habe, verlangte der Angeklagte von den Eltern des Geschädigten vergeblich die Zahlung von 2.000 Euro. Beide verließen die Wohnanschrift der Eltern ohne den Geschädigten und nahmen von der weiteren Durchsetzung der Forderung Abstand.

3

2. Die Überprüfung des angegriffenen Urteils hat hinsichtlich des Schuldspruchs und der Anordnung der Maßregel keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Hingegen haben der Strafausspruch und derjenige zum [X.] der Freiheitsstrafe keinen Bestand.

4

Hierzu hat der [X.] in seiner Antragsschrift ausgeführt:

„Der Strafausspruch weist einen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Die [X.] hat das Vorliegen tätiger Reue gemäß § 239a Abs. 4 Satz 1 StGB rechtsfehlerhaft nicht erörtert.

Tätige Reue gemäß § 239a Abs. 4 Satz 1 StGB liegt dann vor, wenn der Täter das Opfer in seinen Lebensbereich zurückgelangen lässt und zudem auf die erstrebte Leistung verzichtet; hierzu muss er vollständig von der erhobenen Forderung Abstand nehmen ([X.], Beschluss vom 7. September 2016 - 1 StR 293/16, [X.], 412; vgl. [X.] in [X.]/[X.], StGB, 30. Aufl., § 239a Rn. 33 ff.; [X.], StGB, 67. Aufl., § 239a Rn. 19 f.). § 239a Abs. 4 StGB setzt keine Freiwilligkeit voraus; es kommt somit auch nicht darauf an, aus welchen Motiven der Täter handelt (vgl. [X.], Beschluss vom 21. Mai 2003 - 1 [X.], [X.], 605; [X.] in [X.], StGB, 3. Aufl., § 239a Rn. 97; [X.], aaO, Rn. 40; [X.], aaO, Rn. 19).

Dass der Angeklagte und sein Mittäter - naheliegender Weise - in Anbetracht der Erkenntnis fehlender Erfolgsaussicht vom Geschädigten abgelassen haben (vgl. Ausführungen der Kammer zur Rücktrittsprüfung ([X.])), steht der Annahme tätiger Reue mithin nicht entgegen. Auch im Übrigen liegen die Voraussetzungen von § 239a Abs. 4 Satz 1 StGB nach den getroffenen Feststellungen der Kammer vor: Der Angeklagte und der Mitangeklagte haben auf das Eintreiben der erstrebten Geldforderung in der Folgezeit vollständig verzichtet ([X.], 25). Obwohl Feststellungen der Kammer dazu fehlen, wie genau die [X.] im oder am Haus der Eltern nach Einweihung der Mutter endete (vgl. [X.], 16, 18), belegen die Urteilsgründe in ihrer Gesamtheit jedenfalls sicher, dass der Angeklagte und sein Mittäter die „Freilassung“ des Geschädigten gewollt und keine weiteren Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der [X.] getroffen haben. Demgegenüber liegen ausweislich der Feststellungen keine Anhaltspunkte für ein den Angeklagten und den Mitangeklagten nicht privilegierungswürdiges Ende der [X.] vor, beispielsweise indem der Geschädigte alleine oder mit Hilfe seiner Eltern die Freiheit zurückerlangen konnte. So bezieht sich die Aufklärung der Mutter ausweislich der Feststellungen auch alleine auf die (versuchte) [X.].

Da der [X.] weder einen Einfluss auf die Prüfung der Voraussetzungen des minder schweren Falles (§ 239a Abs. 2 StGB) noch eine Strafrahmenmilderung (§§ 239a Abs. 4 Satz 1, 49 Abs. 1 StGB) wird ausschließen können, ist das Urteil im Strafausspruch insgesamt aufzuheben. (...)

Die Aufhebung des Strafausspruches hat auch die Aufhebung der Anordnung über die Dauer des [X.]s zur Folge.

Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen - auch zum Strafausspruch - sowie der Schuld- und der [X.] können bestehen bleiben, da lediglich Wertungsmängel vorliegen.“

5

Dem schließt sich der [X.] an.

6

3. Einer Revisionserstreckung gemäß § 357 StPO auf den Mitangeklagten bedarf es nicht, weil der [X.] auch im Hinblick auf das einbezogene Urteil (Jugendstrafe von acht Monaten) ausschließt, dass die verhängte Jugendstrafe bei Annahme tätiger Reue noch niedriger ausgefallen wäre (vgl. [X.], Beschluss vom 11. März 2014 - 5 StR 29/14, NJW 2014, 1752). Der [X.] konnte hierüber durch Beschluss entscheiden (vgl. [X.], Beschluss vom 17. November 1995 - 2 StR 572/95, [X.]R StPO § 349 Abs. 5 Entscheidung 1).

7

4. Da das Verfahren sich nur noch gegen einen Erwachsenen richtet, verweist der [X.] die Sache entsprechend § 354 Abs. 3 StPO an eine allgemeine [X.] des [X.]s zurück.

[X.]     

        

König     

        

Feilcke

        

Tiemann     

        

von [X.]     

        

Meta

6 StR 18/20

24.03.2020

Bundesgerichtshof 6. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Nürnberg-Fürth, 22. Oktober 2019, Az: 355 Js 12498/18 jug JKIV KLs

§ 239a Abs 4 S 1 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 24.03.2020, Az. 6 StR 18/20 (REWIS RS 2020, 1729)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 1729

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

6 StR 551/23

Zitiert

1 StR 293/16

5 StR 29/14

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